Zusammenfassung
- Definition:Blepharitis ist eine Entzündung der Augenlidränder durch Infektion oder in Kombination anderer Erkrankungen.
- Häufigkeit:Häufige Erkrankung.
- Symptome:Rote, gereizte und verdickte Lidränder.
- Befunde:Verdickte Augenlider, gerötet, verkrustet.
- Diagnostik:Klinische Diagnose.
- Therapie:Augenhygiene, topische, selten systemische Behandlung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Blepharitis ist eine Lidrandentzündung.
- Anatomisch wird zwischen vorderer und hinterer Blepharitis unterschieden.1
- Die vordere umfasst die Haut, die Augenlider sowie die Lidfollikel.
- Die hintere zeichnet sich durch eine Entzündung des inneren Teils des Augenlids aus bis zum Übergang zu den Bindehäuten mit häufigem Befall der Meibom-Drüsen; man spricht auch von einer Meibom-Drüsen-Dysfunktion.2
- Es gibt eine akute und eine häufigere chronische Form.2
Häufigkeit
- Die Blepharitis ist eine der häufigsten ophthalmologischen Erkrankungen.3
- An trockenen Augen leiden weltweit 5–34 % der Bevölkerung, die Prävalenz steigt mit dem Alter signifikant an.4
- 3/4 der Betroffenen mit trockenen Augen leiden an einer Blepharitis.1
- 30–50 % der Patient*innen mit kutaner Rosazea entwickeln eine Augenbeteiligung in Form einer Ophthalmorosazea mit Blepharitis und trockenem Auge.5
Ätiologie und Pathogenese
- Staphylokokken sind die häufigsten Erreger einer infektiösen, akuten Blepharitis.
- Blepharitiden anderer bakterieller oder viraler Genese (Herpes-Infektion) kommen ebenfalls vor.
- Selten sind HPV- oder CMV–Infektionen Ursache einer Blepharitis.2
- Eine chronische Störung der Meibom-Drüsen kann entweder hypo- und hypersekretorisch sein.6 Es kann zu Störungen des Tränenfilms (trockene Augen) kommen.
- Ist die Meibom-Drüsen-Dysfunktion mit einer Entzündung assoziiert, liegt eine Blepharitis (Entzündung der Lidkante) oder Meibomitis (Entzündung der Meibom-Drüsen) vor.4
- Ein Milben- oder Filzlausbefall der Augenlider kann zu einer Blepharitis führen.7
- In 30 % der Fälle liegt eine Infektion mit Demodex–Milben vor.2
- Eine Blepharitis kann ebenfalls als Nebenwirkung bei einer Isotretinoin–Therapie auftreten.2
- Bei 70 % aller Patient*innen mit einer chronischen Blepharitis bestehen zusätzlich Hauterkrankungen wie Rosazea, Akne, seborrhoische Dermatitis, Neurodermitis oder Psoriasis.2
Assoziierte Augenerkrankungen
- Hordeolum
- akute Infektion einer Follikeldrüse im Augenlid (Zeiss- oder Moll-Drüse)
- Manifestiert sich durch plötzliches Auftreten einer roten, schmerzhaften Schwellung am Lidrand.
- Die Erkrankung kann mit der Blepharitis in Zusammenhang stehen, weil Veränderungen in den Augenlidern zum Verschluss eines Drüsengangs führen können, wodurch es zu einer Sekundärinfektion kommen kann.
- Chalazion
- chronisch verlaufende, meist schmerzlose Entzüdnung einer Meibom–Drüse am Lidrand
- Ein langsames Größenwachstum ist typisch.
- Trockene Augen
- Viele Menschen leiden unter trockenen Augen.
- Anomale oder geschwächte Meibom-Drüsen führen zu einer eingeschränkten Sekretion und Veränderung des Tränenfilms, was eine übermäßigen Tränenproduktion oder trockene Augen zur Folge haben kann.
- 3/4 der Patient*innen mit trockenen Augen leiden an Blepharitis.1
- Kontaktlinsenunverträglichkeit
- Durch Veränderung der Lipidschicht im Tränenfilm kann es zu einer Kontaktlinsen-Unverträglichkeit kommen.
Prädisponierende Faktoren
- Blepharitis tritt häufig bei Patient*innen mit Hauterkrankungen mit oder ohne Sekundärinfektion auf.
- seborrhoisches Ekzem
- atopisches Ekzem
- Rosazea
- Granulomatosen
ICPC-2
- F72 Blepharitis / Hagelkorn / Gerstenkorn
ICD-10
- H01 Sonstige Entzündung des Augenlides
- H01.0 Blepharitis
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnose wird anhand der Anamnese und Untersuchung gestellt.
- Es sollten immer beide Augen untersucht werden.8
- Es sollte abgeklärt werden, ob es sich um eine reine Blepharitis handelt, oder ob das Auge mitbetroffen ist (rotes Auge, Blepharokonjunktivitis).
