Glaukom, akutes

Zusammenfassung

  • Definition:Anfall mit intraokulärer Drucksteigerung bei Patient*innen mit engem Kammerwinkel. Notfall, der innerhalb von wenigen Tagen zur Erblindung führen kann.
  • Häufigkeit:Inzidenz von 2,2–4,1 Fällen pro 100.000 Einw. jährlich in Europa. Gehäuft bei älteren, weitsichtigen Patient*innen.
  • Symptome:Akuter einseitiger Kopf- bzw. Augenschmerz bei gerötetem Auge und Übelkeit bis hin zu Erbrechen.
  • Befunde:Steinharter Bulbus und gerötetes Auge. Patient*in oft sehr schmerzgeplagt. Typischerweise ältere Patient*innen mit bekannter Weitsichtigkeit.
  • Diagnostik:Palpation des Bulbus.
  • Therapie:Medikamentöse Drucksenkung und mechanische Lösung des Winkelblocks (in der Regel per Laser-Iridotomie).

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonyme: Engwinkelglaukom, Winkelblockglaukom
  • Ophthalmologischer Notfall mit plötzlicher Erhöhung des Augeninnendrucks und blockiertem Kammerwinkel1  
    • Durch Druckerhöhung kann es zu irreversibler Schädigung des Sehnervs und der retinalen Ganglienzellen innerhalb weniger Stunden kommen.2

Häufigkeit

  • Etwa 1/4 der betroffenen Patient*innen stellt sich initial bei einem nicht-ophthalmologischen Fachbereich, u. a. in Hausarztpraxis, vor.1
  • Inzidenz
    • 2,2–4,1 Fällen pro 100.000 Einw. jährlich in Europa1  
  • In Europa ist das Offenwinkelglaukom die deutlich häufigere Form.3  
    • In Asien ist hingegen das Winkelblockglaukom dominierend.

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Angaben beziehen sich auf die nachfolgende Referenz.1  
  • Exzessive Augeninnendrucksteigerung aufgrund einer Verlegung des Trabekelmaschenwerks, das für den primären Abfluss des Kammerwassers zuständig ist, durch die periphere Iris.
  • Verschiedene Mechanismen können zur Verlegung des Trabekelmaschenwerks führen.
    • Beim Pupillarblock, dem häufigsten Mechanismus, entsteht durch Annäherung der zentralen Irisrückfläche an die Linsenvorderfläche eine Widerstandserhöhung des Kammerwasserflusses von der Hinter- in die Vorderkammer.
    • Dies erzeugt einen Druckgradienten, der zu einer Vorwölbung der peripheren Regenbogenhaut und dadurch Verlegung des Trabekelmaschenwerks im iridokornealen Kammerwinkel führt.

Prädisponierende Faktoren

  • Prädisponierende Faktoren gemäß nachfolgender Referenz1 
  • Asiatische Abstammung
  • Anatomisch flache Vorderkammer
  • Verkürzte Bulbuslänge bei Hyperopie (Weitsichtigkeit)
  • Zunehmende Linsendicke (normaler Prozess im Alter)
  • Höheres Alter
  • Weibliches Geschlecht
  • Medikamente mit parasympatholytischer/sympathomimetischer Wirkung, z. B.:4 
    • trizyklische Antidepressiva (Imipramin)
    • selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
    • Antiepileptika (Topiramat)
    • inhalative Bronchodilatatoren (Ipratropiumbromid und Salbutamol).

ICPC-2

  • F93 Glaukom

ICD-10

  • H40.2 Primäres Engwinkelglaukom

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Anamnese mit plötzlich starken, einseitigen Augenschmerzen, die ausstrahlen können, sowie oft dramatischer Sehverschlechterung.5     
  • Klassische Patient*innen: Ältere, weitsichtige Menschen, bei denen noch keine Katarakt-Operation erfolgt ist.5  
    • Die natürliche Linse wird im Lauf des Lebens immer dicker und fordert dann u. U. so viel Raum, dass sich der Kammerwinkel verlegt.
  • Bei Palpation im Seitenvergleich steinharter Bulbus5  

