Vaskuläre Demenz

Zusammenfassung

  • Definition:Demenz ist ein Syndrom infolge kortikaler oder subkortikaler neurodegenerativer Krankheitsprozesse. Demenzen sind gekennzeichnet durch kognitive Beeinträchtigung, gestörte emotionale Kontrolle und eingeschränkte Alltagskompetenzen. Vaskuläre Demenzen entstehen meist auf dem Boden einer Arteriosklerose durch Minderperfusion oder Infarzierung im Bereich großer oder kleiner hirnversorgender Gefäße.
  • Häufigkeit:Vaskuläre Demenzen machen etwa 15–20 % aller Demenzfälle aus, entweder allein oder in Kombination mit der Alzheimer-Krankheit.
  • Symptome:Kognitive Defizite und Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Alltagsaktivitäten mit Zeichen einer zerebrovaskulären Erkrankung; häufig Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen, insbesondere bei der Planung, Initiierung und Steuerung von Handlungsabläufen; psychische Symptome, Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen.
  • Befunde:Demenztypische kognitive Beeinträchtigungen und Nachweis zerebraler mikro- oder makrovaskulärer Infarkte; evtl. fokale neurologische Ausfälle.
  • Diagnostik:Die Syndromdiagnose Demenz stützt sich auf Anamnese und Untersuchungsbefund. Für die Bestimmung des Schweregrads und für die Verlaufskontrolle können Testverfahren wie der Mini-Mental-Status-Test (MMST) hilfreich sein. Für die Diagnosesicherung einer vaskulären Ätiologie und die Abgrenzung gegenüber primär neurodegenerativen Demenzen bedarf es in der Regel zusätzlich der Bildgebung. Gentests zur Aufdeckung seltener erblicher Formen der vaskulären Demenz kommen vor allem bei frühem Erkrankungsbeginn und familiärer Häufung in Betracht.
  • Therapie:Es gibt bislang keinen kurativen Therapieansatz. Die Prävention weiterer zerebrovaskulärer Schäden und die Erhaltung der Lebensqualität stehen im Vordergrund. Die medikamentösen Therapieoptionen sind von fraglichem Nutzen hinsichtlich der kognitiven Symptome und bedürfen der Einbettung in einen individualisierten Gesamtbehandlungsplan. Je nach Schweregrad der Erkrankung, Symptom- und Problemkonstellationen kommen dabei unterschiedliche psychosoziale Interventionen zum Zug sowie Verfahren zum Training kognitiver, motorischer und sensorischer Funktionen. Nach Schlaganfall oder TIA ist eine medikamentöse Sekundärprophylaxe weiterer zerebrovaskulärer Ereignisse angezeigt.

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert dieser Artikel auf diesen Referenzen.1-5

Definition

  • Demenz
    • Ist ein Syndrom infolge meist chronisch oder progressiv verlaufender kortikaler und subkortikaler neurodegenerativer Krankheitsprozesse.
    • Klinisch gekennzeichnet sind Demenzen durch:
      • kognitive Beeinträchtigung
      • gestörte emotionale Kontrolle
      • eingeschränkte Alltagskompetenzen.
    • Näheres zu Syndromdiagnose und ätiologischer Klassifikation von Demenzen finden Sie im Artikel Demenzsymptome.
  • Vaskuläre Demenz
    • Bezeichnet Demenzformen, die infolge von Gefäßschäden, in der Regel aufgrund von Arteriosklerose der Hirngefäße aufgetreten sind.

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
  • Vaskuläre Demenzen machen etwa 15–20 % aller Demenzfälle aus, entweder allein oder in Kombination mit der Alzheimer-Krankheit.
    • Somit ist die vaskuläre Demenz die zweithäufigste Demenzform nach der Alzheimer-Demenz.
    • Allerdings schwankt der Anteil in verschiedenen Studien, abhängig vom diagnostischen Verfahren, zwischen 10 % und 50 %.
  • Das Geschlechterverhältnis ist etwa ausgeglichen, anders als bei der Alzheimer-Demenz, von der Frauen etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Männer.
  • Die altersadjustierte Inzidenz von Demenzen in westlichen Industrienationen ist rückläufig, möglicherweise aufgrund der verbesserten kardiovaskulären Prävention.

Ätiologie und Pathogenese

Vaskuläre Demenz

  • Kann in folgende ätiologische Gruppen eingeteilt werden:
    • vaskuläre Demenz mit akutem Beginn
      • Diese entwickelt sich meist sehr schnell nach einer Reihe von Schlaganfällen – Thrombose, Embolie oder Blutung – in Bereichen, die für die kognitiven Funktionen entscheidend sind („strategische Infarkte“), u. a. in den Parietallappen, dem Thalamus und dem Gyrus cinguli.
      • Selten kann auch ein einziger, ausgedehnter Schlaganfall zu einer Demenz führen.
    • Multiinfarkt-Demenz
      • Sie beginnt allmählich, nach mehreren vorübergehenden ischämischen Episoden (TIA), die eine Anhäufung von Infarkten im Hirngewebe verursachen.
    • subkortikale vaskuläre Demenz
      • ischämische Läsionen oder Lakunen (zystisch umgewandelte Infarkte) im Marklager der Hemisphären, insbesondere in der Capsula interna
      • meist aufgrund einer zerebralen Mikroangiopathie 
      • häufig Hypertonie in der Anamnese
      • Ältere Bezeichnungen sind subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) und subkortikale Leukoenzephalopathie (Morbus Binswanger).
    • hämorrhagische Demenz
      • Makroskopische intrazerebrale Blutungen, zerebrale Mikroblutungen und Subarachnoidalblutungen gehen mit einem erhöhten Demenzrisiko einher.
      • Die Demenzinzidenz nach intrazerebraler Blutung bleibt über Jahre deutlich erhöht. Das gilt insbesondere für lobäre Blutungen.
      • In der Regel liegen eine zerebrale Mikroangiopathie bei langjährigem Hypertonus oder eine zerebrale Amyloidangiopathie (CAA, s. u.) zugrunde.
    • Mischformen
      • z. B. gemischte kortikale und subkortikale vaskuläre Demenz
      • z. B. gemischte vaskuläre und primär neurodegenerative Demenz, meist Alzheimer-Demenz mit vaskulärer Demenz

