Zusammenfassung
- Definition:Als frontotemporale Demenz, auch Pick-Krankheit, bezeichnet man eine Gruppe von Demenzerkrankungen, die durch eine zunehmende Atrophie in Bereichen des Frontallappens und/oder des Temporallappens verursacht werden.
- Häufigkeit:In der Altersgruppe unter 50 Jahren ist die frontotemporale Demenz die häufigste Form.
- Symptome:In frühen Stadien dominieren Verhaltensauffälligkeiten und psychische Symptome, eine gleichgültige bis apathische Haltung, stereotype, zwanghafte oder ritualisierte Verhaltensweisen, wenig Krankheitseinsicht, wobei das Gedächtnis zunächst meist intakt bleibt.
- Befunde:Psychische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten, kognitive Beeinträchtigung. Variante mit progressiver Aphasie.
- Diagnostik:Die Diagnose der Demenz ist eine Syndromdiagnose und stützt sich auf den klinischen Befund. Für die Bestimmung des Schweregrads und für die Verlaufskontrolle können Testverfahren wie der Mini-Mental Status (MMST) hilfreich sein. Um eine frontotemporale Demenz von anderen ätiologischen Demenzformen abzugrenzen, können weiterführende Untersuchungen wie kranielle Bildgebung, Liquordiagnostik oder Gentests notwendig werden.
- Therapie:Psychosoziale Interventionen im Kontext eines Gesamtbehandlungsplans. Beratung und Unterstützung von Erkrankten und Angehörigen. Medikamente haben meist einen untergeordneten Stellenwert. Auch in der Behandlung von psychischen Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten stehen Ursachenforschung und psychosoziale Interventionen an erster Stelle.
Allgemeine Informationen
- Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.1-5
Definition
- Frontotemporale Demenz (FTD), auch Pick-Krankheit, bezeichnet eine Gruppe von Demenzerkrankungen, denen eine progressive Atrophie im Bereich des Frontal- und/oder Temporallappens (frontotemporale lobäre Degeneration – FTLD) zugrunde liegt.
- Typischerweise dominieren in frühen Stadien Veränderungen von Verhalten und Persönlichkeit, eine unkritische und gleichgültige Haltung sowie wenig Krankheitseinsicht, wobei das Gedächtnis zunächst erhalten ist.
Klassifikation
- Behavioral vs. sprachbetont
- behaviorale Variante (bvFTD, Verhaltensvariante, klassische FTD)
- etwa 50 % aller FTD-Fälle
- sprachbetonte Varianten (primäre progressive Aphasien, PPA)
- semantische PPA (semantische Demenz)
- nicht-flüssige (agrammatische) PPA
- logopenische PPA
- behaviorale Variante (bvFTD, Verhaltensvariante, klassische FTD)
- FTD mit vs. ohne Parkinson-Syndrom
Häufigkeit
- Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.4-6
- Häufigste Demenzform bei unter 50-Jährigen
- Vierthäufigste Demenzerkrankung nach der Alzheimer-Krankheit, der vaskulären Demenz und der Lewy-Körperchen-Demenz
- Etwa 3–9 % aller Demenzkranken haben eine FTD.
- Nach Studien aus Europa und den USA beträgt die Häufigkeit etwa 4‒15 Fälle pro 100.000 vor Vollendung des 65. Lebensjahres.
- Das durchschnittliche Ersterkrankungsalter liegt zwischen 50 und 60 Jahren. Die FTD kann aber in der gesamten Altersspanne zwischen 25 und 90 Jahren auftreten.
Ätiologie und Pathogenese
Genetische Faktoren
- Etwa 30 % der an FTD Erkrankten haben eine positive Familienanamnese für eine FTD oder eine andere neurodegenerative Erkrankung.
- Bei etwa 10 % ist ein autosomal-dominanter Erbgang wahrscheinlich.
- Die Erblichkeit der behavioralen FTD liegt bei ca. 48 % und ist höher als die der sprachbetonten Varianten.
