Allgemeine Informationen
Definition
- Thrombozytentransfusionen werden zur Prophylaxe und Therapie von thrombozytär bedingten Blutungen eingesetzt.1
- Die Indikationsstellung zur Thrombozytentransfusion ist abhängig von Thrombozytenzahl und -funktion, der Blutungssymptomatik und dem Blutungsrisiko sowie der Grunderkrankung.1
Häufigkeit
- In Deutschland werden jährlich eine halbe Million Thrombozytentransfusionen verabreicht.2
- In Deutschland werden etwa 75 % der transfundierten Thrombozytenkonzentrate hämatologischen und onkologischen Patient*innen verabreicht. Die restlichen 25 % werden hauptsächlich bei chirurgischen Maßnahmen verbraucht.2
Arten von Thrombozytenkonzentraten
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
- Thrombozytenkonzentrate (TK) werden entweder aus Vollblutspenden oder Thrombozytapherese gewonnen.
- Vollblutspenden
- Das Pool-TK enthält in der Regel in Abhängigkeit von der Anzahl gepoolter Einheiten (in der Regel von 4 bis selten 5 Spender*innen) 2–4 x 1011 Thrombozyten in 200–400 ml Plasma oder einer entsprechenden Mischung aus Plasma und einer additiven Lösung.
- Thrombozytapherese
- Das Apherese-TK enthält in der Regel 2–4 x 1011 Thrombozyten in etwa 200–300 ml Plasma einer Einzelspender*in. In einigen Produkten sind Teile des Plasmas durch eine Additivlösung ersetzt.
- Entsprechend den weiteren Herstellungsschritten wird für spezielle Indikationen weiter unterschieden:
- leukozytendepletiertes Thrombozytenkonzentrat
- leukozytendepletiertes Thrombozytenkonzentrat, bestrahlt
- Thrombozytenkonzentrat in Additivlösung, pathogen-reduziert.
- Bestrahlung
- Die Bestrahlung mit einer mittleren Dosis von 30 Gy (bewirkt eine sichere Inhibition der T-Zell-Proliferation)
- Indikationen
- indiziert bei immungeschwächten Empfänger*innen zur Prophylaxe einer transfusionsassoziierten Graft-versus-Host-Krankheit (ta-GvHD)
- bei gerichteten Blutspenden von Blutsverwandten
- Alle HLA-ausgewählten zellulären Blutkomponenten sollen vor Transfusion bestrahlt werden.
- weitere spezielle Indikationen in der Neonatalmedizin und Hämatoonkologie
- Leukozytendepletierte Thrombozytenkonzentrate
- Im TK sind geringe Mengen von Erythrozyten und Restleukozyten enthalten.
- Einsatz z. B. bei Zytomegalievirus(CMV)-negativen immunsupprimierten Patient*innen
Lagerung und Haltbarkeit
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
- Sauerstoffmangel schädigt den Thrombozyten-Metabolismus.
- Lagerung in speziellen gasdurchlässigen, sterilen Kunststoffbeuteln
- Thrombozytenkonzentrate werden bei ständiger Bewegung auf einer Wippe aufbewahrt, um eine Schädigung der Thrombozyten zu verhindern.
- Temperatur
- Bei Temperaturen unter 18 °C werden die Thrombozyten geschädigt.
- Die Standardtemperatur für die Lagerung von Thrombozyten ist 20–24 °C.
- Haltbarkeit
- Die Thrombozyten müssen innerhalb von 5 Tagen verwendet werden. Die Haltbarkeit ist wegen des Risikos für Bakterienbildung im Produkt begrenzt.
- Die Lagerungsdauer sollte möglichst kurz gehalten werden, da der Transfusionserfolg umso schlechter ist, je länger die Thrombozyten lagern.
Indikationen für die Transfusion
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
- Die Indikationsstellung zur Thrombozytentransfusion ist abhängig von Thrombozytenzahl und -funktion, der Blutungssymptomatik nach WHO, dem Blutungsrisiko sowie der Grunderkrankung.
- Blutungssymptomatik nach WHO
- Grad 1: kleinere Hämatome, Petechien, Zahnfleischbluten
- Grad 2: Kleinere Blutungen, die keine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erfordern.
- Grad 3: transfusionsbedürftige Blutungen
- Grad 4: organ- oder lebensbedrohliche Blutungen
Chirurgische Eingriffe
- Nach allgemeiner klinischer Erfahrung besteht kein erhöhtes Blutungsrisiko bei einer Thrombozytenzahl ≥ 50.000/μl und normaler Thrombozytenfunktion.
- Bei Thrombozytopathien, inkl. medikamenteninduzierten (z. B. ASS und P2Y12-Inhibitoren) interdisziplinäre Entscheidung
- Die Thrombozytentransfusion wird bei akuten Blutungen empfohlen.
- Bei massiven und bedrohlichen Blutungen mit erwarteter Massivtransfusion sollte frühzeitig mit der Thrombozytentransfusion begonnen werden (ab 6 EK 1 TK; dann: pro 4 EK 1 TK).