Zerebrovaskuläre Erkrankungen

  • Können sowohl fokale als auch diffuse Ischämien im Hirn verursachen.
    • Eine fokale Erkrankung tritt im Zusammenhang mit thrombotischen oder embolischen Gefäßverengungen auf.
    • Die Bereiche des Gehirns, die vor allem mit Demenz verbunden sind, sind die weiße Substanz der Hemisphären und die tiefen graue Kerne, vor allem Striatum und Thalamus.
    • Eine diffuse Erkrankung wird häufig durch eine chronische Hypertonie verursacht.
  • Eine zerebrovaskuläre Erkrankung ist selten die einzige Ursache von Demenz.
    • Oft ist das, was klinisch als vaskuläre Demenz klassifiziert wird, eine Kombination aus arteriosklerotischen Komplikationen und einer subklinischen Alzheimer-Krankheit.
    • Tritt bei Menschen mit neurodegenerativen Vorschädigungen des Gehirns ein Schlaganfall auf, dann haben sie ein höheres Risiko, daraufhin an einer Demenz zu erkranken, als Schlaganfall-Patient*innen ohne Vorschädigungen.

Prädisponierende Faktoren

  • Vaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen stellen auch Risikofaktoren für eine vaskuläre Demenz dar. Besonders von Bedeutung sind dabei:
  • Hohes Alter und männliches Geschlecht
  • Toxische Einflüsse (Risikosteigerung um etwa das 2,5-Fache), z. B.:
    • Alkoholmissbrauch
    • Umgang mit Herbiziden und Pestiziden
    • Umgang mit flüssigen Kunststoffen oder Gummilösungen.
  • Niedrige Schulbildung (< 6 Jahre) (Risikosteigerung um etwa das 4-Fache)
  • Seltene genetisch bedingte Gefäßerkrankungen (zumeist Mikroangiopathien) können mit einer vaskulären Demenz einhergehen.
    • Am häufigsten ist die auf Mutationen im NOTCH3-Gen beruhende CADASIL(zerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie)-Erkrankung, die die kleinen Gefäße betrifft.
      • Das kognitive Ausfallmuster ist durch Defizite exekutiver Funktionen und eine reduzierte Verarbeitungsgeschwindigkeit gekennzeichnet.
      • Besonders sensitiv in der Erfassung dieser Defizite ist der Trail-Making-Test. Eine Kurzversion ist im MoCA-Test enthalten.
      • Die Diagnosesicherung erfolgt molekulargenetisch oder mittels einer Hautbiopsie (elektronenmikroskopischer Nachweis typischer Ablagerungen).
    • CARASIL(zerebrale autosomal-rezessive Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukoenzephalopathie)-Erkrankung
    • retinale Vaskulopathie mit zerebraler Leukodystrophie
      • Mutationen im TREX1-Gen
      • autosomal-dominant vererbt
      • proliferative Gefäßerkrankung mit meist frontal gelegenen Pseudotumoren
      • retinale Gefäßveränderungen (diagnostisch wegweisend)
      • variable systemische Manifestationen, z. B. Nephropathie
    • Familial British Dementia (FBD) und Familial Danish Dementia (FDD)
      • Mutationen im BRI2-Gen
      • Amyloidablagerungen in zerebralen Arteriolen
      • Trias aus Demenz, Spastik und zerebellärer Ataxie
    • hereditäre Amlyoidangiopathie (CAA)
      • Demenz und intrazerebrale Blutungen bei jungen Patient*innen
      • Mutationen im APP-Gen (siehe Artikel Alzheimer-Demenz)

ICPC-2

  • P70 Demenz

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20229
    • F01 Vaskuläre Demenz
      • F01.0 Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn
      • F01.1 Multiinfarkt-Demenz
      • F01.2 Subkortikale vaskuläre Demenz
      • F01.3 Gemischte kortikale und subkortikale vaskuläre Demenz
      • F01.8 Sonstige vaskuläre Demenz
      • F01.9 Vaskuläre Demenz, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

  • Grundlage der Demenzdiagnostik ist eine ärztliche Untersuchung unter Einschluss eines internistischen, neurologischen und psychopathologischen Befundes. Eine Schweregradabschätzung der kognitiven Leistungsstörung soll mithilfe eines geeigneten Kurztests, etwa dem Mini-Mental-Status-Test (MMST), durchgeführt werden.1,10
  • Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment11
    • Die 1. Stufe der Demenzdiagnostik und die Verlaufskontrollen können u. U. im Rahmen des hausärztlich-geriatrischen Basisassessment (EBM-Ziffer 03240) erfolgen (Näheres dazu im Artikel Geriatrische Untersuchung).
    • obligatorischer Leistungsinhalt
      • Erhebung und/oder Monitoring organbezogener und übergreifender motorischer, emotioneller und kognitiver Funktionseinschränkungen
      • Beurteilung der Selbstversorgungsfähigkeiten mittels standardisierter, wissenschaftlich validierter Testverfahren
      • Beurteilung der Mobilität und Sturzgefahr durch standardisierte Testverfahren
    • fakultativer Leistungsinhalt
      • Beurteilung von Hirnleistungsstörungen (schließt Demenzassessment ein)
      • Beratung und Abstimmung mit Personen aus dem persönlichen Umfeld der Patient*innen
      • Beratung zur Anpassung des Wohnraums
      • Abstimmung mit mitbehandelnden Ärzt*innen
  • Näheres zur diagnostischen Vorgehensweise einschließlich Differenzialdiagnostik finden Sie in den Artikeln Demenzsymptome und Demenzassessment.