- Mutationen auf drei Genen erklären jeweils 5–10 % aller FTD und insgesamt den Großteil aller autosomal-dominanten Fälle:
- MAPT(Microtubule Associated Protein Tau)-Gen
- GRN(Progranulin)-Gen
- Chromosom-9-Open-Reading-Frame-72(C9ORF72)-Gen (Assoziation mit der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und der kombinierten FTD-ALS)
Pathologie
- Ausgeprägte kortikale Atrophie ‒ häufig asymmetrisch ‒ frontal und/oder temporal
- Charakteristische histopathologische Veränderungen
- Neuronenverlust
- Gliose
- verdickte Neuronen (Pick-Zellen)
- Agyrophyle neuronale Einschlüsse (Pick-Körper), die pathologisch veränderte Proteine enthalten, z. B. Tau.
Prädisponierende Faktoren
- Fälle von FTD oder anderen neurodegenerativen Erkrankungen in der Familie
- Allgemeine Risikofaktoren für demenzielle Erkrankungen7
- niedriger Bildungsstand
- vaskuläre Risikofaktoren
- Hörverlust
- Depression
- körperliche Inaktivität
- fehlende soziale Kontakte
- exzessiver Alkoholkonsum
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Schädel-Hirn-Trauma
- Luftverschmutzung
ICPC-2
- P70 Demenz
ICD-10
- Nach ICD-10-GM Version 20238
- G31.0 Umschriebene Hirnatrophie
- inklusive frontotemporale Demenz, Pick-Krankheit, progressive isolierte Aphasie
Diagnostik
- Näheres zur Diagnostik bei Verdacht auf Demenz und zur Verlaufsdiagnostik siehe die Artikel Demenzsymptome und Demenzassessment.
Diagnostische Kriterien
- Die frontotemporale Demenz tritt zunächst oft durch Wesens- und Verhaltensveränderungen in Erscheinung, die nicht sofort an eine Demenz denken lassen.
- Es kommt deshalb vor, dass die Diagnose erst Jahre nach Beginn der ersten Veränderungen gestellt wird.
Verhaltensvariante
- Veränderte emotionale Reaktionsmuster, die persistieren oder rezidivieren.
- Enthemmung
- sozial unangemessenes Verhalten, z. B. Lachen zur falschen Zeit, Aggressionen, sexuelle Anzüglichkeiten
- Verlust von Manieren und Etikette
- impulsives, vorschnelles oder rücksichtsloses Verhalten
- Apathie und Trägheit
- Beeinträchtigte Sympathie oder Empathie
- vermindertes Eingehen auf die Bedürfnisse und Gefühle anderer
- nachlassendes soziales Interesse, Eingebundensein oder persönliche Nähe
- Perseveratives, stereotypes oder zwanghaftes/ritualisiertes Verhalten
- einfache repetitive Bewegungen
- komplexes, zwanghaftes oder ritualisiertes Verhalten
- sprachliche Stereotypien
- Hyperoralität und Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten
- veränderte Vorlieben für bestimmte Nahrungsmittel
- Essattacken, gesteigerter Konsum von Alkohol und Tabak
- Nicht essbares Material in den Mund nehmen oder verzehren.
- Verschlechterung exekutiver Funktionen bei anfangs oft relativ gut erhaltenen Funktionen des Gedächtnisses und der visuell-räumlichen Orientierung
Semantische PPA
- Fehlendes Verständnis für die Bedeutung von Wörtern, Fragen nach der Bedeutung von normalen und bekannten Wörtern
- Meist flüssige Sprache, jedoch mit Schwierigkeiten, sich an Namen zu erinnern, unpräzisen Ausdrücken und Erklärungen.
- Die Krankheit entwickelt sich allmählich, schließlich treten auch Symptome wie bei der Verhaltensvariante auf.
Nichtflüssige/agrammatische PPA
- Zeigt sich grundsätzlich durch allmählich zunehmende Probleme mit der Sprache.
