Zusammenfassung
- Definition: Autosomal-dominante Systemerkrankung mit Angiodysplasien und Blutungsneigung.
- Häufigkeit: Prävalenz in Europa 1 pro 5.000–8.000.
- Symptome: Erstsymptom im Schulalter spontane und rezidivierende Epistaxis, anschließend Teleangiektasien und ggf. Organläsionen.
- Befunde: Teleangiektasien und Befunde aufgrund von Gefäßshunts in Leber, Lunge und/oder Gehirn.
- Diagnostik: Diagnosestellung mittels der 4 Curaçao-Kriterien: Epistaxis, Teleangiektasien, Organläsionen und positive Familienanamnese.
- Therapie: Screening auf hepatische, pulmonale und zerebrale Gefäßmalformationen und entsprechende Therapie. Oral Tranexamsäure bei rezidivierendem Nasenbluten.
Allgemeine Informationen
Definition
- Synonyme
- M. Osler-Weber-Rendu
- hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (HHT)1
- Autosomal-dominant vererbte Erkrankung der Blutgefäße, die zu Dysplasien führt.
- Neigung zu Schleimhautblutungen in Nase, Magen-Darm-Trakt, Lunge oder Harnwegen2-4
- Diagnosestellung anhand der 4 Curaçao-Kriterien:5
- Epistaxis
- Teleangiektasien
- Organläsionen
- positive Familienanamnese.
- In der Regel gute Prognose6
- bei arteriovenösen Malformationen in Lunge, Leber oder Gehirn erhöhte Mortalität7
Häufigkeit
- Unterschiedliche Prävalenz in der Welt
- Wahrscheinlich sehr hohe Dunkelziffer bei nur milder Symptomatik
- Keine geschlechtsspezifischen Unterschiede9
- Erstmanifestation häufig im jungen Erwachsenenalter
Ätiologie und Pathogenese
- Systemerkrankung mit diffuser Angiodysplasie, gekennzeichnet durch Teleangiektasien und Blutungsneigung10
- Autosomal-dominanter Erbgang mit erheblichen phänotypischen Unterschieden
- Bisher sind 2 Gene bekannt:11
- HHT Typ 1 (HHT1): bei Mutationen von Endoglin auf Chromosom 9q34
- HHT Typ 2 (HHT2): bei Mutationen von ALK-1 (Activin Receptor Like Kinase 1) auf Chromosom 12q31
- Bei vielen Patienten keine Mutation dieser Gene, sodass noch andere Genloci verantwortlich sein müssen.12
- Klinische Penetranz 97 %6
- Homozygote Variante letal
Pathophysiologie
- Entstehung von Teleangiektasien und Aneurysmata in abgegrenzten Bereichen
- Nicht betroffene Gebiete zeigen eine normale Gefäßarchitektur.
- Vermutlich führt ein initialer Gefäßschaden gefolgt von unzureichender Reparatur zu den typischen Läsionen in Form von Gefäßektasien.13
- Der Gendefekt führt zu einer gestörten Bildung von Proteinen, die zur Endothel-Reparatur nötig sind.14
- Die Blutungsneigung entsteht aufgrund von lokalen Schwachstellen in der Gefäßwand.
- Arteriovenöse Malformationen (AVM)
Gefäßmalformationen des Gehirns
- In cMRT bei initialer Diagnostik 23 % der Patienten mit zerebralen Gefäßfehlbildungen17
- venöse Angiome, kavernöse Angiome und arteriovenöse Malformationen, häufig multipel3
- Gefährlich sind vor allem Aneurysmata (Subarachnoidalblutung).18
Gefäßmalformationen der Lunge
- Bei pulmonalen arteriovenösen Fisteln besteht die Gefahr von Embolien im Gehirn.18-19
- Kleine venöse Thromben entstehen häufig unter physiologischen Umständen, werden aber vom Kapillarnetz in der Lunge aufgefangen.
- Bei einer arteriovenösen Fistel kann ein Embolus ungehindert von der Lungenarterie in die Lungenvene gelangen, das Kapillarnetz umgehen und in die Hirnarterien gelangen.
- Die Folge sind Infarkt oder transitorische ischämische Attacke (TIA).
- Eine arteriovenöse Malformation ist auch selbst als Entstehungsort eines Thrombus prädestiniert.
- Ebenso ist ein Gehirnabszess mit oder ohne Meningitis möglich.20
- Infektiöses Material aus den Alveolen gelangt über die arteriovenöse Fistel in die Hirngefäße.
Prädisponierende Faktoren
- Positive Familienanamnese
ICPC-2
- B79 Angeborene Anomalie Blut/Lymphsystem
- K73 Angeborene Anomalie Herz/Gefäßsystem
ICD-10
- I78 Krankheiten der Kapillaren
- I78.0 Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Diagnosestellung anhand der Curaçao-Kriterien:
- Epistaxis: spontan und rezidivierend
- Teleangiektasien: multipel an charakteristischen Stellen wie Lippen, Mundhöhle, Finger, Nase
- Organläsionen: z. B. Teleangiektasien im Magen-Darm-Trakt oder arteriovenöse Malformationen in Lunge, Leber, Hirn, Rückenmark
- Familienanamnese: mindestens ein Verwandter 1. Grades mit HHT
Differenzialdiagnosen
- Andere Formen der Teleangiektasien
- CREST-Syndrom
- benigne hereditäre Teleangiektasie
- Louis-Bar-Syndrom (Ataxia teleangiectatica)
- Blutungen ohne begleitende Teleangiektasien
Anamnese
- Bei der Mehrheit der Patienten treten die ersten Symptome im Schulalter auf.
- 75 % der Patienten haben mit etwa 25 Jahren Symptome.
- Nahezu 100 % sind symptomatisch zwischen 40. und 50. Lebensjahr.22-23
- Häufigstes Symptom bei Kindern Nasenbluten, vor allem nachts verdächtig10
- Meist 1 Jahr nach dem 1. auffälligen Nasenbluten Auftreten von Teleangiektasien3
- vor allem Gesicht, Lippen, Zunge, Nasenlöcher, Hände und Füße
- meist multipel
- Teleangiektasien können aufgrund ihres Aussehens zu psychischen Belastungen führen.
- Selten große Blutungen, aber bei rezidivierenden kleinen Blutungen chronische Anämie
- Müdigkeit und Leistungsminderung
- Große Gefäßmalformationen in der Lunge können zu Dyspnoe und erhöhter Müdigkeit führen.
- Migräne
- Bis zu 50 % der Patienten haben Migräne mit Aura.24
Klinische Untersuchung
- Teleangiektasien = irreversibel erweiterte Kapillaren
- typischerweise < 5 mm
- mit Glasspatel wegdrückbar
- Befinden sich direkt unter der Haut oder in der Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes, der Atem- oder Harnwege.
- Farbe hellrot bis violett
- vor allem fazial, an Händen und Füßen
- typischerweise < 5 mm
- Hinweise auf Anämie, wie Blässe oder Dyspnoe?
- Zyanose, Trommelschlegelfinger und Polyzythämie
- bei pulmonalen Gefäßmalformationen mit Shunts
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Hb und Eisenstatus
Diagnostik beim Spezialisten
- Die weitere Diagnostik ist abhängig vom Schweregrad der Erkrankung.
- Da die Patienten häufig sehr jung sind, sollte ein besonderes Augenmerk auf die Strahlenbelastung gelegt werden.
- Screening-Empfehlungen bei gesicherter oder Verdachtsdiagnose25
- Screening auf pulmonale AVM
- „Bubble“-Echokardiografie
- Test zum Nachweis eines Shunts mit Spritzen von Kochsalzgemisch mit winzigen Bläschen
- bei positivem Befund CT Thorax empfohlen
- „Bubble“-Echokardiografie
- Screening auf zerebrale AVM
- cMRT bei jedem Patienten
- Screening auf hepatische AVM
- Duplex-Sonografie
- Sollten alle Screeningmaßnahmen unauffällig sein, Wiederholung in 5 Jahren
- Genetische Untersuchung
- Mutation bei 80 % der Patienten, entweder im Endoglin- oder im Alk1-Gen
- Gastrointestinale Beteiligung
- ab dem 35. Lebensjahr mindestens 1 x/Jahr Hb-Bestimmung
- Falls die Höhe des Hb nicht passend zur Stärke des Nasenblutens, wird eine endoskopische Untersuchung des GI-Trakts auf okkulte Blutungen empfohlen.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf oder gesicherter Diagnose einer HHT Überweisung zum initialen Screening
Therapie
Therapieziele
- Über das Krankheitsbild informieren.