- bei transfusionsbedürftigen Blutungen bei < 50.000 Thrombozyten/μl, bei anhaltender Blutung und/oder Schädel-Hirn-Trauma bei Unterschreiten eines Wertes von 100.000 Thrombozyten/μl
- Die Thrombozytentransfusion wird bei chirurgischen Eingriffen empfohlen.
- prophylaktisch vor kleineren operativen Eingriffen bei vorbestehender thrombozytärer Blutungssymptomatik oder bei Thrombozytenzahlen < 20.000/μl
- prophylaktisch bei operativen Eingriffen mit einem sehr hohen Blutungsrisiko (z. B. ZNS-Eingriffe) unmittelbar präoperativ bei Thrombozytenzahlen von < 70.000/μl bis 100.000/μl
- prophylaktisch bei größeren operativen Eingriffen und Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko unmittelbar präoperativ bei Thrombozytenzahlen < 50.000/μl
- in der Kardiochirurgie bei verstärkten postoperativen Blutungen oder bei Unterschreiten einer Thrombozytenzahl von 20.000/μl
Invasive diagnostische Eingriffe
- Der kritische Thrombozytenwert bei invasiven diagnostischen Verfahren ist abhängig vom individuellen Blutungsrisiko der Patient*in, dem Ausmaß der Traumatisierung und dem Gefährdungspotenzial. So sollten Transfusionen vor folgenden Eingriffen durchgeführt werden:
- elektive Lumbalpunktion bei < 50.000 Thrombozyten/µl
- transjuguläre Leberpunktion bei < 10.000 Thrombozyten/µl
- Gelenkpunktion bei < 20.000 Thrombozyten/µl
- gastrointestinale Endoskopie mit Biopsie bei < 20.000 Thrombozyten/µl
- Bronchoskopie und Thrombozytenwert < 20.000/μl
- transbronchialer Biopsie und Thrombozytenwert < 50.000/μl
- Vor folgenden Eingriffen besteht eine „Kann“-Empfehlung zur Transfusion:
- Vor Angiografie, einschließlich Koronarangiografie, bei einer Thrombozytenzahl von ≤ 20.000/μl, sofern die Angiografie nicht zur Diagnostik eines akuten arteriellen thrombotischen Ereignisses durchgeführt wird.
- zur Anlage eines zentralen Venenkatheters bei Blutungsneigung und Thrombozytenzahlen < 20.000/μl.
Rückenmarksnahe Regionalanästhesien
- Ein alternatives Narkoseverfahren ist zu bevorzugen.
- Falls kein alternatives Narkoseverfahren möglich, prophylaktische Thrombozytentransfusion
- vor Durchführung einer Epiduralanästhesie bei einem Thrombozytengrenzwert < 80.000/μl
- prophylaktisch vor Durchführung einer Spinalanästhesie bei einem Grenzwert von 50.000/μl
Leberinsuffizienz
- Empfehlung zur Thrombozytentransfusion
- bei akutem Leberversagen bei Thrombozytenwerten von < 20.000/μl oder beim Auftreten von ausgeprägten petechialen Blutungen
- bei Patient*innen mit chronischer Leberinsuffizienz beim Auftreten von Blutungskomplikationen oder prophylaktisch zur Vorbereitung von diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen bei Thrombozytenwerten < 20.000/μl
Hämato-onkologische Patient*innen
- Gruppe A: Patient*innen mit chronischer Thrombozytopenie (z. B. aplastisches Syndrom, myelodysplastisches Syndrom oder hereditäre Thrombozytopenie)
- prophylaktische Transfusion bei Thrombozytenzahl < 5.000/µl
- Transfusion bei Thrombozytenzahlen < 10.000/μl nach kürzlich zurückliegender Blutung oder bei Fieber über 38 °C
- Transfusion bei mehr als 10.000/μl bei Blutungsereignissen Grad 3 nach WHO (transfusionsbedürftige Blutungen) oder vor kleineren chirurgischen Eingriffen
- Gruppe B: Patient*innen mit erhöhtem Thrombozytenumsatz (immunologisch und nichtimmunologisch)
- bei Immunthrombozytopenie nur im Falle von lebensbedrohlichen Blutungen (WHO Grad 4)
- Bei Patient*innen mit HUS, TTP oder und bedrohlicher Blutung nur nach Ausschöpfung aller anderen therapeutischen Optionen
- Patient*innen mit Sepsis und Verbrauchskoagulopathie im Falle bedrohlicher Blutungen
- Gruppe C: Patient*innen mit akuter Thrombozytenbildungsstörung durch Chemotherapie
- Bei Erwachsenen mit akuter Leukämie prophylaktisch ab einem Thrombozytenwert von ≤ 10.000/μl oder bei manifesten Blutungen
- Kindern mit akuter Leukämie, bei denen kein erhöhtes Verletzungsrisiko vorliegt, prophylaktisch ab einem Thrombozytenwert von ≤ 10.000/μl oder bei manifesten Blutungen.
- Patient*innen nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation ohne Komplikationen, wie schwere Graft-versus-Host-Reaktion, Mukositis oder Zystitis ab einem Thrombozytenwert von ≤ 10.000/μl oder bei manifesten Blutungen
- Patient*innen mit soliden Malignomen ohne zusätzliches Blutungsrisiko bei einem Thrombozytenwert von ≤ 10.000/μl oder bei manifesten Blutungen
- Gruppe D: Patient*innen mit akuter Thrombozytenbildungsstörung (Gruppe C) und zusätzlichen Blutungsrisiken
- Risikofaktoren sind:
- Infektionen
- Komplikationen (Graft-versus-Host-Disease; GvHD)
- klinische Zeichen der Hämorrhagie (z. B. petechiale Blutungen)
- Fieber über 38 °C
- Leukozytose
- plasmatische (pro-hämorrhagische) Gerinnungsstörung
- steiler Thrombozytenzahlabfall
- vorbestehende Nekrosebereiche.
- Bei einem oder mehreren dieser Risikofaktoren wird in der Regel die prophylaktische Gabe von Plättchenkonzentraten bei Thrombozytenzahlen < 20.000/μl oder manifester Blutung empfohlen.3
- Risikofaktoren sind:
Thrombozytentransfusion
Auswahl des Thrombozytenkonzentrates
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
- Bei der Auswahl des Thrombozytenkonzentrates zur Transfusion wird empfohlen,
- bei immunisierten Patient*innen (d. h. Nachweis von HLA- oder HPA-Alloantikörpern) das HLA- bzw. das HPA-Antigenmuster zu
berücksichtigen.
- Es werden HLA- bzw. HPA-kompatible Apherese-TK verwendet.
- vor allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation die Gabe von Thrombozytenkonzentraten der Transplantatspender*in oder von Blutsverwandten der Spender*in unbedingt zu vermeiden.
- bei immunisierten Patient*innen (d. h. Nachweis von HLA- oder HPA-Alloantikörpern) das HLA- bzw. das HPA-Antigenmuster zu
- Bei der Auswahl des Thrombozytenkonzentrates zur Transfusion wird empfohlen,
- AB0-identische TK vorzuziehen.
- bei Patient*innen mit HLA- oder HPA-Antikörpern primär nach HLA-/HPA- Kompatibilität und erst in zweiter Linie nach der AB0-Blutgruppe auszuwählen.
- für RhD-negative Patient*innen Thrombozyten von RhD-negativen Spender*innen vorzuziehen.
- Sofern RhD-positive Thrombozyten bei gebärfähigen RhD-negativen Frauen transfundiert werden, zusätzlich eine Anti-D-Prophylaxe (150–300 μg i. v.) sofern die Thrombozytenkonzentrate nicht mit einem Verfahren hergestellt werden, bei dem die Erythrozytenkontamination sehr niedrig ist.
Komplikationen
Infektiöse Komplikationen
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
- Bakterielle Kontamination
- Sehr selten, Risiko steigt mit der Lagerungszeit.
- schwere bis fatale Konsequenzen
- Virusinfektionen
- Übertragung von humanem Immundefizienz-Virus (HIV), Hepatitis B, C und E, CMV, humanem Herpesvirus (HHV)-8, humanem T-lymphothrophem Virus 1/2 (HTLV- 1/2)
- Die Leukozytendepletion reichert zellständige Viren ab, z. B. CMV, HHV-8, HTLV- 1/2.
- Parasitosen
Nichtinfektiöse Komplikationen
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
- Ausführliche Information siehe Artikel Transfusionsreaktionen.
- Febrile Transfusionsreaktionen
- Rh-D-Alloimmunisierung
- Graft-versus-Host-Erkrankung
- Übertragung von proliferationsfähigen T-Lymphozyten der Spender*innen auf eine in der Regel immundefiziente Empfänger*in
- Auch bei immunkompetenten Empfänger*innen beschrieben worden, wenn die spendende Person homozygot für einen HLA-Haplotyp der Empfänger*in war.
- sehr hohe Mortalität
- Transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI)
- akute Lungeninsuffizienz ohne andere Ursache innerhalb von 6 Stunden nach einer Transfusion
- Hypotensive Transfusionsreaktion (HAT)
- Die akute allergische/anaphylaktische Transfusionsreaktion ist mit Abstand die häufigste schwerwiegende Transfusionsreaktion.
Quellen
Leitlinien
- Bundesärztekammer. Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, Berlin 2020. bundeaerztekammer.de
- Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung. Therapie angeborener thrombozytärer Erkrankungen. AWMF-Leitlinie Nr. 086-004. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
- Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung. Thrombozytopathien, Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 086-004, S2k, Stand 2020. www.awmf.org
- Wandt H, Schäfer-Eckart K, Greinacher A. Thrombozytentransfusion bei hämatologischen und onkologischen Patienten sowie bei Operationen. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 809–15. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0809 www.aerzteblatt.de
- Bundesärztekammer. Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, Berlin 2020. www.bundesaerztekammer.de
Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).