Hypogonadismus bei Männern

Zusammenfassung

  • Definition:Der Hypogonadismus des Mannes ist eine endokrine Funktionsstörung und führt zu einem Testosteronmangel.
  • Häufigkeit:Kommt selten bei Kindern vor, häufiger bei Erwachsenen.
  • Symptome:Im Kindesalter: Verspätete oder ausbleibende Pubertät. Bei Erwachsenen: Hitzewallungen, sexuelle Dysfunktion, depressive Stimmung, Müdigkeit, Flush, kognitive Defizite.
  • Befunde:Pubertas tarda: Fehlender Bartwuchs, hohe Stimmlage, ausgeprägtes Längenwachstum der Gliedmaßen, Gynäkomastie, kleine Genitalien. Bei Erwachsenen: abdominelle Adipositas, reduzierte Muskelkraft und -masse sowie Knochendichte, Anämie, reduzierter Allgemeinzustand, Verlust von Körperbehaarung.
  • Diagnostik:Erfolgt zunächst auf Grundlage von Anamnese und körperlicher Untersuchung. Empfohlene Laboruntersuchungen sind Testosteron, ggf. SHBG, FSH, LH, ggf. weitere endokrinologische Tests. Suche nach den zugrunde liegenden Ursachen wie chronische Erkrankungen oder Gendefekte sowie nach Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Osteoporose.
  • Therapie:Bei Pubertas tarda oder klinisch relevantem Hypogonadismus im Erwachsenenalter: Testosteronersatztherapie. Bei Hypogonadismus-bedingter Infertilität: Gonadotropine. Bei physiologischem Hypogonadismus im Alter: Körperliche Aktivität und ggf. Gewichtsreduktion als primäre Maßnahmen. Bei Testosteronmangel-bedingten Symptomen wie Rückgang von Muskelmasse und -kraft, Osteoporose und sexueller Dysfunktion: ggf. Testosteronbehandlung unter Beachtung der Risiken und Kontraindikationen.

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Artikel auf diesen Referenzen.1-3

Definition

  • Der Hypogonadismus des Mannes ist eine endokrine Funktionsstörung und führt zu einem Testosteronmangel.
  • Eine einfache Einteilung der Hypogonadismus-Formen erfolgt nach endokrinologischem Muster.
    • Der primäre Hypogonadismus entsteht durch eine Störung der Testosteronproduktion der Hoden.
      • Die Releasinghormone sind kompensatorisch erhöht (hypergonadotroper Hypogonadismus).
    • Der sekundäre Hypogonadismus wird durch eine Störung der hypophysären Releasinghormone verursacht (hypogonadotroper Hypogonadismus).
    • Der tertiäre Hypogonadismus entsteht durch eine Störung des Hypothalamus.
  • Nach Zeitpunkt des Auftretens
    • Pubertas tarda liegt vor,
      • wenn beim sonst gesunden Jungen jenseits eines chronologischen Alters von 13,5 (14) Jahren noch keine Pubertätszeichen vorhanden sind – oder –
      • wenn der Zeitbedarf für das Durchlaufen der Pubertät von den ersten Zeichen bis zum Erreichen eines Tanner-Stadiums P5 G5 mehr als 5,0 (5,5) Jahre beträgt – oder –
      • wenn eine begonnene Pubertätsentwicklung länger als 18 Monate stillsteht.
    • postpubertärer Hypogonadismus
      • Auftreten der ersten Symptome im Erwachsenenalter
    • Altershypogonadismus (Late-Onset-Hypogonadismus)
    • altersassoziiertes Testosteronmangel-Syndrom (Testosterone Deficiency Syndrome, TDS)
      • mit fortschreitendem Alter zunehmendes Syndrom, gekennzeichnet durch Testosteronwerte unter der Untergrenze für gesunde junge Männer, begleitet von Testosteronmangelsymptomen
      • Kann mit einer signifikanten Verschlechterung der Lebensqualität einhergehen und die Funktion zahlreicher Organsysteme negativ beeinflussen.

Klinisches Bild

Pubertas tarda

  • Bei angeborenem Testosteronmangel bleibt in der Regel die normale Pubertätsentwicklung aus.

