Zusammenfassung
- Definition:Heterogene Gruppe genetisch bedingter Erkrankungen mit Störung der normalen Hämoglobinbildung durch defekte Synthese einer oder mehrerer Hämoglobinketten. Bezeichnung als Alpha-Thalassämie oder Beta-Thalassämie in Abhängigkeit von den vermindert gebildeten Globinketten.
- Häufigkeit:Am häufigsten bei Menschen aus dem Mittelmeerraum, dem Nahen Osten sowie Teilen Afrikas und Asiens (aktuelle und frühere Malariagebiete durch Selektionsvorteil).
- Symptome:Abhängig von der Anzahl der betroffenen Gene gibt es eine große Bandbreite zwischen asymptomatischen Genträger*innen und Symptomen einer schweren Anämie mit komplexem Krankheitsbild.
- Befunde:Abhängig von Art und Schweregrad der Erkrankung Blässe, Ikterus, Hepatosplenomegalie, Zeichen einer endokrinen Störung, Zeichen der Herzinsuffizienz, Wachstumsretardierung, Knochendeformitäten.
- Diagnostik:Blutbild, Eisenstatus, Hämoglobinelektrophorese; im Einzelfall molekularbiologische Diagnostik.
- Therapie:Bei leichten Formen ist keine Therapie notwendig. Transfusionstherapie bei schweren Formen mit Prävention/Behandlung einer Eisenüberladung. Kurative Therapie durch Stammzelltransplantation.
Allgemeine Informationen
Definition
- Heterogene Gruppe genetisch bedingter Erkrankungen mit Störung der normalen Hämoglobinbildung durch defekte Synthese einer oder mehrerer Hämoglobinketten1
- Bezeichnung als Alpha-Thalassämie oder Beta-Thalassämie in Abhängigkeit von den einbezogenen Globingenen1
Häufigkeit
- Hämoglobinopathien sind die häufigsten monogenen Erbkrankheiten mit ca. 7 % Genträger*innen weltweit.2
- Davon leben weltweit ca. 200 Mio. Betroffene mit einem Thalassämie-Syndrom.3
- Thalassämie ist am häufigsten bei Menschen aus dem Mittelmeerraum, dem Nahen Osten sowie Teilen Afrikas und Asiens.4-5
- Das primäre Verbreitungsgebiet ist in Übereinstimmung mit aktuellen und früheren Malariagebieten, da ein Selektionsvorteil aufgrund geringerer Anfälligkeit für Malaria besteht.6
- Verhältnis Frauen zu Männern ca. 1:14
Wachsende Bedeutung für die Hausarztmedizin durch Migration
- Ausgehend vom Mittelmeerraum und weiten Teilen Asiens und Afrikas Ausbreitung durch Migration2
- In Deutschland über 10 Mio. Menschen mit Bezug zu diesen Regionen7
- In weiten Teilen Europas gilt mittlerweile die Einstufung als endemische Erkrankungen.2
- In Deutschland gibt es mehr als 600 Patient*innen mit Beta-Thalassämie major und etwa 150.000 Träger*innen der Erkrankung mit milden Symptomen.8
- In der deutschen Bevölkerung mitteleuropäischer Abstammung beträgt die Prävalenz der heterozygoten Beta-Thalassämie lediglich 0,01 %.9
- Beta-Thalassämien in Europa mit der größten klinischen Bedeutung10
Ätiologie und Pathogenese
Normale Struktur des Hämoglobins
- Ein normes Hämoglobinmolekül besteht aus 4 Globinketten (Heterotetramer), wobei sich die Zusammensetzung im Laufe der Entwicklung ändert.
