Vergiftungen mit Benzodiazepinagonisten (Z-Substanzen)

Zusammenfassung

  • Definition:Einnahme von Benzodiazepinrezeptoragonisten (Z-Substanzen) in toxischen Dosen.
  • Häufigkeit:Die Z-Substanzen sind in Deutschland häufig verordnete Hypnotika.
  • Symptome:Bei Vergiftungen können je nach Dosis von Verwirrtheit über Lethargie sowie Ataxie bis hin zu Kreislauf und Atemdepressions und Koma auftreten. Auch paradoxe Reaktion mit Halluzinationen und Unruhezuständen sind möglich.
  • Befunde:Auswirkungen auf den Bewusstseinszustand und evtl. Atemhemmung.
  • Diagnostik:Klinisches Bild und Anamnese.
  • Therapie:Bei der Behandlung einer Intoxikation mit Z-Substanzen steht die symptomatische Therapie im Vordergrund, insbesondere ist auf Erhaltung der Atem- und Kreislauffunktionen zu achten. Die Indikation zur stationären Einweisung sollte großzügig gestellt werden. Zu einem frühen Zeitpunkt kann die Gabe von Aktivkohle sinnvoll sein. Bei schwerer Atemdepression ist die Gabe von Flumazenil vertretbar.

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Allgemeine Informationen

Definition

  • Vergiftung mit Hypnotika aus der Gruppe der Benzodiazepinagonisten Zopiclon und Zolpidem (sog. Z-Substanzen)

Häufigkeit

  • Zwischen 2014 und August 2020 wurden 267.260 GKV-Versicherten ein Benzodiazepin oder eine Z-Substanz verordnet.1
    • 122.884 erhielten eine Z-Substanz.
    • 38 % der Verordnungen waren Privatverordnungen.
  • Gemeldete Intoxikationen in Deutschland (2005, keine aktuelleren Daten verfügbar)2
    • Z-Substanzen: 268 (Zolpidem 110, Zoplicon 158)
    • Benzodiazepine 484
    • hohe Dunkelziffer

Ätiologie und Pathogenese

Pharmakologie

  • Pharmakodynamische Wirkung3
    • Die pharmakodynamische Wirkung von Zopiclon und Zolpidem ist der von Benzodiazepinen relativ ähnlich, da sie ebenfalls auf den GABA(Gamma-Aminobuttersäure)-Rezeptorkomplex bzw. dessen Alpha-Untereinheit wirken.3
      • Allerdings führt die vorzugsweise Bindung an die Alpha-Untereinheit zu unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften.
      • Zolpidem ist deshalb in erster Linie sedierend und kaum muskelrelaxierend, anxiolytisch und antikonvulsiv.
  • Pharmakokinetik3
    • Zolpidem: Plasmapeak nach 0,5–3 Stunden, Halbwertszeit 2–3 Stunden
    • Zopiclon: Plasmapeak nach 1,5–2 Stunden, Halbwertszeit 5 Stunden

Toxizität

  • Charakteristische toxische Wirkung3
    • ZNS-Depression
    • normale Vitalparameter, unauffälliges EKG, gel. Blutdruckabfall
    • selten Atemstörungen
  • Toxische Dosis3
    • nicht quantifizierbar
    • abhängig von verschiedenen Faktoren wie pulmonale Vorerkrankungen, Koingestionen, Alter, Gewicht, Gewöhnung und Genetik

Interaktionen

  • Mischintoxikationen mit Zopiclon oder Zolpidem sind häufig, und die Mischung von Zopiclon/Zolpidem und anderen Substanzen, die dämpfend auf das zentrale Nervensystem wirken (z. B. Opiate, Antipsychotika, Benzodiazepine oder Ethanol), erhöht die toxische Wirkung.3

ICPC-2

  • A84 Vergiftung durch medizinische Substanz

ICD-10

  • T36–T50 Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
    • T42.4 N05C F Vergiftung durch Anxiolytika – Benzodiazepinderivate (angegeben mit ATC-Code für anxiolytische Benzodiazepinderivate)
      • T42.4 N05C F01 Vergiftung durch Zopiclon
      • T42.4 N05C F02 Vergiftung durch Zolpidem
      • T42.4 N05C F03 Vergiftung durch Zaleplon