Im Erwachsenenalter

  • Starke Hinweise auf Testosteronmangel
    • verminderte Libido
    • Verlust spontaner morgendlicher Erektionen
  • Möglicher Hinweis auf Testosteronmangel
    • erektile Dysfunktion (andere mögliche Ursachen beachten, z. B. psychisch, vaskulär oder neurologisch)
  • Weitere häufige Hinweise
    • Gynäkomastie, häufiger bei primärem Hypogonadismus (festes Duktalgewebe, überwiegend subareolär. DD Lipomastie bei adipösen Patienten)
    • Infertilität (häufig, Diagnosesicherung in drei Spermaanalysen, Spermafruktose bestimmen, um obstruktive Azoospermie auszuschließen)
  • Seltenere Hinweise
    • Galaktorrhö (starker Hinweis auf Hyperprolaktinämie)
    • Kleine Hoden: Sehr kleine (< 5 ml) oder schrumpfende Hoden zeigen einen Testosteronmangel an.
    • spontan oder durch Bagatelltrauma ausgelöste Frakturen, Abnahme der Körpergröße durch spinale Kompressionsfrakturen (Osteoporose bei lang bestehendem Hypogonadismus)
  • Hinweis auf intra- oder paraselläre Raumforderung (mögliche Ursache für sekundären Hypogonadismus)
    • bitemporale Hemianopsie
  • Hinweis auf bestimmte genetische Formen des zentralen Hypogonadismus, z. B. Kallmannsyndrom:

Folgen eines Hypogonadismus vor der Pubertät

  • Mikropenis
  • Verminderte Hyperpigmentierung und Faltenbildung (Rugae) des Skrotums
  • Auffällige Proportionen
    • Armspanne mehr als 2 cm über der Körpergröße (hypogonadismusbedingt verzögerter Schluss der Epiphysenfugen)

Unspezifische Begleitsymptome

  • Häufig Müdigkeit, Fatigue
  • Seltener
    • verminderte Muskelmasse (Sarkopenie) und -kraft
    • axillärer und pubischer Haarausfall
    • fehlender Bartwuchs
    • niedrig liegende Stirn-Haar-Grenze
    • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
    • Depressivität, Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit
    • Schlafstörungen
    • Hitzewallungen, Flush (bei schwerem Hypogonadismus auch als Ursache für Schlafstörungen), evtl. im Wechsel mit Frieren
    • Gewichtszunahme: Adipositas kann über die vermehrte Ausschüttung von Östrogenen die Hypothalamus-Hypophysenachse supprimieren und dadurch einen Hypogonadismus verursachen; evtl. Symptome von Insulinresistenz und Diabetes mellitus.
    • große Statur mit eunuchoiden Proportionen (s. o.)
    • dünne Haut mit vermehrter Fältelung, besonders im Gesicht

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Je nach Definition und Studienpopulation liegt die weltweite Prävalenz des Testosteronmangels bei 10–40 %.
  • Längsschnittstudien an gesunden Männern über 40 Jahren zeigen eine mit dem Alter zunehmende Prävalenz (von ca. 2 % in der Altersgruppe 40‒49 Jahre bis zu 34 % in der Altersgruppe 70‒79 Jahre).
  • In Studien an Männern mit Erektionsstörung wurde ein Hypogonadismus bei 4 bzw. 10 % der Patienten unter bzw. über 50 Jahren festgestellt.

Ätiologie und Pathogenese

Pathophysiologie 

  • Ein Testosteronmangel kann entstehen durch eine Störung der Produktion im Hoden oder durch eine Störung im Bereich der Hypophyse oder des Hypothalamus.
  • Bei älteren Männern wird ein Hypogonadismus häufig als Teil der normalen Alterung beobachtet. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt die Testosteronproduktion langsam ab.

Primärer Hypogonadismus

  • Testosteronproduktion im Hoden gestört. Das führt reaktiv zur Steigerung der Gonadotropin(LH und FSH)-Ausschüttung der Hypophyse.
  • Erworbene Ursachen
    • Infektionen
      • meist Orchitis aufgrund einer Mumpserkrankung (die Spermatogenese ist in der Regel stärker betroffen als die Androgenproduktion)
      • seltener andere Infektionen wie Masern oder HIV
    • Tumoren
    • Traumata, z. B. Hodentorsion
    • Strahlenexposition, z. B. im Rahmen einer Strahlenbehandlung
    • Toxine
      • Umweltgifte, z. B. Schwermetalle, Pestizide
      • Medikamente (Ketoconazol, Glukokortikoide, Alkylanzien wie Cyclophosphamid oder Chlorambucil)
      • exzessiver Alkoholkonsum
    • Autoimmunerkrankung, z. B. Autoimmunorchitis
    • Varikozele
      • Führt nur selten zu Hypogonadismus, kann aber über eine Erhöhung der Temperatur und Akkumulation von Gewebsmetaboliten einer Schädigung des Hodens Vorschub leisten.
  • Angeborene Ursachen
    • Klinefelter-Syndrom: 47, XXY oder andere, weniger häufige Chromosomenanomalien
    • Noonan-Syndrom: normaler Karyotyp, phänotyisch dem Turner-Syndrom ähnlich
    • mutationsbedingte Funktionsstörung der LH- und FSH-Rezeptoren
    • Kryptorchismus
    • myotone Dystrophie (siehe Artikel Erbliche Muskelerkrankungen)
  • Idiopathisch

