Zusammenfassung
- Definition:Aufnahme von Eisen in toxischer oder Symptome hervorrufender Dosis. Zu schweren Vergiftungen kommt es meist nach einer Einnahme von mehr als 40 mg Eisen/kg Körpergewicht.
- Häufigkeit:Die meisten Vergiftungen sind akzidentell und haben geringfügige Folgen. Am häufigsten sind kleine Kinder betroffen.
- Symptome:Schwere Vergiftungen verlaufen häufig mehrphasisch: gastrointestinale Phase, Latenzphase, Schock und metabolische Azidose, Leberschädigung, Darmverschluss.
- Befunde:Breites Spektrum möglich über Dehydrierung und Hypotonie bis hin zu Krämpfen, Koma und Schock.
- Diagnostik:Laboruntersuchung (Serum-Eisen, Blutzucker, Leukozyten).
- Therapie:Ggf. Magenspülung, intravenöse Flüssigkeitsgabe, ggf. Deferoxamin, ggf. Deferasirox.
Giftnotrufzentralen
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Allgemeine Informationen
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3
Definition
- Einnahme von Eisen in toxischer oder Symptome verursachender Dosis1
- Eine Vergiftung kann in hohen Dosen tödlich verlaufen.
Häufigkeit
- Einnahme exzessiver Dosen per os bei Erwachsenen gelegentlich in suizidaler Absicht, bei Kindern in der Regel akzidentell.4
- Hohe Dunkelziffer, daher keine validen Daten
- Am häufigsten bei Kindern unter 5 Jahren infolge unzureichend geschützter Aufbewahrung
Ätiologie und Pathogenese
- Freies, nicht gebundenes Eisen ist zytotoxisch und schädigt lokal die Darmschleimhaut.
- 10 % des eingenommenen Eisens (Fe2+) wird aktiv in Form von Ionen im Dünndarm absorbiert.
- Nach Absorption wird das Eisen als Fe3+ im Speicherprotein Ferritin in der Schleimhaut gespeichert.
- Von dort aus wird das Eisen weiter in Leber, Milz und Knochenmark transportiert zur weiteren Speicherung in Ferritin oder zum Einbau in Häm-Moleküle.
- Den Transport des Eisens übernimmt das Transportprotein Transferrin.
- Wenn die Eisenbindungskapazität des Blutes überschritten wird (Serum-Eisen > 500 μg/dl [> 90 µmol/l]), können freie Ionen Gewebeschäden verursachen, u. a. in Leber und Herz.
- Bei Überdosen wird die maximale Konzentration im Serum in der Regel innerhalb von 4–6 Stunden erreicht. Nach der Einnahme von Depot- oder Sustained-Release-Präparaten innerhalb von 8 Stunden.
Toxische Dosis
- Bei Kindern sind je nach Alter, Größe und Gewicht Dosen ab ca. 1 g Eisen(II)sulfat per os lokal ätzend und systemisch toxisch.4
- Als letale Dosis werden für Kinder ca. 2 g, für Erwachsene 10–50 g per os, als letale Serum-Konzentration > 1.000 (> 179 µmol/l) µg/dl 2–4 h nach Einnahme angegeben.4
- Bei Patient*innen, die weniger als 20 mg/kg KG freies Eisen einnehmen, treten meist keine Symptome auf.
- Eine Einnahme von 20–60 mg/kg KG kann Symptome einer schweren Intoxikation hervorrufen, doch ist das nicht zwingend der Fall.1
- Die Einnahme von > 60 mg/kg KG kann zu einer schweren Intoxikation führen.
Toxizität
- Freies ungebundenes Eisen ist toxisch für vitales Gewebe und wirkt lokal ätzend auf die Darmschleimhaut.
- Die toxischen Wirkmechanismen umfassen:
- Nekrose der Schleimhautzellen
- gestörte Kapillarpermeabilität
- Veränderungen der Lipidmembran der Mitochondrien
- Hemmung enzymatischer Prozesse des Citrat-Zyklus
- Umschaltung der oxidativen Phosphorylierung
- unmittelbare Vasodilatation
- Hemmung der Serumproteasen (Thrombin).
- Lokale Toxizität zeigt sich meist durch Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und gastrointestinale Blutungen.
