Zusammenfassung
- Definition:Unterfunktion der Schilddrüse, bei manifester Hypothyreose mit erniedrigten peripheren Schilddrüsenhormonen.
- Häufigkeit:Prävalenz in Deutschland 0,9 %, Frauen deutlich häufiger betroffen.
- Symptome:Die Symptome sind zu Beginn vage und diffus, werden im weiteren Verlauf jedoch charakteristischer und umfassen Müdigkeit, Kälteintoleranz, Trägheit, Obstipation und trockenes und dünnes Haar.
- Befunde:Im frühen Stadium liegen kaum klinische Befunde vor. Später können eine psychomotorische Trägheit, trockene Haut, trockenes Haar, verlangsamte Reflexe und Bradykardie festgestellt werden.
- Diagnostik:Laborchemische Diagnosestellung durch Bestimmung von TSH und FT4.
- Therapie:Bei manifester Hypothyreose (FT4 erniedrigt) oder TSH-Wert > 10 mU/l Hormon-Substitution mit Levothyroxin empfohlen.
Allgemeine Informationen
Definition
- Subklinische (latente) Hypothyreose: TSH-Wert-Erhöhung bei normwertigen peripheren Schilddrüsenhormonwerten1
- Manifeste Hypothyreose: zudem periphere Schilddrüsenhormonwerte erniedrigt1
- Das klinische Spektrum ist breit und reicht von asymptomatischen Patient*innen bis hin zu lebensbedrohlichen Fällen mit Myxödemkoma (sehr selten).
- Kretinismus
- Syndrom, das durch mentale Retardierung, Taubheit, Kleinwuchs und typische Gesichtsdeformierungen gekennzeichnet ist, und das bei Kindern mit unbehandelter angeborener Hypothyreose auftritt.2
- In Deutschland kaum noch existent, da beim Neugeborenen-Screening eine TSH-Bestimmung erfolgt.
Einteilung
- Primär (thyreogen)
- Schädigung der Schilddrüse führt zu erniedrigter Hormonkonzentration.
- Häufige Ursachen sind Autoimmunthyreoitiden (M. Hashimoto) oder iatrogen bedingt, z. B. operative Eingriffe an der Schilddrüse, Strahlentherapie oder Radiojodtherapie.3-4
- Der primäre Typ macht etwa 99 % der Fälle aus.1
- Sekundär (hypophysär)
- Hierbei liegt aufgrund einer Erkrankung der Hypophyse (z. B. Tumor, Trauma) eine Hypophyseninsuffizienz vor: Mangel an TSH.
- Die Patient*innen zeigen häufig eine Insuffizienz mehrerer Hypophysenachsen.
- Tertiär (hypothalamisch)
- Dabei liegt aufgrund einer Hirnerkrankung oder evtl. eines Strahlenschadens eine Insuffizienz des Hypothalamus vor: Mangel an TRH.
- Zentral
- Der sekundäre und der tertiäre Typ werden auch als zentrale Hypothyreose bezeichnet und machen < 1 % der Hypothyreosen aus.1
Häufigkeit
- Medikamentös behandelte Hypothyreose
- In Deutschland bei 0,9 % der Bevölkerung 5
- Frauen etwa 4- bis 5-mal so häufig betroffen wie Männer.
- In Deutschland bei 0,9 % der Bevölkerung 5
- Angeborene Hypothyreose
- Inzidenz etwa 1:5.000 Neugeborene2
- Subklinische (latente) Hypothyreose
- Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung 3–10 %6
- Frauen sind häufiger als Männer betroffen, Ältere häufiger als Jüngere.
- Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung 3–10 %6
Ätiologie und Pathogenese
Angeborene Hypothyreose
- Es liegt eine Agenesie oder Dysgenesie der Schilddrüse und eine gestörte Biosynthese der Schilddrüsenhormone vor.7-8
- Die häufigste Ursache ist ein Jodmangel während der Schwangerschaft.9
- Temporäre (vorübergehende) primäre Hypothyreose10
- Diese kann bei einer subakuten oder postpartalen Thyreoiditis beobachtet werden.
- Die Hypothyreose tritt im Anschluss an eine vorübergehende Hyperthyreose auf und besteht meist 2–8 Wochen, kann in einigen Fällen jedoch auch Monate andauern oder dauerhaft bleiben.