- Agrammatismus: Gestörte Sprachproduktion, die durch ein Fehlen grammatischer Strukturen charakterisiert ist.
- Angestrengtes stockendes Sprechen mit inkonsistenten Lautfehlern und Lautentstellungen (Sprechapraxie)
- Beeinträchtigtes Verständnis syntaktisch komplexer Sätze
- Einzelwortverständnis und Objektwissen sind erhalten.
- Einige Betroffene können außerdem Schwierigkeiten mit der willkürlichen Mimik haben. U. U. sind sie nicht in der Lage, absichtlich zu schlucken.
- Eine nichtflüssige PPA kann mit der Entwicklung eines atypischen Parkinson-Syndroms assoziiert sein.
- Hörbeispiel 1 agrammatische PPA9
- Hörbeispiel 2 agrammatische PPA9
Logopenische PPA
- Wortfindungsstörungen für Einzelworte in der Spontansprache
- Beeinträchtigtes Nachsprechen von Sätzen und Phrasen
- Phonematische Paraphrasien in der Spontansprache
- Intakte Sprechmotorik
- Kein offenkundiger Agrammatismus
- Hörbeispiel: Unterstützte Spontansprache bei einem Patienten mit logopenischer PPA10
Evtl. begleitende Parkinson-Symptome
- Ruhetremor
- Kleinschrittiges, unregelmäßiges Gangbild, evtl. Freezing
- Eingeschränkte Mimik
- Dysarthrie mit Hypophonie und verwaschener Sprache
- Dysphagie, Sialorrhö
Differenzialdiagnosen
Verschiedene Demenzformen
- Zur Differenzierung der einzelnen Demenzformen siehe den Artikel Demenzsymptome.
- Die Abgrenzung der FTD gegenüber anderen neurodegenerativen Prozessen ist vor allem in der Frühphase der Erkrankung oft schwierig.
- Ein mögliches Unterscheidungsmerkmal ist die bei FTD meist ausgeprägte Anosognosie, das heißt, die Unfähigkeit der betroffenen Person, ihre Krankheit und die damit einhergehenden Einschränkungen bewusst wahrzunehmen.
- Andere primäre degenerative Demenzerkrankungen
- Alzheimer-Krankheit
- Lewy-Körperchen-Demenz
- Morbus Huntington mit Demenz
- Parkinson-Syndrom mit Demenz
- andere seltene degenerative Erkrankungen
- Vaskuläre Demenz
- Sekundäre Demenz
- alkoholbedingte Demenz (Vitamin-B1-Mangel)
- Vitaminmangel-Demenz (Vitamin B1, B2, B6, B12)
- virale oder bakterielle Enzephalitis mit Demenz (Herpesvirus, Lues, HIV, Borrelien)
- Gehirntumor mit Demenz
- Schädeltrauma (Boxer-Demenz)
- Normaldruckhydrozephalus
- Subduralhämatom
- Creutzfeldt-Jakob-Krankheit mit Demenz
Psychische Störungen
- Depression (häufig auch begleitend)
- Bipolare affektive Störung
- Zwangsstörung
- Suchterkrankung
Andere Erkrankungen
- Delir
- akute Verwirrung bei somatischen Erkrankungen, psychischen Belastungen oder Medikamentennebenwirkungen
- Seh- und Hörbehinderung
- Hypothyreose
- Hirntumor
- Normaldruckhydrozephalus
- Medikamenteninduzierte Demenzsymptome kommen bei Älteren häufig vor. Wichtige Arzneimittelgruppen sind z. B.:
- anticholinerge Medikamente
- Hypnotika
- Neuroleptika
- Opioide
- Betablocker
- Antiepileptika
- Kortikosteroide
- Antihistaminika (einschließlich H2-Antagonisten)
Anamnese
- Aufgrund der meist vorliegenden Anosognosie ist die Fremdanamnese mithilfe naher Angehöriger der betroffenen Person entscheidend.