- Eine systemische Toxizität tritt als Folge von Herzkreislauf- und Leberschäden auf.1
Prädisponierende Faktoren
- Unvorsichtige Aufbewahrung von Eisentabletten
- Suizidalität
- Sehschwäche
ICPC-2
- A84 Vergiftung durch medizinische Substanz
ICD-10
- T45.- Vergiftung durch primär systemisch und auf das Blut wirkende Mittel, anderenorts nicht klassifiziert
- T45.4 Eisen und dessen Verbindungen
Diagnostik
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3
Diagnostische Kriterien
- Informationen aus der Anamnese bezüglich der Einnahme von toxischen Mengen an Eisen
- Symptomatische Patient*innen sollten unabhängig von der eingenommenen Menge behandelt werden.
- Serum-Eisen > 500 µg/dl (> 90 µmol/l) weist auf eine schwere Vergiftung hin, dabei sind jedoch auch die Einnahmezeit und -menge zu beachten.
Differenzialdiagnosen
- Vergiftungen mit anderen Substanzen (Aspirin, Theophyllin, organische Phosphate, Organophosphate, Nikotin, nichtsteroidale Antirheumatika, Pilze, Colchizin)
- Delir
- Infektionen
Anamnese
- 30–120 min nach der Einnahme treten häufig Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auf.
- Das Fehlen gastrointestinaler Symptome im Verlauf der ersten 6 Stunden nach der Einnahme schließt eine schwere Vergiftung praktisch aus (jedoch Vorsicht bei Depotpräparaten!).
- Gastrointestinale Phase (30 min bis 6 h nach der Einnahme)
- Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Bluterbrechen, Teerstuhl, Abgeschlagenheit, Schock und metabolische Azidose
- Das Erbrechen stellt den empfindlichsten Indikator für eine schwere Vergiftung in dieser Phase dar.1
- Bei den meisten Patient*innen mit einer leichten bis mittleren Eisenvergiftung werden die nächsten Phasen nicht erreicht, und die Symptome bilden sich oft innerhalb von 4–6 Stunden zurück.
- Latenzphase (10–14 h nach der Einnahme)
- Eine scheinbare Erholung tritt ein.
- Diese Phase dauert nur kurz an oder kann bei Menschen mit einer schweren Vergiftung völlig fehlen.
- Ob die Betroffenen sich in dieser Phase befinden oder es sich um eine milde Vergiftung handelt, die gerade abklingt, ist schwierig zu beurteilen.
- Schock und metabolische Azidose (12–48 h nach der Einnahme)
- meist mit Koagulopathie vergesellschaftet
- Hepatotoxizität/Lebernekrose (12–48 h nach der Einnahme)
- Darmverschluss (2–5 Wochen nach der Einnahme)
- verursacht durch Narbenbildung im Magen-Darm-Trakt, insbesondere im Antrum und Pylorus des Magens
Wichtige Fragen
- Wie viele Tabletten wurden genommen? Welches Präparat? Enterotabletten?
- Soll die Menge des eingenommenen Eisens berechnet werden, sollte der Eisengehalt der Tabletten berücksichtigt werden (Eisensulfat 20 %, Eisenfumarat 33 %).
- Angaben darüber, wie viele Tabletten ein Kind geschluckt hat, sind oft unzuverlässig.
- Wann fand die Einnahme statt? Einnahme auf einmal oder über längere Zeit?
- Zusätzlich Alkohol/Drogen/andere Tabletten eingenommen?
- Hat Patient*in erbrochen?
- Wurden weitere Maßnahmen veranlasst?
Klinische Untersuchung
- Auskultation von Herz, Lungen und Abdomen
- Tastuntersuchung des Abdomens
- Mögliche Symptome erfragen:
Phase 1 (1–6 h nach Einnahme)4
- Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall
- Hämorrhagische Gastroenteritis
- Schwäche, Kollaps (Vasodilatation), metabolische Azidose und Schock mit Todesfolge
Phase 2 (10–14 h nach Einnahme)4
- Kurze Erholungsphase mit scheinbarer Besserung
- Nicht alle Betroffenen durchlaufen dieses Stadium.
Phase 3 (12–48 h nach Einnahme)4
- Kann bei schweren Vergiftungen auch früher einsetzen.