Primäre Hypothyreose
- Häufigste Ursachen
- Autoimmunthyreoiditis (M. Hashimoto)
- häufig bei Personen mit genetischer Prädisposition11-12
- iatrogen
- Radiojodtherapie, z. B. bei Morbus Basedow
- Thyreoidektomie, z. B. bei Schilddrüsenkarzinom
- Strahlentherapie: insbesondere bei Einwirkung des Strahlenfelds in der Nähe der Schilddrüse, z. B. bei einem Lymphom oder einem Mammakarzinom13
- Jodmangel: häufige Ursache für eine Hypothyreose bei Erwachsenen und Kindern in Regionen mit einem zu geringen Jodgehalt in Nahrungsmitteln und Getränken
- Thyreoiditis de Quervain: subakute Thyreoiditis
- Autoimmunthyreoiditis (M. Hashimoto)
- Medikamente
- viele verschiedene Medikamente als mögliche Auslöser: Carbimazol, Propylthiouracil, Amiodaron, Lithium, Interferone, Thalidomid, Rifampicin, Tyrosinkinasehemmer
- Amiodaron-Therapie: Dieses Antiarrhythmikum ruft aufgrund des sehr hohen Jodgehalts des Präparats bei 14–18 % der Patient*innen eine Hypothyreose oder Hyperthyreose hervor.14
- Eine Langzeitbehandlung mit Lithium kann zu einer behandlungsbedürftigen Hypothyreose führen, die mit dem Absetzen des Mittels reversibel ist.
- viele verschiedene Medikamente als mögliche Auslöser: Carbimazol, Propylthiouracil, Amiodaron, Lithium, Interferone, Thalidomid, Rifampicin, Tyrosinkinasehemmer
- Speicherkrankheiten
- Eiseneinlagerung in der Schilddrüse bei Hämochromatose15
- Polyendokrine Autoimmunerkrankungen, z. B. bei Schmidt-Syndrom kombiniertes Auftreten der Hypothyreose mit Diabetes mellitus Typ 1 und M. Addison
- Schwangerschaft oder vorherige durchgemachte postpartale Thyreoiditis
- 2–6 Monate nach der Geburt kann es zu einer Autoimmunthyreoiditis bzw. einer postpartalen Hypothyreose kommen (6–8 % der Entbundenen).16
- Down-Syndrom
Zentrale Hypothyreose
- Hypothalamische oder hypophysäre Läsionen
- nach Strahlentherapie oder Operation
- Sarkoidose, Tumoren, Hämochromatose oder Langerhanszell-Histiozytose
Subklinische (latente) Hypothyreose
- Ursachen wie bei primärer und zentraler Hypothyreose
- Zusätzlich häufiges Auftreten bei inadäquater Substitutionsbehandlung mit Thyroxin bei bekannter Hypothyreose
ICD-10
- E01 Jodmangelbedingte Schilddrüsenkrankheiten und verwandte Zustände
- E02 Subklinische Jodmangel-Hypothyreose
- E03 Sonstige Hypothyreose
- E03.0 Angeborene Hypothyreose mit diffuser Struma
- E03.1 Angeborene Hypothyreose ohne Struma
- E03.2 Hypothyreose durch Arzneimittel oder andere exogene Substanzen
- E03.3 Postinfektiöse Hypothyreose
- E03.4 Atrophie der Schilddrüse (erworben)
- E03.5 Myxödemkoma
- E03.8 Sonstige näher bezeichnete Hypothyreose
- E03.9 Hypothyreose, nicht näher bezeichnet
- inkl. Myxödem
- E89.0 Hypothyreose nach medizinischen Maßnahmen
- Inkl.: Hypothyreose nach Bestrahlung, postoperative Hypothyreose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Bestätigung der Diagnose primär manifeste Hypothyreose erfolgt durch den Nachweis eines erhöhten TSH (> 4,0 mU/l) und eines erniedrigten FT4-Spiegels18
- Bei subklinischer (latenter) Hypothyreose sollte der Anti-TPO-Spiegel bestimmt werden: Differenzialdiagnose einer Hashimoto-Thyreoiditis18
- Zentrale Hypothyreose
Differenzialdiagnosen
- Low-T3-Syndrom
- erniedrigtes FT3 bei normwertigem TSH
- häufig bei intensivmedizinisch behandelten, schwerkranken Patient*innen
- Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen einer Hypothyreose
- Müdigkeit, Antriebsarmut
- Obstipation
- Demenz
- Kortisolmangel (zentral/peripher)
Anamnese
Allgemeines
- Die Hypothyreose kann im frühen Stadium nahezu asymptomatisch sein und entwickelt sich in der Regel nach und nach über lange Zeit.
Allgemeinsymptome
- Gefühl der Erschöpfung und Müdigkeit, Fatigue
- Kälteintoleranz
- Gewichtszunahme, meist nur leicht
- Obstipation
- Allgemeine Trägheit
- Erhöhtes Schlafbedürfnis
Organbezogene Symptome
- Bei den einzelnen Betroffenen können Symptome eines bestimmten Organsystems dominieren (z. B. Menstruationsstörungen).
- Bei unklarer Symptomatik sollte nicht gezögert werden, die Schilddrüsenwerte zu untersuchen.
- Psychische Symptome
- Depression, Teilnahmslosigkeit, Gedächtnisstörungen, Demenz
- Muskulatur und Skelett
- Myalgie, Arthralgie
- fehlendes oder verlangsamtes Wachstum bei Kinder und Jugendlichen
- Haut und Hautanhangsgebilde
- trockene und kühle Haut
- teigig geschwollene Haut (Myxödem durch interstitielle Einlagerung von Glykosaminoglykanen)
- spröde und dünne Nägel
- brüchiges Haar, Haarausfall
- Ausdünnung der lateralen Augenbrauen (Hertoghe-Zeichen)
- Gynäkologisch
- unregelmäßige Menstruation, sekundäre Amenorrhö
- auch Menorrhagie oder Oligomenorrhö möglich
- Herz
- Koronarerkrankung, Bradykardie, Herzinsuffizienz
- Nervensystem
- Neuropathie
- Nervenkompressionssyndrome bei Myxödem
- Schwindel
- Hyporeflexie
- Ohren und Hals
- veränderte Stimme
- Heiserkeit
- Tinnitus
- Magen-Darm-System
- Appetitlosigkeit
- Obstipation
- Blut
- Anämie
- veränderte Thrombozytenfunktion mit einem Bild ähnlich dem Willebrand-Jürgens-Syndrom
- Hyperlipidämie
Zentrale Hypothyreose
- Bei einer zentralen Hypothyreose liegen häufig weniger Symptome vor als bei der primären Hypothyreose.
- Die Schilddrüse kann eine bis zu einem gewissen Grad autonome Funktion zeigen und produziert weiterhin eine gewisse Menge Hormone, auch wenn die TSH-Stimulation entfällt.
- Andere Symptome und Beschwerdebilder, die mit der Grunderkrankung in Zusammenhang stehen, insbesondere Symptome eines Kortisolmangels, sind häufig dominierender.
- Bei einem Hypophysentumor können z. B. folgende Symptome vorliegen:
- Kopfschmerzen
- Gesichtsfeldausfall.
Myxödemkoma
- Weitere Informationen finden Sie im Abschnitt Komplikationen.
Klinische Untersuchung
Voll ausgeprägte primäre Hypothyreose
- Die häufigsten Befunde sind:
- trockene und kühle Haut
- trockenes und sprödes Haar
- spröde und dünne Nägel
- periorbitale Ödeme
- Bradykardie
- Hyporeflexie
- psychomotorische Trägheit
- Struma
Subklinische Hypothyreose
- In der Regel asymptomatisch oder nur mild ausgeprägte Symptomatik
- Evtl. Struma
Ergänzende Untersuchungen
- Bei klinischem Verdacht auf Hypothyreose Bestimmung des TSH-Werts
DEGAM-Leitlinie: Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis18
- Ein TSH-Wert > 4,0 mU/l weist darauf hin, dass die Hypophyse vermehrt aktiv ist, um möglicherweise eine latente oder manifeste Hypothyreose auszugleichen.
- In diesem Fall empfiehlt die DEGAM folgendes Vorgehen zur weiteren Abklärung.
1. Anamnese
- Faktoren mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für Hypothyreose in der Anamnese?