- Etwa 8 Wochen nach Konzeption vor allem Bildung von fetalem HbF (α2γ2)10
- Zum Zeitpunkt der Geburt wird die Gamma-Globin-Synthese durch die Beta-Globin-Synthese abgelöst mit Entstehung von adultem Hämoglobin HbA (α2β2)10
- Nach der Säuglingszeit ganz überwiegend Produktion von HbA (α2β2) mit ca. 97 %, Anteil von HbA2 (α2δ2) ca. 2,5 %, HbF nur noch minimal10
Veränderungen bei Thalassämien
- Hämoglobinopathien werden grundsätzlich in 2 Gruppen eingeteilt:6,11
- Erkrankungen durch qualitative strukturelle Veränderungen des Hämoglobins (veränderte Aminosäurensequenz)
- Erkrankungen mit einer quantitativen Beeinträchtigung der Globinkettensynthese (Thalassämien).
- Thalassämien sind genetische Erkrankungen, die durch Mutationen des Alpha- bzw. Beta-Globingens verursacht werden.3
- Gene der Alpha- und Beta-Ketten sind chromosomal getrennt lokalisiert, die Gene der Alpha-Globinkette auf Chromosom 11, die Gene der Beta-Globinkette auf Chromosom 16.6
- Der Erbgang ist autosomal-rezessiv.2
- Die Genmutationen der Thalassämien führen zu einer quantitativ verminderten Synthese von strukturell normalen Alpha- bzw. Beta-Globinketten.6
- Durch den Mangel entweder an Alpha- oder Beta-Globinketten kommt es zu einer verminderten Produktion von – strukturell normalen – α2β2-Hämoglobinmolekülen und dadurch zur mikrozytären, hypochromen Anämie.6
- Zusätzlich Schädigung des Knochenmarks und der Erythropoese durch die überschüssigen Globingegenketten6
- Die Schwere des klinischen Bildes ist somit abhängig vom Ausmaß des Ungleichgewichts zwischen Alpha- und Beta-Globinketten.6
Beta-Thalassämien – Einteilung und klinische Präsentation
- Beta-Thalassämien werden durch eine oder mehrere Punktmutationen im Beta-Globin-Gen verursacht, über 200 solche Mutationen sind bekannt.12
- Die klinische Ausprägung der Beta-Thalassämien hängt von der genetischen Konstellation ab:
- Je nach Mutation im Beta-Globingen weist dieses eine unterschiedlich ausgeprägte Aktivität auf (β0: keine Aktivität, β+: Restaktivität vorhanden).
- Zudem wird die Ausprägung dadurch beeinflusst, ob nur ein oder beide Chromosomen einen thalassämischen Defekt aufweisen.
- Es ergibt sich somit eine Vielzahl von möglichen Genotypen; klinisch erfolgt die Einteilung üblicherweise in 3 mögliche Phänotypen: Thalassaemia minor, Thalassaemia intermedia, Thalassaemia major.
- Thalassaemia minor1,3
- leichte mikrozytär-hypochrome Anämie
- evtl. auch nur Mikrozytose und Hypochromie ohne Anämie
- symptomfrei oder milde klinische Symptome durch die leichte Anämie
- kein Transfusionsbedarf
- Milz und Leber sind selten vergrößert.
- Thalassaemia intermedia
- mittelschwere Verlaufsform ohne primäre, chronische Transfusionsbedürftigkeit
- lange Zeit kein Transfusionsbedarf bei Hb ca. 8 g/dl (5 mmol/l)
- häufig allerdings Verschlechterung im Verlauf
- bei ausgeprägten Formen erste Symptome wie die Hepatosplenomegalie zwischen 2. und 6. Lebensjahr, bei leichteren Formen erst in der Adoleszenz oder als Erwachsene
- Die Notwendigkeit einer regelmäßigen Infusionstherapie muss rechtzeitig erkannt werden.
- Breites Spektrum klinischer Präsentation – therapierelevante klinische Symptome sind:
- Anämie-Symptome (Belastungsintoleranz)
- Wachstums- und Entwicklungsstörung
- extramedulläre Blutbildungsherde (z. B. paravertebral mit Kompressionssymptomen)
- endokrine Störungen (Osteopenie, Frakturen, Knochenschmerzen, Infertilität)
- kardiopulmonale Komplikationen (pulmonale Hypertension, Li- u. Re-Herzinsuffizienz)
- thromboembolische Ereignisse
- psychologische Belastungen (Depressionen).
