Trockene Augen (Sicca-Syndrom)

Allgemeine Informationen

Definition

  • Multifaktorielles Syndrom mit trockenem Auge durch den Verlust der Homöostase des Tränenfilms.1
  • Hierdurch kann es zu Augenbeschwerden und Sehstörungen kommen.

Terminologie

Häufigkeit

  • Die Prävalenz steigt mit dem Alter an.2
  • Weltweit leiden Millionen von Menschen an trockenen Augen. Die Prävalenz liegt zwischen 5 % und 34 %.2-3
  • Die Beschwerden treten häufig bei älteren oder schwerkranken Patienten auf, die Probleme haben, die Augen zu schließen.
  • Die Einnahme von Anticholinergika und bestimmte Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis) prädisponieren für die Beschwerden.4

Pathologie

  • Tränenfilm
    • Besteht aus 3 Schichten (Lipidschicht, wässrige Schicht und Muzinschicht), die alle zur normalen Funktion beitragen.
    • Die Meibom-Drüsen produzieren die Lipidschicht, die die Evaporation verhindert.
    • Die wässrige Schicht wird von den akzessorischen Tränendrüsen produziert und die Muzinschicht von den Becherzellen der Konjunktiva.
    • Eine Erkrankung oder Störung einer oder mehrere dieser Systeme führen zu trockenen Augen.
  • Eine Störung kann aufgrund der folgenden Ursachen auftreten:
    • altersbedingte Veränderungen (Atrophie)
    • chronische Entzündung
    • Autoimmunfaktoren
    • genetische Faktoren (HLA-B8)
    • hormonelle Faktoren
    • Tragen von Kontaktlinsen.

Diagnostische Überlegungen

  • Verringerte Tränenproduktion
    • Sjögren-Syndrom
    • Non-Sjögren (Tränendrüsenversagen, reflektorische Hyposekretion, Nebenwirkungen von Medikamenten)
  • Erhöhte Verdunstung
    • Versagen der Meibom-Drüsen
    • Störung der Augenlider
    • verringertes Blinzeln
  • Externe Einflüsse
    • Vitamin-A-Mangel
    • Augentropfen und Konservierungsmittel von Augentropfen
    • Tragen von Kontaktlinsen
    • Korneaerkrankungen und Allergien
    • nach einer Augenoperation

Risikofaktoren für das trockene Auge

Konsultationsgrund

  • Trockene Auge treten häufig bei älteren Menschen auf.

Abwendbar gefährliche Verläufe

ICPC-2

  • F99 Auge/Anhangsgeb. Erkrank., and

ICD-10

  • H04 Affektionen des Tränenapparates
    • H04.1 Sonstige Affektionen der Tränendrüse

Differenzialdiagnosen

Hohes Alter

  • Trockene Auge treten häufig bei älteren Menschen auf.

Sjögren-Syndrom

  • Siehe Artikel Sjögren-Syndrom.
  • Tritt vor allem bei Frauen mittleren Alters auf.
  • Beeinflussung mehrerer Organe. Trockene Augen treten häufig begleitet von Polyarthritis und Mund- sowie Nasentrockenheit auf.
  • Positive serologische Tests (Autoantikörper-Nachweis)
  • Positive Schleimhautbiopsie
  • Augenbefund: leichte bis mittelgradige konjunktivale Hyperämie. Der untere Teil der Kornea und die Tunica conjunctiva bulbi weisen punktförmige Läsionen auf, die nach der Einfärbung mit Bengalrosa deutlich sichtbar sind.

Fazialisparese

  • Siehe Artikel Fazialisparese.
  • Durch eine periphere Fazialisparese kann Trockenheit beim betroffenen Auge ein Problem sein.

Trockene Augen bei allgemeinen Erkrankungen (eine Auswahl)

Anamnese

Besonders zu beachten

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
  • Zeit-, Orts- und Tagesabhängigkeit der Symptome
  • Arbeitsplatzbelastung (z. B. Bildschirmarbeit, trockene staubige Luft, Klimaanlage)
  • Trockene Augen bei Allgemeinerkrankungen (s. o.)
  • Medikamentenanamnese

Red Flags, bei denen sofort an Spezialist*in bzw. in die Augenklinik überwiesen/eingewiesen werden sollte

  • Akutes Auftreten der Symptome
  • Persistente oder ausgeprägte Beeinträchtigung des Sehens
  • Diplopie
  • „Systemische Symptome“ wie Gewichtsverlust oder Fieber

Klinische Untersuchung

Allgemeines

  • Anzeichen einer Systemerkrankung?
  • Fazialisparese
  • Sind die Symptome mit trockenen Augen vereinbar?
  • Verschlimmerung der Symptome z. B. durch Lesen/Bildschirmtätigkeiten über längere Zeit, Exposition gegenüber Wind/Klimaanlagen
    • Verstärken den Verdacht.

Grundlegende Augenuntersuchung

  • Visusuntersuchung
    • Die Sehschärfe darf nicht stark reduziert sein. Blinzeln sollte zu einem normalen Visus führen.
  • Gesichtsfeld
  • Inspektion von Horn- und Bindehaut mit Fluoreszein-Einfärbung
  • Pupilleninspektion bei gedämpftem Licht
    • Bei unregelmäßiger Pupille Uveitis einbeziehen.

Weitere Augenuntersuchung

  • Gründliche Inspektion des Augenlids: Schwellung, Rötung oder Fehlstellung der Wimpern (Trichiasis)
  • Foveolarreflex
  • Ophthalmoskopie
  • Augendruckmessung bei Spezialist*in

Ergänzende Untersuchungen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
  • Haut
    • Akne, Ekzeme, Schmetterlingserythym, sonstiger Ausschlag
  • Fingergelenke
  • Bei Verdacht auf Erkrankung des Bindegewebes muss eine allgemeine Diagnostik stattfinden.
  • Die Messung der Osmolarität der Tränenflüssigkeit gilt als beste diagnostischer Prüfung7, die Untersuchung wird aber nur selten routinemäßig durchgeführt.
  • Bei Verdacht auf Sjögren-Syndrom sollte ein Autoantikörper-Test gemacht werden.
    • z. B. antinukleäre Antikörper (ANA, positiv bei 55–97 %), RF (32–90 %), Anti-SSA (16–70 %) und Anti-SSB (7–50 %)8
    • Um das Sjögren-Syndrom zu diagnostizieren, muss eine histopathologisch positive Biopsie vorliegen.  

Untersuchungsalgorithmus des trockenen Auges

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Eine Überweisung ist bei unkomplizierten Beschwerden ohne Begleitsymptome selten erforderlich.
  • Bei Verdacht auf Sjögren-Syndrom: Die Patient*innen zur Biopsie der bukkalen Mukosa an die HNO-Abteilung überweisen.

Maßnahmen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Das Ziel der Behandlung ist die Linderung der Symptome und die Verhinderung von Narbenbildung in der Kornea sowie der Perforation der Kornea.9
  • Die Hauptbehandlung besteht in künstlicher Tränenflüssigkeit-/Augen-Gel/-Salbe.
    • unterschiedliche Grade von Viskosität
    • künstliche Tränenflüssigkeit am Tag und Augengel/-salbe nachts
    • Mit und ohne Konservierungsmittel: Ist beim Tragen von Kontaktlinsen von besonderer Bedeutung. Diese können sich vom Konservierungsmittel verfärben.
    • Es existiert keine ausreichende wissenschaftliche Grundlage für die bevorzugte Empfehlung eines Augentropfentyps.3
  • Faktoren einbeziehen, die die Beschwerden verschlimmern.
    • Kontaktlinsen: Einsatz einschränken oder zu einem anderen Typ wechseln.
    • Medikamente wie trizyklische Antidepressiva und Antihistaminika-Tabletten
  • Die Behandlung von Begleitkrankheiten optimieren, z. B.:
  • Eine gut angepasste Brille/Sonnenbrille, die die Augen vor Luftzug schützt, ist günstig.
  • Verschiedene Formen einer lokalen medikamentösen Behandlung können erforderlich sein.
    • systemische oder lokale Antibiotika bei chronischen Entzündungen
    • Cyclosporin-Augentropfen, bei Entzündung und trockenen Augen. Die Augentropfen können die Tränenproduktion erhöhen10, es kann aber Monate dauern, bevor sich die Wirkung einstellt.
    • Die lokale Therapie mit Kortikosteroiden ist wirksam zur Behandlung von Entzündungen, die mit trockenen Augen verbunden sind11; diese Behandlung muss durch eine Augenärztin/einen Augenarzt durchgeführt werden.
  • Bei anatomischen Verformungen oder bei Lähmung der Augenlider kann eine neutrale Augensalbe, ein Okklusionspflaster in der Nacht oder eine Überweisung zur operativen Therapie erforderlich sein.
  • Trockene Augen können nach einer Augenoperation auftreten, sind aber in der Regel ein vorübergehendes Phänomen.
  • Trockene Augen stellen eine Kontraindikation für die Laserbehandlung von Kurz- oder Weitsichtigkeit dar.
  • Omega-3-Fettsäuren als Ergänzungsmittel
    • Haben sich in kleineren Studien als wirksam erwiesen, jedoch konnte in einer placebokontrollierten Studie mit 499 Patient*innen, die über einen Zeitraum von 1 Jahr entweder Omega-3 Kapseln oder Placebokapseln (Olivenöl) einnahmen, kein signifikanten Unterschied festgestellt werden.12-13