- Schilddrüsenerkrankung, Z. n. Schilddrüsenoperation
- autoimmune Schilddrüsenerkrankung/Hypothyreose bei Verwandten 1. Grades
- Z. n. Radiatio im Kopf-Hals-Bereich, Z. n. Radiojodtherapie bei Hyperthyreose
- psychiatrische Erkrankungen
- Autoimmunerkrankungen
- andere somatische Erkrankungen, z. B. Nebennieren-/Herzinsuffizienz, perniziöse Anämie, KHK
- Dauermedikation mit Amiodaron/Lithium
- Falls ja: Bestimmung FT4
- Falls nein: Ist der TSH-Wert < 10 mU/l?
- nein: Bestimmung FT4
- ja: Wiederholungsmessung TSH-Wert mit erneuter Blutentnahme unter denselben Bedingungen (Uhrzeit, Nahrungsaufnahme, Medikamenteneinnahme)
- TSH-Wert > 4,0 mU/l in Wiederholungsmessung: Bestimmung FT4
- TSH-Wert < 4,0 mU/l in Wiederholungsmessung: keine weitere Diagnostik
2. Ggf. Bestimmung FT4
- FT4 erhöht: Sekundäre Ursachen, Überweisung zur weiterführenden Diagnostik durch Spezialist*in
- FT4 erniedrigt: primär manifeste Hypothyreose
- FT4 normwertig: primär subklinische (latente) Hypothyreose
- Bestimmung TPO-Antikörper
- TPO-Antikörper erhöht nachweisbar: Hashimoto-Thyreoiditis
- TPO-Antikörper nicht nachweisbar: primär subklinische (latente) Hypothyreose
- Bestimmung TPO-Antikörper
3. Sonderfall
- Bei Erstbefund eines TSH-Wertes > 10,0 mU/l oder eines TSH-Wertes > 4,0 mU/l und auffälligen anamnestischen Befunden sollte eine weiterführende Diagnostik eingeleitet werden.
- Den Handlungsalgorithmus als Abbildung finden Sie in der DEGAM-Leitlinie.
FT3
- Das FT3 ist selbst bei ausgeprägter Hypothyreose meist normal und liefert somit bei leichter oder mäßiger Hypothyreose keinerlei zusätzliche Informationen.3
Erniedrigtes/normales TSH und erniedrigtes FT4
- In diesem Fall kann eine zentrale Hypothyreose vorliegen.
- Die Werte können auch auf ein hoch dosiertes Thyreostatikum, Lithium, Amiodaron, Interferon-alpha, Interleukin-2, Glukokortikoide, Dopamin oder Dobutamin zurückzuführen sein.20
Blutentnahme
- Die Blutprobe zur Bestimmung von TSH und FT4 sollte am Morgen genommen werden.
- Probe ohne Arzneimitteleinfluss: Die Patient*innen sollten erst nach der Entnahme der Blutprobe ihre tägliche Thyroxindosis einnehmen18, da das freie Thyroxin innerhalb der ersten 8–9 Stunden nach der Einnahme der Thyroxindosis um 15–20 % ansteigt.
Antikörper
- Häufigste Ursache für Hypothyreose ist eine autoimmune Thyreoiditis (Hashimoto)21
- Bei 90 % der Patient*innen mit Hashimoto-Thyreoiditis finden sich Antikörper gegen die Thyreoperoxidase (Anti-TPO) und bei 70 % gegen das Thyreoglobulin (Anti-TG).22
- Bei latenter Hypothyreose kann einmalig eine Bestimmung der TPO-Antikörper durchgeführt werden, um den Verdacht auf eine Hashimoto-Thyreoiditis zu klären.18
- Bei der Hashimoto-Thyreoiditis besteht ein erhöhtes Risiko für einen Übergang in eine manifeste primäre Hypothyreose.
- Risikoeinschätzung für das Vorliegen von anderen Autoimmunerkrankungen (Assoziation von Thyreoiditis z. B. mit Typ-1-Diabetes)
- Bei manifester Hypothyreose bringt die TPO-AK-Bestimmung für die weiteren hausärztlichen Entscheidungen keinen Zugewinn.18
- Patient*innen, die für ihr eigenes Krankheitsverständnis nach Ursachen ihrer Erkrankung suchen, könnten aber von dem Nachweis oder Ausschluss einer Hashimoto-Thyreoiditis profitieren.
- Zu bedenken ist jedoch, dass dieses Wissen Patient*innen potenziell auch verunsichern kann und die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer somatoformen Störung begünstigen könnte.
Andere Tests
- Bei schwerer Hypothyreose zeigen sich in vielen der üblichen Labortests reversible pathologische Veränderungen.
- Häufig sind das Cholesterin im Serum, die Leberenzyme (Gamma-GT, AP, GOT, GPT), die Kreatinkinase, das Prolaktin und das Homocystein erhöht.
- Das EKG kann eine Niedervoltage und eine Sinusbradykardie zeigen.
Schilddrüsensonografie
- Die Durchführung einer Sonografie ist bei Patient*innen mit erhöhten TSH-Werten verzichtbar.18
- Eine Sonografie kann bei unsicherer Diagnose (verändertes Echomuster) oder einem unsicheren palpatorischen Befund (Schilddrüsenknoten/-karzinom) nützliche Zusatzinformationen liefern.
Schilddrüsenszintigrafie
- Im Rahmen der üblichen Untersuchungen bei Verdacht auf eine Hypothyreose muss nur selten eine Szintigrafie durchgeführt werden.23
Falsch positive Testergebnisse
- Die FT4- und TSH-Werte sind bei schwerer somatischer Erkrankung und schwerer Depression sowie bei über lange Zeit bestehender Unterernährung (z. B. Anorexia nervosa) mit Vorsicht zu betrachten.24-26
- Häufig liegt in diesen Fällen eine zentrale Herunterregulierung der Schilddrüsenfunktion vor.
Screening
- Ein allgemeines Screening auf Hypothyreose wird nicht empfohlen. Es sollten jedoch zielgerichtete Schilddrüsenuntersuchungen bei ausgewählten Gruppen durchgeführt werden.27
- Die ausgewählten Gruppen umfassen u. a. das Screening von Neugeborenen und schwangeren Frauen.
- Bei schwangeren Frauen, die mit Thyroxin behandelt werden, sollte der TSH-Wert herangezogen werden, um zu beurteilen, ob die Substitutionsdosis adäquat ist.
- Der TSH-Referenzbereich ändert sich im Laufe der Schwangerschaft.
Indikationen zur Überweisung an Endokrinolog*in
- Bei Verdacht auf eine zentrale Hypothyreose
- Bei Verdacht auf sekundäre Ursachen (TSH erhöht, FT4 erhöht) 18
- Evtl. bei Verdacht auf eine arzneimittelinduzierte Hypothyreose
- z. B. bei einer Behandlung mit Lithium oder Amiodaron
- Bei erfolgloser Behandlung18
- keine Besserung bzw. Verschlechterung des Zustands während der Behandlung
- TSH trotz einer adäquaten Dosis Levothyroxin weiterhin erhöht
Checkliste zur Überweisung
Hypothyreose
- Zweck der Überweisung
- Bestätigende Diagnostik? Behandlung?
- Anamnese
- Beginn und Dauer
- Symptomatik
- aktuelle Behandlung
- Sonstige relevante Krankheiten? Regelmäßige Medikamente?
- Folgen: beruflich, sozial?
- Klinische Untersuchung
- Anzeichen einer Hypothyreose?
- Palpation der Schilddrüse
- Allgemeinzustand?
- Ergänzende Untersuchungen
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
- Patient*innen mit Myxödemkoma
Therapie
Therapieziele
- Symptomfreiheit
- Euthyreose
- Komplikationen/Folgeerkrankungen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung der primären Hypothyreose wird normalerweise in der Hausarztpraxis mittels Hormonsubstitution durchgeführt.
Indikationen zur Hormonsubstitution
DEGAM-Leitlinie: Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis18
Absolute Indikation
- Bei manifester Hypothyreose sollte immer eine Hormonsubstitution erfolgen.
Relative Indikationen
- Bei latenter Hypothyreose individuelle Entscheidung:
- Asymptomatische Patient*innen mit leicht erhöhtem TSH (≤ 10 mU/l) sollten nicht substituiert werden.
- Therapieeinleitung empfohlen bei:
- TSH > 10 mU/l
- Patientenwunsch nach Aufklärungsgespräch über Vor- und Nachteile der Hormonsubstitution.
Relative Kontraindikationen
- Kardiale Vorerkrankungen wie koronare Herzkrankheit (KHK) oder tachykarde Herzrhythmusstörungen
Medikamentöse Therapie
Ziele
- Bei der Thyroxin-Therapie werden 3 übergeordnete Ziele verfolgt:28-29
- Rückgang und Normalisierung der Symptome des herabgesetzten Stoffwechsels, einschließlich der biologischen und physiologischen Marker
- Normalisierung der Schilddrüsenfunktionswerte (TSH und FT4)
- Vermeidung einer Überbehandlung, insbesondere bei älteren Personen
- Risiko kardialer Nebenwirkungen der Therapie, wie z. B. Tachykardien
- erhöhtes Frakturrisiko bei Patient*innen > 70 Jahre, dosisabhängig vom L-Thyroxin.30
Präparate
- Eine Therapie mit T3-, T3/T4-Kombinationen bzw. natürlichen Schilddrüsenhormonen sollte nicht verordnet werden.18
- Bei Patient*innen mit behandlungsbedürftiger Hypothyreose sollte Levothyroxin substituiert werden.18
Dosierungsempfehlungen der DEGAM18
- Initialdosis bei Patient*innen mit manifester Hypothyreose < 60 Jahre ohne Komorbiditäten
- 1,6 μg/kg Körpergewicht pro Tag
- Initialdosis bei Patient*innen mit manifester Hypothyreose > 60 Jahre und/oder mit kardiovaskulären Erkrankungen
- 25 μg mit Dosisanpassung in Abhängigkeit vom TSH-Wert
- Initialdosis bei Substitution einer latenten Hypothyreose
- 25–50 μg/d Levothyroxin
- Bei älteren (≥ 60 Jahre) und hochbetagten (≥ 85 Jahre) Patient*innen ist – nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Multimorbidität und der damit einhergehenden Polymedikation – zu prüfen, ob eine Levothyroxin-Therapie einen Benefit für die Patient*innen bringt.
- Bei Z. n. vollständiger Schilddrüsenentfernung
- Dosen von 100–150 μg bei Frauen und 125–200 μg bei Männern
- Die Dosisanpassung sollte individuell orientiert an den laborchemisch ermittelten Schilddrüsenwerten und dem subjektiven Wohlbefinden der Patient*innen erfolgen.
Einnahme
- Die Resorption von Levothyroxin ist durch Lebensmittel (z. B. Milch) und andere Medikamente (z. B. Östrogene, Salicylate, Phenytoin) beeinflusst.18
- Einnahme mit Wasser
- zeitlicher Abstand zu Mahlzeit oder anderer Medikamenteneinnahme mindestens 30 Minuten
- regelmäßiger Einnahmezeitpunkt mindestens 30 min vor dem Frühstück oder abends vor dem Schlafengehen
TSH-Verlaufskontrollen und Dosisanpassung laut DEGAM18
- TSH-Verlaufskontrolle 8–12 Wochen nach Therapiebeginn
- Die hierfür notwendige Blutentnahme sollte vor Einnahme der jeweiligen Tagesdosis des Thyroxins erfolgen, jedoch ohne Unterbrechung derselben in den Tagen und Wochen vor der Blutabnahme.
- Dosisanpassung
- TSH < 0,4 mU/l: Dosisreduktion, TSH-Kontrolle nach 8 Wochen
- TSH 0,4–4 mU/l: Dosis beibehalten, TSH-Kontrolle nach 6 Monaten.
- TSH > 4 mU/l: Dosiserhöhung, TSH-Kontrolle nach 8 Wochen
- TSH-Verlaufskontrollen sollten nach etablierter Dosis halbjährlich und schließlich nur noch jährlich durchgeführt werden.
- Bei Fehlen klinischer Symptome und Levothyroxin-Dosen < 125 μg/d ist bei Patient*innen ohne Amiodaron- oder Lithiumtherapie sowie ohne Schwangerschaft nach Stabilisierung eines normalen TSH ein 2-Jahres-Kontrollintervall ausreichend.
- Wenn bei Vorliegen einer latenten Hypothyreose keine Therapie begonnen wurde, kann das TSH nach 6–12 Monaten nochmals kontrolliert werden, um vorübergehende Ursachen (akute Erkrankungen, Medikamente) für einen erhöhten TSH-Spiegel auszuschließen.
Hormonsubstitution währen der Schwangerschaft
- Mitbetreuung durch Spezialist*in empfohlen
- Eine angemessen behandelte Hypothyreose stellt in der Schwangerschaft kein erhöhtes Risiko für Mutter oder Kind dar.
- Die Schwangerschaft sollte geplant werden, sodass für die Patientin bei Beginn der Schwangerschaft eine gute Kontrolle über die Hypothyreose gewährleistet ist.
- Die Thyroxindosis muss im Laufe der Schwangerschaft häufig um mehr als 50 % angehoben werden, wobei die größte Dosiserhöhung in den ersten 24 Wochen notwendig ist.31
- Das TSH sollte engmaschig kontrolliert und die Thyroxindosis rasch angepasst werden.
- Um eine optimale Entwicklung des Kindes zu gewährleisten, sollte der TSH-Spiegel über die gesamte Schwangerschaft hinweg im Normbereich liegen.
- Schwangeren wird in Deutschland eine Supplementation von 100–150 µg Jod/d empfohlen.32
- Bei Schilddrüsenerkrankungen sollten Betroffene vor der Supplementation Rücksprache mit den behandelnden spezialisierten Ärzt*innen halten.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Heute gibt es kaum noch Patient*innen, bei denen über mehrere Jahre eine unbehandelte Hypothyreose besteht. Die Diagnostik ist einfach, und die Schilddrüsenfunktion wird viel häufiger getestet als früher.
- Eine unbehandelte Hypothyreose kann u. a. zu einer Beeinträchtigung der kognitiven Funktion, Depressionen, Demenz, Gewichtszunahme, Obstipation, trockener Haut, Haarausfall, Kälteintoleranz, Heiserkeit, unregelmäßiger Menstruation, Infertilität, Muskelsteifheit und -schmerzen, Bradykardie und Hypercholesterinämie führen.
Komplikationen
Myxödemkoma
- Dabei handelt es sich um eine sehr seltene, lebensbedrohliche Komplikation bei dekompensierter Hypothyreose.
- Typischerweise neurologische oder psychiatrische Auffälligkeiten plus Myxödem und Hypothermie bei bekannter Hypothyreose33
- Intensivmedizinische Therapie notwendig
Kardiovaskuläre Erkrankungen
- Es besteht unter der Substitution mit Schilddrüsenhormonen ein erhöhtes Risiko für kardiale Komplikationen, z. B. Tachykardien.
- Deshalb ist zu Beginn einer Levothyroxin-Behandlung bei Patient*innen mit KHK oder Herzinsuffizienz besondere Vorsicht geboten und die Dosis langsam hochzutitrieren.
- Das Risiko, an einer KHK zu erkranken oder zu versterben, steigt mit zunehmenden TSH-Werten, auch nach Adjustierung für typische KHK-Risiken.18
- Entsprechend kann auch für diese Patientengruppe eine Substitutionstherapie von Nutzen sein.
Myxödem
- Interstitielle Einlagerung von Glykosaminglykanen, vor allem prätibial und periorbital
- Nicht eindrückbare Ödeme
Arzneimittelinteraktionen
- Solange sich Patient*innen in einem hypothyreoten Zustand befinden, zeigen viele Medikamente, z. B. Digitalis, Betablocker, Morphin, Sedativa und andere Psychopharmaka, aufgrund der verlangsamten Metabolisierung in der Leber eine stärkere Wirkung.
- Auch dies kann zur Entstehung eines Myxödemkomas beitragen.
Prognose
- Bei einer behandelten Hypothyreose günstig
- Häufig ist eine lebenslange Substitution notwendig.
- Die Hypothyreose kann jedoch auch nur vorübergehend vorliegen, z. B. bei postpartaler oder subakuter Thyreoiditis.
Angeborene Hypothyreose
- Wird durch das gesetzlich vorgeschriebene Hypothyreose-Screening bei Neugeborenen am 3. Lebenstag aufgedeckt.2
- Wird die Erkrankung nicht erkannt, führt sie zu schwerwiegenden Schädigungen des Zentralnervensystems (Kretinismus).
Verlaufskontrolle
- Siehe Abschnitt TSH-Verlaufskontrollen.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Patienteninformationen der DEGAM
Patientenorganisationen
- Schilddrüsen-Liga Deutschland e. V.: Dachverband der Selbsthilfegruppen für Schilddrüsenkranke und deren Angehörige
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie Nr. 053-046. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Down-Syndrom im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 027-051. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Angeborene primäre Hypothyreose: Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle. AWMF-leitlinie Nr. 027–017. S2k, Stand 2011. www.awmf.org
Literatur
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- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Angeborene primäre Hypothyreose: Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle. AWMF-leitlinie Nr. 027–017, Stand 2011. www.awmf.org
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Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).