- mittelschwere Verlaufsform ohne primäre, chronische Transfusionsbedürftigkeit
- Thalassaemia major1,7,10
- schwere mikrozytäre, hypochrome Anämie
- hochgradig gestörte Erythropoese und leichte Hämolyse
- Klinische Symptome tauchen meist bereits im ersten Lebensjahr auf:
- Blässe
- Ikterus
- Gedeihstörung
- Hepatosplenomegalie.
- bei unzureichender Therapie:
- Infektionen
- Wachstumsretardierung
- Knochendeformierungen (u. a. Facies thassalaemica mit hoher Stirn, Verbreiterung der Diploe, Prominenz von Jochbein und Oberkiefer)
- pathologische Frakturen
- Cholelithiasis
- Verdrängungssyndrome durch extramedulläre Erythropoese.
- Unbehandelt führt die Erkrankung bereits im Kleinkindalter zum Tod.
- Regelmäßige Transfusionstherapie führt zur Eisenüberladung.
Alpha-Thalassämien – Einteilung und klinische Präsentation
- Ursache für eine Alpha-Thalassämie ist eine Deletion (partiell oder total) eines oder mehrerer der 4 Gene, die die Alpha-Kettenproduktion regulieren.1,7
- Klinisch erfolgt die Einteilung in 4 verschiedene Formen, wobei der Schweregrad mit der Anzahl der vom Aktivitätsverlust betroffenen Gene korreliert.1,7
- Asymptomatische Alpha-Thalassämie minima1,7
- klinisch inapparent
- Hb normal (oder minimal erniedrigt)
- leichte Mikrozytose und Hypochromie
- Alpha-Thalassämie minor1,7
- Hb leicht erniedrigt in unterschiedlicher Ausprägung
- Mikrozytose und Hypochromie
- HbH-Krankheit1,7
- relevante hämolytische Anämie
- Hb bei Erwachsenen und im späteren Kindesalter zwischen 7 und 12 g/dl (4,3 und 7,5 mmol/l), Blutbild bereits bei Neugeborenen verändert
- Retikulozytenzahl auf etwa 50–100 ‰ erhöht
- Transfusionen sind selten indiziert.
- variables klinisches Bild zwischen guter Anpassung an die Anämie oder auch deutlich reduziertem Befinden
- Hepatosplenomegalie bei 70–80 %
- hämolytische/aplastische Krisen z. B. durch Infektionen oder Schwangerschaft
- Komplikationen wie Gallensteine, Ulcera cruris, kardiale Komplikationen
- Hb-Bart-Hydrops-fetalis-Syndrom (HBHFS)
- bereits intrauterin schwere klinische Probleme (Hydrops, schwere Anämie, Herz- und Skelettfehlbildungen)
- Unbehandelt tritt der Tod intrauterin oder kurz nach der Geburt ein, bereits interauterin sind Transfusionen notwendig.
Disponierende Faktoren
- Herkunft aus Gebieten mit hoher Anzahl an Genträger*innen
ICPC-2
- B78 Vererbliche hämolytische Anämie
ICD-10
- D56 Thalassämie
- D56.0 Alpha-Thalassämie
- D56.1 Beta-Thalassämie
- D56.2 Delta-Beta-Thalassämie
- D56.3 Thalassämie-Erbanlage
- D56.4 Hereditäre Persistenz fetalen Hämoglobins (HPFH)
- D56.8 Sonstige Thalassämien
- D56.9 Thalassämie, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Diagnosestellung beruht auf:
- dem klinischen Bild bei symptomatischen Formen
- Labor (Blutbild, Eisenstatus)
- Hämoglobinelektrophorese
- evtl. ergänzend molekularbiologische Untersuchungen (v. a. bei Alpha-Thalassämien)
- Beta-Thalassämien meistens mit typischen Veränderungen bereits in der Hämoglobinelektrophorese, sodass eine molekularbiologische Analyse des Gendefekts nicht notwendig ist.3
- Bei Alpha-Thalassämien ist eine molekularbiologische Diagnostik zur genauen Charakterisierung notwendig.3
Differenzialdiagnosen
- Eisenmangelanämie
- Andere hämolytische Anämien, u. a. Sphärozytose, Elliptozytose, Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel und Sichelzellenanämie
Anamnese
- Patient*innen mit schweren Formen der Thalassämie sind bereits frühkindlich schwer symptomatisch/behandlungspflichtig und damit für die hausärztliche Abklärung weniger relevant.
