EKG: Rhythmus und Rhythmusstörungen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Störungen der normalen Erregungsbildung und/oder Erregungsleitung des Herzens
  • Die Störungen können dabei im Sinusknoten, im Reizleitungssystem oder im Muskelgewebe von Vorhöfen und Ventrikeln entstehen.

Allgemeine Beurteilung des Rhythmus im EKG 

  • Ist die Herzaktion rhythmisch?
    • Der visuelle Eindruck ist im Allgemeinen ausreichend.
    • genaue Bestimmung gleicher Abstände zwischen zwei R-Zacken mit dem EKG-Zirkel
    • Eine geringe atemabhängige Arrhythmie ist physiologisch.
  • Wo liegt das Erregungszentrum?
    • vor jedem QRS-Komplex eine P-Welle (normal konfiguriert, normaler Lagevektor, normale PQ-Zeit): vermutlich Sinusrhythmus
      • Indirekter Schluss, die Sinuserregung selbst ist im Oberflächen-EKG nicht sichtbar.
    • Vor jedem QRS-Komplex eine P-Welle, aber P-Welle anomal konfiguriert, Achse der P-Welle gedreht, PQ-Zeit verkürzt: Vorhofrhythmus
    • keine P-Welle, leicht bradykard: AV-junktionaler Rhythmus mit Erregungszentrum im His-Bündel
  • Was für eine Arrhythmie liegt ggf. vor?
    • Gleichmäßig wiederkehrende Arrhythmie?
      • z. B. Bigeminus (andauernde Abfolge von einem Normalschlag gefolgt von einer Extrasystole)
    • Ungleichmäßige Arrhythmie?
      • z. B. einzelne, unregelmäßig eingestreute Extrasystolen
      • z. B. absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern
        • völlig ungeordnete Folge der Kammeraktionen aufgrund ständig wechselnder Überleitung des Vorhofflimmerns
  • Wie ist die Herzfrequenz?
    • Ist die Herzkammerfrequenz normokard, bradykard oder tachykard?
      • Normokardie: 50–100 Schläge/min
      • Bradykardie: < 50 Schläge/min
      • Tachykardie: > 100 Schläge/min
    • Sind die Frequenzen von Vorhöfen und Kammmern gleich oder unterschiedlich?
      • ggf. Angabe der Frequenz sowohl von Vorhof- als auch von Kammeraktionen
  • Sind Kammer- und/oder Vorhofaktionen durchgehend oder teilweise schrittmachergetriggert?
    • PM-spikes (Schrittmacherartefakte) im EKG?
    • Bei unipolarer Stimulation große Spikes, nicht zu übersehen.
    • Bei bipolarer Stimulation kleine Spikes, im Einzelfall schwierig zu erkennen.

Extrasystolie 

  • Extrasystolen (ES) sind die häufigsten Herzrhythmusstörungen.
  • Treten bei Herzerkrankungen, aber auch bei herzgesunden Menschen auf.
  • Hämodynamische Beeinträchtigung der Herzfunktion durch verminderten Auswurf
  • Klinische Manifestation durch Palpitationen und/oder Zeichen einer hämodynamische Beeinträchtigung (Hypotonie/Schwindel), nicht selten aber auch nur Zufallsbefund im EKG
  • Auftreten möglich als:
    • isolierte Extrasystolen
    • 2 Extrasystolen hintereinander („Couplet“) 
    • Abfolge von 3 oder mehr Extrasystolen nacheinander (Salve)
    • rhythmisches Auftreten, z. B.:
      • Bigeminus
      • Trigeminus: 1 Normalschlag gefolgt von 2 ES
      • 2:1-Extrasystolie: 2 Normalschläge gefolgt von 1 ES
      • 3:1-Extrasystolie: 3 Normalschläge gefolgt von 1 ES.
  • Nach dem Ursprungsort werden supraventrikuläre (SVES) und ventrikuläre (VES) Extrasystolen unterschieden.

Supraventrikuläre Extrasystolen (SVES)

  • Der QRS-Komplex der supraventrikulären Extrasystole ist schmal, die Form entspricht dem QRS-Komplex nach normaler Sinuserregung.
  • Je nach Ursprung der SVES kann die P-Welle
    • identisch zur normalen Sinusknotenerregung sein (Sinusknotenextrasystole).
      Supraventrikuläre Extrasystole.jpg
      EKG, supraventrikuläre Extrasystole
    • deformiert sein mit verkürzter PQ-Zeit (Vorhofextrasystole).
    • nicht sichtbar oder als negative P-Welle hinter dem QRS-Komplex sichtbar sein (AV-Knoten/His-Bündel als Ursprung der Extrasystole mit retrograder Vorhoferregung).

