Trachom und Trichiasis

Zusammenfassung

  • Definition:Chronische Entzündung der Bindehaut verursacht durch das Bakterium Chlamydia trachomatis.
  • Häufigkeit:Häufigste Augenerkrankung weltweit, Vorkommen fast ausschließlich in tropischen Ländern. 150 Mio. Menschen gelten als infiziert, von denen 6 Mio. erblindet sind.
  • Symptome:Beginn als akute Konjunktivitis mit Reizung und Sekretion. Später Übergang in chronische Entzündung mit Vernarbung, Entropium und Wimpernscheuern (Trichiasis). Hierdurch Hornhautreizung mit -trübung und allmähliche Erblindung.
  • Befunde:Zunächst follikuläre Konjunktivitis. In fortgeschrittenen Stadien Entropium, Trichiasis, Pannusbildung und Hornhautvernarbung.
  • Diagnostik:In Endemiegebieten Blickdiagnose. Fakultativ Bakteriennachweis in Kultur, PCR oder durch einen Antigen-Test.
  • Therapie:Systemische und topische Antibiotika, ggf. korrigierende Operation.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Chronische Infektion der Bindehaut, die durch das Bakterium Chlamydia trachomatis verursacht wird.1-3
  • Wiederholte Infektionen führen zu narbenbildenden Trachomen, bei denen das obere Augenlid verkürzt und nach innen verdreht ist (Entropium) und die Wimpern über die Hornhaut reiben (Trichiasis).
    • Durch Verdichtung der Hornhaut als Folge von Entropium und Trichiasis kann es zur Erblindung kommen.
  • Wird auch als „ägyptische Körnerkrankheit“ bezeichnet.3

Häufigkeit

  • Schätzungen zufolge sind weltweit ca. 150 Mio. Patient*innen infiziert.2
    • Ca. 6 Mio. Menschen sind durch ein Trachom erblindet, somit nach Katarakt die zweithäufigste Erblindungsursache.2,4
  • Kommt fast ausschließlich in tropischen Ländern vor, in Deutschland lediglich vereinzelte importierte Fälle.2
  • In Gebieten mit hoher Prävalenz bestehen aktive Erkrankungen bei mehr als 50 % der Bevölkerung.5
  • Betroffen sind insbesondere Regionen Afrikas, darüber hinaus auch Teile des Mittleren Ostens, Südwestasiens, Indiens, Australien und einige Regionen von Mittel- und Südamerika.

Ätiologie und Pathogenese

  • In erster Linie konjunktivale Infektion mit dem obligat intrazellulären Bakterium Chlamydia trachomatis2
    • Das Trachom wird durch C. trachomatis vom Serotyp A–C verursacht.
    • Serotypen D–K verursachen die Chlamydien-Urethritis.
    • Serotyp L verursacht die Tropenerkrankung Lymphogranuloma venereum.
  • Die Infektion erfolgt als Kontaktübertragung, möglicherweise spielen auch Fliegen als Vektoren eine Rolle.3,6
  • Die Bakterien produzieren ein Antigen, das eine lokale Entzündung mit Nekrosen- und schließlich Narbenbildung auslöst.
  • Für diese Infektion ist vor allem die Schleimhaut auf der Lidinnenseite anfällig.
  • Eine Vernarbung des Augenlids führt zu einer Schrumpfung und Fehlstellung des Augenlids (Entropium), sodass die Wimpern die Hornhaut reizen (Trichiasis).
  • Die Erkrankung kann zur Erblindung führen.

Prädisponierende Faktoren

  • Unzureichende hygienische Bedingungen3
  • Übervölkerung
  • Tropisches/subtropisches Klima
  • Kinder im Vorschulalter, die das wesentliche Chlamydien-Reservoir bilden.2

ICPC-2

  • F86 Trachom

ICD-10

  • A71 Trachom
    • A71.0 Initialstadium des Trachoms
    • A71.1 Aktives Stadium des Trachoms
    • A71.9 Trachom, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Beim Trachom handelt es sich in Endemiegebieten um eine Blickdiagnose.3,6
  • Fakultativ Nachweis von Chlamydia trachomatis (s. u.).

Differenzialdiagnosen

  • Andere Ursachen für Konjunktivitis oder Keratitis
    • Conjunctivitis follicularis
    • Conjunctivitis vernalis
  • Paratrachom

Anamnese

  • Erstinfektion erfolgt meist im Kindesalter und verursacht eine follikuläre Keratokonjunktivitis.2
  • Herkunft aus oder Aufenthalt in Endemiegebieten (s. o.)
  • Symptome können je nach Stadium variieren zwischen schmerzlos, juckend, brennend oder schmerzhaft.