Differenzialdiagnosen
- Follikulitis: entzündete Haarfollikel, empfindliche Schwellung mit Rubor
- Chalazion: Zyste innerhalb der Augenlidränder, blass und unempfindlich
- Hordeolum: lokalisierte Schwellung am Augenlid, Empfindlichkeit und Rötung
- Konjunktivitis: Rötung an der Innenseite der Augenlider und am peripheren Augapfel
- Dakryozystitis: Abszess oder Phlegmone im Tränensack
- Erysipel: akute Infektion der Haut
- Orbitale Zellulitis/Phlegmone: Infektion in der Orbita; Betroffene sind schwer krank.
- Andere häufige Hauterkrankungen wie Atherome, Mollusken und Papillome kommen ebenfalls an den Augenlidern vor.
- Basalzellkarzinom
- Entropium: Das Unterlid ist nach innen gedreht.
- Ektropium: Das Unterlid ist nach außen gekehrt.
- Trichiasis: nach innen wachsende Wimpern
Anamnese
- Typische Symptome einer Blepharitis:2
- Jucken
- Brennen
- Fremdkörpergefühl
- Rötung
- Schmerzen
- verklebte Lider
- Verschwommensehen
- vermehrte Lichtempfindlichkeit
- tränende Augen
- häufiges Blinzeln.
- Fremdkörpereinwirkung bei rotem Auge sollte ausgeschlossen werden.8
- Häufig liegt eine Hauterkrankung in Form von Seborrhö (ausgeprägte Schuppenbildung), Neurodermitis, Akne oder Rosazea (Gesichtsrötung, Teleangiektasien, ggf. Papeln und Pusteln) vor.
Klinische Untersuchung
- Rote und verdickte Augenlidränder
- Verklebte Wimpern
- Wuchsstörung der Wimpern (Trichiasis) bis hin zum vollständigen Verlust
- Narbig veränderte Lidkanten
- Ggf. Bläschenbildung
- Wenn auch die Bindehaut (Konjunktiva) betroffen ist, zeigt sich eine Rötung des Auges.
Diagnostik bei Spezialist*innen (Augenärzt*innen)
- Siehe Tabelle Trockenes Auge, Untersuchungsalgorithmus.
- Abstrich aus dem entzündeten Bereich zur bakteriologischen Diagnostik, ggf. auch eine Kultur auf geeignetem Medium zum Pilznachweis
- Evtl. Untersuchung auf Papilloma- oder Herpes-Viren
- Evtl. Punktion kleiner Bläschen
- Evtl. Biopsie
- Mikroskopische Untersuchung der Wimpern bei Verdacht auf Milbenbefall
Indikationen zur Überweisung
- Überweisung an Augenärzt*in u. a. bei:
- rezidivierender oder chronischer Blepharitis
- besonders bei Kindern
- Rosazea und Verdacht auf Keratitis
- Entropium/Ektropium und operativem Korrekturbedarf
- Trichiasis
- Verdacht auf Fremdkörpereinwirkung
- unvollständigem Lidschluss
- vorhergegangener Augenoperation.
- rezidivierender oder chronischer Blepharitis
- Kontaktlinsenträger*innen mit einem akuten, einseitigen, schmerzenden roten Auge mit diffuser ziliarer Injektion und/oder Hornhauttrübung sollen als Notfall in eine Augenklinik eingewiesen werden.8
Therapie
Therapieziele
- Reizung dämpfen und ggf. Infektionen sanieren.
- Trichiasis verhindern oder behandeln.
Allgemeines zur Therapie
- Die Basis jeder Therapie bildet eine sorgfältige Augenlidhygiene.3
- Eine zugrunde liegende Erkrankung sollte behandelt werden.
- Je nach Schweregrad der Erkrankung empfiehlt sich eine Behandlung nach Stufenschema:2
- Wärmeapplikation, Lidrandreinigung und -massage
- Tränenersatzmittel
- topische Antibiotika
- topische Steroide
- topische Immunmodulatoren
- systemische Antibiotika
- ggf. chirurgische Therapie bei Komplikationen.
- Kontaktlinsen pausieren.
Medikamentöse Therapie
- Alle Therapiealternativen sind nicht ausreichend dokumentiert.3
Topische Therapie
- Tränenersatzstoffe sind Mittel der 1. Wahl beim trockenen Auge.6
- oberflächenaktive Stoffe (z. B. Polyvinylalkohol, Polyvinylpyrrolidon,Zellulosederivate, Hyaluronsäuren, Carbomere)
- Muzinanaloga, Osmoprotektiva, Elektrolyt-Substitution
- lipidhaltige Tränenersatzstoffe
- Augensalben mit Antibiotika (Gentamicin-, Kanamycin-, Ciprofloxacin-Augensalbe, 2- bis 3-mal tgl.) und Kortison können kurzfristig sinnvoll sein.
- Kortison am Auge darf nicht bei Herpes-Infektion oder erhöhtem Augendruck verwendet werden.
- Bei okulärer Rosazea als Ursache der Blepharitis wird die topische Anwendung von Ciclopsorin und Azithromycin empfohlen.