- Die Mehrzahl der Genträger*innen weist klinisch eine Minorvariante auf und ist asymptomatisch oder wenig symptomatisch.
- Bei den mittelschweren Verlaufsformen gibt es ein breites Spektrum an möglichen Symptomen.
- Symptome einer Anämie:
- Müdigkeit, Abgeschlagenheit
- Leistungsminderung
- Belastungsdyspnoe
- schneller Puls
- Kopfschmerzen
- Schwindel.
- Abdominelle Beschwerden (Hepatosplenomegalie, Cholezystolithiasis)
- Neurologische Ausfälle (Kompressionsyndrome durch extramedulläre Blutbildung mit Pseudotumoren in Retroperitoneum/Thorax)13
- Z. n. arteriellen oder venösen Thrombembolien (10 % der Patient*innen mit Beta-Thalassaemie intermedia)13
- evtl. Symptome einer pulmonalen Hypertonie
- Symptome von Erkrankungen, die durch eine sekundäre Hämochromatose verursacht werden:13
- kardiale Erkrankungen
- endokrine Erkrankungen
- Gelenkerkrankungen
- Arthritis, Arthrose
- Familienanamnese
- Thalassämie bekannt?
- Genträgerschaft bekannt?
- Migrationshintergrund?
Klinische Untersuchung
- Die klinischen Befunde sind abhängig vom Schweregrad der Thalassämie und den damit verbundenen Störungen, insbesondere einer sekundären Hämochromatose:
- Blässe (Anämie)
- Ikterus (bei Hämolyse)
- Bronzefärbung der Haut (bei sekundärer Hämochromatose)
- (Hepato-)Splenomegalie
- Zeichen einer Herzinsuffizienz (bei Hämochromatose, pulmonaler Hypertonie)
- Gelenkveränderungen (sekundäre Hämochromatose)
- Zeichen endokrinologischer Störungen wie Hypothyreose, Hypogonadismus, Nebenniereninsuffizienz (sekundäre Hämochromatose)
- Skelettdeformitäten
- Ulcera cruris
- Kleinwuchs.
Ergänzende Untersuchungen
- Großes Blutbild mit Erythrozytenindizes und Retikulozyten13
- Eisenstatus
- Abgrenzung zur Eisenmangelanämie und ggf. Erfassung einer Eisenüberladung
- Hämolyseparameter (vor allem bei V. a. HbH-Krankheit)
Diagnostik bei Spezialist*innen
Blutausstrich
- Schwere Alpha- und Beta-Thalassämien mit auffälligen Veränderungen im Blutausstrich (HbH-Zellen, starke Anisozytose, Poikilozytose, Targetzellen und basophil punktierte Erythrozyten)3
Hämoglobinanalyse
- Erfassung der verschiedenen Hämoglobinfraktionen durch Hämoglobinelektrophorese und -chromatografie
- Bei Beta-Thalassämie erhöhte Fraktionen von HbF und HbA2
- Bei der HbH-Krankheit Nachweis von HbH
Molekulargenetische Untersuchungen
- Entscheidend vor allem bei der Abklärung einer Alpha-Thalassämie
- Minima- und Minorformen der Alpha-Thalassämie sind nur mit DNA-Analyse sicher zu diagnostizieren.1
- Bei der Abklärung der Beta-Thalassämien gehören molekulargenetische Untersuchungen nicht zur Standarddiagnostik, sie sollten nur bei folgenden Indikationen veranlasst werden:13
- Diagnostik der „stummen“ Beta-Thalassämie minor
- Abgrenzung der Thalassaemia intermedia von Thalassaemia major
- im Rahmen von genetischer Beratung und Pränataldiagnostik.