Klinische Untersuchung

  • Häufige Reinfektionen und bakterielle Superinfektionen führen zur Vergrößerung und zum Zusammenfließen der Follikel (Granulome).
  • Die Folge ist eine narbige Schrumpfung der Bindehaut der Augenlider und ein Entropium.
    • Das wiederum führt zu dauernden Verletzungen und Infektionen der Hornhaut, die sich entzündlich verändert und eintrübt.
  • Stadieneinteilung nach WHO7
    • I: trachomatöse follikuläre Entzündung
      • 5 oder mehr sichtbare Follikel > 0,5 mm am deutlichsten an der Innenseite des oberen Augenlids
    • II: trachomatöse intensivierte Entzündung
      • stärker ausgeprägte Konjunktivitis mit Hypertrophie der Schleimhaut
    • III: trachomatöse konjunktivale Vernarbung
      • nachweisbare Vernarbung der Bindehaut, sichtbar als dünne weiße Streifen und zunehmende Gefäßeinsprossung in die Kornea
    • IV: trachomatöse Vernarbung und Fehlstellung
      • Entropium und Trichiasis des Augenlids, Pannus auch narbenartig
    • V: Hornhauttrübung

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
  • Antigennachweis im Abstrich
    • Die niedrige Sensitivität und geringe Spezifität dieser Verfahren erlauben den Chlamydien-Nachweis nur bei hoher Bakteriendichte.
  • Bakterienkultur aus Konjunktivalabstrich unter Verwendung von Spezialtupfern und Transportmedien
  • Nukleinsäure-Amplifikations-Techniken (NAT) aus Abstrichmaterial
    • NAT in Abstrich von tarsaler Bindehaut, Entnahme mittels Bürstchen oder speziell angerauten Tupfern nach Tropfanästhesie3

Indikationen zur Überweisung

  • Bei jedem Verdacht auf ein Trachom Überweisung an die augenärztliche Praxis
  • Zur chirurgischen Therapie bei Fehlstellung des Augenlids an operativ tätige Augenärzt*innen

Therapie

Therapieziele

  • Sanierung der Infektion
  • Vorbeugung von Fehlstellungen, Keratitis und Erblindung

Allgemeines zur Therapie

  • Systemische oder topische Behandlung mit Antibiotika
  • Zur Verhinderung von Erblindung ggf. chirurgische Therapie bei Patient*innen mit Entropium und Trichiasis8-9
  • Die WHO hat sich zum Ziel gesetzt, Trachome als allgemeines Gesundheitsproblem mit der SAFE-Strategie zu bekämpfen (siehe Prävention).2,8,10

Empfehlungen für Patient*innen

  • Hygiene und Gesichtsreinigung8

Medikamentöse Therapie

  • Eine aktive Trachom-Erkrankung kann binnen 3 Monaten durch eine antbiotische Therapie gebessert werden.11
    • Dabei scheint es nur geringfügige Unterschiede im Outcome zwischen topischer und oraler antibiotischer Therapie zu geben.
  • Die WHO empfiehlt zwei Antibiotika zur Kontrolle eines Trachoms: Azithromycin oral und Tetracyclin-Augentropfen.
    • Azithromycin wirkt besser als Tetracyclin, ist aber teurer.11
  • Einzeldosis Azithromycin 1,5 g p. o.1,3
    • Eine Massenbehandlung kann zu einem Herdeneffekt bei der Begrenzung der Ausbreitung durch Ansteckung führen.11
  • Die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit (STI) empfiehlt:
    • Azithromycin 1,5 g p. o. einmalig (1. Wahl)3
    • Azithromycin topisch, 2 x tgl. über 3 Tage (2. Wahl)3

Weitere Therapien

  • Ggf. operative korrigierende Eingriffe
  • Bilamellare tarsale Rotation
    • Das Oberlid wird horizontal in einer Linie 3 mm parallel zum Lidrand durchgeschnitten.
    • Der Schnitt erstreckt sich von leicht lateral der Tränendrüse bis zum lateralen Kanthus.
    • Die Naht erfolgt durch alle Schichten des Augenlids so, dass der Lidrand daran gehindert wird, sich nach innen zu drehen.