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Leitsymptomatik: akuter einseitiger Kopf- bzw. Augenschmerz bei gerötetem Auge und Übelkeit bis hin zu Erbrechen4 
  • Oft starke Sehverschlechterung auf betroffenem Auge durch Hornhautödem5
  • Cave: Fehldeutung als internistische oder neurologische Erkrankung möglich, wenn unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Pupillenstarre oder Übelkeit im Vordergrund stehen.1
  • Risikofaktoren abfragen. 
  • Mögliche Ursachen/Auslöser erfragen.4 
    • Kürzlich erfolgter Eingriff am Auge (auch Laser)?
    • Okuläre Vorerkrankungen, insbesondere retinale Erkrankungen?
    • komplette Medikamentenanamnese topisch und oral

Klinische Untersuchung

  • Methode der Wahl zur Diagnosestellung: Bulbuspalpation5
  • Schrittweises Vorgehen der Bulbuspalpation zur Augeninnendruckabschätzung1 
    • Abwärtsblick bei geöffneten Augen
    • Abstützen beider Hände von Untersucher*in auf Stirn und Schläfe
    • Auflegen beider Zeigefingerkuppen auf das Oberlid
    • Palpation durch abwechselnden sanften Druck
    • leicht eindrückbarer Bulbus mit Fluktuation bei normalem Augeninnendruck, schlecht eindrückbarer („steinharter“) Bulbus ohne Fluktuation bei hohem Augeninnendruck
    • Palpation des Partnerauges, zum Seitenvergleich

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Applanationstonometer4
    • Messung des Augeninnendrucks
  • Spaltlampenuntersuchung des vorderen Augenabschnitts4
    • gemischte/episklerale, limbal betonte Injektion
    • Hornhautödem
    • flache bzw. aufgehobene Vorderkammer
    • meist mittelweite, entrundete und nicht lichtreagible Pupille
  • Gonioskopische Beurteilung des Kammerwinkels (offen vs. blockiert)

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf akutes Glaukom sofortige Einweisung in eine Augenklinik

Therapie

Therapieziele

  • Normalisierung des Augeninnendrucks
  • Aufhebung der Winkelblockierung
  • Verhindern von irreversiblen Schädigungen des Sehnervs/retinaler Zellen
  • Rezidivprophylaxe

Allgemeines zur Therapie

  • Das Behandlungsprinzip des akuten Winkelblocks zielt darauf ab, zunächst medikamentös schnellstmöglich den Augeninnendruck zu senken gefolgt von der mechanischen Lösung des Winkelblocks.1
  • Cave: Eine Blutdrucksenkung sollte vermieden werden, da sonst auch Durchblutung des Sehnervs abnimmt.

Medikamentöse Therapie

Augentropfen

  • Therapieeinleitung nach Druckmessung und ophthalmologischer Untersuchung z. B. mit Betablocker und selektivem Alpha-Sympathomimetikum Brimonidin4
    • Beispiel für Betablocker: Timolol 0,1 %
      • Dosierung: 1 Tropfen in Bindehautsack der betroffenen Seite6  
    • Brimonidin 0,2 %
      • Dosierung: 1 Tropfen in Bindehautsack der betroffenen Seite7 
  • Etwa 1 Stunde nach Therapieeinleitung erfolgt eine erneute Druckmessung mit stündlichen Kontrollen bis zur Normalisierung des Augeninnendrucks.
    • Eine weitere Therapie erfolgt in der Regel mit Pilocarpin 1 % Augentropfen in kurzen Abständen (alle 10 min).4

Intravenöse Therapie

  • Bei initialen Augendruckwerten > 40 mmHg intravenöse Gabe von 500 mg Acetazolamid indiziert4
    • Falls intravenöse Gabe nicht möglich, sollte die Verabreichung oral erfolgen.
    • Die Gabe erfolgt stationär, da regelmäßige Blutentnahmen zur Bestimmung der Elektrolyte (insbesondere Kalium sowie Bikarbonat können unter der Therapie erheblich sinken) und Nierenfunktionsparameter (Kreatinin und GFR) notwendig sind.
  • Mannitol4  
    • Reservemedikament, das bei unzureichender Drucksenkung unter den o. g. Medikamenten zum Einsatz kommt.
    • Es wird intravenös (1–2 g/kg Körpergewicht Gesamtdosis) verabreicht.
    • Die Infusion muss langsam – am besten in 2 Einzeldosen – jeweils über 30–45 min gegeben werden.