Sekundärer Hypogonadismus

  • Ein sekundärer Hypogonadismus wird verursacht durch eine fehlende Stimulierung der Hoden aufgrund einer eingeschränkten Hypothalamus-Hypophysen-Funktion, was zu einem niedrigen Testosteronspiegel sowie niedrigen Gonadotropinspiegeln führt.
  • Erworbene Ursachen
  • Angeborene Ursachen
  • Isolierter hypogonadotroper Hypogonadismus (genetisch bedingte Störung der GnRH-Sekretion)
    • häufigster genetischer Defekt: Kallmann-Syndrom, geht mit Anosmie einher.
  • Prader-Willi-Syndrom
  • Idiopathisch

ICPC-2

  • T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM, Version 20225
    • E29 Testikuläre Dysfunktion
      • E29.1 Testikuläre Unterfunktion
      • E29.8 Sonstige testikuläre Dysfunktion
      • E29.9 Testikuläre Dysfunktion, nicht näher bezeichnet
    • E23.0 Hypopituitarismus
    • E23.1 Arzneimittelinduzierter Hypopituitarismus
    • E23.3 Hypothalamische Dysfunktion, anderenorts nicht klassifiziert
    • E23.6 Sonstige Störungen der Hypophyse
    • E23.7 Störung der Hypophyse, nicht näher bezeichnet
    • E30.0 Verzögerte Pubertät (Pubertas tarda)

Diagnostik

  • Zur Diagnostik des Hypogonadismus bei Kindern und Jugendlichen siehe Artikel Pubertas tarda.

Leitlinie: Diagnostik des Hypogonadismus bei Männern1

  • Screening
    • Ein Screening auf Testosteronmangel wird nur empfohlen bei erwachsenen Männern mit mehreren und persistierenden Anzeichen und Symptomen (III/C) für einen Androgenmangel (siehe Abschnitt Klinisches Bild).
    • Junge Männer mit testikulärer Dysfunktion und Männer über 50 Jahre mit niedrigem Testosteron sollten zusätzlich auf Osteoporose gescreent werden ( II/B).
  • Das Gesamt-Testosteron sollte bei mindestens zwei Gelegenheiten mit einer verlässlichen Methode bestimmt werden. Zusätzlich soll der freie Testosteronspiegel bestimmt werden bei:
    • Männern mit Gesamt-Testosteronspiegeln nahe dem unteren Normbereich (8–12 nmol/l)
    • vermuteten oder bekannten anomalen SHBG-Spiegeln.
  • Die Testosteronbestimmung wird empfohlen bei Männern mit einer Erkrankung oder Behandlung, bei der ein Testosteronmangel typisch ist und eine Behandlung indiziert sein könnte (siehe Abschnitt Ätiologie und Pathogenese).
  • Die LH-Serumspiegel sollen analysiert werden, um zwischen primärem, sekundärem und Late-onset-Hypogonadismus zu differenzieren.

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose Hypogonadismus wird auf der Grundlage von Anamnese, klinischer Untersuchung (Symptome eines Androgenmangels) und Labortests gestellt.
  • Primärer Hypogonadismus
    • Wenn Serumtestosteron niedrig und gleichzeitig LH und FSH erhöht sind.
  • Sekundärer Hypogonadismus
    • niedriger Testosteronspiegel und variable Gonadotropin-Spiegel
  • Bei pathologischen Werten werden weitere Parameter ermittelt: SHBG, Prolaktin, TSH. Relevante Systemerkrankungen werden durch Bestimmung von Blutbild, CRP, Leberwerten (GGT, AP, GOT, GPT) und Retentionsparameter erfasst.
  • Hinweise für einen Hypogonadismus im Spermiogramm sind ein erniedrigtes Ejakulatvolumen und niedrige bis fehlende Spermatozoen. Die Durchführung eines Spermiogramms ist nur bei jüngeren Männern (mit Kinderwunsch) indiziert und erfolgt bei andrologischen Spezialist*innen.