- Frühe Anzeichen sind meist Verlust von Empathie und Interesse, sozial unangemessenes Verhalten und veränderte Essgewohnheiten. Das Symptommuster kann von Person zu Person stark variieren.3
- Nähere Beschreibung des klinischen Bilds und der Varianten siehe Abschnitt Diagnostische Kriterien.
Klinische Untersuchung
Zum Ausschluss anderer Erkrankungen
- Beurteilung des Seh- und Hörvermögens
- Anzeichen einer zerebrovaskulären Erkrankung?
- Anzeichen von Herz- und Gefäßerkrankungen?
- Anzeichen einer Lungenerkrankung?
- Anzeichen einer neurologischen Erkrankung?
- Anzeichen einer mentalen Funktionsbeeinträchtigung und einer psychischen Störung?
Allgemeine Demenzdiagnostik
- Tests zur Quantifizierung und Verlaufsbeurteilung kognitiver Defizite:
- Bei leichtgradiger und fraglicher Demenz ist die Sensitivität dieser Tests begrenzt, und sie sind zur Differenzialdiagnostik verschiedener Demenzen nicht geeignet.
- Bei frontotemporaler Demenz sind diese Tests zunächst wenig hilfreich, da Gedächtnis und Orientierung noch lange weitgehend erhalten bleiben.
- Auch als Screeningmethode bei Menschen ohne demenzverdächtige Beschwerden oder Krankheitszeichen sind diese Tests nicht geeignet.
Tests zu Frontallappenfunktionen
- Siehe Abschnitt Diagnostik bei Spezialist*innen.
Ergänzende Untersuchungen in der hausärztlichen Praxis
- Basislabor
- Blutbild
- Elektrolyte (Na, K, Ca)
- Nüchtern-Blutzucker
- TSH
- CRP
- GOT
- Gamma-GT
- Kreatinin
- Harnstoff
- Vitamin B12
- Bei klinisch unklarer Situation, z. B. atypischer Symptomatik, jungen Patient*innen, rascher Progredienz oder entsprechenden klinischen Verdachtsdiagnosen sind weitergehende Laboruntersuchungen erforderlich, z. B.:
- Differenzialblutbild
- Blutgasanalyse (BGA)
- Drogenscreening
- Urinuntersuchungen
- Lues-Serologie
- HIV-Serologie
- Phosphat
- HbA1c
- Homocystein
- FT3, FT4
- SD-Antikörper (MAK, TAK, TRAK)
- Kortisol
- Parathormon
- Coeruloplasmin
- Vitamin B1, B2, B6
- Borrelien-Serologie
- Schwermetalle: Blei (Pb), Quecksilber (Hg), Kupfer (Cu)
- Folsäure.
- EKG
- Klinische Einschätzung der Demenzerkrankung und Ressourcen
- Welche Beeinträchtigungen liegen vor?
- Über welche Ressourcen verfügt die Patientin/der Patient?
- Siehe auch den Artikel Geriatrische Untersuchung.
- Erfassung der Wohnverhältnisse und des Netzwerks der Patient*innen
Diagnostik bei Spezialist*innen
Tests zu Frontallappenfunktionen
- Mit ausführlichen neuropsychologischen Untersuchungen können die typischen Störungen der Exekutivfunktionen, die sprachlichen Defizite sowie die Aufmerksamkeits- und Gedächtnisdefizite in der Frühphase aufgedeckt bzw. charakterisiert werden.
- Einfach durchzuführende Tests
- FAB-D: deutsche Fassung der Frontal Assessment Battery12
- Quick EXIT: Kurzform des Executive Interview (EXIT)
Kranielle Bildgebung
- Bei klinischen Hinweisen auf FTD: MRT als wichtige Zusatzuntersuchung
- Bei normalem oder unklarem MRT-Befund ggf. FDG-PET
Liquordiagnostik
- In der Erstdiagnostik zum Ausschluss einer entzündlichen Gehirnerkrankung, wenn sich dafür Hinweise aus der Anamnese, dem körperlichen Befund oder der Zusatzdiagnostik ergeben.