Prävention

  • Adäquate Behandlung der akuten Konjunktivitis kann eine chronische Infektion verhindern.
  • SAFE-Strategie im Global Programme for the Elimination of Trachoma der WHO2
    • S (Surgery): Oberlidchirurgie bei Trichiasis und Entropium
    • A (Antibiotika): lokale oder systemische Antibiotikatherapie
    • F (Facial Cleanliness): Waschen des Gesichtes zur Säuberung von Sekret
    • E (Environmental Improvement): generelle Verbesserung der Haus- und Dorfhygiene, z. B. durch Latrinenbau, Wasserversorgung und Abfallbeseitigung
  • Zur Verhütung nosokomialer Infektionen ist besonders im Bereich der Augenheilkunde auf das sorgfältige Einhalten krankenhaushygienischer Normen (z. B. Desinfektion der Instrumente) zu achten.

Meldepflicht

  • Meldepflicht gemäß IfSG2
  • Mit Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 16.09.2022 sind alle Nachweise von Chlamydia trachomatis, sofern es sich um einen der Serotypen L1 bis L3 handelt, gemäß § 7 Abs. 3 IfSG an das Robert Koch-Institut (RKI) zu melden (betrifft also nur Lymphogranuloma venereum).

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Erste Episode der Konjunktivitis häufig selbstlimitierend
  • In Endemiegebieten kommt es zu häufigen Rezidiven und schließlich zu einer chronischen Infektion.

Komplikationen

  • Pannus: fibrovaskuläre Einsprossung unter der Epithelschicht der Hornhaut
  • Entropium und Trichiasis
  • Sekundäre Keratitis
  • Vernarbung der Hornhaut mit Erblindungsrisiko

Prognose

  • Das Risiko einer Vernarbung der Hornhaut und Sehbehinderung steigt mit dem Alter.
  • Die meisten Menschen, die erblinden, verlieren ihre Sehfähigkeit im Erwachsenenalter.

Illustrationen

Trachom mit Trichiasis und Leukom
Trachom mit Trichiasis und Leukom

Quellen

RKI-Ratgeber

  • Robert Koch-Institut (RKI). Chlamydiosen (Teil 1): Erkrankungen durch Chlamydia trachomatis, Ratgeber für Ärzte (Stand Juni 2023). www.rki.de

Literatur

  1. Solomon A, Holland MJ, Alexander ND, et al. Mass treatment with single-dose azithromycin for trachoma. N Engl J Med 2004; 351: 1962-71. New England Journal of Medicine
  2. Robert Koch-Institut (RKI). Chlamydiosen (Teil 1): Erkrankungen durch Chlamydia trachomatis, Ratgeber für Ärzte, Stand: Juni 2023. www.rki.de
  3. Deutsche STI-Gesellschaft e.V. (DSTIG) – Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit. S2k-Leitlinie Infektionen mit Chlamydia trachomatis. AWMF-Register Nr. 059-005, Stand 2016. www.awmf.org
  4. The International Trachoma Initiative (ITI) www.trachoma.org
  5. Trachoma Atlas, International Trachoma Initiative. www.trachomaatlas.org
  6. Taylor HR, Burton MJ, Haddad D, West S, Wright H. Trachoma. Lancet. 2014 Dec 13;384(9960):2142-52. doi: 10.1016/S0140-6736(13)62182-0. Epub 2014 Jul 17. Review. PubMed PMID: 25043452.
  7. Solomon AW, Kello AB, Bangert M, West SK, Taylor HR, Tekeraoi R, Foster A. The simplified trachoma grading system, amended. Bull World Health Organ. 2020 Oct 1;98(10):698-705. doi: 10.2471/BLT.19.248708. Epub 2020 Sep 3. PMID: 33177759; PMCID: PMC7652564. www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Kuper H, Solomon AW, Buchan J, et al. A critical review of the SAFE strategy for the prevention of blinding trachoma. Lancet Infect Dis 2003; 3: 372-81. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Burton M, Habtamu E, Ho D, Gower EW. Interventions for trachoma trichiasis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 11. Art. No.: CD004008. DOI: 10.1002/14651858.CD004008.pub3. DOI
  10. Mabey DCW, Solomon AW, Foster A. Trachoma. Lancet 2003; 362: 223-9. PubMed
  11. Evans JR, Solomon AW. Antibiotics for trachoma. Cochrane Database of Systematic Reviews 2019. Art. No.: CD001860. www.cochranelibrary.com

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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