Presbyopie

Zusammenfassung

  • Definition:Altersbedingter Verlust der physiologischen Akkommodationsfähigkeit und dadurch im Nahbereich unscharfes Sehen.
  • Häufigkeit:Häufig, im Rahmen des Alterungsprozesses ab etwa 40 Jahren einsetzend.
  • Symptome:Das Nahsehen und Lesen bereitet zunehmend Schwierigkeiten.
  • Befunde:Als klinischer Befund liegt eine Visusminderung im Nahbereich vor, Begleitsymptome können Kopfschmerzen und Müdigkeit sein.
  • Diagnostik:Messung der Brechkraft des Auges sowie Sehtest zur Ermittlung der Stärke der erforderlichen Fern- und Nahkorrektur.
  • Therapie:Zur Korrektur der Presbyopie können Lesebrillen, ggf. auch Kontaktlinsen oder Intraokularlinsen eingesetzt werden. Alternativen stellen eine operative Linsenkorrektur oder Lasertherapie dar.

Allgemeine Informationen

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3

Definition

  • Verlust der Fähigkeit, im Nahbereich scharf zu sehen.
  • Das Sehen in der Ferne ist nicht beeinträchtigt.
  • Ursache ist der zunehmende altersbedingte Verlust der Akkommodationsfähigkeit des Auges.

Häufigkeit

  • Die Veränderungen setzen meist im Alter von etwa 40–45 Jahren ein und betreffen jeden Menschen früher oder später im Leben in unterschiedlicher Ausprägung.4-7
  • Angaben zur Häufigkeit hängen von der betrachteten Altersgruppe ab.
  • Im Jahr 2015 waren schätzungsweise 1,8 Mrd. Menschen weltweit betroffen.8

Physiologie

  • In jüngerem Lebensalter können die Augen ihre Brechkraft mittels Akkommodation leicht anpassen oder die zentrale Krümmung der Linsen durch eine koordinierte Kontraktion und Relaxation der Ziliarmuskeln erhöhen.
  • Die Ziliarmuskeln umgeben die Linsen und sind über die Zonulafasern mit diesen verbunden.
  • Eine Gruppe der Zonulafasern setzt am Linsenäquator an, die vorderen und hinteren Zonulafasern innerhalb des Äquators.
  • Werden die äquatorialen Fasern angespannt, kommt es im peripheren Bereich der Linse zu einer Abflachung und im zentralen Bereich zu einer Krümmung, sodass sich die Brechkraft dort erhöht (Schachar-Theorie).4
    • Dank der erhöhten zentralen Krümmung können nahe Objekte scharf gesehen werden.

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Presbyopie setzt meist etwa im Alter von 40 Jahren ein.
  • In der Folge fällt es den Betroffenen zunehmend schwer, Objekte innerhalb eines üblichen Leseabstands scharf zu sehen.
  • Die Nahanpassungsfähigkeit des Auges geht nach und nach zurück und ist im Alter von etwa 65 Jahren kaum noch gegeben.
  • Ursächlich sind ein Elastizitätsverlust der Augenlinse sowie strukturelle Änderungen im Bereich der Zonulafasern und des Ziliarmuskels.6
  • Die Presbyopie entsteht, da die Linse im Bereich ihres äußeren Randes (des Äquators) fortlaufend leicht wächst.
    • Dies führt dazu, dass sich die äquatorialen Zonulafasern, die die Linse spannen, verkürzen und dadurch schwächer werden.
  • Die Akkommodationsfähigkeit nimmt allmählich immer weiter ab, bis die Zonulafasern des M. ciliaris schließlich keinen Zug mehr auf die Linse ausüben können.
  • Es handelt sich um einen natürlichen Alterungsprozess.

ICPC-2

  • F29 Auge Symptome / Beschw., andere
  • F91 Refraktionsfehler

ICD-10

  • H52 Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler
    • H52.4 Presbyopie

Differenzialdiagnosen

  • Makularerkrankungen
  • Netzhauterkrankungen
  • Hypermetropie
  • Astigmatismus

Diagnostik

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3

Diagnostische Kriterien

  • Schwierigkeiten beim Lesen kleiner Schrift und beim Lesen von Text, der sich nah vor den Augen befindet.

Anamnese

  • Typisches Leitsymptom sind die „zu kurzen Arme“ beim Lesen.6
  • Erhebung der allgemeinen ophthalmologischen Anamnese5
    • Vorliegen einer früheren Schielerkrankung im Kindesalter
    • Teilzeitokklusion
    • familiäre Vorbelastung
  • Begleitsymptome können Kopfschmerzen und Schläfrigkeit beim oder kurz nach dem Lesen sein.7
  • Die Beschwerden nehmen meist im Laufe des Tages zu.
  • Bei schlechten Lichtverhältnissen sind die Beschwerden ausgeprägter.

Klinische Untersuchung

  • Visusbestimmung mittels Sehtafel
  • Untersuchung der Augenfolgebewegungen
  • Überprüfung der Pupillomotorik
  • Bei normalem Leseabstand verminderte Sehschärfe

Ergänzende Untersuchungen bei Ophthalmolog*in

  • Fernvisusbestimmung
  • Bestimmung der Brechkraft des Auges
  • Bestimmung der Stärke der erforderlichen Nahkorrektur

Indikationen zur ophthalmologischen Überweisung

  • Zum Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen
  • Zur exkakten Bestimmung der Sehschärfe
  • Wenn die Visusminderung sich nicht erfolgreich korrigieren lässt.