Weitere Maßnahmen

  • Abhängig von der Symptomatik analgetische und antiemetische Therapie
    • z. B. MCP 10 mg p. o. als Antiemetikum8
    • z. B. Metamizol 1 g i. v. als Analgetikum9
      • Cave: Langsame Gabe, um Hypotension zu vermeiden!

Operative Therapie

  • Die chirurgische Iridektomie und die Iridotomie durch Laser stellen die beiden Therapiemöglichkeiten der Wahl zur Beseitigung der Blockade dar, indem eine Öffnung in der Iris zur zusätzlichen Kammerwasserzirkulation erzeugt wird.1
    • Die Laser-Iridotomie ist in der Regel das Vorgehen der Wahl; chirurgische Iridektomie bei Notfällen mit fehlendem Ansprechen auf medikamentöse Maßnahmen.4
    • Liegt am betroffenen Auge ein akuter Engwinkelblock vor, besteht auch am Partnerauge ein erhöhtes Risiko (40–60 %), in den nächsten 5–10 Jahren einen Engwinkelglaukom-Anfall zu erleiden. Daher ist eine prophylaktische Iridotomie auch kontralateral empfohlen.4

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Meist abrupter Beginn mit akuten, starken Augenschmerzen und Visuseinschränkung
  • Bei fehlender Augeninnendrucksenkung rasche, irreversible Schädigung des Sehnervens und retinaler Zellen mit Gefahr der Erblindung

Komplikationen

  • Visusverlust bis Erblindung

Prognose

  • Bei einem mittleren Follow-up von 27 ± 14 Monaten hatten in einer Studie nach akutem Winkelblock:10
    • 10 % der Patient*innen eine Visuseinschränkung und
    • 6 % eine vollständige Erblindung auf dem betroffenen Auge.
  • Das Partnerauge ist in etwa Hälfte der Fälle in nächsten 5–10 Jahren ebenfalls von einem akuten Glaukom-Anfall betroffen, sofern keine prophylaktische Therapie erfolgt.4

Verlaufskontrolle

  • Erfolgt durch Ophthalmolog*in
    • engmaschige Follow-up-Kontrollen mit Augeninnendruckmessung, Gesichtsfelduntersuchung und Bestimmung der retinalen Nervenfaserschicht als Basisdiagnostik4

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Wenn Patient*innen für eine Augenuntersuchung diagnostisch dilatiert werden oder Medikamente mit parasympatholytischer Wirkung erhalten, sollten ihnen die Symptome eines akuten Glaukoms genau erklärt werden.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Nuessle S, Luebke J, Boehringer D, et al. Akuter Winkelblock. Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 2021; 117: 137-43. link.springer.com
  2. Pokhrel PK, Loftus SA. Ocular emergencies. Am Fam Physician 2007; 76: 829-36. American Family Physician
  3. Chee-yung Tham C. Primary Angle-Closure Glaucoma. Medscape, May 2016. emedicine.medscape.com
  4. Gerhardt M, Mackert M. „Glaukomanfall“ – ein Leitfaden für die klinische Praxis. Klin Monbl Augenheilkd 2020; 237(1): 11-16. www.thieme-connect.com
  5. Oberhofer E. Bei V. a. Glaukomanfall sollten Sie den Bulbus palpieren!. MMW - Fortschritte der Medizin 2020; 162: 15. link.springer.com
  6. Bausch + Lomb. Fachinformation Timomann. Stand 2020. Letzter Zugriff 20.03.22. www.bausch-lomb.de
  7. Ratiopharm. Fachinformation Brimonidin. Stand 2015. Letzter Zugriff 20.03.22 www.ratiopharm.de
  8. Stadapharm. Fachinformation MCP. Stand 2020. Letzter Zugriff 20.03.22. fachinformation.srz.de
  9. Ratiopharm. Fachinformation Novaminulfon. Stand 2021. Letzter Zugriff 20.03.22. www.ratiopharm.de
  10. Andreatta W, Elaroud I, Nightingale P, et al. Long-term outcomes after acute primary angle closure in a White Caucasian population. BMC Ophthalmol 2015; 15: 108. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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