- Es ist möglich, dass bei einer Liquoruntersuchung eine Erkrankung erkannt wird, für die aufgrund der klinischen Befunde kein unmittelbarer Verdacht vorlag.
- Näheres dazu siehe Artikel Demenzsymptome.
Genetische Testung
- Bei Verdacht auf eine erbliche frontotemporale Demenz (positive Familienanamnese)
- genetische Beratung durch eine humangenetische Beratungsstelle gemäß Gendiagnostikgesetz
- danach ggf. genetische Testung
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf FTD: Überweisung an Neurologie
- Da das Symptombild bei der FTD stark variieren kann, ist die Abgrenzung zu anderen Demenzformen und sonstigen neurodegenerativen Erkrankungen – vor allem in der Frühphase der Erkrankung – schwierig und erfordert spezielle neurologische und neuropsychologische Kenntnisse und Untersuchungen.
Therapie
Therapieziele
- Bestmögliche Lebensqualität für die Betroffenen und Angehörigen
- Verbesserte kognitive Funktionen wie Gedächtnis, Orientierungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Konzentration
- Verminderung von verhaltensbezogenen und psychischen Symptomen wie:
- Agitiertheit
- Aggressivität
- Angst
- Depressivität
- psychotische Symptome
Therapieplanung
- Symptomatische pharmakologische Behandlung und psychosoziale Interventionen für Betroffene und Angehörige im Kontext eines Gesamtbehandlungsplans
- Individualisierte Behandlung, abgestimmt auf Symptom- und Problemkonstellationen sowie Schweregrad der Erkrankung
- Organisation von Unterstützungsmaßnahmen
- Momentan sind keine Maßnahmen bekannt, die die Demenzentwicklung bei FTD aufhalten können.
- Bei Verhaltensstörungen und psychischen Symptomen sollten vorrangig nichtmedikamentöse Maßnahmen erfolgen, z. B.:
- Maßnahmen in Bezug auf das Umfeld
- Verhaltenstherapie
- Musiktherapie
- Näheres siehe Artikel Verhaltensauffälligkeiten und psychische Symptome bei Demenz.
Medikamentöse Therapie
- Näheres zu Wirkprofil und Risiken der einzelnen Substanzen und Wirkstoffklassen siehe auch Artikel Verhaltensauffälligkeiten und psychische Symptome bei Demenz.
Antidepressiva
- SSRI
- Indikationen
- Enthemmung und Impulsivität
- repetitive, zwanghafte Verhaltensmuster
-
gestörtes Essverhalten
- evtl. bei Depression und Angst (Nutzen bei Demenzkranken nicht eindeutig belegt)13
- Dosierungsvorschläge
- Citalopram 20–40 mg/d
- Sertralin 50–200 mg/d
- Fluoxetin (nichtretardiert) 20–80 mg/d
- Paroxetin (nichtretardiert) 10–40 mg/d
- Indikationen
- Wirkstoffe mit sedierender Komponente
- evtl. bei Schlafstörungen und Agitiertheit von Vorteil, z. B.:
- Mirtazapin (Alpha2-Rezeptor-Antagonist) 1 x 7,5–15 mg vor dem Schlafengehen
- Trazodon (SSRI + 5-HT2-Rezeptorantagonist) 1 x 25–150 mg vor dem Schlafengehen
- mögliche Alternative bei Schlafstörungen
- Melatonin 1 x 0,3–2 mg vor dem Schlafengehen
- evtl. bei Schlafstörungen und Agitiertheit von Vorteil, z. B.:
- Trizyklische Antidepressiva wegen ihrer anticholinergen Effekte vermeiden.