Ventrikuläre Extrasystolen (VES)

  • Der QRS-Komplex einer VES ist verbreitert und deformiert.
  • Bei gleicher Morphologie aller VES stammen diese aus dem gleichen Erregungsort (monotope VES).
  • Bei unterschiedlicher Morphologie liegen mehrere Ursprungsorte vor (polytope VES).
    Ventrikuläre Extrasystole.jpg
    EKG, ventrikuläre Extrasystole
  • Meistens VES mit kompensatorischer Pause im EKG: Eine Sinusaktion trifft durch die VES auf refraktäres Myokard und wird nicht sichtbar, erst die nächste Sinusaktion wird wieder auf die Kammer übergeleitet.

Bradykarde Rhythmusstörungen

  • Ursache für eine Bradykardie kann eine Störung des Sinusknotens und/oder eine Störung der AV-Überleitung sein.

Sinusknotenstörungen

Sinusarrhythmie

  • Ungleiche Abstände zwischen den vom Sinusknoten ausgehenden Herzaktionen
  • Respiratorische Sinusarrhythmie ist physiologisch (Frequenzabnahme bei Ausatmung, Frequenzzunahme bei Einatmung), Auftreten v. a. bei Jugendlichen.
  • Bei älteren Patienten möglicher Hinweis auf eine Herzerkrankung

Sinusbradykardie

  • Kann auch physiologisch sein (gut Trainierte, Nachtruhe)
  • Vorkommen bei Hypothyreose, Medikamenten, Hirndruck, Typhus, Herzerkrankungen

Sinuatriale Blockierungen (SA-Block)

  • SA-Block Grad I
    • im Oberflächen-EKG nicht erkennbar
  • SA-Block Grad II
    • Bild einer Sinusarrhythmie (SA-Block IIa) oder einer regelmäßigen Sinusbradykardie (SA-Block IIb)
  • SA-Block Grad III
    • beim intermittierenden SA-Block Grad III Ausfallen eines oder mehrerer Herzschläge; beim Sinusarrest keine Herzaktion bis zum Einsetzen eines Ersatzrhythmus (evtl. Synkope)

AV-Block

AV-Block Grad I

  • Verlängerte PQ-Zeit, allgemeine Merkregel: PQ-Zeit > 0,20 s
  • Normwerte der PQ-Zeit frequenzabhängig, Grenzwert 0,20 s bezieht sich auf eine Herzfrequenz von 60/min.
    AV-Block 1. Grades.jpg
    AV-Block 1. Grades
    • je höher die Herzfrequenz, desto niedriger der Grenzwert für die normale PQ-Zeit
    • Bei einer Herzfrequenz von z. B. 100/min wäre eine PQ-Zeit von 0,17 s bereits ein AV-Block 1. Grades.
  • QRS-Komplex nach jeder P-Welle
  • Cave: Bei sehr langer PQ-Zeit kann die P-Welle in der vorausgehenden T-Welle verborgen sein.

AV-Block Grad II

  • Nicht jede P-Welle wird übergeleitet.
    AV-Block 2. Grades Typ Wenckebach
    AV-Block 2. Grades Typ Wenckebach
  • AV-Block II Wenckebach
    • Zunehmende PQ-Zeit von Schlag zu Schlag, bis schließlich ein QRS-Komplex ausfällt.
  • AV-Block II Mobitz 
    • Nur jede 2. oder 3. (x-te) P-Welle wird übergeleitet.
      AV-Block 2. Grades, Typ Mobitz
      AV-Block 2. Grades, Typ Mobitz

AV-Block III

  • Keine P-Welle wird übergeleitet.
  • P-Wellen und QRS-Komplexe sind unabhängig voneinander (AV-Dissoziation).
  • Ventrikulärer Ersatzrhythmus: Frequenz häufig 30–45/min
    • bei proximaler Blockierung schmale Kammerkomplexe und tendenziell schnellerer Ersatzrhythmus
    • bei distaler Blockierung (His-Bündel, Faszikel) langsamerer Ersatzrhythmus mit verbreiterten Kammerkomplexen
    • auch bei gleichzeitigem Vorhofflimmern regelmäßige Kammerfrequenz (im Gegesatz zur Bradyarrhythmia absoluta mit unregelmäßiger Überleitung des Vorhofflimmerns)