Differenzialdiagnosen

  • Depression
  • Hypothyreose
  • Diabetes mellitus
  • Konstitutionelle Verzögerung der Pubertät
    • verzögerter Anstieg der pulsatilen GnRH-Sekretion und Pubertas tarda
    • autosomal-dominantes Vererbungsmuster
    • bei 1 von 40 Männern mit sekundärem Hypogonadismus
  • Androgenresistenz

Anamnese

Präpubertärer Beginn

  • Die Pubertät bleibt aus.
  • Ohne Therapie entwickelt sich ein Hypogonadismus-typischer Körperbau (lange Gliedmaßen).

Postpubertärer Beginn

  • Müdigkeit
  • Eingeschränkte Libido, Impotenz und erektile Dysfunktion sind frühe Anzeichen.
  • Andere Symptome können eine zunehmende abdominelle Adipositas, Gynäkomastie, Kopfschmerzen und je nach Ursache ggf. weitere Symptome sein.
  • Später zeigen sich Symptome wie eine allgemeine Schwäche, reduzierte Muskelkraft und -masse sowie Knochendichte, reduzierte Körperbehaarung, Anämie, Depressionsneigung.

Informationen zu möglichen Ursachen

Klinische Untersuchung

Präpubertär (Pubertas tarda)

  • Im jungen Alter entwickelt sich ein Hypogonadismus-typischer Körperbau, die Manifestation des Klinefelter-Syndroms ist allerdings variabel.
    • fehlender Bartwuchs
    • hohe Stimmlage
    • ausgeprägtes Längenwachstum der Gliedmaßen
    • Gynäkomastie in ca. 85 % der Fälle
    • kleine Geschlechtsteile
      • Bei Kindern sind die Hoden normal ausgebildet, in der Jugend sind die Hoden kleiner, fester und unsensibler als normal.

Postpubertär

  • Bei älteren Männern (Late-Onset-Hypogonadismus) bis zu einem gewissen Maß physiologisch
    • Hitzewallungen oder Frösteln
    • abdominelle Adipositas (Taillenumfang > 102 cm)
    • erektile Dysfunktion, Verlust der Libido
    • Erschöpfung, verminderte Muskelkraft, Muskel- und Gelenkschmerzen
    • Schlafstörungen
    • Prädisposition für Lungenerkrankungen (z. B. chronische Bronchitis, Bronchieektasie, Lungenemphysem), Krebserkrankungen (z. B. Keimzelltumoren, Brustkrebs, Lymphome), chronisch-venöse Insuffizienz oder disseminierten Lupus erythematodes.6
  • Vor Beginn einer Testosteronersatztherapie sollte eine digital-rektale Untersuchung der Prostata erfolgen.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Basislabor

  • Glukose
  • BB, Hb
  • BSG
  • GOTGPTGGTAP
  • Kreatinin
  • Gesamt-Eiweiß, IgA
  • Urinstatus
  • PSA
    • Eine evtl. Testosteronbehandlung ist bei fortgeschrittenem Prostatakrebs kontraindiziert.
    • Bei chirurgisch behandeltem lokal begrenztem Prostatakarzinom ohne aktive Erkrankung kann die Testosteronbehandlung bei entsprechender Indikation in Betracht gezogen werden.

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Die Diagnostik und Therapie einer Pubertas tarda erfolgt bei Pädiater*innen mit Zusatzweiterbildung „Pädiatrische Endokrinologe und Diabetologie“.
    • ggf. ergänzt durch psychotherapeutische Unterstützung
  • Besonders bei sexuellen Funktionsstörungen oder unerfülltem Kinderwunsch ist die Diagnostik bei andrologisch spezialisierten Kolleg*innen ratsam.
  • Bei Patienten mit primärem Hypogonadismus kann eine Chromosomenanalyse nach entsprechender genetischer Beratung indiziert sein.