Benzodiazepine
- Indikationen
- Bei akuter Gereiztheit, Aggressivität, Agitiertheit und Unruhe, die unter voller Ausschöpfung aller nichtmedikamentösen Maßnahmen nicht zurückgehen.
- Nur nach sorgfältiger Abwägung von potenziellem Nutzen und Risiken kommen Einzeldosen kurzwirksamer Präparate in Betracht, z. B. Lorazepam 2 mg p. o. oder i. m., frühestens nach 30–60 min wiederholen, kumulierte Tageshöchstdosis 10 mg.
- Risiken
- Die Anwendung ist bei Demenzkranken, besonders bei älteren, problematisch.
- negative Effekte auf die Kognition
- erhöhte Sturzgefahr
- paradoxe Reaktionen
- Abhängigkeitspotenzial mit Gefahr eines Delirs bei plötzlichem Absetzen
- Die Anwendung ist bei Demenzkranken, besonders bei älteren, problematisch.
- Ggf. mit Antipsychotika kombinierbar
Antipsychotika (Neuroleptika)
- Indikationen
- wie Benzodiazepine
- Risiken
- Sowohl konventionelle als auch atypische Neuroleptika sind mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden.
- Die Einnahme ist mit einem 2- bis 4-mal erhöhten Schlaganfallrisiko und einer generell höheren Mortalität verbunden.
- Antipsychotika haben teilweise anticholinerge Nebenwirkungen und können einen bestehenden Parkinsonismus verschlimmern.
- Dosierungsvorschläge
- Risperidon 1–2 x 0,25 mg (max. 2 mg/d)
- Quetiapin 1–2 x 25 mg (max. 150 mg/d)
- Olanzapin 1 x 2,5–5 mg (max. 5 mg/d)
- Haloperidol 1–2 x 0,25 mg (max. 2 mg/d)
Weitere Therapien
- Siehe auch Abschnitt „Übende, sensorische und edukative Maßnahmen“ im Artikel Demenzsymptome.
- Informationen für Betroffene und Angehörige. Eine häufige und regelmäßige Informationsarbeit ist unbedingt notwendig.
- Frontotemporale Demenz bedeutet oft eine große Belastung für die anderen Familienmitglieder, und die Familie braucht in der Regel professionelle Unterstützung.
- Sozialarbeit
- Pflegedienst
- Haushaltshilfe
- Ergotherapie
- Physiotherapie
- bei sprachbezogenen Varianten Logopädie
- Es gibt Anzeichen dafür, dass körperliche Bewegung sich positiv auf die ADL(Activities of Daily Living)-Funktionen auswirken kann.14
- Entlastungs- und Unterstützungsmaßnahmen
- Tagespflege in Pflegezentren
- Kurzzeitpflege in einer Pflegeeinrichtung
- Ferienangebote
Prävention
- Es herrscht Unsicherheit darüber, inwieweit es Potenzial zur Vorbeugung von frontotemporaler Demenz gibt.
- Möglicherweise kann ein gesunder Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung den Beginn hinausschieben und den Verlauf verzögern (siehe auch Abschnitt Prädisponierende Faktoren).
Praktische Hinweise
- Kommunikation, Wahrnehmung, Aktivität
- Auf einfache Weise mit der betroffenen Person kommunizieren.
- Für Stimulation und sozialen Kontakt sorgen.
- Realitätsorientierung unterstützen.
- Sicherheit
- Schutzmaßnahmen vor Unfällen, Verletzungen
- Ernährung
- Fehl- und Mangelernährung vermeiden.
- Unterstützung beim Zubereiten von Mahlzeiten oder bei der Nahrungsaufnahme erforderlich?
- Fehl- und Mangelernährung vermeiden.
- Schlaf
- häufig gestörter Schlaf-Nacht-Rhythmus
- Bei Schlafstörungen stehen nichtmedikamentöse Maßnahmen an erster Stelle (siehe Artikel Insomnie).
- Andere Erkrankungen (Komorbidität) beachten.
- Die Betroffenen können nicht immer ihre Beschwerden, Schmerzen und Erkrankungen mitteilen.
- Unerkannte Erkrankungen und Körperbeschwerden sind oft Ursache von psychischen Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten oder verschlimmern diese.
- Näheres siehe Artikel Verhaltensauffälligkeiten und psychische Symptome bei Demenz.
- Die Betroffenen können nicht immer ihre Beschwerden, Schmerzen und Erkrankungen mitteilen.
- Medikamenteneinnahme
- Bei kognitiven Einschränkungen regelmäßige Einnahme kontrollieren.
- Individuellen Plan für die weitere Betreuung, Pflege und Aktivierung erstellen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Das Manifestationsalter liegt meist zwischen 50 und 60 Jahren.
- Es erfolgt in der Regel eine allmähliche Verschlechterung über mehrere Jahre, in denen immer mehr Symptome hinzukommen. Die meisten Betroffenen sind im Endstadium der Krankheit hochgradig pflegebedürftig.
- Ein früher Beginn geht mit einer schlechteren Prognose einher.
- Der Verlauf zeigt große individuelle Variationen, und es ist nicht möglich, Verlauf oder Prognose in einem frühen Stadium mit Sicherheit vorauszusagen.3
Komplikationen
- Erhöhtes Risiko für:
- Infektionen, insbesondere Pneumonie
- Dysphagie und Aspiration
- Unterernährung
- Sturz und Oberschenkelhalsfraktur
- Delir
Prognose
- Demenz ist generell mit einer deutlichen Übersterblichkeit verbunden und wird als eine der häufigsten Todesursachen nach Herz- und Gefäßerkrankungen und Krebs betrachtet.
- Die häufigste unmittelbare Todesursache bei Demenzkranken ist Pneumonie.
- Bei frontotemporaler Demenz variiert die Prognose je nach Unterform.3
- FTD in Kombination mit einer Motoneuronerkrankung hat die schlechteste Prognose, oft mit Tod innerhalb von 3‒5 Jahren.
- Menschen mit semantischer Demenz leben in der Regel nach der Diagnose noch mehr als 10 Jahre.
Verlaufskontrolle
- Zu kontrollieren:
- somatischer einschließlich neurologischer Status
- Kognition
- Verhaltensauffälligkeiten und psychische Symptome
- Interaktion mit den Angehörigen und der sich daraus ergebende Unterstützungsbedarf
- Ansprechen auf die Therapie
- Ist eine fortgesetzte Behandlung noch indiziert?
- Welche Beschwerden belasten die betroffene Person am meisten?
- Weitere Informationen siehe die Artikel Demenzsymptome und Demenzassessment.
Hörbeispiele
- Bisch/Hartmann/Brauer. Fallbeispiele: Therapieverlauf bei einem Patienten mit Primär Progressiver Aphasie
- Brauer. Logopenische Variante der Primär Progredienten Aphasie
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Aufklärung und emotionale Unterstützung
- Angehörige bei der Planung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen einbeziehen.
- Aufklärung über die Prognose, soweit dies von der betroffenen Person ausdrücklich gewünscht wird.
- Kontaktaufnahme mit Interessenverbänden für FTD-Erkrankte und deren Angehörige anbieten.
- Aufklärung zur Fahreignung (Näheres im Artikel Demenzsymptome)
- Die bei frontotemporaler Demenz häufig auftretende Enthemmung führt oft zu besonders riskantem Fahrverhalten.
- Das kann schon sehr früh zum Verlust der Fahreignung führen.
Praktische Hinweise und Tipps für Demenzkranke
- Ordnung halten; es ist weniger verwirrend, wenn wichtige Dinge immer ihren festen Platz haben.
- Für gute Beleuchtung sorgen. Ein Nachtlicht erleichtert das Auffinden der Toilette und den Rückweg ins Bett.
- Tagebuch führen.
- Einen täglichen Stundenplan anlegen.