Therapie

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Therapieziele

  • Eine gute Sehschärfe im üblichen Arbeits- und Leseabstand erhalten.
  • Begleitsymptome lindern bzw. verhindern.

Konservative Therapie

  • Lesebrille für den Nahbereich6
    • gleiche Brechkraft im gesamten Brillenglas
    • Die Stärke ist abhängig vom Alter und dem gewünschten Leseabstand.
    • Besondere Tätigkeiten wie Arbeiten am PC können mit speziellen Brillen ausgeglichen werden.
  • Halbbrille: halbhohes Brillenglas, sodass über den oberen Brillenrand hinweg das Sehen in der Ferne möglich ist.
  • Bifokalbrille: im oberen Teil des Brillenglases Korrektur anderer Brechungsfehler
  • Trifokalbrille: Fernsehen im oberen Teil, Sehen auf mittlere Entfernungen im mittleren Teil und Nahsehen im unteren Teil des Brillenglases
  • Gleitsichtbrille: gradueller Übergang vom Sehen in der Ferne über mittlere Entfernungen bis hin zum Nahsehen innerhalb eines Brillenglases
  • Kontaktlinsen
    • unifokale oder multifokale Kontaktlinsen
    • Geeignete Kontaktlinse nach Vermessung der Brechkraft des Auges, der Hornhautoberfläche, subjektiver Bestimmung der Nahkorrektur und Untersuchung des Auges.
    • Auch Intraokularlinsen kommen immer häufiger zum Einsatz.
  • Eine weitere Möglichkeit ist eine Laserbehandlung zur Anpassung der Brechkraft der Hornhaut.

Operative Therapie

  • Operative Verfahren
    • Operative Korrektur der Alterssichtigkeit ist sinnvoll, wenn das Tragen von Brille oder Kontaktlinsen von den Alterssichtigen aus unterschiedlichen Gründen nicht toleriert wird.
    • Refraktive Operationsverfahren haben heute einen hohen Qualitätsstandard.
    • Das Verfahren ist abhängig von der Ausprägung der Alterssichtigkeit.
    • Die Operation wird häufig mit einer Operation des Grauen Stars kombiniert, dabei ist es möglich, multifokale Linsen an die Stelle der trüben Linse zu implantieren.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Für gute Lichtverhältnisse beim Lesen sorgen.
  • Konstanten Leseabstand angewöhnen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

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Verlauf

  • Der Beginn der Presbyopie wird häufig als relativ plötzlich wahrgenommen.
  • Eine Presbyopie entwickelt sich jedoch über einen langen Zeitraum hinweg und wird zunächst durch Akkomodationsprozesse ausgeglichen.
  • Häufig wird eine graduelle Entwicklung von ca. +0,5 dpt im Alter von 40–45 Jahren bis hin zu ca. +1,5–2 dpt im Alter von 60 Jahren beobachtet.

Komplikationen

  • Bei operativen Verfahren können Verletzungen auftreten.
  • Bei nicht korrigierter Presbyopie können Begleitsymptome wie Kopfschmerzen oder Schläfrigkeit auftreten, und die Alltagskompetenz der Patient*innen kann erheblich eingeschränkt sein.7

Prognose

  • Häufig gelingt das Erreichen einer verbesserten Sehschärfe.
  • Es kann im Verlauf eine erneute Therapieanpassung notwendig werden.
  • Der Verlauf ist mit zunehmendem Alter progredient.7

Illustrationen

Weitsichtigkeit (Hypermetropie).jpg
Weitsichtigkeit (Hypermetropie)

Quellen

Literatur

  1. Mian SI. Visual impairment in adults: Refractive disorders and presbyopia. UpToDate, last updated Sep 27, 2022. www.uptodate.com. www.uptodate.com
  2. Schachar R, Roy H. Presbyopia - Cause and treatment. Medscape. Last updated Apr 23, 2019. emedicine.medscape.com. emedicine.medscape.com
  3. Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V. Alterssichtigkeit (Presbyopie). Abruf 20.02.2023. www.augeninfo.de. www.augeninfo.de
  4. Schachar RA, Fygenson DK. Topographical changes of biconvex objects during equatorial traction: an analogy for accommodation of the human lens. Br J Ophthalmol. 2007; 91:1698-703. PMID: 16837546 PubMed
  5. Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Empfehlung zur Optischen Korrektur von Refraktionsfehlern: Brille. DOG 2011. www.augeninfo.de. www.dog.org
  6. Schiefer U, Kraus C, Baumbach P, et al. Refraktionsfehler - Epidemiologie, Auswirkungen und Behandlungsmöglichkeiten. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 693-702. www.aerzteblatt.de
  7. Singh P, Tripathy K. Presbyopia. 2022 Aug 30. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2022 Jan–. PMID: 32809403. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov. www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Fricke TR, Tahhan N, Resnikoff S, Papas E, Burnett A, Ho SM, Naduvilath T, Naidoo KS. Global Prevalence of Presbyopia and Vision Impairment from Uncorrected Presbyopia: Systematic Review, Meta-analysis, and Modelling. Ophthalmology. 2018 Oct;125(10):1492-1499. doi: 10.1016/j.ophtha.2018.04.013. Epub 2018 May 9. PMID: 29753495. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov. www.aaojournal.org

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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