Vitamin-B12-Mangel

Zusammenfassung

  • Definition:Mangel durch jahrelang unzureichende Zufuhr oder Resorption.
  • Häufigkeit:Ohne Substitution nahezu alle Veganer*innen. Bis zu 1/3 aller geriatrischen Patient*innen.
  • Symptome:Vielzahl von Symptomen möglich, u. a. Abgeschlagenheit, Parästhesien, Depression, Gangstörungen.
  • Befunde:Klinische Befunde können fehlen, im späten Stadium u. a. Anämiezeichen, Hunter-Glossitis und Hyperpigmentierung der Haut möglich.
  • Diagnostik:Laborchemische Stufendiagnostik; ggf. weitere Untersuchungen zur Ursachenfindung, z. B. ÖGD bei V. a. perniziöse Anämie.
  • Therapie:Bei schweren neurologischen Störungen parenterale Substitution, ansonsten hochdosierte orale Substitution.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bekannt ist Vitamin B12 vor allem als kritischer Nährstoff für Veganer*innen, da es in ausreichenden Mengen nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt.1
    • Eine weitere stark betroffene Gruppe sind geriatrische Patient*innen.2
  • Ein Mangel ist eine häufige Ursache für eine megaloblastäre Anämie und verschiedene neuropsychiatrische Symptomen, besonders bei älteren Personen.3
  • Die Symptome können unspezifisch, aber irreversibel sein, sodass eine frühzeitige Diagnostik und Therapie notwendig sind.4
  • Bei einem Vitamin-B12-Serumspiegel < 200 pg/ml (147,6 pmol/l) und typischer Symptomatik ist ein Mangel gesichert und keine weitere Diagnostik nötig.5
  • Die megaloblastäre Anämie durch Vitamin-B12-Mangel bezeichnet man auch als perniziöse Anämie (Morbus Biermer).
    • Im engeren Sinne wird dieser Begriff nur bei der atrophischen Autoimmun-Gastritis mit Antikörperbildung gegen Parietalzellen und den Intrinsic Factor verwendet.

Häufigkeit

  • Die Prävalenz eines Vitamin-B12-Mangels (Vitamin-B12-Serumspiegel < 221 pmol/l) im Rahmen der Bevölkerungsstudie KORA-Age (Personen > 65 Jahre im Raum Augsburg) lag bei 27,3 % der Teilnehmer*innen, bei 85- bis 93-Jährigen waren es sogar 37,6 %.2
  • Prävalenz bei Neugeborenen etwa 1:5.3006
  • Veganer*innen sind nach einigen Jahren ohne Substitution regelhaft betroffen.

Ätiologie und Pathogenese

  • Die nachfolgend erklärte Physiologie des Vitamin-B12-Stoffwechsels hilft, die Ursachen, Diagnostik und Therapie eines Mangels nachzuvollziehen.

Vitamin B121

  • Vitamin B12 ist der Sammelbegriff für verschiedene Verbindungen mit gleicher biologischer Wirkung und demselben chemischen Grundgerüst mit einem Kobaltion im Zentrum (Oberbegriff: Cobalamine).
    • Cobalamine werden ausschließlich von Mikroorganismen gebildet und kommen in adäquater Menge und einer für den Menschen verfügbaren Form fast nur in tierischen Lebensmitteln vor.
  • Vitamin B12 ist lebensnotwendig und u. a. an der Zellteilung, der Blutbildung, der DNA-Synthese sowie am Abbau von Fettsäuren und Aminosäuren wie Homocystein beteiligt.
  • Vitamin B12 katalysiert die Umwandlung von Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA.
    • Ein Vitamin-B12-Mangel führt deshalb zu einer Erhöhung des Spiegels von Methylmanonyl-CoA und seinem im Rahmen der Diagnostik messbaren Abbauprodukt Methylmalonsäure (MMA).

Resorption5

  • In natürlichen Nahrungsmitteln liegt Vitamin B12 in proteingebundener Form vor.
    • Um für die Resorption zur Verfügung zu stehen, muss es zunächst durch Säuren und Pepsin von den Proteinen abgespalten werden.
  • Nach der Abspaltung von den Proteinen wird Vitamin B12 im Magen an „R-Proteine" (Haptocorrine) gebunden.
  • Im alkalischen Milieu des Duodenums wird Vitamin B12 durch Pankreasenzyme von den R-Proteinen abgespalten.
  • Der im Magen von den Parietalzellen gebildete Intrinsic Factor (IF) bindet im alkalischen Milieu des Dünndarms an das nun wieder in ungebundener Form vorliegende Vitamin B12.
  • Der relativ stabile Vitamin-B 12-IF-Komplex passiert nun den Dünndarm bis zum terminalen Ileum.
  • Hier bindet er an spezifische IF-Rezeptoren auf der Oberfläche der Enterozyten und wird aktiv durch Phagozytose aufgenommen (begrenzte Kapazität von max. 2 µg pro Mahlzeit).
  • Neben dieser aktiven Resorption kann freies, nicht an IF gebundenes Vitamin B12 auch durch passive Diffusion im gesamten Dünndarm (also nicht nur im terminalen Ileum) resorbiert werden.
    • Bei der passiven Resorption wird allerdings nur etwa 1 % der Dosis resorbiert.
    • Die passive Resorption ist die Grundlage für die Therapie von Vitamin-B12-Mangelzuständen mit – hochdosierten – oral verabreichten Vitamin-B12-Präparaten.

Transport5

  • Im Blut wird Vitamin B12 an verschiedene Transcobalamine gebunden.
    • Transcobalamin 1
      • Bindet 2/3 des im Blut zirkulierenden B12-Vitamins.
      • biologisch inaktiv
      • Vermutlich zuständig für den Transport zur Leber, wo es gespeichert wird.
    • Transcobalamin 2
      • Bindet 1/3 des im Blut zirkulierenden B12-Vitamins.
      • Transport zu den auf Vitamin B12 angewiesenen Körpergeweben, insbesondere zum Knochenmark und zu den Nervenzellen
      • Der Vitamin-B12-Transcobalamin-2-Komplex wird auch als Holo-Transcobalamin bezeichnet.
      • Dieser Komplex stellt somit die biologisch aktive Form von Vitamin B12 dar und kann zur Diagnostik eines Vitamin-B12-Mangels im Blut bestimmt werden.

Speicherung5

  • Die Leber dient als Speicher für ca. 60 % des Gesamtkörperbestands von Cobalamin, gefolgt von Nieren, Skelettmuskulatur, Herz, Milz und Gehirn.
  • Gesamtkörperbestand 2–10 mg Vitamin B12

Enterohepatischer Kreislauf5

  • Über 75 % des biliär sezernierten Cobalamins werden im terminalen Ileum rückresorbiert.
  • Dieser enterohepatische Kreislauf und die hohen Vitamin-B12-Speicher in der Leber sind Gründe dafür, dass Veganer*innen meist erst 10–15 Jahre nach Umstellung auf diese Kostform einen Vitamin-B12-Mangel entwickeln.
    • Bei fehlendem IF, z. B. im Rahmen einer Autoimmun-Gastritis, können dagegen weder mit der Nahrung zugeführtes noch biliär sezeniertes Cobalamin resorbiert werden.
    • In diesem Fall entwickelt sich bereits nach durchschnittlich 3–5 Jahren ein Vitamin-B12-Mangel.

Ursachen für Mangel

  • Am häufigsten wird Vitamin-B12-Mangel durch 2 Mechanismen bedingt: 
    • unzureichende Zufuhr
    • verminderte Resorption.

Unzureichende Zufuhr

  • Hauptursache bei Vegetarier*innen und besonders Veganer*innen
  • Bei Neugeborenen6
    • meist maternal bedingt, z. B. durch zu geringe Aufnahme von Vitamin B12 über die Nahrung im Rahmen einer veganen oder vegetarischen Ernährung oder unerkannte gastrointestinale Resorptionsstörungen bei der Mutter
    • Beim Kind führt ein schwerer, unerkannter Vitamin‑B12-Mangel zu irreversiblen neurologischen Schädigungen und einer dauerhaften Entwicklungsstörung, die meist erst im 2. Lebenshalbjahr klinisch erkannt wird.
    • Eine Früherkennung durch das Neugeborenenscreening wird derzeit in Pilotprojekten evaluiert.
  • Ein Befall mit dem Fischbandwurm Diphyllobothrium latum kann zu erhöhtem Verbrauch von Vitamin B12 führen.7

Verminderte Resorption

  • Atrophische Gastritis
    • Eine reduzierte Magensäurebildung führt zu insuffizienter Abspaltung des proteingebundenen Vitamin B12 aus der Nahrung (siehe Resorption).
    • Eine reduzierte Bildung des Intrinsic Factors im Magen führt zu verminderter Aufnahme im terminalen Ileum (siehe Resorption).
    • Die Prävalenz einer atrophischen Gastritis erhöht sich mit dem Alter.8
  • Medikamentöse Ursachen für Malabsorption durch Achlorhydrie bzw. Hypochlorhydrie sind der Langzeitgebrauch von Protonpumpenhemmern (PPI)9oder H2-Rezeptor-Blockern.10
    • PPI-Standarddosis hemmt die Resorption von nahrungsgebundenem Vitamin B12 um 70 %.5
  • Eine Achlorhydrie kann durch eine Alkalisierung des Duodenums zudem zu einer bakteriellen Fehlbesiedlung mit weiterer Minderung der Resorption führen.
  • Metformin hemmt ebenfalls die Aufnahme von Vitamin B12 und geht mit einem erhöhten Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel einher.11-12
    • Laut Fachinformation sollte daher bei Patient*innen mit Einnahme von Metformin und megaloblastärer Anämie ein Vitamin-B12-Mangel in Betracht gezogen werden.13
  • Weitere Ursachen für Malabsorption sind eine Magen- oder Ileum-Resektion, eine Pankreasinsuffizienz (insuffiziente Abspaltung der R-Proteine durch Pankreasenzyme im Duodenum) und Erkrankungen des Dünndarms wie Zöliakie oder Morbus Crohn.
  • Auch bei einem Malabsorptionssyndrom bei einer chronischen Giardiasis kann es zu einem Vitamin B12-, Vitamin A- und Folsäure-Mangel kommen.14

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • T91 Vitamin-/Nährstoffmangel
  • B81 Anämie durch Vitamin-B12-/Folsäuremangel

ICD-10

  • D51 Vitamin-B12-Mangelanämie
    • D51.0 Vitamin-B12-Mangelanämie durch Mangel an Intrinsic-Faktor
    • D51.1 Vitamin-B12-Mangelanämie durch selektive Vitamin-B12-Malabsorption mit Proteinurie
    • D51.2 Transcobalamin-II-Mangel (-Anämie)
    • D51.3 Sonstige alimentäre Vitamin-B12-Mangelanämie
    • D51.8 Sonstige Vitamin-B12-Mangelanämien
    • D51.9 Vitamin-B12-Mangelanämie, nicht näher bezeichnet
  • E53.8 Mangel an sonstigen näher bezeichneten Vitaminen des Vitamin-B-Komplexes

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Es stehen verschiedene Laborparameter (Holo-Transcobalamin [Holo-TC], Methylmalonat [MMA]) neben dem Vitamin-B12-Serumspiegel zur Verfügung, die mittlerweile eine frühzeitige Diagnose vor Eintreten von klinischen Symptomen ermöglichen, jedoch auch teurer sind.4
  • Ein praxisorientierter Vorschlag zur Diagnostik bei Verdacht auf Vitamin-B12-Mangel für die hausärztliche Praxis, der gesundheitsökonomische Gesichtspunkte berücksichtigt, ist die u. g. Stufendiagnostik.5
  • Ein Vitamin-B12-Mangel kann zu hämatologischen, neurologischen, psychiatrischen und mukokutanen Manifestationen führen.5
  • Cave: Anämie ist in der Regel ein spätes Symptom! 
    • durch einen simultan vorliegenden Eisenmangel oft auch nicht hyperchrom und megaloblastär

Differenzialdiagnosen

Wann sollten Sie einen Vitamin-B12-Mangel vermuten?

  • Bei ungeklärter Anämie
  • Bei ungeklärten neurologischen (Taubheitsgefühl, Kribbeln, unsicherer Gang) oder psychiatrischen (Persönlichkeitsveränderung, Gedächtnisstörung, Depression) Symptomen
  • Bei typischen Symptomen einer Autoimmun-Gastritis (perniziöse Anämie) wie Verdauungsbeschwerden, Gewichtsabnahme, Mattigkeit, Polyneuropathie-Symptome, Zungenbrennen
  • Besondere Aufmerksamkeit bei Patient*innen, die Risikofaktoren für die Entwicklung eines Vitamin-B12-Mangels haben.

Anamnese

  • Anämiesymptome: Müdigkeit, Erschöpfung, Belastungsdyspnoe?
  • Neuropsychiatrische Symptome: Parästhesien, Muskelschwäche, Ataxie, psychische Veränderungen, Gedächtnisstörungen?
  • Ernährungsgewohnheiten? Vegetarier*in? Veganer*in?
  • Vorliegen chronischer Magen-Darm-Erkrankungen?
  • Frühere Operationen am Magen-Darm-Trakt?
  • Regelmäßige Einnahme von PPI? Metformin?

Klinische Untersuchung

  • Im Frühstadium liegen meist keine auffälligen klinischen Befunde vor.

Hämatologische Veränderungen

Gastroenterologische Auffälligkeiten

  • Durch die ursächliche Typ-A-Gastritis bei der perniziösen Anämie häufig Verdauungsbeschwerden, Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Völlegefühl, Diarrhö, Gewichtsabnahme.

Neurologische Auffälligkeiten

  • Klassisches Erkrankungsbild ist die funikuläre Myelose: zunehmende Demyelinisierung des Rückenmarks.
  • Beginn in der Regel am zervikothorakalen Übergang des Rückenmarks5
    • symmetrisch und distal betonte Polyneuropathien, meistens erst an den Händen und dann an den Füßen
      • Die dadurch bedingte Ataxie erhöht das Sturzrisiko bei geriatrischen Patient*innen.16
  • Bei unbehandeltem Vitamin-B12-Mangel kann das Krankheitsbild in einer Querschnittlähmung enden.

Psychiatrische Störungen

  • Assoziation von Vitamin-B12-Mangel mit Depression5
  • Eine antidepressive Therapie ist bei hohem Vitamin-B12-Spiegel effektiver.17

Funktionelle Einschränkungen

  • Patient*innen mit Vitamin-B12-Mangel haben eine um 60 % erhöhte Rate an funktionellen Einschränkungen (Aktivitäten des täglichen Lebens).18

Mukokutane Manifestationen

  • Hunter-Glossitis: rote, brennende Zunge
  • Hyperpigmentierung der Hände und Füße (in der Regel durch Substitution vollständig reversibel)19

Laboruntersuchung 

Stufendiagnostik bei normaler Nierenfunktion5

  1. Bei Verdacht auf Vitamin-B12-Mangel sollte zunächst der Vitamin-B12-Serumspiegel bestimmt werden.
    • Um unnötige Blutentnahmen bei Patient*innen zu vermeiden, sollte das von der initial entnommenen Blutprobe gewonnene Serum bis zum Vorliegen des Vitamin-B12-Serumspiegels noch nicht verworfen werden.
    • Falls erforderlich, können aus dieser Probe weiterführende Untersuchungen (Holotranscobalamin, Methylmalonsäure) durchgeführt werden.
  2. Bei einem Vitamin B12-Serumspiegel < 200 pg/ml (147,6 pmol/l) und typischer Symptomatik:
    • keine weitere Diagnostik erforderlich
    • Substitutionstherapie sofort einleiten.
  3. Bei einem Vitamin-B12-Serumspiegel 200–350 pg/ml (147,6–258,3 pmol/l):
    • Bestimmung von Holotranscobalmin (HTC) und Methylmalonat (MMA)
      • HTC < 35 pmol/l, MMA > 271 nmol/l
        • Vitamin-B12-Mangel, Substitution einleiten.
      • HTC 35–50 pmol/l
        • MMA > 271 nmol/l: Vitamin-B12-Mangel, Substitution einleiten.
        • MMA < 271 nmol/l: kein Vitamin-B12-Mangel
      • HTC > 50 pmol/l, MMA < 271 nmol/l
        • kein Vitamin-B12-Mangel
  4. Bei einem Vitamin-B12-Serumspiegel > 350 pg/ml (258,3 pmol/l):
    • kein Vitamin-B12-Mangel.
  • Den Therapiealgorithmus als Abbildung finden Sie hier (SpringerNature).

Stufendiagnostik bei Niereninsuffizienz5

  • Bei Niereninsuffizienz können trotz Mangel der HTC- und Vitamin-B12-Spiegel normal sein.
  • Bei klinischem Verdacht auf Vorliegen eines Vitamin-B12-Mangels und bestehender Niereninsuffizienz wird empfohlen, den MMA-Spiegel vor und nach der therapeutischen Gabe von Vitamin B12 zu bestimmen.
    • Eine Senkung des MMA-Spiegels um mehr als 200 nmol/l unter Therapie spricht dafür, dass ein Vitamin-B12-Mangel vorgelegen hat. 
  1. Bestimmung des Vitamin-B12-Spiegels
  2. Bei einem Vitamin-B12-Serumspiegel < 200 pg/ml (147,6 pmol/l) und typischer Symptomatik:
    • keine weitere Diagnostik erforderlich
    • Substitutionstherapie sofort einleiten.
  3. Bei einem Vitamin-B12-Serumspiegel > 200 pg/ml (147,6 pmol/l): Bestimmung des MMA-Spiegels
    • MMA > 271 nmol/l: Mangel wahrscheinlich, Substitution einleiten, erneute Bestimmung des MMA-Spiegels 4–8 Wochen nach Therapiebeginn.
      • Senkung des MMA-Spiegels um mehr als 200 nmol/l: Vitamin-B12-Mangel hat vorgelegen, Substitution fortsetzen.
      • Senkung des MMA-Spiegels um weniger als 200 nmol/l: klinische und laborchemische Verlaufskontrollen
    • MMA < 271 nmol/l: Mangel unwahrscheinlich

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Bei V. a. perniziöse Anämie Endoskopie des Magens (ÖGD) zur Abklärung einer möglichen atrophischen Gastritis
    • bei Verdacht auf eine Autoimmun-Gastritis Bestimmung Parietalzellantikörper und Antikörper gegen Intrinsic Factor
  • Ggf. Atemtest auf bakterielle Fehlbesiedlung
  • Ggf. Pankreasdiagnostik (fehlende Abspaltung der R-Proteine im Duodenum bei exokriner Pankreasinsuffizienz)
  • Knochenmarksuntersuchung zur Differenzialdiagnostik bei V. a. myelodysplastisches Syndrom (MDS)20

Indikationen zur Überweisung

  • Bei V. a. perniziöse Anämie Überweisung zur Endoskopie des Magen
  • Bei schweren neurologischen Defiziten Überweisung an neurologische Praxis
  • Bei unzureichendem Ansprechen auf Substitutionstherapie Überweisung an hämatologische Praxis (Ausschluss myelodysplastisches Syndrom)

Therapie

Therapieziele

  • Ausgleich des Vitamin-B12-Mangels durch Substitution
  • Verhinderung einer Anämie und anderer Folgeerkrankungen

Allgemeines zur Therapie

  • Der Schätzwert für eine angemessene Zufuhr von Vitamin B12 für Erwachsene liegt bei 4 µg pro Tag.1
    • Schwangere und Stillende haben einen erhöhten Bedarf.
    • Schätzwert für Schwangere 4,5 µg/d, für Stillende 5,5 µg/d
  • Patient*innen mit Vitamin-B12-Mangel trotz normaler Absorption, wie z. B. Vegetarier*innen und Veganer*innen, benötigen eine tägliche Ergänzung in Form einer Vitamintablette, die mindestens 6 µg Vitamin B12 erhält.21
  • Die Substitution kann parenteral oder hochdosiert in oraler Form erfolgen.5
    • In der Regel kann mit einer oralen Therapie begonnen werden, die auch kostengünstiger ist.22
    • Bei neurologischen Manifestationen sollte die Therapie parenteral eingeleitet werden, da bei dieser Applikation sowohl Resorption als auch Compliance besser gewährleistet sind als bei oraler Anwendung.5
    • Eine hochdosierte orale Therapie ist auch bei Resorptionsstörungen möglich, da im gesamten Dünndarm durch passive Diffusion (wenn auch im geringen Ausmaß) eine Aufnahme von Vitamin B12 möglich ist.
  • Patient*innen mit irreversiblen Ursachen für Vitamin-B12-Mangel benötigen eine lebenslange Substitution.

Medikamentöse Therapie

  • In Deutschland werden verschiedene Vitamin-B12-Präparate verwendet.
    • Hydroxycobalamin als Injektionslösung
      • Verschiedene Präparate sind erhältlich, die jeweilige Fachinformation beachten.
      • i. m., s. c., und i. v. Gaben möglich 
    • Cyanocobalamin ist als Injektionslösung oder als Tabletten verfügbar.
      • Verschiedene Präparate sind erhältlich, die jeweilige Fachinformation beachten.

Parenterale Gabe

  • Indiziert bei schwerer neurologischer Symptomatik5,23
  • Zur parenteralen Therapie sollte grundsätzlich Hydroxycobalamin verwendet werden.5
    • längere Halbwertszeit als Cyanocobalamin, Injektion alle 3 Monate ausreichend
  • Da Vitamin B12 auch in hohen Dosen nicht toxisch ist und die Therapiekosten gering sind, sollte initial eine hochdosierte Therapie mit Hydroxycobalamin durchgeführt werden.5
    • Durch diese ist auch eine schnelle Auffüllung der entleerten Speicher sichergestellt.
  • Folgendes Schema wird laut Fachinformationen für die klinische Anwendung einer parenteralen Substitution empfohlen:24-25
    • in den ersten Wochen (Anzahl der Wochen nicht genau definiert) 100 µg täglich24 – oder alternativ –
    • in den ersten beiden Wochen 1.000 µg 1–2 x/Woche25
    • anschließend jeweils 100 µg/Monat.24-25
  • Im Verlauf ist ggf. als Erhaltungstherapie die orale Einnahme von 1.000–2.000 µg Cyanocobalamin ausreichend.23

Orale Gabe

  • Tabletten mit dem Wirkstoff Cyanocobalamin
    • Die perorale Einnahme von 1.000–2.000 µg Cyanocobalamin täglich zur Normalisierung von hämatologischen und neurologischen Symptomen bei B12-Mangel ist ähnlich effektiv wie intramuskuläre Injektionen.26-27
    • Bei ausbleibender Besserung nach 1–2 Monaten einen Wechsel auf die parenterale Therapie überlegen.
    • mögliches Schema für Tabletten mit 1000 µg Cyanocobalamin:23
      • Patient*innen mit hämatologischem und/oder neurologischem Befund
        • Initialtherapie für etwa 4 Wochen: 2 x 2 Tabletten täglich
        • Erhaltungsdosis 1–2 Tabletten täglich
      • Patient*innen ohne hämatologische und neurologische Symptomatik
        • Initialtherapie für etwa 4 Wochen: 2 x 1–2 Tabletten täglich
        • Erhaltungsdosis 1–2 Tabletten täglich.

Behandlung der makrozytären Anämie

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.5
  • Bei einer auf Vitamin-B12-Mangel zurückzuführenden makrozytären Anämie ist – auch bei geriatrischen Patient*innen – in der Regel keine Transfusion von Fremdblut erforderlich.
  • Da die Anämie sich langsam entwickelt hat, ist der Körper an den niedrigen Hämoglobinwert adaptiert; man kann also den Effekt der Vitamin-B12-Substitution abwarten.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Eine bedarfsdeckende Vitamin-B12-Zufuhr nur mit pflanzlichen Lebensmitteln ist nicht möglich.1
    • Der Schätzwert lässt sich z. B. mit einem kleinen Glas Milch, einem Becher Jogurt, einem Ei und 60 g Camembert erreichen.
  • Veganer*innen
    • Da Veganer*innen keinerlei tierische Produkte essen, wird empfohlen, dass sie täglich präventiv Vitamin B12 in Form einer Tablette nehmen. Es gibt auch mit Vitamin B12 angereicherte vegane Nahrungsmittel.
  • Schwangerschaft und Stillzeit
    • Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist es besonders wichtig, für eine ausreichende Zufuhr von Vitamin B12 über die Nahrung zu sorgen, um eine Schädigung des Kindes zu vermeiden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Bis ein Vitamin-B12-Mangel durch Verbrauch der körpereigenen Speicher apparent wird, vergehen einige Jahre.
  • Progredienz der Symptome, bis Mangel ausgeglichen wird.

Komplikationen

  • Anämie
  • Psychiatrische Symptome: kognitive Beeinträchtigung, Demenz, Depression
  • Neurologische Symptome: Polyneuropathie, Ataxie, funikuläre Myelose
  • Mukokutane Symptome: Hyperpigmentierung, Hunter-Glossitis

Prognose

  • Gut bei frühzeitiger Behandlung
  • Die neurologische Symptomatik bessert sich bereits in der ersten Woche nach Behandlungsbeginn, die vollständige Rückbildung der Symptome kann jedoch bis zu 3 Monate dauern.5
  • Das MCV sollte sich bei Ansprechen auf die Therapie innerhalb von 8 Wochen vollständig normalisiert haben.5

Verlaufskontrolle 

  • Bei hämatologischen oder neurologischen Manifestationen werden folgende Verlaufskontrollen empfohlen:5,23
    • 7 Tage nach Beginn der Therapie
    • anschließend in ersten 3 Monaten Kontrolle von Symptomatik, Retikulozytenzahl, Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit und MCV) alle 4 Wochen
    • dann Kontrolle bei guter Compliance in halb- bis einjährlichen Abständen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN). Diagnostik bei Polyneuropathien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-067. S1, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

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  2. Red. Cave Vitamin-B12-Mangel!. MMW - Fortschritte der Medizin volume 2018; 160: 663-670. link.springer.com
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Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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