Hormonanalysen

  •  Testosteron und SHBG
    • Da der Testosteronspiegel Schwankungen unterliegt, sind mehrfache Messungen erforderlich.
    • Das Serumtestosteron sollte morgens zwischen 8.00 und 11.00 Uhr nüchtern gemessen werden. Zu diesem Zeitpunkt ist die Konzentration am höchsten und stabilsten.
    • Als unterer Normbereich gelten Serum-Gesamttestosteron-Werte von 8–12 nmol/l.
      • Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung legen es nach Einschätzung der Leitlinienkommission der European Association of Urology nahe, die untere Grenze des Serum-Gesamttestosteron-Referenzbereichs bei 12,1 nmol/l festzulegen.
    • Der Testosteronwert sollte immer zusammen mit dem SHBG-Spiegel beurteilt werden.
  • LH und FSH
    • Normales oder erhöhtes LH/FSH deutet auf eine primäre, testikuläre Ursache hin.
    • Niedriges LH/FSH weist auf eine sekundäre hypophysäre oder hypothalamische Ursache hin.
  • Weitere Hormone
    • Evtl. ist die Bestimmung von Prolaktin, Wachstumshormonen, TSH, freiem T4 und in Einzelfällen des Kortisolspiegels sinnvoll.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf primären Hypogonadismus sollte immer an ein spezialisiertes Zentrum (Endokrinologie, Andrologie) überwiesen werden.

Therapie

Leitlinie: Testosteronbehandlung des Hypogonadismus bei Männern1

Therapieziele

  • Entwicklung eines Hypogonadismus-typischen Körperbaus verhindern.
  • Behandlung von Hypogonadismus-Symptomen (u. a. Infertilität) im Erwachsenenalter

Allgemeines zur Therapie

  • Für eine ausführlichere Darstellung siehe Artikel Testosteronbehandlung.
  • Darreichungsformen
    • oral
    • i. m. als Depot oder als kurz wirksame Form
    • transdermal (Pflaster oder Gel)
    • sublingual oder bukkal
    • subdermal zu implantiertendes Depot
  • Der altersbedingte Hypogonadismus wird primär durch eine Veränderung des Lebensstils behandelt.
    • Vermehrte physische Aktivität und Gewichtsreduktion sind die ersten Schritte. Durch diese Maßnahmen kann der Testosteronspiegel schon deutlich erhöht werden.

Medikamentöse Therapie

  • Primäre Gonadeninsuffizienz
    • Androgen-Substitution, vorzugsweise durch i. m. Injektion von Testosteron
  • Sekundäre Gonadeninsuffizienz
    • Androgene oder Gonadotropine, falls das Behandlungsziel die Wiederherstellung der Fertilität ist.
    • Um die Fertilität wieder zu erlangen, ist es nötig, Gonadotropine über einen längeren Zeitraum zu verabreichen.

Testosteronbehandlung

  • Indikationen siehe Leitlinienkasten Testosteronbehandlung des Hypogonadismus bei Männern
  • Mögliche Effekte7
    • Studien deuten darauf hin, dass die Sexualfunktion bei Männern mit klinischer Symptomatik und Testosteronwerten < 9,5 mmol/l durch eine Testosteronbehandlung leicht verbessert werden kann.8
    • metabolische Veränderungen
      • in Beobachtungsstudien vorläufige Hinweise auf Reduktion von BMI und Taillenumfang sowie Verbesserung des Lipidprofils
    • Effekte auf andere Symptome des Testosteronmangels wie kardiovaskuläres Risiko oder kognitive Störungen9 konnten bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, bei insgesamt unzureichender Datenlage.
  • Dosierungsbeispiele
    • Testosterongel
      • 50 mg/d als Startdosis
      • Je nach Serumtestosteron und klinischen Symptomen wird die Dosis titriert.
    • Langzeittherapie mit Testosteronundecanoat i. m.
      • 1.000 mg alle 12–20 Wochen
      • Am Ende des Behandlungsintervalls wird das Testosteron gemessen. Zielwert im unteren Drittel des Normalbereichs.

Potenzielle Risikofaktoren bei einer Testosterontherapie

  • Prostatakarzinom
    • Testosteron ist bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom kontraindiziert.
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen10-13
    • Hinweise aus Studien, in denen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse einschließlich venöser Thrombembolien unter der Testosteronsubstitution erhöht war, konnten in einer Vielzahl von Folgestudien nicht repliziert werden.
    • Viele Studien sprechen dafür, dass eine Testosteronsubstitution bei Männern mit Hypogonadismus eher kardioprotektive Effekte entfaltet.
    • Für eine abschließende Bewertung der kardiovaskulären Sicherheit der Testosteronbehandlung fehlen aber nach wie vor Langzeitstudien (Stand August 2022).
  • Polyzythämie
    • 3–18 % der Patienten entwickeln bei transdermaler Verabreichung eine Polyzythämie (erhöhter Hämotokrit).
    • Bis zu 40 % der Patienten entwickeln bei i. m. Injektionen eine Polyzythämie.
  • Flüssigkeitsretention
    • nicht signifikant
  • Benigne Prostatahyperplasie
    • nicht signifikant
  • Gynäkomastie
    • selten, normalerweise reversibel
  • Hautreaktionen
    • hohe Inzidenz bei Pflastern (bis 60 %), niedrige Inzidenz bei Gelen (5 %), selten bei Injektionen
  • Hodenatrophie oder Infertilität
    • häufig, vor allem bei jungen Männern
    • Ist normalerweise bei Beendigung der Behandlung reversibel.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Prognose

  • Bei sekundärem Hypogonadismus hängt die Prognose von der Ursache ab.

Verlaufskontrolle

  • Kontrolluntersuchungen 3, 6 und 12 Monate nach Beginn der Testosteronersatztherapie, danach jährlich:
    • klinischer Status, Reaktion auf die Behandlung
      • Die Behandlung sollte abgesetzt werden, wenn nicht innerhalb einer angemessenen Zeit eine Besserung der klinischen Symptomatik beobachtet wird.
      • 3–6 Monate ist ein angemessener Zeitraum für eine Verbesserung der Libido und der Sexualfunktionen, der Muskelfunktion und einer Verminderung des Körperfetts; eine Verbesserung der Knochendichte benötigt einen längeren Zeitraum.
    • Testosteron und SHBG, Hb, HktGPT und PSA
    • digital-rektale Untersuchung der Prostata
    • bei Männern mit anomaler Knochenmineraldichte: Kontrollen 6 und 12 Monate nach Therapiebeginn und danach jährlich
  • Männer mit kardiovaskulärer Komorbidität sollten vor Therapieeinleitung durch Kardiolog*innen beurteilt und unter der Testosteronersatztherapie eng kardiovaskulär überwacht werden.
  • Näheres siehe Artikel Testosteronbehandlung.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED). Pubertas tarda und Hypogonadismus. AWMF-Leitlinie Nr. 174-022. S1, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Dohle GR, Arver S, Bettocchi C et al. Leitlinie Männlicher Hypogonadismus. J Reproduktionsmed Endokrinol 2019; 17: 66–85. www.kup.at
  2. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED). Pubertas tarda und Hypogonadismus. AWMF-Leitlinie Nr. 174-022. S1, Stand 2021. www.awmf.org
  3. Welliver C. Hypogonadism in men. BMJ Best Practice. Last reviewed: 16 Jul 2022; last updated: 01 May 2018. bestpractice.bmj.com
  4. Anaissie J, DeLay KJ, Wang W, Hatzichristodoulou G, Hellstrom WJ. Testosterone deficiency in adults and corresponding treatment patterns across the globe. Transl Androl Urol 2017; 6: 183-191. PMID: 28540225 PubMed
  5. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2022. Stand 17.09.2021; letzter Zugriff 29.08.2022 www.dimdi.de
  6. Xu C, Marino L, Pitteloud N. Hypogonadismus beim Mann. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015; 15: 218-24. www.medicalforum.ch
  7. Corona G, Rastrelli G, Morgentaler A, et al. Meta-analysis of Results of Testosterone Therapy on Sexual Function Based on International Index of Erectile Function Scores. Eur Urol 2017. pmid:28434676 www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Snyder PJ, Bhasin S, Cunningham GR, et al. Effects of testosterone treatment in older men. N Engl J Med 2016; 374: 611. pmid:26886521 PubMed
  9. Resnick SM, Matsumoto AM, Stephens-Shields AJ, et al. Testosterone treatment and cognitive function in older men with low testosterone and age-associated memory impairment. JAMA 2017; 317(7): 717-727. doi:10.1001/jama.2016.21044 DOI
  10. Budoff MJ, Ellenberg SS, Cora EL, et al. Testosterone treatment and coronary artery plaque volume in older men with low testosterone. JAMA 2017; 317(7): 708-716. doi:doi:10.1001/jama.2016.21043 DOI
  11. Vigen R, O’Donnell CI, Barón AE, et al. Association of testosterone therapy with mortality, myocardial infarction, and stroke in men with low testosterone levels. JAMA 2013; 310: 1829-36. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC). European Medicines Agency. PRAC review does not confirm increase in heart problems with testosterone medicines. 10/10/2014 www.ema.europa.eu
  13. Walker RF, Zakai NA, MacLehose RF, et al. Association of Testosterone Therapy With Risk of Venous Thromboembolism Among Men With and Without Hypogonadism. JAMA Intern Med 2019. pmid:31710339. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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