- Uhren, die leicht ablesbar sind.
- Leicht überschaubare Kalender anlegen.
- Notizblock neben das Telefon legen.
- Alles entfernen, was verwirren kann.
- Einfache Checklisten anlegen.
- Schriftliche Anleitungen für einfache Sicherheitsmaßnahmen anlegen.
- Notizzettel mit Angaben, wo die am häufigsten gebrauchten Gegenstände liegen.
- Vertraute Möbel und Bilder nicht entfernen.
- Für Regelmäßigkeit und feste Abläufe sorgen.
- Regelmäßigen Besuch vertrauter Orte und Menschen beibehalten, z. B. Garten, Kirche, Skatrunde.
- Familienähnliche Esssituationen, verbale Unterstützung und positive Verstärkung können das Essverhalten von Menschen mit Demenz verbessern und können empfohlen werden.
- Angemessene strukturierte soziale Aktivierung während des Tages kann zu einer Besserung des Tag-Nacht-Schlafverhältnisses führen.
Weitere Informationen
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wegweiser Demenz
Kompetenzzentren
- Kompetenznetz Degenerative Demenzen: Konsortium zur Erforschung der frontotemporalen Lobärdegeneration
- Universitätsklinikum Tübingen: Ambulanz für frontotemporale Demenz und andere frühbeginnende Demenzen
Patienten- und Angehörigenorganisationen
- Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. (bietet Information über lokale und überregionale Hilfsangebote auch für FTD-Betroffene und deren Angehörige)
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Demenzen. AWMF-Leitlinie 038-013. S3, Stand 2016 (abgelaufen). www.awmf.org
Literatur
- Waldö ML. The frontotemporal dementias. Psychiatr Clin North Am 2015; 38: 193-209. pmid:25998110 PubMed
- Bang J, Spina S, Miller BL. Frontotemporal dementia. Lancet 2015; 386: 1672-82. pmid:26595641 PubMed
- Warren JD, Rohrer JD, Rossor MN. Frontotemporal dementia. Clinical review. BMJ 2013; 347: f4827. BMJ (DOI)
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Demenzen. AWMF-Leitlinie 038-013. S3, Stand 2016 (abgelaufen). www.awmf.org
- Radhakrishnan RK, Jauhari S. Frontotemporal dementia. BMJ Best Practice. Last reviewed: 22 Feb 2023, last updated: 08 Nov 2022. bestpractice.bmj.com
- Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Informationsblatt 11. Die Frontotemporale Demenz. www.deutsche-alzheimer.de
- Livingston G, Huntley J, Sommerlad A et al. Lancet 2020; 396(10248): 413-46. PMID: 32738937 PubMed
- Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2023, Stand 16.09.2022. www.dimdi.de
- Bisch S, Hartmann C, Brauer T. Fallbeispiel: Therapieverlauf bei einem Patienten mit Primär Progressiver Aphasie. Forum Logopädie 2008; (6): 28. go.gale.com
- Brauer T. Logopenische Variante der primär Progredienten Aphasie. Sprache Stimme Gehör 2018; 42: 160–1. www.thieme-connect.com
- Folstein MF, Folstein SE, McHugh PR. "Mini Mental State". A practical method for grading the cognitive state of patients for the clinician. J Psychiatr Res 1975; 12: 189 - 98. PubMed
- Benke T, Karner E, Delazer M. FAB-D: German version of the Frontal Assessment Battery. J Neurol 2013; 260(8): 2066-72. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Dudas R, Malouf R, McCleery J, Dening T. Antidepressants for treating depression in dementia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 8. Art. No.: CD003944. DOI: 10.1002/14651858.CD003944.pub2. www.cochranelibrary.com
- Forbes D, Forbes SC, Blake CM, Thiessen EJ, Forbes S. Exercise programs for people with dementia. Cochrane Database Syst Rev 2015; 2015:CD006489. www.cochranelibrary.com
Autor*innen
- Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).