Indikationen zur Überweisung
- Vor allem in folgenden Situationen ist die differenzierte Abklärung einer Thalassämie indiziert:3
- ausgeprägte klinische Symptomatik mit V. a. zugrunde liegende Thalassämie
- hypochrome, mikrozytäre Anämie nach Ausschluss eines Eisenmangels
- vor geplanter Schwangerschaft (bzw. bald nach Konzeption) bei V. a. Thalassämieanlage
Genetische Beratung
- Bei Thalassämien sollte eine Familien- bzw. Partnerdiagnostik und eine genetische Beratung angeboten werden.1
- Durch die frühzeitige Feststellung einer Trägerschaft kann auch eine überflüssige Eisensubstitution vermieden werden.8
Therapie
Therapieziele
- Bei schwerer Thalassämie kurativer Ansatz mit Stammzelltransplantation1
- Ein neuer Ansatz besteht aus einer Gentherapie in Kombination mit Stammzelltransplantation.14
- Ansonsten symptomatische Therapie mit Bluttransfusionen zur Korrektur einer Anämie und Suppression einer gesteigerten Erythropoese10
- Vermeidung oder Behandlung einer Eisenüberladung, die durch Bluttransfusionen oder gesteigerte intestinale Eisenresorption verursacht wird.
Allgemeines zur Therapie
- Planung und Durchführung einer Therapie in Zusammenarbeit mit Hämatolog*innen/hämatologischem Zentrum1
Therapieprinzipien der Beta-Thalassämien
- Beta-Thalassämie minor1
- Behandlung im Allgemeinen nicht notwendig
- Substitution von Folsäure (0,5 mg/d oral) und Vit B6 (100–200 mg/d oral) kann erwogen werden.
- Beta-Thalassämie intermedia1,13
- primär klinische und hämatologische Verlaufskontrollen
- Indikationsstellung zur Transfusionstherapie ist vor allem durch die klinische Situation bestimmt.
- Transfusionen aber ca. bei Hb < 8 g/dl (< 5 mmol/l) zu erwägen.
- Beta-Thalassämie major1
- symptomatisch: regelmäßige Transfusionstherapie kombiniert mit Chelattherapie zur Verhinderung einer Eisenüberladung
- kurativ: Stammzelltransplantation, sofern HLA-identischer Spender vorhanden
Therapieprinzipien der Alpha-Thalassämien
- Alpha-Thalassämie minima und Alpha-Thalassämie minor bedürfen keiner Therapie.1
- HbH-Krankheit1
- Therapie abhängig vom variablen klinischen Schweregrad
- Transfusionen sind eher selten notwendig.
- bei hämolytischen oder aplastischen Krisen
- bei Schwangerschaft
- Folsäuresubstitution
- Eisensubstitution kontraindiziert (außer bei gleichzeitig nachgewiesenem Eisenmangel)
- Hb-Bart-Hydrops-fetalis-Syndrom1
- Es sind bereits pränatal Infusionen erforderlich.
- im Verlauf Transfusionsregime analog zu Beta-Thalassämie major
- evtl. kurative Therapie durch Stammzelltransplantation
Therapieformen
Stammzelltransplantation
- Eine Stammzelltransplantation mit hämatopoetischen Stammzellen von HLA-identischen Familienspender*innen ist derzeit die Therapie der Wahl.13
- Bei nichtverwandten Spender*innen ist eine weitestgehende HLA-Übereinstimmung erforderlich.13,15
- Es sind keine vergleichenden Daten für die verschiedenen Formen der allogenen Stammzelltransplantation verfügbar.16
- Für die Therapieentscheidung ist die transplantationsassoziierte Morbidität/Mortalität gegen die Folgen einer sekundären Hämochromatose bei symptomatischer Behandlung abzuwägen.13
- Transplantation meistens bereits im Kindesalter, bei Erwachsenen erhöhte Komplikationsraten13
Gentherapie
- Ein neuer therapeutischer Ansatz besteht in der Durchführung einer Gentherapie.