- nur symptomatische Therapie möglich
- Evtl. eine Anämie korrigieren.
- Evtl. chirurgischer Eingriff, um ernste Komplikationen zu verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Bei vielen Betroffenen ist keine Behandlung nötig.
- Eine blutungsbedingte Anämie ist häufig; einige Patienten benötigen eine Eisensubstitution und/oder Bluttransfusionen.
- Bei pulmonalen AVM besteht ein Risiko für bleibende neurologische Ausfällen als Folge paradoxer Embolien und bei kraniellen AVM besteht das Risiko von Blutungen, was einer frühen Diagnose und Intervention bedarf.3
- In seltenen, aber schwerwiegenden Fällen kann ein chirurgischer Eingriff erforderlich werden.
Medikamentöse Therapie
- Tranexamsäure
- Inhibiert Fibrinolyse.
- Zulassung in Deutschland für rezidivierende Epistaxis bei M. Osler
Operative Therapie
Epistaxis
- Prävention durch befeuchtende Nasensalben
- Wird auf die übliche Weise mit Kompression behandelt, evtl. Tamponade, evtl. Elektrokoagulation, evtl. Laserablation.
- in schweren Fällen Dermoplastik (Ersatz der Nasenschleimhaut durch Mundschleimhaut) oder kompletter Verschluss der Nasenhaupthöhle nach Young
Teleangiektasien
- Bei rezidivierenden Blutungen oder stigmatisierender Wirkung laserchirurgische Therapie
Größere Gefäßmalformationen
- Die Indikation zum Eingriff ist abhängig von der Lokalisation und Größe der Malformation.
- Therapie der Wahl ist in der Regel Katheterembolisation.
- im Gastrointestinaltrakt vorzugsweise medikamentöse Therapie (Östrogene und Gestagene)
Gefäßmalformationen in der Leber
- Konservative medikamentöse Therapie einer möglichen portalen Hypertension oder High-Output-Herzinsuffizienz
- Chirurgische Therapie mit hoher Komplikationsrate
- Gefäßembolisation: u. a. Leberinfarzierung
- Lebertransplantation: u. a. Organabstoßung
Weitere Problemstellungen
- Schwangerschaft
- Antikoagulationsbehandlung
- Diese Behandlung führt fast immer zu stärkeren und häufigeren Nasen- und gastrointestinalen Blutungen.
- genaue Nutzen-Risiko-Abwägung nötig
- M. Osler ist keine absolute Kontraindikation für eine orale Antikoagulation.
- Antibiotika-Prophylaxe
- Wird bei allen Patienten mit pulmonaler arteriovenöser Malformation empfohlen aufgrund des Risikos für paradoxe Embolien und zerebrale Abszesse.
- indiziert vor allen Eingriffen mit potenzieller Bakteriämie, vor allem bei zahnmedizinischen Eingriffen26
- Empfehlung entsprechend den aktuellen Empfehlungen zur Prophylaxe der infektiösen Endokarditis: Amoxicillin + Clavulansäure, bei Penicillin-Allergie Clindamycin26
- Wird bei allen Patienten mit pulmonaler arteriovenöser Malformation empfohlen aufgrund des Risikos für paradoxe Embolien und zerebrale Abszesse.
- Sportliche Aktivitäten
- Patienten mit HHT können Sport treiben wie alle anderen auch, vom Tauchen wird allerdings wegen des Risikos für Epistaxis abgeraten.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Blutungsneigung nimmt häufig mit dem Alter zu. Das gilt für Epistaxis und für Blutungen aus anderen Organsystemen.3
- 1/3 der Patienten sind in ihren täglichen Aufgaben durch die Symptome eingeschränkt.13
Komplikationen
- Blutungen
- Hirnabszesse
- Schlaganfall
- High-Output-Herzinsuffizienz bei Lebershunt
- Pulmonale Hypertonie
Prognose
- Ohne Screening und Behandlung ist die Lebenserwartung im Median um 3–7 Jahre verkürzt.25
- Mit Screening und adäquater Behandlung normale Lebenserwartung25
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Weitere Informationen
- Patienteninformation des ÄZQ: Morbus Osler
- Morbus Osler Selbsthilfe
Illustrationen
Quellen
Literatur
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Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Anders Waage, overlege og professor, Hematologisk avdeling, St. Olavs Hospital, og Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim