Adenoide

Zusammenfassung

  • Definition:Hyperplastische adenoide Vegetationen („Polypen“), die im Lymphgewebe im Nasen-Rachen-Raum bestehen.
  • Häufigkeit:Schätzungsweise 20 % aller Kinder haben rezidivierende Atemwegsinfektionen, bei vielen besteht ein Zusammenhang mit adenoider Hyperplasie.
  • Symptome:Zu den typischen Symptomen gehören die Nasenatmungsbehinderung, Mundatmung, nasale Stimme (Rhinolalia clausa), nächtliches Husten, Schnarchen und unruhiger Schlaf.
  • Befunde:Klinische Befunde sind ein offener Mund (typischer Gesichtsausdruck) und vergrößerte Lymphknoten.
  • Diagnostik:Nachweis durch posteriore Rhinoskopie. Als ergänzende Untersuchungen sind ggf. eine Audiometrie, Tympanometrie, allergologische Diagnostik, Schlafapnoediagnostik und Sprachentwicklungsdiagnostik angezeigt.
  • Therapie:Bei leichteren Beschwerden abwartendes Beobachten, bei starken Beschwerden eine Adenotomie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bei adenoiden Vegetationen („Polypen“) handelt es sich um eine Hyperplasie der Rachenmandel im oberen und hinteren Bereich des Nasen-Rachen-Raumes.1
  • Hierunter kommt es zu einer mechanischen Obstruktion und konsekutiver rezidivierender Entzündung im Nasenrachenraum, was verschiedene Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich und im gesamten Organismus zur Folge haben kann.1
    • Adenoide gelten als häufigste Ursache für das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom im Kindesalter.2
    • Nasenatmungsbehinderung mit Malokklusion und Mundatmung („Facies Adenoidea“)
    • chronische Entzündung des oberen Respirationstraktes und der Bronchien
    • chronische Tubenventilationsstörung mit Schwerhörigkeit und Sprachentwicklungsstörungen
    • chronische Mittelohrentzündungen bis zum Cholesteatom
    • allgemeine Entwicklungsverzögerung

Häufigkeit

  • Bei Kindern aller Altersgruppen, einschließlich Neugeborenen
  • Schätzungsweise 20 % aller Kleinkinder leiden unter rezidivierenden Infektionen der oberen Atemwege. Bei vielen von ihnen muss die operative Entfernung der Mandeln und/oder der Adenoide fachärztlich beurteilt werden.3
  • Adenotomie
    • Gehört in westlichen Industrienationen zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen im Kindesalter, wie etwa Zahlen aus den Niederlanden zeigen.3
      • > 15.000 Kinder wurden im Jahr 2009 operiert: 16 von 1.000 Kindern im Alter von 0–4 Jahren und 5,5 von 1.000 Kinder im Alter von 5–9 Jahren
      • Bei 60 % der Kinder führten rezidivierende Infektionen der Atemwege zu einer Indikation für eine operative Therapie.
  • Zusammen mit der Tonsillektomie ist die Adenotomie die häufigste im Kindesalter durchgeführte Operation.

Ätiologie und Pathogenese

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Entstehung der Hyperplasie durch (rezidivierende) Entzündung
  • Entstehung eines Circulus vitiosus: Entzündung – Hyperplasie – Obstruktion/Sekretstau – erneute Entzündung
  • Neben Infektionserregern spielen Allergien und Antigenexposition eine Rolle bei der Entzündung.

Prädisponierende Faktoren

  • Rezidivierende Infektionen der oberen Atemwege
  • Allergien

ICPC-2

  • R90 Hypertro. Gaumen-/Rachenmandeln

ICD-10

  • J35.2 Hyperplasie der Rachenmandel

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Symptome
    • nasale Stimme, Mundatmung, verstopfte Nase, Schlafstörungen, vermehrte Infekte im oberen und unteren Respirationstrakt
    • ggf. Hörstörungen, Gedeihstörungen, Sprachentwicklungsstörungen und allergische Beschwerden
  • Klinische Untersuchung: Nachweis von Adenoiden durch posteriore Rhinoskopie

Differenzialdiagnosen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Juveniles Nasenrachenfibrom
  • Maligne Neubildung
  • Ausgeprägte Hyperplasie der Tonsillae palatinae
  • Inkomplette Choanalatresie
  • Endonasale Fremdkörper
  • Nasenmuschelhyperplasien 
  • Infektiöse sowie allergische Rhinitiden
  • Thornwald-Zyste

Anamnese

  • Symptome1
    • Nasenatmungsbehinderung, chronische Mundatmung, nasale Stimme
    • schleimig-eitrige Rhinorrhö
    • gehäufte Infektanfälligkeit, wiederkehrende Infekte der oberen Atemwege
    • Schwerhörigkeit
    • rezidivierende Mittelohrentzündungen
    • Schnarchen, nächtliche Atemaussetzer
    • Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit
    • verzögerte Sprachentwicklung 
    • chronische Bronchitis
    • erhöhte Sinusitis-Neigung4

Klinische Untersuchung

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Inspektion
    • offener Mund, müdes Gesicht, flache Nasolabialfalten, vergrößerte Lymphknoten
    • manchmal Naseneingangsekzem
  • Inspektion der Mundhöhle
    • Beurteilung der Gaumenmandeln
    • Zahnfehlstellungen
    • In ausgeprägten Fällen sind adenoide Vegetationen bei der Untersuchung des Rachens unter der Hinterkante des weichen Gaumens sichtbar.
      • In Folge des raumfordernden adenoiden Gewebes kann die Beweglichkeit des weichen Gaumens gestört sein.
  • Palpation der zervikalen Lymphknoten
  • Otoskopie: ggf. seröse Otitis - verdicktes Trommelfell, Flüssigkeit im Mittelohr und eingeschränkte Beweglichkeit des Trommelfells
  • Ggf. Schallleitungsschwerhörigkeit (Stimmgabelprobe nach Rinne und Weber)

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • HNO-ärztliche Untersuchung
    • posteriore Rhinoskopie
      • Zerklüftete Wucherungen, die den oberen Bereich und die Hinterwand des Nasen-Rachen-Raums, einen Teil der Choanen und ggf. die Tubenostien bedecken.
    • flexible nasale Endoskopie zur Differenzialdiagnostik
    • Ohrmikroskopie
  • Hördiagnostik
    • Schwellenaudiometrie
    • transitorisch evozierte otoakustische Emissionen (TEOAE)
  • Tympanometrie und ggf. Tubenmanometrie zur Beurteilung der Mittelohrbelüftung
  • Allergologische Diagnostik bei anamnestischen Hinweisen
  • Schlafapnoe-Diagnostik bei anamnestischen Hinweisen
  • Sprachentwicklungsdiagnostik

Weitere Diagnostik

  • Präoperativ muss eine Gerinnungsstörung ausgeschlossen werden.1
    • Gerinnungsanamnese mit validiertem Fragenbogen obligat
    • bei Auffälligkeiten weitergehende laborchemische Gerinnungsdiagnostik1

Indikationen zur Überweisung

  • Bei auffälligen Befunden in der Anamnese oder Otoskopie1
  • Bei Kindern, die durch das Krankheitsbild beeinträchtigt sind.

Therapie

Therapieziele

  • Symptomverbesserung
  • Vorbeugung von Folgeerkrankungen und Entwicklungsverzögerung

Allgemeines zur Therapie

  • Bei alleiniger Adenoidhyperplasie ohne weitere Symptome konservative Behandlung im Sinne eines beobachtenden Abwartens1
  • Ab dem 6. Lebensjahr erfolgt eine physiologische Involution der Rachenmandel, die bis zur Pubertät abgeschlossen ist.1
    • Eine Indikation zur operativen Behandlung sollte zu einem späteren Zeitpunkt zurückhaltender gestellt werden.
  • Bei entzündlichen sekundären Symptomen von adenoiden Vegetationen mit schwerer Symptomatik (rezidivierende Infektneigung mit Fieber, persistierende Ohrproblematik) ist der Vorteil der operativen Therapie gegenüber dem beobachtenden Abwarten gesichert, bei weniger stark ausgeprägten Symptomen allerdings nicht.1