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Quellen

Literatur

  1. Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Leitlinie von BVA und DOG Trockenes Auge (Sicca-Syndrom). Stand 2019. augeninfo.de
  2. Messmer, Elisabeth M, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des trockenen Auges, Dtsch Arztebl Int 2015; 112(5): 71-82; DOI: 10.3238/arztebl.2015.0071 www.aerzteblatt.de
  3. Pucker AD, Ng SM, Nichols JJ. Over the counter (OTC) artificial tear drops for dry eye syndrome. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Feb 23;2:CD009729. PMID: 26905373 PubMed
  4. Schaumberg DA, Sullivan DA, Buring JE, et al. Prevalance of dry eye syndrome among U.S. women. Am J Ophthalmol 2003; 136: 318-26. PubMed
  5. Yildirim, P., Garip, Y., Karci, A. A. and Guler, T. (2015), Dry eye in vitamin D deficiency: more than an incidental association. International Journal of Rheumatic Diseases. doi: 10.1111/1756-185X.12727 DOI
  6. Methodologies to diagnose and monitor dry eye disease: report of the Diagnostic Methodology Subcommittee of the International Dry Eye WorkShop (2007). Ocul Surf 2007; 5:108. PubMed
  7. Jackson WB. Blepharitis: current strategies for diagnosis and management. Can J Ophthalmol 2008; 43: 170-9. PubMed
  8. Kruszka P, O'Brian RJ. Diagnosis and management of Sjögren syndrome. Am Fam Physician 2009; 79: 465-70. American Family Physician
  9. Cronau H, Kankanala, RR, Mauger T. Diagnosis and management of red eye in primary care. Am Fam Physician 2010; 81: 137-44. American Family Physician
  10. Galor A, Jeng BH. Red eye for the internist: when to treat, when to refer. Cleve Clin J Med 2008; 75: 137-44. PubMed
  11. American Academy of Ophthalmology. Preferred practice patterns. Dry eye syndrome. Accessed September 3, 2009. pdfs.semanticscholar.org
  12. Donnenfeld ED. Effect of oral re-esterified Omega-3 nutritional supplementation on dry eye disease: double-masked randomized placebo-controlled study. Paper presented at: ASCRS. April 17-21, 2015; San Diego. ascrs.confex.com
  13. Dry Eye Assessment and Management Study Research Group. n-3 Fatty Acid Supplementation for the Treatment of Dry Eye Disease. N Engl J Med 2018 Apr 13. doi:10.1056/NEJMoa1709691 DOI
  14. Anzaar F, Foster CS, Ekong AS. Dry eye syndrome. eMedicine. Last accessed on May 19, 2009.
  15. Nichols KK, Mitchell GL, Zadnik K. The repeatability of clinical measurements of dry eye. Cornea 2004; 23:272. PubMed

Autor*innen

  • Heidrun Bahle, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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