Histaminintoleranz

Zusammenfassung

  • Definition:Unspezifische Symptome nach Aufnahme von Nahrungsmitteln mit hohem Gehalt an biogenen Aminen oder Histamin.
  • Häufigkeit:Unklar.
  • Symptome:Unterschiedliche Reaktionen: Periorale Schwellungen, brennendes Gefühl im Oropharynx, Flush, Urtikaria, Juckreiz, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Meteorismus, nasale Obstruktion, Fließschnupfen, Schwindel und Kopfschmerzen bis hin zu Hypotonie, Arrhythmien, und Asthmaanfällen sind beschrieben.
  • Befunde:Evtl. diffuses Erythem, konjunktivale Injektion, bis hin zu Tachykardie, Bronchospasmus, Hypotonie, Angioödem, Urtikaria.
  • Diagnostik:Die Diagnose erfolgt über den Ausschluss von Differenzialdiagnosen. Eine Ernährungsumstellung kann bei der Diagnosesicherung helfen.
  • Therapie:Ernährungsberatung zur Vermeidung einer zu strengen Eliminationsdiät. Die Akutbehandlung kann in der Gabe von H1- oder H2-Antihistaminika bestehen. Bei milden Symptomen erfolgt keine medikamentöse Therapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Histamin in Nahrungsmitteln wird häufig als Auslöser für eine Vielzahl von Gesundheitsbeschwerden vermutet.1
    • Die wissenschaftliche Evidenz für einen Zusammenhang zwischen dem aufgenommenen Histamin und den reproduzierbaren Symptomen ist begrenzt und widersprüchlich.
    • Auch in der gültigen AWMF-Leitlinie werden Zweifel an der Existenz einer Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin geäußert.

Häufigkeit

  • Existenz einer Histaminintoleranz als eigenständiges Krankheitsbild wird in der AWMF-Leitlinie angezweifelt.1
  • Keine genauen Angaben zur Häufigkeit verfügbar

Ätiologie und Pathogenese

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Histamin ist ein biogenes Amin, das im Körper aus der Aminosäure Histidin synthetisiert wird und u. a. freigesetzt aus Mastzellen als potenter Mediator allergischer Reaktionen dient.
    • Neben der IgE-vermittelten Histaminfreisetzung im Rahmen einer allergischen Reaktion kann es auch zu einer nichtallergischen Histaminfreisetzung durch Medikamente, Nahrungsmittel, physikalische Reize etc. kommen.
    • Lokale Wirkungen werden über vier Histaminrezeptoren vermittelt:
      • H1-Rezeptoren: Erweitern Blutgefäße, verengen Atemwege, Juckreiz.
      • H2-Rezeptoren: Regulieren die Magensäure-Sekretion.
      • H3-Rezeptoren: Regulieren den Schlaf-Wach-Rhythmus.
      • H4-Rezeptoren: Modulieren das Immunsystem.
  • Im Körper freigesetztes Histamin und von außen aufgenommenes Histamin wird durch zwei verschiedene Enzyme (Histamin-N-Methyltransferase, Diaminoxidase, DAO) abgebaut.
    • Der Histaminabbau kann durch Alkohol vermindert werden.
  • Größere Mengen an Histamin können zu Intoxikationen führen:
    • Für Histaminmengen über 100 mg sind leichte, ab 1.000 mg schwere Intoxikationen beschrieben.
      • z. B. aus (verdorbenem) Fisch, wie Thunfisch oder Makrele
      • Folge einer Überdosierung, nicht einer Unverträglichkeit
  • Als Pathomechanismus für eine Reaktion auf oral aufgenommenes Histamin wurde eine Abbaustörung der DAO vermutet. Bisher fehlen dafür sichere Belege durch Studien.
    • Die Wirksamkeit einer Supplementation von DAO ist nicht belegt und nicht empfohlen.

Auslöser

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-3
  • Die Datenlage zu den Auslösern ist inkonsistent.
  • Der Histamingehalt in Nahrungsmitteln schwankt stark in Abhängigkeit von Lagerdauer und Verarbeitung. 
    • starke Variation z. B. in Käse
  • Beobachtungen mit oral verabreichtem Histamin nicht reproduzierbar
  • Bei Frauen werden prämenstruell vermehrt Beschwerden beobachtet.
  • Fraglich, ob eine quantitative Einordnung des Histamingehalts von Nahrungsmitteln sinnvoll ist.
  • Nahrungsmittel mit evtl. hohem Histamingehalt
    • mikrobiell produzierte Nahrungsmittel, z. B.:
      • lange gereifter Käse (Gouda, Cheddar, Emmentaler, Swisstaler, Parmesan, aber auch Camembert)
      • Sauerkraut
      • Rotwein und andere alkoholische Getränke (Weißwein, Bier, Champagner)
      • Rotweinessig.
    • mikrobiell kontaminierte proteinreiche Nahrung, z. B.:
      • Thunfisch, Makrele, Sardinen, Hering (Scromboide)
      • Wurst, Salami, Schinken.
    • Gemüse
      • Spinat
      • Aubergine
      • Tomatenketchup
  • Die Datenlage zu der Wirkung von Medikamenten auf histaminabbauende Enzyme ist inkonsistent.1
    • Beschrieben wurden in diesem Zusammenhang:
      • Acetylcystein
      • Metamizol
      • Verapamil
      • Metronidazol
      • Metoclopramid.

ICPC-2

  • A86 Toxischer Effekt nichtmedizinischer Substanz

ICD-10

  • T61 Toxische Wirkung schädlicher Substanzen, die mit essbaren Meerestieren aufgenommen wurden
    • T61.1 Scombroid-Fischvergiftung
  • L50 Urtikaria1
    • L50.8 Sonstige Urtikaria
  • L53 Sonstige erythematöse Erkrankungen
    • L53.0 Toxisches Erythem

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Verdachtsdiagnose wird anamnestisch nach Ausschluss anderer Ursachen gestellt.1
  • Es gibt keine verlässlichen Laborbefunde zur Diagnosestellung oder zum Ausschluss einer Histam-Inintoleranz.1
  • Im Zweifel Ausschluss einer allergischen Reaktion durch Prick-Test und ggf. Bestimmung des spezifischen IgE3

Symptome und Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Nur bei einer zeitlichen Assoziation zur Nahrungsaufnahme (Minuten bis zur 4 Stunden) besteht ein Verdacht auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten.1
    • Flush-Symptomatik
    • Juckreiz und Erytheme am Körper
    • Übelkeit und/oder Erbrechen und/oder Diarrhö
    • abdominelle Schmerzen
    • seltener Symptome des Respirationstraktes oder kardiovaskuläre Symptome (Blutdruckabfall, Schwindel, Tachykardie)
  • Alle Symptome können auch durch endogen freigesetztes Histamin ausgelöst sein.1
  • Die Symptome dauern normalerweise einige Stunden.
  • Todesfälle sind nicht bekannt.
  • Die Symptome hängen von der aufgenommenen Menge des auslösenden Nahrungsmittels ab.
  • Ernährungstagebuch führen.
  • Durch die Zubereitung der Nahrung – Kochen/Backen – wird das Histamin nicht zerstört.

Klinische Untersuchung

Diagnostik bei Spezialist*innen

Leitlinie: Empfohlenes Vorgehen bei Verdacht auf Histaminunverträglichkeit1

  • Es gibt bisher keine objektiven Parameter, die das Vorhandensein einer Unverträglichkeit gegenüber exogen zugeführtem Histamin untermauern.
  • Unterstützend: Ernährungs- und Symptomtagebuch führen.
  • Die individuelle Verträglichkeit histaminreicher Nahrungsmittel kann mittels 3-stufiger Ernährungsumstellung evaluiert werden (ggf. Umsetzung von Medikamenten).
    1. Karenzphase (10–14 Tage): weitestgehende Beschwerdereduktion
      • gemüsebetonte Mischkost mit Beschränkung der Zufuhr an biogenen Aminen, insbes. der Histaminzufuhr
      • Nährstoffoptimierung
      • Veränderung der Mahlzeitenzusammensetzung
      • Prinzipien der leichten Vollkost
    2. Testphase (bis zu 6 Wochen): Erweiterung der Nahrungsmittelauswahl unter Berücksichtigung individueller Einflussfaktoren (Medikamente, Menstruation, Stress etc.)
      • gezielte Wiedereinführung verdächtiger Nahrungsmittel unter Beibehaltung der optimierten Verdauungsvoraussetzungen
      • strikte Diätvorgaben „aufweichen“
      • Ermittlung der individuellen Histaminverträglichkeit
    3. Dauerernährung: dauerhafte, bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr, hohe Lebensqualität
      • Individuelle Ernährungsempfehlungen auf Basis optimierter Verdauungsvoraussetzungen, die sich an der individuellen Histaminverträglichkeit unter der Berücksichtigung exogener
        Einflussfaktoren orientieren.
  • Bei fehlender Besserung weitere diagnostische Abklärung, je nach Leitsymptom (z. B. Gastroenterologie, Neurologie)
  • Bei Besserung ggf. titrierte Provokation mit Histaminhydrochlorid zur Festlegung der individuellen Dosis aufsteigender Dosierung in 2-Stunden-Abständen (z. B. 0,5 mg/kg KG, 0,75 mg/kg KG, 1,0 mg/kg KG)
    • Die titrierte Histaminprovokation soll unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, da systemische Reaktionen auftreten können. Diese in der Regel kurzfristig auftretenden Symptome können durch die Gabe von Antihistaminika beherrscht werden.

Diagnostische Untersuchungen ohne Aussagekraft (nicht empfohlen)

  • Bestimmung der Diaminoxidase(DAO)-Aktivität im Serum
  • Histamin-Pricktest nach 50 min zur Beurteilung einer Histaminabbaustörung (Histamin-50-Test) ablesen.
  • Enzymaktivitäten im Darm messen.
  • Histamin im Stuhl
  • Histamin im Plasma
  • Methylhistamin im Urin 

Indikationen zur Überweisung

  • Normalerweise nicht nötig
  • Ggf. zur titrierten Histaminprovokation

Therapie

Therapieziele

  • Durch ernährungstherapeutische Beratung vermeiden, dass Eliminationsdiäten zu einer unnötigen Einschränkung des Speiseplans und dadurch der Lebensqualität führen.1

Allgemeines zur Therapie

  • Eine Behandlung ist meist nicht erforderlich. Die Symptome sistieren normalerweise spontan.
    • Der Anfall geht dann in der Regel innerhalb von 30 min vorüber.
  • Situationen mit starken Belastungen kann parenteral oder oral ein Antihistaminikum verabreicht werden.
  • Ranitidin darf in der gesamten EU nicht mehr vertrieben werden, wegen Verunreinigungen mit dem kanzerogenen Nitrosamin Nitrosodimethylamin.4
    • Cimetidin und Famotidin sind in Deutschland kaum mehr in Gebrauch.

Medikamentöse Therapie

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Antihistaminika (trotz fehlender doppelblind-placebokontrollierter prospektiver Studien zur Wirksamkeit von H1- und H2-Rezeptorblockern bei einer Unverträglichkeit von exogen zugeführtem Histamin)
    • im Rahmen akuter Belastungen (massive Diätfehler, z. B. bei Feierlichkeiten oder Scromboidvergiftung, z. B. mit Makrele oder Thunfisch), zur Behandlung einzelner Symptome, z. B.:
      • Flush: H1-Blocker, z. B. Cetirizin 10 mg 1 x/d (off label)
      • Übelkeit, Erbrechen: H2-Blocker, z. B. Cimetidin 200 mg 2 x/d (off label)
    • Denkbares pragmatisches Vorgehen: Patient*innen mit vermuteter Histaminunverträglichkeit über einen definierten Zeitraum mit H1/H2-Rezeptorblockern behandeln, um zu überprüfen, ob sich das Beschwerdebild verändert.

Prävention

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Äußerst begrenzte Datenlage zur Wirkung histaminarmer Diäten
    • nur Beobachtungsstudien, keine RCT
    • Hinweise, dass einzelne Patient*innen profitieren.
  • Individuelle symptomorientierte Ernährungstherapie nach den vorgenannten Kriterien
  • Der Histamingehalt von Nahrungsmitteln unterliegt, auch bei gleicher Sortenwahl, je nach Reifegrad, Lagerdauer oder bestimmten Verarbeitungsprozessen starken Schwankungen und erschwert damit die Diagnosestellung und Beratung.
  • Wenn die individuelle Diät nicht gewährleistet werden kann (z. B. auf Reisen), kann die prophylaktische Einnahme von H1-Antihistaminika und ggf. auch von H2-Antihistaminika erwogen werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die akuten Symptome halten in der Regel weniger als 6 Stunden an.

Komplikationen

  • Tiefgreifende diätetische Einschränkungen (Eliminationsdiäten) aus Angst und Unsicherheit

Prognose

  • Sehr gut

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e. V. Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. AWMF-Leitlinie Nr. 061-030. S1, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie e.V. Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. AWMF-Leitlinie Nr.061 - 030, Stand 2021. www.awmf.org
  2. Zopf Y, Baenkler H-W, Silbermann A, Hahn EG, Raithel M. Differentialdiagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(21): 359-70. doi:10.3238/arztebl.2009.0359 DOI
  3. Mainz L et al. Die verschiedenen Gesichter der Histaminintoleranz. Dtsch Arztebl 2006; 103(51–52): A 3477–83. www.aerzteblatt.de
  4. arznei-telegramm. Vom Niedergang der H2-Antagonisten. a-t 05/2020. www.arznei-telegramm.de

Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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