- Topisches Ivermectin oder Metronidazol auf die Lidhaut kann ebenso erwogen werden, wie die systemische Anwendung von Doxycyclin und Azithromycin.5
- topisches Ciclosporin (0,05 %, 2 x pro Tag) oder Calcineurininhibitoren (Tacrolimus/Pimecrolimus Hautsalbe 1–2 x pro Tag) zur Reduzierung der Entzündung2,4-5
- alternativ Azithromycin-Augentropfen 1,5 % (für die ersten 2 Tage 2 x, danach 1 x tgl. für 4 Wochen)5
- Bei Hinweis auf ausgeprägten Milbenbefall (Demodex folliculorum) ggf. Teebaumöl oder/und Ivermectin-Augentropfen (in Deutschland nicht erhältlich, nur über Auslandsapotheke)6
Systemische Therapie
- Bei hartnäckig rezidivierender Ophthalmorosazea kann eine orale Therapie mit Doxycyclin (2 x tgl. 50–100 mg) über 6 Monate hilfreich sein.5
- Die Nebenwirkungen einer systemischen Therapie bei chronischer Blepharitis scheinen ansonsten den Nutzen zu überwiegen.9
- Bei Herpes-Infektionen ggf. systemische Virustatika siehe Artikel Herpes-simplex-Keratitis oder Zoster ophthalmicus.
- Der Wirkeintritt einer systemischen Therapie erfolgt meist verzögert nach etwa 6–8 Wochen, eine Therapiefortführung über 3–6 Monate ist meist notwendig.5
Weitere Therapien
- Thermisch-mechanische Behandlung (manuell oder geräteassistiert)
bestehend aus Wärmeapplikation, Massage und Reinigung der Lidkanten6 - Lichtstimulation mittels hochenergetischer Lichtpulse (Intense Pulsed Light)10
- In Einzelfällen Eröffnung verschlossener Meibom-Drüsen
- Epilation fehlgerichteter Wimpern
- Augenplastische Korrektur von Lidanomalien1
Empfehlungen für Patient*innen
- Die Erkrankung ist häufig chronisch und rezidivierend.
- Gute Augenhygiene: Augenbrauen und Lidränder sauber und weich halten.
- Es kann sinnvoll sein, bis zu 2- bis 4-mal tgl. feucht-warme Kompressen aufzulegen (5‒10 min).2
- Schuppen vom Lidrand täglich mit Babyshampoo und Wattestäbchen entfernen.7
- Den Lidrand mit einfacher Augensalbe, ggf. unter leichter Fingermassage, weich halten.
- Das Tragen von Kontaktlinsen für die Dauer der Blepharitis unterbrechen, bei rezidivierenden chronischen Blepharitiden wird das Tragen von Kontaktlinsen manchmal dauerhaft nicht möglich sein.
- Auf Augenkosmetik verzichten.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Häufig langfristiger/chronischer Verlauf mit Rezidivneigung
- Ein chronischer Verlauf und häufige Rezidive können eine Keratitis und Schwächung des Sehvermögens verursachen.
Komplikationen
- Madarosis: Verlust von Wimpern
- Trichiasis: Wimpernwachstum nach innen
- Hordeolum, Chalazion, Kanalikulitis
- Konjunktivitis und Keratitis
- Korneaulzerationen mit Hornhautneovaskularisationen mit schweren Sehbeeinträchtigungen5
- Sekundäre Benetzungsstörungen2
Prognose
- Gut bei unkomplizierter Blepharitis
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Tendenz zu Rezidiven, langwierig
- Bedeutung von besonders gründlicher lokaler Hygiene
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Opthalmologische Gesellschaft. Trockenes Auge. DOG-Leitlinie Nr. 11, Stand 2019. www.dog.org
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Rosazea. AWMF-Leitlinie Nr. 013-065. S2k, Stand 2022. www.awmf.org
Literatur
- Lowery RS. Adult blepharitis. Medscape, last updated 2019 emedicine.medscape.com
- Dietrich-Ntoukas T. Chronische Blepharitis. Augenheilkunde up2date 2022; 12(03): 213 - 227 eref.thieme.de
- Duncan K, Jeng BH. Medical management of blepharitis. Curr Opin Ophthalmol. 2015 Jul;26(4):289-94. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Messmer EM. The pathophysiology, diagnosis and treatment of dry eye disease. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 71–82. www.aerzteblatt.de
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Rosazea. AWMF-Leitlinie Nr. 013-065, Stand 2022 www.awmf.org
- Deutsche Opthalmologische Gesellschaft. Trockenes Auge. DOG-Leitlinie Nr. 11, Stand 2019. www.dog.org
- Eberhardt M, Rammohan G. Blepharitis. StatPearls. Treasure Island. StatPearls Publishing; 2021. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Frings A, Geerling G, Schargus M. Red eye - a guide for non-specialists. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 302–12. www.aerzteblatt.de
- Onghanseng N, Ng SM, Halim MS, Nguyen QD. Oral antibiotics for chronic blepharitis. Cochrane Database Syst Rev. 2021 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Gedar Totuk ÖM, Kabadayı K, Özkapı C, Aykan Ü. Efficacy of Intense Pulsed Light Treatment for Moderate to Severe Acute Blepharitis or Blepharoconjunctivitis: A Retrospective Case Series. Turk J Ophthalmol. 2021 www.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Bonnie Stahn, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
- Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).