- Es handelt sich um eine autologe Stammzelltransplantation, wobei über Lentiviren eine Transduktion des korrekten Gens auf die Stammzellen durchgeführt wurde.14
- Im Juni 2019 wurde die Gentherapie für Patient*innen > 12 Jahre mit transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie durch die EMA zugelassen.17
Transfusionstherapie
- Unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik gilt im Allgemeinen ein Hb < 8 g/dl (< 5 mmol/l) als Indikation für eine Transfusionstherapie.1
- Der Basis-Ziel-Hb beträgt 9–10,5 g/dl (5,6–6,5 mmol/l) für eine Suppression der Erythropoese, der Ziel-Hb nach Transfusion 13–13,5 g/dl (8–8,4 mmol/l).1
- Retikulozyten < 5‰ zeigen eine ausreichende Hemmung der Erythropoese an.10
- Transfusionsintervalle von 3 Wochen empfohlen1
- Kürzere Intervalle mit kleineren Volumina sind aber möglich, v. a. bei Patient*innen mit kardialen Problemen.
- Längere Intervalle sollten vermieden werden.
Medikamentöse Eisenelimination
- Für die Indikationsstellung zu einer Eiseneliminationstherapie werden bei regelmäßig transfundierten Patient*innen berücksichtigt:18
- die kumulative Transfusionsmenge (ca. nach 10–15 Transfusionen)
- Serumferritin (wiederholt > 1.000 μg/l)
- Lebereisengehalt (Bestimmung im MRT).
- Patient*innen mit Thalassämia intermedia erhalten oft keine oder nur sporadisch Bluttransfusionen, dennoch kommt es aufgrund gesteigerter Eisenresorption typischerweise zu Lebersiderose (nicht zur Myokardsiderose)18
- Ferritin-Werte sind häufig nur leicht erhöht und reflektieren nicht das Ausmaß der Eisenüberladung der Leber.
- Lebereisenbestimmung (MRT) sollte erfolgen ab Pubertät alle 2 Jahre sowie bei Serumferritin > 300 ng/ml.
- Für die Chelattherapie zur Eisenelimination werden empfohlen:18
- Primärtherapie: Deferoxamin (s. c.) oder Deferasirox (oral)19
- Sekundärtherapie: Deferipron (oral).20
Behandlung von kardialen Komplikationen
- Eine kardiale Hämochromatose ist die Haupttodesursache älterer Thalassämiepatient*innen.13
- Therapie entsprechend der Störung (Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, pulmonale Hypertonie)
Behandlung von Splenektomie
- Indikationen für eine Splenektomie bei Splenomegalie sind:13
- hoher Transfusionsbedarf (> 200 ml Erythrozyten/kg KG/Jahr)
- Neutro- und/oder Thrombozytopenie
- schwerwiegende, lokale Symptomatik durch die Milzgröße
- Nach Splenektomie besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen und thrombembolische Komplikationen.21
Behandlung einer Endokrinopathie
- Die häufigsten Hormonstörungen (durch Eisenüberladung oder chronische Anämie) sind Hypogonadismus, Diabetes mellitus, Hypoparathyreoidismus, Hypophyseninsuffizienz, Nebennierenrindeninsuffizienz13
- Ggf. entsprechende Substitutionstherapie13
Behandlung einer Osteoporose
- Multifaktoriell bedingte Osteoporose bei mehr als 50 % der Patient*innen mit transfusionsbedürftiger Beta-Thalassämie, Beginn ab 3. Lebensjahrzehnt13
- Evtl. Biphosphonattherapie, bislang allerdings keine klaren Empfehlungen für Dosierung und Dauer13
Behandlung einer extramedullären Hämatopoese
- Außerhalb von Leber und Milz ist ein paraspinales Auftreten mit Myelonkompression möglich.
