Zusammenfassung
- Definition:Eine respiratorische Azidose ist gekennzeichnet durch den Abfall des pH-Wertes bei primärem Anstieg des CO2-Partialdrucks. Abhängig von der Grunderkrankung kann sie akut auftreten oder chronisch vorliegen.
- Häufigkeit: Chronische respiratorische Azidose ist am häufigsten bei Patienten mit schwerer chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD).
- Symptome: Bei akuter respiratorischer Azidose Dyspnoe, Kopfschmerzen, Verwirrtheit; bei chronischer Azidose Leistungsminderung, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen.
- Befunde: Flache Atmung, motorische Unruhe, Herzrhythmusstörungen, Papillenödem.
- Diagnostik: Arterielle Blutgasanalyse: pH-Wert ≤ 7,35, pCO2 > 45 mmHg. Bei akuter Azidose nur geringe Erhöhung des Bikarbonats, bei chronischer Azidose Bikarbonat kompensatorisch erhöht.
- Therapie: Behandlung der Grunderkrankung. Nichtinvasive Beatmung, ggf. auch Intubation und mechanische Beatmung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Abfall des pH-Wertes durch Anstieg des CO2-Partialdrucks (pCO2) aufgrund einer im Verhältnis zur Produktion zu geringen Abatmung von CO21
- Konstellation der respiratorischen Azidose in der Blutgasanalyse: pH-Wert ≤ 7,35, pCO2 > 45 mmHg
- Respiratorische Störungen sind durch primäre Veränderungen des CO2-Partialdrucks gekennzeichnet, metabolische Störungen durch primäre Veränderungen der Bikarbonatkonzentration.2
Häufigkeit
- Eine chronische respiratorische Azidose ist am häufigsten bei Patienten mit schwerer COPD.
Ätiologie und Pathogenese
- Eine respiratorische Azidose wird durch eine alveoläre Hypoventilation ausgelöst.
- Hypoventilation kann auftreten bei:3
- vermindertem Atemantrieb
- gesteigertem Atemantrieb ohne ausreichende Leistung der Atemmuskulatur.
- Ätiologisch kommt eine Reihe von Störungen und Erkrankungen in Betracht.3-5
- zentralnervöse Störungen, z. B.:
- Intoxikation
- Medikamente
- Trauma
- Entzündung
- zentrale Schlafapnoe.
- neuromuskuläre Erkrankungen, z. B.:
- amyotrophe Lateralsklerose
- Guillain-Barré-Syndrom
- Myasthenia gravis
- muskuläre Dystrophien
- Zwerchfellparalyse.
- Erkrankungen der Brustwand, z. B.:
- Kyphoskoliose
- Spondylitiden
- Pectus excavatum.
- konstitutionelle Störungen
- Obesitas-Hypoventilationssyndrom
- Erkrankungen von Atemwegen und Lungen, z. B.:
- Herzerkrankungen, z. B.:
- dekompensierte Herzinsuffizienz.
- zentralnervöse Störungen, z. B.:
Akute respiratorische Azidose
- Entwicklung der respiratorischen Störung in Minuten oder Stunden
- Rascher Anstieg des pCO2
- Parallel rascher Abfall des pH, da die metabolische Kompensation durch Erhöhung des Bikarbonats erst nach ca. 6 Stunden relevant greift.6
Chronische respiratorische Azidose
- Kompensatorischer Anstieg des Bikarbonats zum Ausgleich der Azidose
- Anstieg des Plasmabikarbonats um ca. 0,2–0,25 mmol/l pro 1 mmHg Anstieg des pCO26
- Erreichung eines Steady State 3–4 Tage nach Beginn der Azidose6
- Insgesamt daher nur geringe pH-Erniedrigung
Prädisponierende Faktoren
ICD-10
- E87 Sonstige Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts sowie des Säure-Basen-Gleichgewichts
- E87.2 Azidose
- E87.4 Gemischte Störung des Säure-Basen-Gleichgewichts
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Diagnose beruht auf der arteriellen Blutgasanalyse:
- pH-Wert ≤ 7,35
- pCO2 > 45 mmHg.
Differenzialdiagnosen
- Metabolische Azidose
- Gemischte Störung des Säure-Basen-Gleichgewichts
Anamnese
- Symptome der akuten respiratorischen Azidose beruhen z. T. auf der zerebralen Vasodilatation durch die Hyperkapnie und der sympathoadrenergen Stimulation.6
- Bei chronischer respiratorischer Azidose treten zudem weitere unspezifische Symptome auf:
- Leistungsminderung
- Müdigkeit
- Schlafstörungen
- Konzentrationsstörungen.