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Anamnese und klinische Situation3

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Der folgende Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.3-4
  • Ggf. Fremdanamnese
    • Zeitpunkt der Einnahme und eingenommene Menge
    • Welcher Wirkstoff wurde eingenommen? (Medikamentenpackung und Blister aufheben)
    • zusätzlich eingenommene Substanzen (Alkohol) und Medikamente
    • Wurden die Tabletten in suizidaler Absicht eingenommen?
    • bekannte Anwendung oder Missbrauch von Benzodiazepinen
  • Vorliegen von Risikofaktoren
    • bekannte Depression
    • Vorgeschichte mit Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch oder Polytoxikomanie
    • bekannte Benzodiazepineinnahme oder Einnahme von Z-Substanzen
    • bekannte Einnahmeprobleme/Dosierungsfehler
    • Begleiterkrankungen (Überdosen mit zunehmendem Alter und gestörter Leberfunktion häufiger)
    • Suizidalität in der Vorgeschichte
    • Einnahme unbekannter Substanzen in der Vorgeschichte
  • Veränderter Geisteszustand
    • Vigilanzstörung
    • Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörung
    • unangemessenes Verhalten
    • gestörtes Urteilsvermögen
    • Stimmungslabilität
    • nach Einnahme großer Dosen: Koma und Atemdepression (besonders bei Mischintoxikation)
    • selten paradoxe Reaktion mit starker Agitiertheit bei Betroffenen mit psychiatrischen Vorerkrankungen, Kindern und Hochbetagten
    • Es kann auch zu Ataxie, Dysarthrie, Schwindel, Nystagmus, Mydriasis, Muskelhypotonie und Blutdruckabfall kommen.

Klinische Untersuchung

  • Der folgende Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.3-4
  • Verwaschene Sprache, gestörte Koordination, instabiler Gang
  • Aufmerksamkeits- und/oder Gedächtnisstörung
  • Pupillenreaktion (Mydriasis)
  • Beurteilung der Vigilanz
  • Abgeschwächte Reflexe (selten auch Hyperreflexie bei paradoxer Übererregung)

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Blutdruck
  • SaO2
  • Atemfrequenz
  • Puls

Indikation zur Klinikeinweisung

  • Aufgrund der Vigilanzminderung und auch zum Ausschluss anderer Ursachen soll die Indikation zur Einweisung großzügig gestellt werden.

Therapie

Therapieziel

  • Lebensbedrohliche Komplikationen verhindern.

Allgemeines zur Therapie

  • GIFTNOTRUF- UND INFORMATIONSZENTREN
    • Bieten Informationen für Ärzt*innen und Angehörige in Fällen von Vergiftungen.
    • Telefonnummern und Adressen finden Sie hier
    • Genaue Angaben zu Wirkstoff, eingenommener Menge und Einnahmezeitpunkt bereithalten.4
  • Diese Vergiftungen sind in der Regel nicht schwer, allerdings sind bei der Einnahme hoher Dosen und insbesondere bei Mischintoxikationen schwere Verläufe möglich.
  • Bei Gefahr von schweren Verläufen sollte eine Einweisung erfolgen.
  • Bei Monointoxikationen ist in der Regel keine Dekontamination nötig.3
  • Die Gabe von Aktivkohle im ambulanten Bereich kann sinnvoll sein, insbesondere wenn diese innerhalb der ersten Stunde nach Intoxikation erfolgt.3
  • Zur Vermeidung einer Intubation ist der Einsatz von Flumazenil gerechtfertigt.3

Medikamentöse Therapie

Aktivkohle

  • Einmalige Gabe innerhalb der ersten Stunde nach Einnahme, insbesondere bei hohen Dosen.3
    • Cave: Aspirationsgefahr bei zunehmender Bewusstseinstrübung!3
    • Kontraindikationen sind Erbrechen und Bewusstseinstrübung mit Aspirationsgefahr.4-5
    • Dosierung: Initial sollen bei Erwachsenen 50 g Aktivkohle oral verabreicht werden.4

Flumazenil 

  • Flumazenil ist ein spezifischer Antagonist für die Benzodiazepin-Bindungsstelle im GABA-Rezeptorkomplex.3
  • Es ist auch wirksam bei Zopiclon- und Zolpidemvergiftungen.6
  • Indikation
    • Bei tiefer ZNS-Depression ist ein Einsatz von Flumazenil zur Vermeidung einer Intubation gerechtfertigt3
  • Vorsichtsmaßnahmen3
    • Sollte nicht bei Betroffenen mit niedriger Krampfschwelle verabreicht werden.
    • Die Krampfschwelle kann auch bei Mischintoxikation mit trizyklischen Antidepressiva herabgesetzt sein.
    • Kann bei Abhängigkeit von Z-Substanzen Entzugssymptome auslösen.
  • Kontraindikationen
    • Betroffenen mit akuter Kopfverletzung sollte kein Flumazenil verabreicht werden.7
    • keine Verwendung bei V. a. Mischintoxikation mit unbekannten Substanzen4
    • keine Verwendung als diagnostischer Test4
    • verbreiteter QRS-Komplex im EKG4
  • Überwachung
    • Flumazenil hat eine Halbwertszeit von 50–60 min, also kürzer als die von Zopiclon und Zolpidem.4
    • Gefahr der Resedierung3
  • Dosierung6
    • Dosierung: initial 0,2 mg intravenös, 0,1 mg jede Minute, bis gewünschter Bewusstseinsgrad erreicht ist, maximal 1 mg.

Weitere Behandlungsmethoden

  • Überwachung von Bewusstsein, Blutdruck und Atmung bis zum vollständigen Erwachen3
  • Supportive Therapie; Sauerstoff, ggf. Beatmung, Volumengabe3

Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Atemstillstand4
  • Koma4
  • Liegetrauma (Dekubitus)3
  • Aspiration3

Prognose

  • Die Letalität bei alleiniger Benzodiazepinvergiftung ist niedrig.3
    • Bei adäquater Behandlung ist die Prognose gut.
    • Bei Mischintoxikationen mit anderen Medikamenten, Drogen oder Alkohol ist die Letalität wesentlich höher.
  • Eine zugrunde liegende psychiatrische Erkrankung sollte adäquat behandelt und dabei die soziale Situation Betroffener berücksichtigt werden.4

Quellen

Literatur

  1. Grimmsmann T, Kostev K, Himmel W. The role of private prescriptions in benzodiazepine and Z-drug use—a secondary analysis of office-based prescription data. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 380–1. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0151. www.aerzteblatt.de
  2. Sonntag L. Die Bedeutung der neueren Hypno-Sedativa Zopiclon und Zolpidem im klinisch-toxikologischen Untersuchungsgut unter besonderer Berücksichtigung der klassischen Benzodiazepine. Inauguraldiss. Med. Fakultät, Universität Hamburg 2009. ediss.sub.uni-hamburg.de
  3. Hofer KE, Weiler S. Benzodiazepin-Intoxikation: Ein Hypnotikum-Toxidrom. Primary and Hospital Care 2021; 21: 191-3. doi:10.4414/phc-d.2021.10355 www.researchgate.net
  4. BMJ BestPractice. Benzodiazepine overdose. Stand Juli 2022 (Letzter Zugriff am 03.08.2022). bestpractice.bmj.com
  5. Zellner T, Prasa D, Färber E, Hoffmann-Walbeck P, Genser D, Eyer F. The use of activated charcoal to treat intoxications. Dtsch Arztebl Int 2019; 116:311–7. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0311 DOI
  6. atd arznei-telegramm. Wirkstoff: Flumazenil. Stand 20.10.2017(Letzter Zugriff am 03.08.2022). www.arznei-telegramm.de
  7. Weinbroum AA, Flaishon R, Sorkine P, Szold O, Rudick V. A risk-benefit assessment of flumazenil in the management of benzodiazepine overdose. Drug Safety 1997; 17: 181 - 96. PubMed

Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk. Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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