Diagnostische Kriterien

Allgemeine Kriterien für Demenz (ICD-10)

  1. Kognitive Beeinträchtigungen
    • vermindertes Erinnerungsvermögen, besonders an neuere Ereignisse
    • Beeinträchtigung anderer kognitiver Funktionen (Urteilskraft, Planung, Denkvermögen, Abstraktion)
      • leicht: eingeschränkte selbstständige Lebensführung (Alltag)
      • mittelschwer: Auf fremde Hilfe angewiesen.
      • schwer: dauerhafte Betreuung und Beaufsichtigung notwendig
  2. Klares Bewusstsein
  3. Beeinträchtigung von emotionaler Kontrolle, Motivation und sozialem Verhalten; außerdem mindestens eines der folgenden Kriterien:
    • emotionale Labilität
    • Reizbarkeit
    • Apathie
    • undifferenziertes Sozialverhalten.
  4. Der Zustand dauert mindestens 6 Monate lang an.

Vaskulär bedingte kognitive Beeinträchtigung

  • Die Diagnose einer vaskulär bedingten kognitiven Beeinträchtigung (Vascular Cognitive Impairment, VCI) kann auch bei Fehlen von Gedächtnisdefiziten gestellt werden, sofern Defizite in anderen kognitiven Domänen bestehen.
  • Leichtere kognitive Beeinträchtigungen ohne relevante Alltagseinschränkung werden als Vascular Cognitive Impairment No Dementia (VCIND) bezeichnet.
  • Die VCI schließt auch Mischformen (s. o.) ein.

Differenzialdiagnosen

Verschiedenen Demenzformen

Weitere Differenzialdiagnosen

  • Depression, häufig auch als Begleiterkrankung
  • Aphasie
  • Seh- und Hörbehinderung
  • Verwirrtheitszustände aufgrund von:
    • somatischen Erkrankungen
    • Medikamentennebenwirkungen.
  • Medikamenteninduzierte Demenz-Symptome sind bei älteren Patient*innen häufig und können z. B. unter folgenden Medikamenten auftreten:
    • Anticholinergika
    • Hypnotika
    • Neuroleptika
    • Opiate
    • Betablocker
    • Antikonvulsiva
    • Antihistaminika (einschl. H2-Antagonisten)
    • Kortikosteroide.

Anamnese

  • Eigen- und Fremdanamnese
  • Klinische Kriterien einer Demenz
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen und Risikofaktoren
  • Neurologische Symptome, z. B.:
    • Gangstörungen
    • motorische Unsicherheit/Stürze
    • Blasenstörung
    • Augenbewegungsstörungen, Doppelbilder
    • Sprech- oder Schluckstörungen
    • Sprachstörungen, z. B. Wortfindungsstörungen.
  • Persönlichkeits- und Stimmungsänderungen, z. B.:
    • Antriebslosigkeit
    • Depression
    • gestörte Affekt- und Impulsregulation.
  • Symptomverlauf
    • Beginn der Demenz innerhalb von 3 Monaten nach einem Schlaganfall?
    • Abrupte Verschlechterung kognitiver Funktionen?
    • Fluktuation oder stufenweise Progression der kognitiven Defizite?
  • Globale Beurteilung 
  • Näheres zur Anamnese bei Demenzerkrankungen finden Sie im Artikel Demenzsymptome.

Klinische Untersuchung

  • Differenzialdiagnostisch relevant:
    • Seh- und Hörvermögen
    • Zerebrovaskuläre Erkrankung?
    • Metabolische Erkrankung?
    • Herzerkrankung/Hypertonie?
    • Lungenerkrankung?
    • Neurologische Erkrankung?
    • Schweregrad mentaler Defizite?
    • Psychische Störung? 
  • Ergänzende Tests: Bereits bei der Erstdiagnose Quantifizierung der kognitiven Defizite durch Kurztests wie:

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Sonografie der hirnversorgenden Gefäße
  • Strukturelle Bildgebung des Schädels
    • Ist in der ätiologischen Demenzdiagnostik umstritten.13
    • Vor allem bei hochbetagten multimorbiden Betroffenen spricht gegen eine Bildgebung:
      • Patientenbelastung
      • fragliche therapeutische Konsequenz
      • erschwerte praktische Durchführbarkeit.
    • DEGAM-Empfehlungen3
      • Bei Hinweisen auf behandelbare Demenzen soll mit den Patient*innen bzw. ihren gesetzlichen Vertreter*innen die Möglichkeit einer bildgebenden Diagnostik besprochen werden.
      • Es gibt keinen Beweis dafür, dass eine routinemäßige Bildgebung den Krankheitsverlauf beeinflusst.
      • Die Indikation zur Bildgebung orientiert sich an Hinweisen auf potenziell behandelbare Demenzen, am Wunsch der Patient*innen nach Abklärung unter Berücksichtigung ihres klinischen Zustandes und den sich möglicherweise aus der Bildgebung ergebenden Konsequenzen.
    • S3-Leitlinie1
      • Native cCT oder cMRT zur Differenzialdiagnostik wird bei bestehendem Demenzsyndrom empfohlen.
      • z. B. zum Ausschluss sekundärer Demenzen aufgrund von Subduralhämatom, Tumor, Hydrozephalus
      • wesentlich für die Differenzialdiagnose zwischen degenerativer und vaskulärer Demenz
      • MRT bevorzugt, wegen höherer Sensitivität und fehlender Strahlenexposition
  • Liquor
    • In der Erstdiagnostik zum Ausschluss einer entzündlichen Gehirnerkrankung, wenn sich dafür Hinweise aus der Anamnese, dem körperlichem Befund oder der Zusatzdiagnostik ergeben.
    • Es ist möglich, dass bei einer Liquoruntersuchung eine Erkrankung erkannt wird, für die aufgrund der klinischen Befunde kein unmittelbarer Verdacht vorlag. Näheres dazu im Artikel Demenzsymptome
    • Anhand der Liquoruntersuchung allein lässt sich nicht voraussagen, welche Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung z. B. eine Alzheimer-Demenz entwickeln werden.14
  • Genetische Tests
    • bei Verdacht auf eine erbliche Form der Demenz
    • Näheres dazu im Artikel Demenzsymptome
  • Evtl. neuropsychologische Diagnostik
    • bei vaskulären Demenzen häufig Störungen von Exekutivfunktionen (Handlungsplanung, -initiation und -durchführung)
    • Näheres dazu im Artikel Demenzsymptome