- Symptome einer Grunderkrankung
Klinische Untersuchung
- Klinisches Bild entsprechend einer Grunderkrankung
- Mögliche Befunde:
- Tachypnoe/Bradypnoe
- flache Atmung
- Zyanose bei begleitender Hypoxämie
- Tremor, motorische Unruhe
- Myoklonien
- Herzrhythmusstörungen
- Papillenödem.
Diagnostik beim Spezialisten/in der Klinik
Blutgasanalyse
- Für die Beurteilung des Säure-Basen-Haushaltes und die sichere Diagnose einer Hypoventilation wird eine arterielle Blutgasanalyse (BGA) durchgeführt.
- Normwerte der BGA
- pH: 7,36−7,44
- Bikarbonat: 22−26 mmol/l
- pO2: 75−100 mmHg
- pCO2: 35−45 mmHg
- BGA bei respiratorischer Azidose
- pH-Wert ≤ 7,35
- pCO2 > 45 mmHg
- Bikarbonat
- bei akuter respiratorischer Azidose nur gering erhöht
- bei chronischer respiratorischer Azidose kompensatorisch erhöht (sofern nicht gleichzeitig eine metabolische Azidose vorliegt)
Weitere Untersuchungen
- Mögliche weitere Untersuchungen sind abhängig von der vermuteten Grunderkrankung:
- Rö-Thorax
- CT Thorax
- Lungenfunktionstest
- Blutuntersuchung auf Toxine, Medikamente
- MRT Schädel
- Elektrophysiologische Untersuchungen von Nervensystem/Muskulatur
Indikationen zur Überweisung/Krankenhauseinweisung
- Bei akuter respiratorischer Azidose Krankenhauseinweisung
- Bei chronischer respiratorischer Azidose weitere Abklärung durch Spezialisten je nach Grunderkrankung (Pneumologie, Neurologie, Rheumatologie)
Therapie
Therapieziele
- Die Grunderkrankung behandeln.
- Die Ventilation verbessern.
- Ggf. Oxygenierung bei begleitender Hypoxämie
Allgemeines zur Therapie
Beatmungstherapie
- Eine akute respiratorische Azidose erfordert eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmungstherapie.8
- Wenn möglich, sollte zunächst eine nichtinvasive Beatmung (NIV) zur Verbesserung der Ventilation durchgeführt werden.
- Vorteile der nichtinvasiven Beatmung:3
- geringere Komplikationsrate
- kürzere Hospitalisationsdauer
- orale Ernährung möglich
- Kann auch intermittierend durchgeführt werden.
- Ansonsten erfolgt die Intubation und mechanische Beatmungstherapie.
- Eine chronische Hypoventilation ist häufig vor allem nachts ausgeprägt, eine nächtliche nichtinvasive Beatmung ist hier anzustreben.
Medikamentöse Therapie
- In Abhängigkeit von einer Grunderkrankung, z. B.:
- inhalative Therapie mit Bronchodilatatoren
- systemische Gabe von Kortikosteroiden
- bei Intoxikationen ggf. Gabe eines Antidots.
Prävention
- Abhängig von der zugrunde liegenden Krankheit
Verlauf, Komplikationen und Prognose
- Verlauf und Prognose sowie die möglichen Komplikationen werden durch die unterschiedlichen Auslöser und Grunderkrankungen bestimmt.
Quellen
Literatur
- Adrogue H, Madias N. Management of life-threatening acid-base disorders. First of two parts. N Engl J Med 1998; 338: 26-34. doi:10.1056/NEJM199801013380106 DOI
- Adrogue H, Gennari F, Galla J, et al. Assessing acid–base disorders. Kidney International 2009; 76:1239–1247. doi:10.1038/ki.2009.359 DOI
- Bloch K, Russi W. Störungen der Ventilation. Schweiz Med Forum 2003; 3: 73-79. doi:10.4414/smf.2003.04769 DOI
- Brown L. Hypoventilation syndromes. Clin Chest Med 2010; 31: 249-270. doi:10.1016/j.ccm.2010.03.002 DOI
- Byrd R. Respiratory acidosis. Medscape, last updated Feb 27, 2019. Zugriff 29.03.19. emedicine.medscape.com
- de Torrenté A, Krapf R. Azidosen: Akut und chronisch, respiratorisch und metabolisch. Schweiz Med Forum 2004; 4: 707-712. doi:10.4414/smf.2004.05250 DOI
- Bruno C, Valenti M. Acid-Base Disorders in Patients with Chronic Obstructive Pulmonary Disease: A Pathophysiological Review. J Biomed Biotechnol 2012; 2012: 915150. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Epstein S, Singh N. Respiratory acidosis. Respir Care 2001; 46: 366-383. pmid:11262556 PubMed
Autoren
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
- Johan Hulting, docent och överläkare, MIVA, Södersjukhuset, Stockholm
- Lars S. Rasmussen, overlæge, Anæstesi- og Operationsklinikken, Rigshospitalet