Empfehlungen für Patient*innen und Angehörige

  • Kinder sollten vor Passivrauchen geschützt werden.
  • Eine erhöhte Lagerung des Kopfes im Bett kann Schwellungen und Obstruktionen im Schlaf reduzieren.
  • Familienangehörige/Sorgeberechtigte von Kindern mit adenoiden Vegetationen sollen im Zusammenhang mit Hörstörungen über den Einfluss des Hörens auf die Sprach- und Sprechentwicklung aufgeklärt werden.1

Medikamentöse Therapie

  • Nasale Steroide/Nasenspray sind eine Option.
    • Sie reduzieren die Größe der Adenoide und verringert die Obstruktion.5
    • Sie können einen positiven Effekt auf die Adenoidhyperplasie haben.6
    • Off-Label-Use1
  • Systemische Steroide, Antibiotika oder Antihistaminika sollten zur Behandlung von adenoiden Vegetationen nicht eingesetzt werden.1
  • Nasentropfen/-spray mit adstringierender Wirkung sind nicht angezeigt.

Operative Therapie

  • Der Abschnitt basiert, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf dieser Referenz.1
  • Die Adenotomie kann zeitgleich mit einer Parazentese oder Einlage von Paukenröhrchen erfolgen.
  • In der Regel wird der Eingriff ambulant durchgeführt.
    • Für 24 Stunden muss dabei eine fortwährende Betreuung sowie Überwachung gewährleistet sein.

Leitlinie: Adenotomie, Indikationen1

  • Vier oder mehr Episoden einer wiederkehrenden eitrigen Rhinorrhö innerhalb der vergangenen 12 Monate bei Kindern unter 12 Jahren
  • Bestehende Symptome einer Adenoiditis nach zwei antibiotischen Behandlungen
    • Davon sollte eine Therapie mit einem Beta-Lactamase-stabilen Antibiotikum für mindestens 2 Wochen erfolgt sein.
    • Bei einer Rezidiventzündung sollte eine Erregerdiagnostik angestrebt werden.
  • Schlafstörungen mit Nasenatmungsbehinderung, die mindestens seit 3 Monaten vorliegen.
    • obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS)
    • sekundäre Enuresis nocturna
    • Rhonchopathie
  • Geschlossenes Näseln, Hyponasalität
  • Otitis media mit Paukenerguss seit über 3 Monaten oder bei gleichzeitig vorliegender Paukendrainage
  • Malokklusion oder orofaziale Wachstumsstörung, die kieferorthopädisch und/oder zahnärztlich dokumentiert ist.
  • Kardiopulmonale Komplikationen, inklusive Cor pulmonale, pulmonale Hypertonie und Rechtsherzhypertrophie einhergehend mit oberer Atemwegsobstruktion
  • Rezidivierende akute und chronische Otitis media mit Paukenerguss bei einem Alter ab 4 Jahren oder älter
  • Chronisch rezidivierende Belüftungsstörungen des Mastoids im Sinne einer akuten und/oder chronischen Mastoiditis oder rezidivierende Mittelohrentzündungen oder Tubenbelüftungsstörungen mit Retraktion des Trommelfells
  • Sekundäre Symptome wie die Facies adenoidea

Adenotomie, OP-Technik

  • Standardverfahren ist die konventionelle instrumentelle Kürettage.
    • Der Eingriff wird in Rückenlage nach orotrachealer Intubation bzw. unter Einsatz supraglottischer Beatmungmöglichkeiten in Reklination des Kopfes durchgeführt.
    • Über die Mundhöhle werden die adenoiden Vegetationen mittels Ringmesser und Fasszange weitgehend entfernt.
    • Die Entfernung von Adenoidanteilen, die bis in die hinteren Choanen reichen, erfolgt ggf. unter endoskopischer Kontrolle.
    • intraoperative Blutstillung mit
      • einem mit Vasokonstringens (Xylometazolin) getränkten Tupfer – oder –
      • mittels Elektrokoagulation unter Sicht von Endoskop oder Spiegel
  • Entlassung nach anästhesiologischer und HNO-ärztlicher Freigabe bei Fehlen von Schwellung, Nasenblutung, Atemnot, Narkoseüberhang am OP-Tag