- Notfallmäßige Behandlung mit Laminektomie, mittelfristig mit Radiatio1
Behandlung thrombembolischer Komplikationen
- Erhöhtes Risiko für thrombembolische Ereignisse22
- Ggf. Behandlung und Sekundärprävention von Thrombosen und Embolien
- Keine systematischen Studien zur Prophylaxe bei Risikopatient*innen13
Empfehlungen für Patient*innen
- Begrenzung der Zufuhr eisenhaltiger Nahrungsmittel
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Bei Beta-Thalassämie treten im Verlauf zahlreiche mögliche Komplikationen auf:1,10,13
- Komplikationen als Folge der Hämosiderose
- Kardiomyopathie mit Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen
- Leberzirrhose
- endokrine Störungen
- Osteoporose/Frakturen
- thrombembolische Komplikationen
- pulmonale Hypertonie
- Splenomegalie mit Hyperspleniesyndrom
- extramedulläre Erythropoese mit Kompressionssyndromen
- Komplikationen als Folge der Hämosiderose
- Bei Alpha-Thalassämie (HbH-Krankheit) vor allem Komplikationen der hämolytischen Anämie10
- Cholelithiasis
- hämolytische Krisen durch Infektionen
- Parvovirus-B19-assoziierte aplastische Krisen
- Hyperspleniesyndrom
- Selten transfusionsbedingte Infektionen (vor allem Hepatitis C)1
Verlauf und Prognose
Beta-Thalassämien
- Thalassaemia minor
- normale Prognose23
- Thalassaemia intermedia
- keine zuverlässigen Daten zur Prognose24
- klinisch heterogene Gruppe mit dementsprechend unterschiedlicher Prognose25
- Verlauf und Prognose werden wesentlich bestimmt vom Ausmaß der chronischen Anämie und der Hyperplasie der Erythropoese.3
- Für die Einschätzung der Prognose sollte die gesamte Krankheitslast (Endokrinopathie, Knochenerkrankung, Thromboembolien, pulmonale Hypertonie, Leberzirrhose/-karzinom) berücksichtigt werden.26
- Thalassaemia major
- Unbehandelte Kinder versterben frühzeitig bis zum 10 Lebensjahr.2
- Früher verstarben über 50 % der Patient*innen bis zum 35. Lebensjahr.27
- in den vergangenen Jahren Rückgang der Mortalität28-29
- bei jüngeren Patient*innen vor allem durch die Stammzelltransplantation
- bei älteren Patient*innen vor allem durch die bessere Behandlung der Eisenüberladung28
- erste Transplantationen vor über 30 Jahren mit 5-Jahresüberlebensraten13
- krankheitsfrei > 80 %
- gesamt > 90 %
Alpha-Thalassämien
- Alpha-Thalassämien minima und minor
- normale Prognose30
- HbH-Krankheit
- Hb-Bart-fetalis-Syndrom
Verlaufskontrolle
- Bei primär asymptomatischen Patienten Kontrollen des Blutbildes, insbesondere bei im Verlauf auftretenden Anämiesymptomen
- Patient*innen mit klinisch relevanter, insbesondere transfusionsbedürftiger Thalassämie bedürfen regelmäßiger hämatologischer Verlaufskontrollen.
- Diese enthalten, in definierten Abständen oder nach Indikation, Kontrollen von:13
- Blut
- Blutbild
- Hämolyseparameter
- Eisenstoffwechsel
- Leber
- Labor
- Sonografie
- MRT (Eisengehalt)
- Herz
- EKG
- LZ-EKG
- Echokardiografie
- Kardio-MRT (Eisengehalt)
- endokrinologische Parameter
- Knochendichtemessung.
- Blut
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Über die Möglichkeiten der genetischen Beratung/pränatalen Diagnostik
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Beta Thalassämie, Stand 2012. www.onkopedia.com
- Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Thalassämie. AWMF-Leitlinie Nr. 025-17. S1, Stand 2016. www.awmf.org
- Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Sekundäre Eisenüberladung bei Patienten mit angeborenen Anämien, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 025-029. S2k, Stand 2022. www.awmf.org
Literatur
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).