Indikationen zur Überweisung

  • Eine Demenzdiagnostik und -therapie kann in der Hausarztpraxis durchgeführt werden und erfordert nicht obligat die Überweisung zu Spezialist*innen. Gerade die langjährige Kenntnis von Patient*innen und ihrem Umfeld ermöglicht Einschätzungen, die über das hinausgehen, was Testbatterien zu bieten haben.3
  • Die Überweisung an Spezialist*innen ist vor allem in folgenden Situationen angezeigt:
    • jüngere Patient*innen mit schneller Progression oder spezifischen neurologischen Ausfällen: Überweisung Neurologie
    • Patient*innen mit Verhaltensauffälligkeiten und schweren psychiatrischen Symptomen: Überweisung Psychiatrie, ggf. mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt
    • Ältere mit Multimorbidität: evtl. Überweisung Geriatrie
    • zur vertieften kardiovaskulären Abklärung ggf. Überweisung an Kardiologie.

Therapie

Therapieziele

  • Vorbeugung weiterer zerebrovaskulärer Schäden
  • Bestmögliche Lebensqualität für die Patient*innen und Angehörigen
  • Verbesserte kognitive Funktionen wie Gedächtnis, Orientierungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Konzentration
  • Verminderung von Verhaltenssymptomen und psychischen Symptomen wie Agitiertheit, Aggressivität, Angst, Depression, Psychose

Allgemeines zur Therapie

  • Reduktion relevanter vaskulärer Risikofaktoren und Behandlung von Grunderkrankungen, die zu weiteren zerebrovaskulären Schädigungen führen können (Näheres dazu im Artikel Schlaganfall und TIA).
  • Individueller Gesamtbehandlungsplan mit psychosozialen Interventionen und ggf. medikamentöser Unterstützung
  • Arzneimittel gegen Demenz
    • Die Forschung zur Entwicklung wirksamer Medikamente bei Demenz hat sich vor allem auf die Alzheimer-Krankheit konzentriert.
    • Es existiert keine zugelassene oder durch ausreichende Evidenz belegte medikamentöse symptomatische Therapie für vaskuläre Demenzformen, die einen regelhaften Einsatz rechtfertigen.
  • Gerinnungshemmer
    • Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmer oder eine Antikoagulationstherapie, wenn indiziert (siehe Abschnitt Prävention und den Artikel über Schlaganfall und TIA)

Übende, sensorische und edukative Maßnahmen

  • Die Behandlungsverfahren in diesem Abschnitt wurden meist in Studien mit gemischten Patientenkollektiven evaluiert. Darin waren überwiegend Patient*innen mit Alzheimer-Demenz und zu einem kleineren Anteil mit vaskulären und gemischten Demenzen vertreten. Zur spezifischen Wirksamkeit dieser Verfahren bei vaskulären Demenzen können daher keine Aussagen gemacht werden.
  • Spezifische Behandlungsprogramme können Mobilität und Selbstversorgungsfähigkeit bei leicht- bis mittelgradig betroffenen Demenzkranken in ähnlichem Maß verbessern wie bei kognitiv Gesunden.
  • Körperliche Aktivität
    • Es gibt Hinweise, dass sich körperliche Aktivität positiv auf kognitive Funktionen, Alltagsfunktionen, psychische und Verhaltenssymptome, Beweglichkeit und Balance auswirkt. Körperliche Aktivität sollte empfohlen werden.1,15
  • Kognitives Training
    • Kognitive Stimulation kann kognitive Leistungen bei Patient*innen mit leichter bis moderater Demenz verbessern. Sie sollte daher empfohlen werden.16
    • Ein aktives geistiges und soziales Leben sollten empfohlen werden.
    • Reminiszenzverfahren (Erinnerungstraining) haben in allen Krankheitsstadien positive Effekte auf die kognitive Leistung, Depression und lebensqualitätsbezogene Faktoren gezeigt.
  • Ergotherapie
    • Ergotherapeutische, individuell angepasste Übungen, die mit Unterstützung der Bezugspersonen durchgeführt werden, können bei Patient*innen mit leichter bis mittelschwerer Demenz zum Erhalt der Alltagsfunktionen beitragen und sollten daher angeboten werden.
  • Musiktherapie1,17
    • Es gibt Hinweise, dass aktive Musiktherapie günstige Effekte auf psychische Symptome und Verhaltenssymptome bei Menschen mit Demenz hat, insbesondere auf Angst. Sie kann bei entsprechender Symptomatik angeboten werden.
    • Rezeptive Musiktherapie, insbesondere das Vorspielen von Lieblingsmusik mit biografischem Bezug kann in begrenztem Maß agitiertes und aggressives Verhalten reduzieren. Sie kann empfohlen werden.
  • Weitere sensorische Verfahren
    • Aromatherapie18
      • Bisher verfügbare Studien sind von geringer Qualität und zeigten inkonsistente Ergebnisse. Die Verträglichkeit und Sicherheit ist ebenfalls unzureichend untersucht. Nach bisherigen Erkenntnissen scheint diese Therapie jedoch nebenwirkungsarm zu sein, und ein Behandlungsversuch kann erwogen werden.
    • multisensorische Verfahren (Snoezelen)
      • Individualisierte, biografiebezogene Stimuli im 24-Stunden-Ansatz können sich positiv auf Freude und Aktivität bei Patient*innen mit moderater bis schwerer Demenz auswirken. Sie können empfohlen werden.
  • Für Angehörige und Pflegende
    • Angehörigentraining zum Umgang mit psychischen Symptomen und Verhaltenssymptomen bei Demenz kann diese Symptome in begrenztem Maß reduzieren. Es sollte angeboten werden.
    • strukturierte Angebote zur Entlastung von Bezugspersonen
      • Können beim Demenzkranken depressive Symptome reduzieren und sollten daher eingesetzt werden.
    • Patientenzentrierte Maßnahmen reduzierten bei Bewohner*innen einer Pflegeeinrichtung agitiertes Verhalten. Die Wirkung hielt bis zu 6 Monate nach Abschluss der Intervention an.19
      • personenzentrierte Pflege
      • Kommunikationstraining des Personals
      • Erfassung von Reaktionsmustern der Bewohner*innen mit spezifischen Interventionen in Triggersituationen

Medikamentöse Therapie 

Antidementiva 

  • Es gibt Hinweise auf eine begrenzte Wirksamkeit von Acetylcholinesterase-Hemmern20 und Memantin21, insbesondere auf exekutive Funktionen bei Patient*innen mit subkortikaler vaskulärer Demenz.
    • Die Effektstärken in diesen Studien waren jedoch noch kleiner als bei der Alzheimer-Demenz und sind von fraglicher klinischer Relevanz.
    • Im Einzelfall kann eine Off-Label-Behandlung erwogen werden. Das kommt insbesondere bei gemischter degenerativ-vaskulärer Demenz infrage.
  • Näheres zu den genannten Medikamenten finden Sie in den Artikeln Alzheimer-Demenz und Demenzsymptome.

Ginkgo biloba

  • Zur Vorbeugung einer Demenz nicht geeignet
  • Die klinische Relevanz von Gingko Biloba in der Therapie von Demenzerkrankungen ist unzureichend geklärt.
    • Fazit laut S3-Leitlinien: „Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit von Ginkgo Biloba EGb 761 auf Kognition bei Patient*innen mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz und nicht-psychotischen Verhaltenssymptomen. Eine Behandlung kann erwogen werden.“ 1
      • Dosierung: 3 x 40–80 mg Ginkgo-Extrakt
  • Erhöhte Blutungsneigung?
    • Es gibt Hinweise darauf, dass Ginkgo-Biloba-Präparate zu Gerinnungsstörungen führen könnten, z. B. in Kombination mit einem Willebrand-Jürgens-Syndrom oder bei der gleichzeitigen Einnahme von Acetylsalicylsäure.

Psychopharmaka22-23

  • Vor dem Einsatz von Psychopharmaka zur Behandlung von Verhaltenssymptomen wie aggressives Verhalten oder Agitiertheit
    • Psychopathologischen Befund erheben.
    • Medizinische, personen- und umgebungsbezogene Bedingungsfaktoren identifizieren und soweit möglich behandeln oder modifizieren.
    • Hinter gereizter Stimmung und aversivem Verhalten können sich Schmerzen oder andere körperliche Beschwerden oder Begleiterkrankungen verbergen.
  • Indikationen
    • Wenn psychosoziale Interventionen nicht effektiv, nicht ausreichend oder nicht verfügbar sind.
    • Bei Eigen- oder Fremdgefährdung, die nicht anders abwendbar ist.
  • Neuroleptika (Antipsychotika)
    • Führen bei Patient*innen mit Demenz wahrscheinlich zu einem erhöhten Risiko für Mortalität und für zerebrovaskuläre Ereignisse.
      • Es besteht wahrscheinlich ein differenzielles Risiko, wobei Haloperidol das höchste und Quetiapin das geringste Risiko hat.
      • Das Risiko ist in den ersten Behandlungswochen am höchsten, besteht aber wahrscheinlich auch in der Langzeitbehandlung.
    • Wahrscheinlich erhöhen Neuroleptika bei Demenz das Risiko für beschleunigte kognitive Verschlechterung.
    • Patient*innen und rechtliche Vertreter*innen über die Risiken der Therapie aufklären.
    • Neuroleptika möglichst niedrig dosiert und über einen möglichst kurzen Zeitraum einsetzen.
    • Behandlungsverlauf engmaschig kontrollieren.
    • Nach diagnostischer Abklärung kann ein Delir bei Demenz mit Antipsychotika behandelt werden. Antipsychotika mit anticholinergen Nebenwirkungen sollen bei Demenz grundsätzlich vermieden werden.
    • bei Patient*innen mit Parkinson-Demenz, Lewy-Körperchen-Demenz und verwandten Erkrankungen
      • Klassische und viele atypische Neuroleptika sind kontraindiziert, da sie Parkinson-Symptome verstärken und Somnolenzattacken auslösen können.
      • Bei diesen Erkrankungen können Clozapin und – weniger gut durch Studien belegt – Quetiapin eingesetzt werden.
    • Risperidon
      • Sollte bevorzugt werden, wenn zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten Antipsychotika erforderlich sind.
      • Bei schwerer psychomotorischer Unruhe, die zu deutlicher Beeinträchtigung der betroffenen Person und/oder der Pflegenden führt, kann ein zeitlich begrenzter Therapieversuch mit Risperidon im Rahmen einer Off-Label-Anwendung empfohlen werden.
      • Falls eine Behandlung mit Antipsychotika bei psychotischen Symptomen wie Wahn oder Halluzinationen notwendig ist, wird eine Behandlung mit Risperidon (0,5–2mg) empfohlen.
      • besonders zu beachtende Risiken:24
    • Haloperidol
      • Wird wegen fehlendem Wirksamkeitsnachweis nicht zur Behandlung von Agitiertheit empfohlen.
      • besonders zu beachtende Risiken:
        • extrapyramidale Nebenwirkungen
        • zerebrovaskuläre Ereignisse
        • Mortalität.
      • Es gibt Hinweise auf eine begrenzte Wirksamkeit bei aggressivem Verhalten. Unter Beachtung der Risiken kann der Einsatz bei diesem Zielsymptom erwogen werden.
      • Startdosis: 0,5 mg/d
      • maximal 5 mg/d
      • Nur kurzfristig einsetzen.
    • Olanzapin soll aufgrund des anticholinergen Nebenwirkungsprofils und heterogener Datenlage bezüglich Wirksamkeit nicht zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten bei Patient*innen mit Demenz eingesetzt werden.
    • Aripiprazol
      • Ist wirksam gegen Agitiertheit und Aggressivität. Man kann es als alternative Substanz im Rahmen des Off-Label-Use anwenden.
      • Für die Wirksamkeit von Aripiprazol 10 mg bei psychotischen Symptomen bei Patient*innen mit Demenz gibt es Hinweise. Die Datenlage ist jedoch heterogen.
    • andere atypische Antipsychotika
      • Eine Wirksamkeit in der Behandlung psychotischer Symptome Demenzkranker wurde bislang nicht nachgewiesen; daher wird der Einsatz nicht empfohlen.
  • Antikonvulsiva
    • Es gibt Hinweise auf eine günstige Wirkung von Carbamazepin auf Agitiertheit und Aggressivität.
    • Carbamazepin kann nach fehlendem Ansprechen anderer Therapien als Off-Label-Behandlung eingesetzt werden.
      • Startdosis: 100 mg/d, bei gebrechlichen Personen 50 mg/d
      • Auftitrieren auf 200 mg an Tag 4, 300 mg an Tag 8; Maximaldosierung 400 mg/d
      • Es ist auf Medikamenteninteraktionen zu achten.
      • wegen potenzieller schwerer Nebenwirkungen regelmäßige Kontrollen von GOT, GPT, AP, Gamma-GT (Lebertoxizität), Blutbild (Agranulozytose), Elektrolyte (Hyponatriämie)
    • Eine Behandlung von Agitiertheit und Aggressivität mit Valproat wird nicht empfohlen.
  • Antidepressiva
    • Der Nutzen bei depressiven Symptomen der Demenz ist fraglich.25
    • Vorläufige Hinweise, dass die SSRI Sertralin und Citalopram bei Demenz Agitiertheit reduzieren.26
      • Sertralin 50–200 mg/d
      • Citalopram bei < 60-Jährigen: 20–40 mg/d
      • Citalopram bei ≥ 60-Jährigen: 10–20 mg/d
    • Trizyklische Antidepressiva sollten wegen ihrer anticholinergen Effekte vermieden werden.
  • Benzodiazepine
    • Die Anwendung bei Menschen mit Demenz ist problematisch.
      • negative Effekte auf die Kognition
      • erhöhte Sturzgefahr
      • paradoxe Reaktionen
      • Abhängigkeitspotenzial mit Gefahr eines Delirs bei plötzlichem Absetzen
    • In Ausnahmefällen kommen Einzeldosen kurzwirksamer Präparate in Betracht, z. B.:27
      • Triazolam 0,125 mg (Off-Label-Use, Zulassung nur zur Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen) (HWZ 2–5 Std.)
      • Oxazepam 10–20 mg (HWZ 6–12 Std.)
  • Schlafmittel
    • Für eine medikamentöse Therapie von Schlafstörungen bei Demenz kann keine Empfehlung ausgesprochen werden.
    • Bei Agitiertheit mit Einschlafstörungen evtl. vorübergehende Behandlung mit Triazolam 0,125 mg zur Nacht.
    • Melatonin ist in der Behandlung von Schlafstörungen bei Demenz nicht wirksam. Eine Anwendung wird nicht empfohlen.

Empfehlungen

Die Behandlung von Demenz soll Folgendes erreichen

  • Bestmögliche Lebensqualität für die Patient*innen und ihre Angehörigen
  • Verbesserte kognitive Funktionen
    • Gedächtnis
    • Orientierungsfähigkeit
    • Aufmerksamkeit
    • Konzentration
  • Verringerung von Verhaltensstörungen und psychischen Symptomen

Allgemeine Informationen über die Behandlung von Demenz

  • Organisation von Unterstützungsmaßnahmen, z. B.:
    • Pflege: ambulanter Dienst, Tagespflege, Kurzzeitpflege, Pflegeeinrichtung
    • Haushaltshilfe
    • Urlaubsangebote für Senior*innen.
  • Übende, sensorische und edukative Maßnahmen
  • Häufige und regelmäßige Aufklärungs- und Beratungsgespräche mit Patient*innen und Angehörigen
  • Medikamentöse Therapie

Aufklärung zur Fahrtauglichkeit1

  • Sicherungsaufklärung
    • Wenn eine vaskuläre Demenz diagnostiziert wird, sollte die betroffene Person darüber aufgeklärt werden, dass diese Erkrankung bei weiterer Progression zum Verlust der Fahreignung führen kann, selbst wenn sie zum Zeitpunkt der Diagnosestellung noch fahrtauglich sein sollte.
    • Es sollte ggf. darauf hingewirkt werden, dass die erkrankte Person rechtzeitig aus eigener Einsicht auf das Fahren verzichtet. Hierbei handelt es sich um einen Prozess, der umfassende und wiederholte Beratung erfordern kann.
    • Die Aufklärung sollte schriftlich dokumentiert werden.
  • Einfluss des Stadiums
    • Eine Demenz im frühen Stadium geht nicht zwingend mit dem Verlust der Fahreignung einher.
    • Es gibt keine definierte Grenze im Bereich der leichten bis mittelschweren Demenz, bei der die Fahreignung verloren geht.
    • Das Stadium einer schweren Demenz ist nicht mehr mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu vereinbaren.
  • Symptome mit Auswirkungen auf die Fahreignung, je nach vaskulärem Läsionsmuster
    • Orientierungsstörungen
    • eingeschränkte Reaktionsfähigkeit
    • Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit
    • Verminderte Fähigkeit, komplexe Situationen schnell zu erfassen.
    • Störung des räumlichen Sehens
    • eingeschränkte motorische Koordination
    • Halluzinationen
  • Unabhängige Prädiktoren für Fahrfehler
    • höheres Lebensalter
    • Veränderungen in der Motorik
    • niedrige Fahrleistung
  • Anamnese des Betroffenen und Fremdanamnese der Angehörigen
    • Fahrfehler?
    • Unsicherheiten im Straßenverkehr?
    • Beinaheunfälle?
    • Bagatellschäden?
    • Größere Unfälle?
    • Kompensations- und Vermeidungsstrategien?
    • Jährliche Fahrleistung?
  • Evtl. weitergehende Untersuchungen
    • neuropsychologische Testung
    • Fahrsimulator
    • Fahrprobe
  • Beurteilung und evtl. Meldung an die Ordnungsbehörde
    • In Zweifelsfällen sollte aufgrund der erheblichen möglichen Konsequenzen von einer fehlenden Fahreignung ausgegangen und die Entscheidung begründet und dokumentiert werden.
    • Sollte eine erkrankte Person bei fehlender Fahreignung trotz Aufklärung über die Gefährdung und trotz Aufforderung, nicht zu fahren, weiter im Straßenverkehr fahren, so können Ärzt*innen trotz ihrer grundsätzlichen Schweigepflicht aufgrund einer sorgfältigen Güterabwägung berechtigt sein, zum Schutze der potenziell betroffenen Verkehrsteilnehmer*innen sowie der Person selbst die zuständige Ordnungsbehörde zu benachrichtigen.
    • Eine Verpflichtung hierzu besteht für die Ärzt*innen nicht.
    • Diese Maßnahme setzt allerdings voraus, dass eine erhebliche Gefährdung besteht und vorherige Versuche, die Patient*innen zur Einsicht zu bewegen, erfolglos geblieben sind.
    • Eine sorgfältige Dokumentation ist hier unerlässlich.
  • Näheres siehe auch Artikel Beurteilung der Fahreignung.

Prävention

Primärprävention vaskulärer Demenz

  • Wahrscheinlich senkt die Vermeidung vaskulärer Risikofaktoren das Demenzrisiko.
  • Folgende Lebensstilfaktoren scheinen protektiv zu wirken:1,6
    • mäßiger Alkoholkonsum
    • ausgewogene Ernährung, z. B. mediterrane Diät1,28-29
      • fettarm, insbesondere wenig gesättigte Fettsäuren und Cholesterin
      • hoher Anteil langkettiger Omega-3-Fettsäuren (Seefisch)
    • Vermeidung von Übergewicht
    • regelmäßige Bewegung
    • soziale und mentale Aktivitäten.
  • Rauchen geht mit einem erhöhten Risiko für vaskuläre Demenz einher.
    • Möglicherweise gilt das auch für das Passivrauchen.
  • Niedrig dosiertes ASS hat keinen Einfluss auf die kognitive Funktion bei über 50-Jährigen mit moderatem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen nach 5 Jahren Follow-up.

Sekundärprävention zerebraler Ischämien30

  • Näheres zu diesem Thema finden Sie im Artikel Schlaganfall und TIA.
  • Thrombozytenfunktionshemmer
    • Patient*innen mit ischämischem Schlaganfall oder TIA sollen mit einem Thrombozytenfunktionshemmer im Rahmen der Sekundärprävention behandelt werden, sofern keine Indikation zur Antikoagulation vorliegt.
      • Dabei soll mit ASS 100 mg behandelt werden.
      • Alternativ kann Clopidogrel eingesetzt werden. Keine der beiden Substanzen ist der jeweils anderen sicher überlegen.
      • Alternativ, z. B. bei Unverträglichkeiten gegen ASS und Clopidogrel, kann Ticagrelor eingesetzt werden.
      • Duale Plättchenhemmung (ASS + Ticagrelor über 30 Tage oder ASS + Clopidogrel über 21 Tage): Ausgewählte Patient*innen mit einem leichten, nicht kardioembolischen ischämischen Schlaganfall oder einer TIA mit hohem Rezidivrisiko, die nicht mit intravenöser Thrombolyse oder endovaskulärer Schlaganfalltherapie behandelt wurden, können innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn mit einer dualen Plättchenhemmung behandelt werden.
  • Statine
    • Patient*innen mit ischämischem Schlaganfall oder TIA sollen mit einem Statin behandelt werden.
      • In bestimmten Fällen, in denen eine Dyslipidämie hochwahrscheinlich pathogenetisch ohne Relevanz ist (z. B. Dissektion), kann auf eine Statintherapie verzichtet werden.
      • Das Statin sollte in fester Dosis verordnet werden. Weitere Lipidbestimmungen oder Adjustierungen entfallen (siehe Sondervotum der DEGAM in den Leitlinien zur Sekundärprävention nach Schlaganfall oder TIA30).
    • Patient*innen mit Hirnblutungen sollten nur unter Abwägen von Risiko und Nutzen mit einem Statin behandelt werden, wenn eine andere eigenständige Indikation vorliegt.
  • Orale Antikoagulation
    • Patient*innen mit ischämischem Schlaganfall oder TIA mit permanentem, persistierendem oder paroxysmalem Vorhofflimmern sollen eine orale Antikoagulation erhalten.
    • Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon) oder direkte Nicht-Vitamin-K-Antagonisten (DOAK): Die Entscheidung, welche Substanzgruppe gewählt wird, fällt im Gespräch mit der behandelten Person nach Würdigung von Komorbidität, Komedikation und Patientenpräferenz (siehe Sondervotum der DEGAM in den Leitlinien zur Sekundärprävention nach Schlaganfall oder TIA30).
    • ASS 100 mg + Rivaroxaban (DOAK) 2 x 2,5 mg: Kann erwogen werden bei Patient*innen mit stabiler KHK und/oder stabiler PAVK (inklusive asymptomatischer ≥ 50-prozentiger Karotisstenose oder nach operativ oder interventionell revaskularisierter Karotisstenose) und ohne vorangegangenen lakunären oder hämorrhagischen Schlaganfall.
    • Erhöhtes Blutungsrisiko berücksichtigen!
  • Antihypertensive Therapie
    • Patient*innen nach ischämischem Schlaganfall oder TIA mit arterieller Hypertonie sollen langfristig antihypertensiv behandelt werden (Ia/A).
    • Der Blutdruck sollte langfristig unter 140/90 mmHg gesenkt werden.
    • Unter Beachtung der Verträglichkeit und der Vorerkrankungen sowie des Alters der behandelten Person kann der systolische Blutdruck auf 120–130 mmHg gesenkt werden.
    • bevorzugt mit ACE-Inhibitor, Angiotensinrezeptorblocker, Kalziumantagonist oder einer entsprechenden Kombination

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Fluktuationen der Symptomschwere
  • Plötzliche, stufenweise Verschlechterung
  • Dazwischen stabile Perioden oder Phasen leichter Besserung, die in manchen Fällen lange anhalten können.

Komplikationen

  • Vor allem in fortgeschrittenen Stadien und mit zunehmender Immobilität erhöhtes Risiko für:

Prognose

  • Demenz ist mit einer deutlichen Übersterblichkeit verbunden und wird als eine der häufigsten Todesursachen nach Herz- und Gefäßerkrankungen und Krebs betrachtet.
  • Die Prognose bei Patient*innen mit vaskulärer Demenz nach Schlaganfall ist schlechter als bei der Alzheimer-Krankheit, vor allem aufgrund des erhöhten Risikos für weitere arteriosklerotische Erkrankungen einschließlich erneuter ischämischer Schlaganfälle.31

Verlaufskontrolle

  • Etwa alle 4–6 Monate, z. B. im Rahmen des hausärztlich-geriatrischen Basisassessments
  • Bei wiederholtem Einsatz neuropsychologischer Testverfahren zur Beurteilung des Krankheitsverlaufs oder des Behandlungserfolgs sollen Testwiederholungseffekte durch einen ausreichenden zeitlichen Abstand zwischen den Testzeitpunkten (mindestens 6 Monate oder bei rascher Progredienz auch früher) oder durch Verwendung von Test-Parallelversionen so weit wie möglich vermieden werden.
  • Eine Notwendigkeit für eine kranielle MRT-Untersuchung zur routinemäßigen Verlaufskontrolle besteht im Regelfall nicht. Bei atypischen klinischen Verläufen kann aber eine Verlaufs-MRT erwogen werden.

Patienteninformationen 

Gespräche mit Patient*innen und Angehörigen

  • Aufklärung und emotionale Unterstützung
  • Angehörige bei der Planung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen einbeziehen.
  • Aufklärung über die Prognose, soweit dies von den Patient*innen ausdrücklich gewünscht wird.
  • Aufklärung zum Thema Fahrtauglichkeit (siehe Abschnitt Fahrtauglichkeit)
  • Kontaktaufnahme mit Interessenverbänden für Patient*innen und Angehörige anbieten.

Praktische Hinweise und Tipps für demente Patient*innen

  • Ordnung halten; es ist weniger verwirrend, wenn wichtige Dinge immer ihren festen Platz haben.
  • Für gute Beleuchtung sorgen. Ein Nachtlicht erleichtert das Auffinden der Toilette und den Rückweg ins Bett.
  • Tagebuch führen.
  • Einen täglichen Stundenplan anlegen.
  • Leicht ablesbare Uhren
  • Leicht überschaubare Kalender
  • Notizblock neben das Telefon legen.
  • Alles entfernen, was verwirren kann.
  • Einfache Checklisten anlegen.
  • Schriftliche Anleitungen für einfache Sicherheitsmaßnahmen
  • Notizzettel mit Angaben, wo die am häufigsten gebrauchten Gegenstände liegen.
  • Vertraute Möbel und Bilder nicht entfernen.
  • Für Regelmäßigkeit und feste Abläufe sorgen.
  • Regelmäßigen Besuch vertrauter Orte und Menschen beibehalten, z. B. Garten, Kirche, Skatrunde.
  • Familienähnliche Esssituationen, verbale Unterstützung und positive Verstärkung können das Essverhalten von Menschen mit Demenz verbessern und können empfohlen werden.
  • Angemessene strukturierte soziale Aktivierung während des Tages kann zu einer Besserung des Tag-Nacht-Schlafverhältnisses führen und sollte eingesetzt werden.

Patienteninformationen in Deximed

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Patientenorganisationen 

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke – Teil 1: Plättchenhemmer, Vorhofflimmern, Hypercholesterinämie und Hypertonie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-133. S2k, Stand 2022. www.awmf.org

Literatur

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  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Vaskuläre Demenzen, Leitlinie Entwicklungsstufe S1, Stand November 2016 (abgelaufen), AWMF-Leitlinie Nr. 038-038. dgn.org
  3. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Hausärztliche Versorgung. In:Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S3-Leitlinie Demenzen. Stand Januar 2016 (abgelaufen); AWMF-Leitlinie Nr. 038-013. www.awmf.org
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Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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