Alternativverfahren

  • Es exixtieren verschiedene alternative Methoden:
    • Elektrokaustik
    • Microdebriding/Shaving
    • Radiofrequenzchirurgie/Coblation
    • Laserchirurgie
  • Für keines der Verfahren kann eine Überlegenheit bezüglich Blutverlust, OP-Zeit, Komplikationen und Kosten festgestellt werden.
  • Vorteil der konventionellen Kürettage ist die Möglichkeit zur histologischen Aufarbeitung.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1

Verlauf

  • Die Größe der Adenoide nimmt mit den Jahren ab, und die Platzverhältnisse im Nasen-Rachen-Raum werden günstiger.
  • Nach Adenotomie sollte bei präoperativ bestehendem Hörverlust und/oder Mittelohrbelüftungsstörung eine ambulante Untersuchung mit Kontrolle der Trommelfelle, Tympanometrie, Hörtest bzw. otoakustische Emissionen erfolgen.
  • HNO-ärztliche Wundkontrolle nach Adenotomie

Komplikationen der Adenotomie

  • Temporäre Schleimhautschwellung mit Rhinophonia clausa
  • Temporäre Odynophagie
  • Vorübergehende Nasenatmungsbehinderung mit Tubenbelüftungsstörung und Paukenerguss
  • Temporäre funktionelle Beeinträchtigung des Gaumensegelverschlusses mit nasaler Regurgitation von festen Speisen und Flüssigkeiten
  • Nachblutungen
    • primäre (innerhalb der ersten 24 Stunden auftretend)
    • sekundäre (nach 24 Stunden postoperativ hinaus auftretend)
    • in Einzelfällen schwere Nachblutungen mit tödlichem Verlauf
      • Präoperativer Gerinnungsfragebogen obligat!
  • Zahnschäden, Verletzungen des Naseneinganges inkl. Knorpel durch Instrumente
  • Wundinfektionen
  • Verletzungen des Tubenostiums mit Tubenventilationsstörungen

Prognose

  • Die Prognose ist in der Regel gut, es kann zu Rezidiven kommen.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Erläuterung des Krankheitsbildes und der möglichen Folgen
  • Nach der Adenotomie1
    • körperliche Schonung (bei Kindergartenbesuch, Kita-Besuch, Schulbesuch für 3 Tage sowie bei Schul- und Freizeitsport für 7 Tage)
    • Bei Nachblutung ist eine sofortige (HNO-)ärztliche Vorstellung notwendig.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Adenoid_hypertrophy.jpg
Adenoide

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. S2k-Leitlinie Adenoide Vegetationen. AWMF-Leitlinie-Nr. 017-021, Stand 2022. register.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. S2k-Leitlinie Adenoide Vegetationen. AWMF-Leitlinie-Nr. 017-021, Stand 2022. register.awmf.org
  2. Mitchell RB, et al. Clinical Practice Guideline: Tonsillectomy in Children (Update). 2019, Otolaryngology - Head and Neck Surgery (United States), 160(1_suppl), pp. S1–S42. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. van den Aardweg MTA, Boonacker CWB, Rovers MM, et al. Effectiveness of adenoidectomy in children with recurrent upper respiratory tract infections: open randomised controlled trial. BMJ 2011; 343: d5154. BMJ (DOI)
  4. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Rhinosinusitis. AWMF-Leitlinie-Nr. 017-049, S2k. Stand 2017 (in Überarbeitung) www.awmf.org
  5. Zhang L, Mendoza-Sassi RA, César JA, Chadha NK. Intranasal corticosteroids for nasal airway obstruction in children with moderate to severe adenoidal hypertrophy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 3. Art. No.: CD006286. DOI: 0.1002/14651858.CD006286.pub2 Cochrane (DOI)
  6. Chohan A, et al. Systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials on the role of mometasone in adenoid hypertrophy in children. 2015, International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology. Elsevier Ireland Ltd, 79(10), pp. 1599–1608. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med, Fachärztin für Allgemeinmedizin und für Viszeralchirurgie, Kaufbeuren
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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