Zusammenfassung
- Definition:Chronische Erkrankung, die durch eine Hypersekretion von Wachstumshormon (GH) aus Hypophysenadenomen verursacht wird.
- Häufigkeit:In Deutschland ca. 300 Neuerkrankungen jährlich.
- Symptome:Schleichende Krankheitsentwicklung mit u. a. Vergrößerung der Akren, Veränderungen von Gesichtsschädel und Kiefer, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Schwitzen, Sehstörungen.
- Befunde:Vergröberte Gesichtszüge, Vorstehen des Unterkiefers mit Malokklusion, vergrößerte Hände/Füße, verdickte Haut, Gewichtszunahme, Bluthochdruck.
- Diagnostik:Laborchemisch erhöhter IGF-1-Spiegel, fehlende Suppression von GH im Glukosebelastungstest. Nachweis von Hypophysenadenomen mittels MRT.
- Therapie:Überwiegend operative Therapie durch Resektion des Hypophysenadenoms. Medikamentöse Therapie, falls OP nicht möglich, oder bei unzureichendem Behandlungserfolg. Strahlenbehandlung als Drittlinienoption.
Allgemeine Informationen
Definition
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Chronische Erkrankung, die durch eine Hypersekretion von Wachstumshormon (GH = Growth Hormone) verursacht wird, zumeist aus Hypophysenadenomen.
- Die durch GH stimulierte Überproduktion von Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1) führt zu einer multisystemischen Erkrankung mit zahlreichen klinischen Manifestationen.
Häufigkeit
- Seltene Erkrankung
- Prävalenz
- ca. 5–10.000 Patient*innen in Deutschland2
- Inzidenz
- 270–330 neue Fälle pro Jahr in Deutschland2
- Alter
- mittleres Alter bei Diagnose: 40–45 Jahre3
- Die Diagnose wird allerdings mit im Mittel ca. 7–10 Jahren Verzögerung gestellt.3-4
- Geschlecht
- Frauen zu Männern ca. 1:15
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- Häufigste Ursache (> 95 %) ist ein GH-sezernierendes Hypophysenadenom.1
- GH-sezernierende Adenome machen ca. 8–16 % der hormonaktiven Hypophysenadenome aus.6
- Seltenere Ursachen (insgesamt < 5 %) sind:1
- Überproduktion von GH-releasing Hormone (GH-RH) durch:
- Hypothalamus-Tumor
- Neuroendokrinen Tumor (Lunge, Pankreas).
- ektope GH-Produktion durch abdominalen oder hämatopoetischen Tumor
- hereditäre Erkrankungen
-
- multiple endokrine Neoplasie (MEN) Typ I
- Carney-Komplex
- McCune-Albright Syndrom
- familiäre Akromegalie.
-
- Überproduktion von GH-releasing Hormone (GH-RH) durch:
Pathogenese
- GH ist in der Kindheit für das Längenwachstum verantwortlich, im Erwachsenenalter Abnahme der GH-Sekretion mit erhaltener metabolischer Wirkung (anabole Wirkung auf Protein- und Knochenstoffwechsel, lipolytische Wirkung).7
- Die Vermittlung der GH-Wirkung erfolgt über das Polypeptid IGF-1.8
- ca. 80 % der IGF-1-Synthese in der Leber
- außerdem Synthese in extrahepatischen Geweben (Knochen, Muskel, Nieren)
- IGF-1-Rezeptoren werden ubiquitär exprimiert, sodass umfassende proliferative und metabolische Prozesse durch IGF-1 getriggert werden.8
Klinisches Bild
Zentrale Effekte durch Hypophysenadenom7
- ZNS
- Kopfschmerzen, Visusverlust (bitemporale Hemianopsie), Hirnnervenausfälle (Hirnnerven III, IV, VI)
- Hypophysenfunktion
- gonadotrope Insuffizienz (Oligo-/Amenorrhö, Hitzewallungen, erektile Dysfunktion, Libidoverlust)
- Hyperprolaktinämie (Galaktorrhö)
- thyreotrope und kortikotrope Insuffizienz möglich, aber selten
Periphere Efekte durch GH/IGF-1-Überproduktion7
-
- Hautverdickung, vergrößerte Hände und Füße, vergröberte Gesichtszüge, Nasenvergrößerung, hohe Stirn, verdickte Lippen, Makroglossie, Vertiefung der Stimme, Karpaltunnelsyndrom, Seborrhoe, Hyperhidrose
- Zähne/Kiefer
- Prognathie (Vorstand des Unterkiefers) und Makrognathie (Vergrößerung des Kiefers) mit Malokklusion, vergrößerter Zahnabstand
- Prognathie (Vorstand des Unterkiefers) und Makrognathie (Vergrößerung des Kiefers) mit Malokklusion, vergrößerter Zahnabstand
- Knochen/Gelenke
- Gigantismus in Kindheit (vor Schluss der Epiphysenfugen), keine Veränderung der Körpergröße bei Erwachsenen, Gelenkbeschwerden durch hypertrophe Arthropathie (Knie, Knöchel, Hüfte, Wirbelsäule)
- Organomegalie
- Schilddrüse, Herz, Leber, Lungen, Nieren, Prostata
- Kardiovaskulär
- arterielle Hypertonie, linksventrikuläre Hypertrophie, diastolische Dysfunktion, Arrhythmien, Herzinsuffizienz
- Atemwege
- Gastrointestinal
- Divertikel, Polypen mit möglicherweise erhöhtem Risiko für Kolonkarzinom
- Schilddrüse
- diffuse Struma multinodosa (euthyreot)
- Metabolisch
- Insulinresistenz, Diabetes mellitus, Hypertrigylzeridämie, Hyperkalzurie, Hyperphosphatämie
ICPC-2
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E22 Überfunktion der Hypophyse
- E22.0 Akromegalie und hypophysärer Hochwuchs
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Verdacht auf Akromegalie durch Symptome und klinische Befunde
- Diagnosestellung durch laborchemische Untersuchungen
- IGF-1 im Serum (bei Akromegalie erhöht)
- GH-Suppressionstest durch orale Glukosebelastung (bei Akromegalie GH nicht supprimierbar)
- Tumornachweis durch eine MRT der Hypophysenregion
Differenzialdiagnosen
- Familiär bedingter Hochwuchs
- Konstitutionell vergröberte Akren
Anamnese
- In der Regel langsame Symptomentwicklung mit mehrjähriger Latenz bis zur Diagnosestellung
- Bei ca. 40 % der Patient*innen eher zufällige Diagnose durch behandelnde Ärzt*innen/Zahnärzt*innen oder bei Röntgenuntersuchungen2
- Mögliche Symptome bei Akromegalie:9
- Vergrößerung der Akren (86 %)
- Veränderungen im Bereich des Kiefers und Gesichtsschädels (74 %)
- Hyperhidrose (48 %)
- Gelenkschmerzen (46 %)
- Kopfschmerzen (40 %)
- Symptome eines Hypogonadismus (38 %)
- Sehstörungen (26 %)
- Fatigue (26 %)
- Körpergewichtszunahme (18 %)
- Galaktorrhö (9 %).
Klinische Untersuchung
- Blutdruck
- Gewicht
- Zunahme
- Äußere Erscheinung
- Gesichtszüge: vergröbert, hohe Stirn, verdickte Lippen
- Kiefer, Zahnstellung, Zunge: vorstehender Unterkiefer mit Malokklusion, Zahnlücken, Makroglossie
- Akren: vorstehende Augenbrauen und Wangenknochen, vergrößerte Nase, vergrößerte Finger/Hände und Zehen/Füße
- Haut
- verdickt, Hyperhidrose, Seborrhoe
- Gelenke
- Funktionseinschränkungen
- Augen
- Gesichtsfeldeinschränkung
- Schilddrüse
- vergrößert
- Neurologie
- Psyche
Ergänzende hausärztliche Untersuchungen
Labor
- IGF-1-Bestimmung als Screening-Untersuchung1
- Normwerte (Berücksichtigung altersentsprechender und assaybezogener Grenzbereiche) schließen eine Akromegalie mit hoher Sicherheit aus.9
- erhöhte IGF-I-Konzentrationen physiologischerweise besonders in der Pubertät und während der Schwangerschaft2
- Bei erhöhten IGF-1-Werten Veranlassung eines GH-Suppressionstests durch orale Glukosebelastung9
- Normwerte (Berücksichtigung altersentsprechender und assaybezogener Grenzbereiche) schließen eine Akromegalie mit hoher Sicherheit aus.9
- Glukose, HbA1c
- Gesamtcholesterin, LDL, Triglyzeride
EKG
- Evtl. Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie, Erregungsrückbildungsstörungen (siehe auch Artikel EKG: Checkliste, EKG: Veränderungen von P-Welle, QRS-Komplex und ST-T-Segment)
LZ-EKG
- Nachweis von Arrhythmien
Röntgen Schädel
- Vergrößerung der Sella turcica bei großem Adenom
- Knochenverdickungen
Diagnostik bei Spezialist*innen
Labor
- Oraler Glokosebelastungstest mit 75g Glukose ist Goldstandard für den Nachweis bzw. Ausschluss einer Akromegalie4
- Weitere Laborparameter bei Erstdiagnose eines Hypophysentumors10
MRT
Echokardiografie
- Nachweis einer linksventrikulären Hypertrophie, einer reduzierten linksventrikulären Funktion
Polysomnografie
- Nachweis eines Schlafapnoe-Syndroms
Koloskopie
- Bei Diagnosestellung sollte eine Koloskopie erfolgen.2
- Risiko für kolorektale Polypen und Kolonkarzinome leicht erhöht12
Elektrophysiologische Untersuchung
- Bei V. a. Karpaltunnelsyndrom
Augenärztliche Untersuchung
- Bei Gesichtsfeldausfällen
Zahnärztliche/kieferorthopädische Untersuchung
- Bei Kieferveränderungen, Zahnfehlstellung
Indikationen zur Überweisung
- Bei Krankheitsverdacht
Therapie
Therapieziele
- Therapieziele sind:9
- Kontrolle der autonomen GH-Sekretion und des Hypophysentumorwachstums
- Erhalt der hypophysären Funktion
- Behandlung von Folgeerkrankungen
Allgemeines zur Therapie
- In der Primärdiagnostik werden durch die Hausärzt*innen die Weichen für die nachfolgende interdisziplinäre Versorgung gestellt.10
- Die Therapieplanung sollte dann durch ein in Hypophysenerkrankungen erfahrenes interdisziplinären Team erfolgen.10
- obligat Endokrinologie, (Neuro-)Radiologie, Neurochirurgie
- je nach Tumorgröße oder geplanter Intervention zusätzlich Ophthalmologie, (Neuro-)Pathologie, Strahlentherapie
- Therapeutische Optionen sind:
- Operation (transsphenoidale Adenektomie)
- medikamentöse Therapie
- Strahlentherapie.
Spezielle Therapie
Operation
- Bei den meisten Patient*innen wird eine Adenomresektion als Primärtherapie empfohlen.1
- Die wichtigste Determinante des Operationserfolgs ist die Erfahrung der Neurochirurg*innen.1
- Der Eingriff kann mikrochirurgisch oder endoskopisch vorgenommen werden.10
- Erfolgsrate (biochemische Kontrolle) liegt bei 80–90 % für Mikroadenome und 20-50 % für Makroadenome.13
Medikamentöse Therapie
- Eine medikamentöse Therapie erfolgt bei nicht operablen Patient*innen oder bei postoperativ nicht kontrollierter Akromegalie (erhöhte IGF-1-Spiegel).7
- Zur medikamentösen Behandlung werden verwendet:9
- Somatostatin-Analoga
- Dopaminagonisten
- GH-Antagonist.
Somatostatinanaloga
- Somatostatin ist ein physiologischer Wachstumshormonhemmstoff9
- Klinisch angewendet werden bisher vorwiegend die Somatostatinanaloga:
- Zudem gibt es ein neueres Somatostatinanalogon:9
- Pasireotid 20–60 mg 1 x/Monat i. m.
- Die Gabe von Somatostatinanaloga führt bei 80–95 % der Patient*innen zu einer Hemmung der Ausschüttung von Wachstumshormon.2
- Somatostatinanaloga und Dopaminagonisten können kombiniert werden.2
Dopaminagonisten
- Option insbesondere bei milder biochemischer Aktivität9
- Cabergolin 0,25–2 mg/Woche p. o.14
- Normalisierung von IGF-1 in ca. 30 % der Fälle14
GH-Antagonist
- Wirkt durch kompetetive Verdrängung von GH.9
- Pegvisomant 10–20 mg (off label bis 50 mg) 1 x/d s. c.14
- Normalisierung von IGF-I bei 80–95 % der Patient*innen2
Bestrahlung
- Gilt momentan als Drittlinientherapie.2
- Vor einer Bestrahlung sollte geprüft werden, ob die Erkrankung nicht ausschließlich medikamentös behandelt werden kann.2
- Strahlentherapie kann erfolgen als:14
- fraktionierte Radiotherapie
- stereotaktische Radiochirurgie (z. B. Gamma-Knife).
- Die Auswahl zwischen den beiden Methoden ist abhängig vom:14
- Ausmaß der Läsion
- Abstand zur Sehbahn.
- Verzögerter Wirkungseintritt, daher Fortsetzung der medikamentösen Therapie in den ersten Monaten oder gar Jahren nach der Bestrahlung14
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Häufige Komorbiditäten durch Akromegalie2
- arterielle Hypertonie (30 %)
- Herzkreislauferkrankungen (20 %)
- Diabetes mellitus (20–30 %)
- Postoperative Komplikationen2
- Blutung, Meningitis, Liquorfistel jeweils < 1 %
- Verletzung großer hirnversorgender Gefäße, Diabetes insipidus, Hypophysenvorderlappeninsuffizienz sehr selten
Verlauf und Prognose
- Eine nicht ausreichend behandelte Akromegalie ist verbunden mit:2
- Verkürzung der Lebenserwartung durch Begleitkrankheiten um ca. 10 Jahre
- eingeschränkter Lebensqualität.
- Erhöhte Mortalität vorwiegend durch Kardiomyopathie mit Herzinsuffizienz und Rhythmusstörungen7
- Nach operativer Adenomentfernung kommt es bei > 90 % der Patient*innen zu einer symptomatischen Besserung.9
- Mortalität der OP bei erfahrenen Operateur*innen deutlich < 0,5 %2
- Eine Remission kann durch Bestimmung des IGF-1-Spiegels 6 Wochen nach OP festgestellt werden.15
Verlaufskontrolle
- Patient*innen mit Akromegalie benötigen eine lebenslange Nachsorge.9
- Laborchemische Kontrollen von IGF-1 und der Hormone der hypophysären Achse7
- Bildgebung: MRT 3-4 Monate nach OP, weitere Kontrollen je nach Heilungserfolg9
- Weitere Verkaufskontrollen im Hinblick auf:9
- kardiovaskuläres System (Blutdruck, EKG, Echokardiografie)
- Glukosestoffwechsel, Lipidstoffwechsel
- Schlafapnoe
- Schilddrüsenfunktion
- maligne Erkrankungen (Koloskopie nach Diagnosestellung, Schilddrüse)
- Bewegungsapparat (Gelenkfunktion, Osteoporose-Prävention)
- neuropsychiatrische Störungen.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Selbsthilfegruppen
- Netzwerk Glandula – Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen
- Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen: Akromegalie – Informationsbroschüre für Patienten, Stand Oktober 2015
Illustrationen
Quellen
Deutsche Registerdaten
- Deutsches Akromegalie-Register www.akromegalie-register.de
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie. Diagnostik und Therapie klinisch hormoninaktiver Hypophysentumoren. AWMF-Leitlinie Nr. 089-002. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
- Endocrine Society. Acromegaly Clinical Practice Guideline. Stand 2014. www.endocrine.org
Literatur
- Endocrine Society. Acromegaly Clinical Practice Guideline. Stand 2014. www.endocrine.org
- Deutsches Akromegalieregister. Zugriff 12.03.22. www.akromegalie-register.de
- Endokrinologen weisen auf Bedeutung einer frühen Diagnose bei Akromegalie hin. aerzteblatt.de, 12.11.21. Zugriff 12.03.22. www.aerzteblatt.de
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i.Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).