Bradyarrhythmia absoluta

  • Bradykardie bei Vorhofflimmern (Kammerfrequenz < 50/min)
  • Keine klar erkennbare P-Welle im EKG bei Vorhofflimmern, feines bis grobes Flimmern um die isolelektrische Linie
  • Wechselnde Überleitung auf die Ventrikel, dadurch ständig wechselnde Abstände zwischen den QRS-Komplexe („absolute Arrhythmie“)
  • Siehe auch Artikel Vorhofflimmern-/flattern.

Tachykarde Rhythmusstörungen

Sinustachykardie

  • Regelmäßige Sinusaktionen mit einer Frequenz > 100/min
    • Sinustachykardie als Reaktion auf physiologischen oder pathologischen Stimulus
    • inadäquate Sinustachykardie (Näheres siehe Artikel Supraventrikuläre Tachykardien)
    • Sinusknoten-Reentrytachykardie: paroxysmales Auftreten einer Sinustachykardie, definitive Diagnose nur durch elektrophysiologische Untersuchung möglich

Supraventrikuläre Tachykardien

  • Bei supraventrikulären Tachykardien im Allgemeinen schmaler QRS-Komplex (normale Kammererregung); liegt gleichzeitig ein Schenkelblock oder eine aberrante Überleitung vor, kann aufgrund der breiten QRS-Komplexe die Abgrenzung zur ventrikulären Tachykardie schwierig oder im normalen Ruhe-EKG unmöglich sein.

Vorhofflattern

  • Im EKG bei Vorhofflattern sägezahnähnliche Vorhofwellen
  • Vorhoffrequenz 220–350/min
  • Kammerfrequenz abhängig von der Überleitung der Vorhofaktionen: 2:1, 3:1 etc.
  • Häufiger Fehler im Alltag bezüglich der Nomenklatur: Aufgrund der teilweise blockierten Überleitung (physiologischer Schutzblock) wird ein „AV-Block“ diagnostiziert. Der Begriff AV-Block ist reserviert für pathologische Blockierung mit (bei höhergradigem AV-Block) bradykarder Kammerfrequenz.

Vorhoftachykardie

  • Vorhoffrequenz 160–250/min
  • Isoelektrische Linie zwischen P-Wellen im EKG bei atrialer Tachykardie noch erkennbar (Unterschied zu Vorhofflattern)
  • Auch hier ist die Kammerfrequenz abhängig von der Überleitung (2:1, 3:1 etc.).

Tachyarrhythmia absoluta

  • Tachykardie bei Vorhofflimmern (Kammerfrequenz > 100/min)
  • Keine klar erkennbare P-Welle im EKG bei Vorhofflimmern, feines bis grobes Flimmern um die isolelektrische Linie
  • Frequenz der Vorhofflimmerwellen 350–600/min
  • Wechselnde Überleitung auf die Ventrikel, dadurch ständig wechselnde Abstände zwischen den QRS-Komplexen („absolute Arrhythmie“)
  • Bei stark wechselnder Überleitung vom Vorhof auf die Kammer können Tachyarrhythmie und Bradyarrhythmie kombiniert auftreten.
  • Siehe auch Artikel Vorhofflimmern/-flattern.

AV-Knoten-Reentrytachykardie

  • Frequenz 160–220/min
  • Schmale QRS-Komplexe
  • P-Welle nicht erkennbar oder am Ende des QRS-Komplexes

AV-Reentry-Tachykardie (AVRT)

  • Makro-Reentry-Tachykardie bei Vorliegen einer akzessorischen Bahn zwischen Vorhof und Ventrikel
    wolff-parkinson-white-ekg.jpg
    Wolff-Parkinson-White-EKG
  • Bei antegrader Leitung der akzessorischen Bahn im Sinusrhythmus zeigt sich im EKG eine Delta-Welle durch Präexzitation.
  • Bei AV-Reentry-Tachykardie (erst dann spricht man von einem WPW-Syndrom) wird – abhängig von der Leitungsrichtung der akzessorischen Bahn – in orthodrome und antidrome AVRT unterschieden.
    • orthodrom (95 %)
      • antegrade Leitung über den AV-Knoten, retrograd über die akzessorische Bahn
      • Schmalkomplextachykardie (seltener verbreitertes QRS bei funktionellem Schenkelblock)
    • antidrom (selten mit ca. 5 %)
      • antegrade Leitung über die akzessorische Bahn, retrograd über den AV-Knoten
      • Breitkomplextachykardie durch die Präexzitation