- Fieber, Krämpfe, Lähmungen, Koma
- Leukozytose, metabolische Azidose, Gerinnungsstörungen
- EKG: T-Inversion
- toxische Hepatitis mit Leberzellnekrose (GPT-Anstieg)
- Nierenschädigung (Tubulusnekrose)
- Tödlicher Ausgang innerhalb von 1–3 Tagen möglich
Phase 4 (2–5 Wochen nach Einnahme)4
- Strikturen im Magen-Darm-Trakt aufgrund von narbigen Verwachsungen nach Verätzung
- Leberzirrhose
- ZNS-Schädigung
Ergänzende Untersuchungen im Krankenhaus
- Eine stationäre Einweisung ist in der Regel sinnvoll zur Sicherstellung einer ausreichenden Diagnostik.
- Bestimmung von:
- Bestimmung des Schweregrads, Messung des Serum-Eisens 2–4 Stunden nach der Einnahme4
- 350 µg/dl (63 µmol/l): leichte Vergiftung
- ab 500 µg/dl (90 µmol/l): schwere Vergiftung
- 1.000 µg/dl (180 µmol/l): schwerste Vergiftung
- > 1.000 µg/dl (> 180 µmol/l): potenziell letal
- Wenn keine schnelle Bestimmung des Serum-Eisens möglich ist, können die folgenden Befunde eine schwere Vergiftung anzeigen:
- Leukozytose (> 15 x 109)
- Hyperglykämie (> 150 mg/dl [> 8,3 mmol/l])
- Durchfall/Erbrechen
- Darstellung von Tablettenresten in Abdomenübersicht-Röntgenaufnahme
- Weitere Blutuntersuchungen
- Hb
- Säure-Basen-Haushalt
- Serum-Elektrolyte, Serum-Albumin, Leberwerte, Nierenwerte
- Glukose
- Gerinnungsparameter (INR, Thrombozyten)
- Differenzialblutbild
- Blutgasanalyse bei schweren Symptomen
- Kreuzprobe im Hinblick auf eine mögliche Transfusion
Erweiterte Diagnostik
- Röntgenuntersuchung (Abdomenübersicht)
- Tabletten sind im Röntgen darstellbar, aufgelöste Tabletten nicht.
- Depottabletten sind wahrscheinlich längere Zeit nach der Einnahme nachweisbar.
Indikationen zur Überweisung
- Ein stationärer Krankenhausaufenthalt ist bei Verdacht oder bei Symptomen einer Überdosierung angezeigt.
Therapie
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3
Therapieziel
- Komplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Giftnotruf/Ginftinformationszentrum kontaktieren.
- Provozieren von Erbrechen wird nicht als Routinemaßnahme angesehen.5
- Die Gabe von Milch kann nach Einnahme von Eisenpräparaten sinnvoll sein5, da sich Eisen-Protein-Komplexe bilden, jedoch ist diese Bindung nicht von Dauer und kann daher auch eine Steigerung der Bioverfügbarkeit des Eisens induzieren.4
- Magenspülung
- Wenn weniger als 2 h seit der Tabletteneinnahme vergangen und die Schutzreflexe erhalten sind.
- Kohlegabe ist nicht sinnvoll, weil sie kein Eisen bindet.
- Patient*innen mit nur sehr leichten Symptomen nach der Einnahme benötigen lediglich eine symptomatische Behandlung.
- Intravenöse Flüssigkeitszufuhr
- Ist großzügig bei gastrointestinalen Symptomen zu verabreichen.
- Bei Schock ist eine aggressive Substitution von Flüssigkeit und evtl. Blutprodukten empfohlen.
- Deferoxamin oder Deferasirox (s. u.)5
- Patient*innen mit einer schweren Vergiftung sollten schnell behandelt und stationär überwacht werden.
- Sind die Patient*innen nach mehreren Stunden Beobachtung klinisch unauffällig und ist auch der Serum-Eisen-Wert weiterhin niedrig, kann die Entlassung erfolgen.
Empfehlungen für Patient*innen
- Die Einnahme von medizinischer Kohle ist nicht sinnvoll.
- Schnelle Beförderung zum Krankenhaus (Rettungsdienst)
Medikamentöse Therapie
Deferoxamin
- Metallbindende Verbindung (Chelator)
- Indikation
- gesichert große Eisen-Einnahme mit Gefahr einer schweren Vergiftung
- Symptome einer systemischen Vergiftung: metabolische Azidose, Hypotonie, Magen-Darm-Blutungen, Kreislaufschock
- Serum-Eisen ≥ 350 µg/dl (≥ 63 µmol/l)4
- Gabe so früh wie möglich, da sich das Eisen während des ersten Tages nach Einnahme in steigendem Maße im Gewebe verteilt.
- Kann enteral nicht resorbiert werden, die orale Gabe vermindert jedoch die enterale Eisenaufnahme.6
- Eine intramuskuläre Gabe ist möglich, im Notfall ist jedoch die i. v. Gabe vorzuziehen.
- Intravenöse Gabe bei der Entwicklung starker gastrointestinaler Beschwerden, Schock oder Koma1
- Dosierung
- Nebenwirkungen
- Kontraindikation: Niereninsuffizienz4
Deferasirox
- Wie Deferoxamin ein Komplexbildner, der die Ausscheidung von Eisen steigert.
- Gute orale Verträglichkeit und Bioverfügbarkeit7
- In Deutschland besteht jedoch keine Zulassung zur Behandlung der akuten Eisenvergiftung.
Weitere Therapien
Symptomatische Behandlung
- Intravenöse Flüssigkeitszufuhr bei allen Patient*innen mit signifikanten Symptomen
Prävention
- Arzneimittel – auch nicht verschreibungspflichtige – außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahren.
Monitoring
- Überwachung der Atmung und Sauerstoffsättigung
- Eine intravenöse Flüssigkeitstherapie ist entscheidend, da ein hypovolämischer Schock die häufigste Todesursache in frühen Stadien der Vergiftung darstellt.
- Überwachung im Hinblick auf Leber- und Nierenschäden, Gerinnungsstörungen, Perforation des Gastrointestinaltrakts und Sepsis
Verlauf, Komplikationen und Prognose
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3
Verlauf
- Häufig lassen sich 4 Phasen beobachten (s. o.).
- Die Verläufe unterscheiden sich je nach Intoxikationsgrad.
- Befinden sich Patient*innen 72 Stunden nach Intoxikation in einem stabilen Zustand, so ist die Prognose in der Regel sehr gut.
Komplikationen
- Hypotonie
- Schock
- Krämpfe
- Metabolische Azidose
- Leber- und Nierenversagen
- Strikturen im Magen-Darm-Trakt (Magenfibrose und Pylorusstenose)
Prognose
- Meistens gut mit vollständiger Erholung
- Selten schwere Vergiftungen
Quellen
Literatur
- Liebelt EL, Burns MM, Wiley JF. Acute iron poisoning. Wolters Kluwer 2021; UpToDate, last updated 2022. www.uptodate.com
- Madiwale T, Liebelt E. Iron: not a benign therapeutic drug. Curr Opin Pediatr 2006; 18: 174. journals.lww.com
- Ho-Wang Y, Becker w. Iron Toxicity. National Library of Medicine. Last Update: June 27, 2022. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Benecke J, Benecke M, Eckert K-G, Erber B, Golly IC, Kreppel H, Liebl B, Mückter H, Reichl F-X, Szinicz L, Zilker T. Taschenatlas der Toxikologie Substanzen, Wirkungen, Umwelt. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York: Franz-Xaver Reichl, 2002.
- Müller D, Desel H. Common causes of poisoning— etiology, diagnosis and treatment.. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(41): 690-700. doi:10.3238/arztebl.2013.0690 www.aerzteblatt.de
- Lüllmann H, Mohr K, Wehling M. Pharmakologie und Toxikologie Arzneimittelwirkungen verstehen – Medikamente gezielt einsetzen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York: Heinz Lüllmann, 2003.
- Griffith EA, Fallgatter KC, Tantama SS, Tanen DA, Matteucci MJ. Effect of Deferasirox on Iron Absorption in a Randomized, Placebo-Controlled, Crossover Study in a Human Model of Acute Supratherapeutic Iron Ingestion. Ann Emerg Med. 2011; 58: 69-73. doi:10.1016/j.annemergmed.2010.11.020 www.druglib.com
Autor*innen
- Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster/W
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).