Ventrikuläre Tachykardien

Ventrikuläre Tachykardie (VT)

  • Kammerfrequenz > 100/min
  • ≥ 3 aufeinanderfolgende Schläge
    • nichtanhaltende VT: Dauer < 30 s
    • anhaltende VT: Dauer > 30 s
  • Verbreiterte QRS-Komplexe mit ventrikulärem Ursprung
  • Vermutlicher Ursprungsort
    • bei rechtsschenkelblockartigem Bild aus linkem Ventrikel
    • bei linksschenkelblockartigem Bild aus rechtem Ventrikel
  • Ein verbreiterter QRS-Komplex ist allerdings allein nicht beweisend für den Ursprung der Erregung im Ventrikel, differenzialdagnostisch kommen in Betracht: 
    • ventrikuläre Tachykardie
    • supraventrikuläre Tachykardie (SVT) mit QRS-Verbreiterung durch aberrante Überleitung oder Schenkelblock
    • supraventrikuläre Tachykardie mit QRS-Verbreiterung durch antidrome Leitung über ein akzessorisches Bündel (siehe auch WPW-Syndrom).
  • EKG-Befunde, die für eine ventrikuläre Tachykardie sprechen:
    • AV-Dissoziation (Kammern und Vorhöfe schlagen unabhängig voneinander, P-Wellen sind allerdings häufig schwierig oder gar nicht zu erkennen)
    • Fusionsschläge (Verschmelzung eines schmalen vom Sinusknoten übergeleiteten mit einem breiten ventrikulär ausgelösten QRS-Komplex)
    • Capture Beats (übergeleitete Sinusaktion mit schmalem QRS während der VT)
    • stark verbreiterte QRS-Komplexe (Linksschenkelblockmuster: > 160 ms, Rechtsschenkelblockmuster: > 140 ms)
    • initiales R in Abl. aVR („Nordwestachse“)
    • Konkordanz (gleichgerichteter Ausschlag des QRS-Komplexes in allen Brustwandableitungen)
    • Linksschenkelblockmorphologie des QRS-Komplexes mit Rechtsachsenabweichung
    • Abwesenheit eines RS-Komplexes in allen präkordialen Ableitungen.
  • Bei monomorpher Kammertachykardie sind alle QRS-Komplexe gleich geformt (gleicher Ursprungsort = monotop).
  • Bei polymorpher Tachykardie wechselnde Form der QRS-Komplexe (unterschiedliche Foci = polytop)

Kammerflattern

  • Haarnadelförmige, monomorphe QRS-Komplexe
  • Frequenz 200 bis > 300/min
  • Häufig Degeneration in Kammerflimmern

Torsade de pointes

  • Unregelmäßig verbreiterte und geformte Kammerkomplexe mit Oszillation um Grundlinie
  • Häufig Degeneration in Kammerflimmern 

Kammerflimmern

  • Bei Kammerflimmern einzelne Kammerkomplexe kaum noch abgrenzbar
  • Frequenz 250 bis > 400/min 

Weitere Informationen zum EKG

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Supraventrikuläre Extrasystole.jpg
EKG, supraventrikuläre Extrasystole
Ventrikuläre Extrasystole.jpg
EKG, ventrikuläre Extrasystole
wolff-parkinson-white-ekg.jpg
Wolff-Parkinson-White-EKG: Die P-Welle geht direkt in einen QRS-Komplex über.
AV-Block 1. Grades.jpg
AV-Block 1. Grades
AV-Block 2. Grades Typ Wenckebach
AV-Block 2. Grades Typ Wenckebach

 

AV-Block 2. Grades, Typ Mobitz
AV-Block 2. Grades, Typ Mobitz

Quellen

Literatur

  1. Rainer Klinge. Das Elektrokardiogramm. Leitfaden für Ausbildung und Praxis. 10. Aufl. Stuttgart/New York: Georg Thieme Verlag, 2015.

Autoren

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivemdizin, Freiburg i. Br.
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
  • Jørn Bathen, overlege, Kardiologisk avdeling, St. Olavs Hospital, Trondheim

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit