Definition:Seltene Sonderform des diabetischen Fußes mit schmerzloser, nichtinfektiöser Zerstörung von Knochen und Gelenken als Folge der Neuropathie.
Häufigkeit:6.000 bis 8.500 Neuerkrankungen in Deutschland jährlich.
Symptome:Meist schmerzlose Schwellung, Rötung und Überwärmung des Fußes im akuten Stadium.
Befunde:In der Regel schwere Neuropathie. Im Akutstadium geschwollener, überwärmter Fuß. Im chronischen Stadium Fußdeformität, klassisches Endstadium Tintenlöscherfuß.
Diagnostik:Bei Patient*innen mit diabetischer Neuropathie und akut geschwollenem Fuß sollte bis zum Beweis des Gegenteils von einem Charcot-Fuß ausgegangen werden. Röntgen des Fußes in 3 Ebenen unter Belastung. Bei unauffälligem Röntgen MRT.
Therapie:Schnellstmögliche Immobilisierung und Entlastung, um weitere Knochenläsionen zu verhindern. Bei Komplikationen wie chronischen Druckulzera durch Exostosen und/oder Fußdeformitäten ggf. chirurgische Korrektur.
Allgemeine Informationen
Definition
Seltene Sonderform des diabetischen Fußes mit schmerzloser, nichtinfektiöser Zerstörung von Knochen und Gelenken als Folge der Neuropathie. 1
Charcot-Fuß bezeichnet sowohl akuten Krankheitszustand mit Weichteilödem, Rötung und Überwärmung des Fußes als auch den durch pathologische Frakturen chronisch deformierten Fuß.
muskulärer Imbalance (Folge der motorischen Neuropathie) und
unbemerkten Mikrotraumen (fehlende Schmerzempfindung durch sensible Neuropathie); dies führt zu fortschreitenden periartikulären Stressfrakturen.1
Durch fehlende Schmerzempfindung wird das instabile, frakturierte Fußskelett weiter belastet, das Fußgewölbe bricht ein und heilt nur unter erheblicher Fehlstellung aus.
Bei Patient*innen mit diabetischer Neuropathie und akut geschwollenem Fuß sollte bis zum Beweis des Gegenteils von einem Charcot-Fuß ausgegangen werden.
Bei klinischem Verdacht Röntgen des Fußes in 3 Ebenen unter Belastung3
Schmerzen können bestehen, aufgrund der Neuropathie jedoch selten.
Uncharakteristische Symptome wie Unruhe, Kribbeln und Instabilitätsgefühl möglich
Größeres Trauma nicht eruierbar
Symptome können in Verbindung mit Aktivitäten auftreten, die den Fuß zusätzlich belasten, z. B. bei ungewöhnlich langen Spaziergängen.
Häufig Auftreten nach längerer Immobilisierung und damit Schwächung des Fußskeletts, z. B. nach chirurgischem Eingriff am Fuß8-9
Chronischer Charcot-Fuß
Progrediente (Mikro-)Frakturierungen des Fußskelettes, letztlich Zusammenbrechen der Fußarchitektur mit Deformierungen, Fehlbelastungen und schließlich Druckgeschwüren an der Haut
typischerweise Plattfuß und schließlich charakteristischer Tintenlöscherfuß
Druckgeschwüre und Infektionen an Haut und Knochen (Osteomyelitis) können als Spätfolge eine Amputation notwendig werden lassen.5
In akutem Stadium auffällige Diskrepanz zwischen hochrotem, überwärmtem, entzündlich imponierendem Fuß und relativer Beschwerdefreiheit
Alle Patient*innen weisen Neuropathie auf.
Monofilament
Diagnosestellung mithilfe eines Monofilaments nach Semmes-Weinstein (10 g), evtl. ergänzt durch eine Untersuchung des Vibrationssinns: Der Draht sollte senkrecht gegen die Haut gehalten und für ca. 2 Sekunden gegen die Hautfläche gedrückt werden. Drücken Sie so fest, dass sich das Filament biegt. Patient*in sollte nicht sehen können, wann und wo das Filament platziert wird. Vermeiden Sie den Bereich mit harter Haut.
Charcot-Fuß (Quelle: Wikimedia commons)
Fußdeformitäten und Hautdefekte
charakterisiert durch Einbrechen des Fußgewölbes, im schlimmsten Fall unter Entwicklung einer plantaren Konvexität (Schaukelfuß- bzw. Tintenlöscher-Fehlstellung)
In Kombination mit Neuropathie führt Kallusbildung am Knochen zu Druckgeschwüren.10-11
(Sub-)akute Luxationen oder Luxationsfrakturen: offene Reposition und interne Osteosynthese und Gipsverband oder Fixateur externe
drohende oder manifeste Ulzerationen infolge Knochendruck von innen: Exostosenabtragung oder Korrekturarthrodese
fortbestehende Instabilität: Arthrodese
schwere Deformität im oberen Sprunggelenk mit Instabilität: Arthrodese
Disease-Management-Programm (DMP)
Allgemeine Informationen
In Deutschland wurden DMP bzw. strukturierte Behandlungsprogramme im Jahr 2002 bundesweit implementiert mit dem Ziel, eine Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung und des Behandlungsablaufes für Patient*innen mit chronischen Erkrankungen zu erreichen.17
Sie umfassen regelmäßige Arzttermine mit Beratungsgesprächen und Untersuchungen sowie die Vermittlung von Hintergrundinformationen z. B. durch Schulungen.18
Derzeit gibt es in Deutschland DMP für Menschen mit den folgenden chronischen Erkrankungen:19
Nach Gesprächen, Untersuchungen und Diagnose erstellen die Ärzt*innen auf Grundlage von DMP-Vorgaben einen individuellen Therapieplan.18
Dieser umfasst u. a. die medikamentöse Behandlung und andere therapeutische Maßnahmen, Schulungstermine und regelmäßige Kontrolluntersuchungen, z. T. auch in anderen Praxen oder Kliniken.
Untersuchungen beim DMP Diabetes mellitus Typ 2
Die notwendigen Untersuchungen orientieren sich an Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses.20
Berechnung der geschätzten glomerulären Filtrationsrate
Inspektion der Füße einschließlich klinischer Prüfung auf Neuropathie und Prüfung des Pulsstatus
mind. 1 x/Jahr
Untersuchung der Füße bei erhöhtem Risiko, einschließlich Überprüfung des Schuhwerks
sensible Neuropathie: mind. halbjährlich
sensible Neuropathie und Zeichen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und/oder Risiken wie Fußdeformitäten (ggf. infolge Osteoarthropathie), Hyperkeratose mit Einblutung, Z. n. Ulkus, Z. n. Amputation: mind. alle 3 Monate
Bei insulinpflichtigen Patient*innen Untersuchung der Spritzstellen auf Lipohypertrophie und der korrekten Injektionstechnik, bei starken Blutzuckerschwankungen auch häufiger
vierteljährlich, mindestens halbjährlich
Überprüfung auf psychische Begleiterkrankung (z. B. Depression)
keine genaue Vorgabe, möglichst bei jedem Besuch
Strukturierte Arzneimittelerfassung und Kontrolle auf mögliche Nebenwirkungen und Interaktionen
bei Einnahme von fünf oder mehr Arzneimitteln mind. 1 x/Jahr
Restitutio ad integram bei frühzeitiger Diagnose und adäquater Entlastung möglich
Gleichzeitig vorliegende Durchblutungsstörungen verzögern die Heilung.
Bei etwa 1/3 der Patient*innen treten Rezidive auf, vor allem bei zu früher Belastung.2
Komplikationen
Fußdeformitäten
Chronische Geschwüre durch Fehlbelastung bei Fußdeformitäten und Exostosen
Amputation
Prognose
90 % der aktiven Charcot-Füße können konservativ und ambulant behandelt werden.3
Durch konservative und/oder chirurgische Therapie kann die Extremität in > 90 % der Fälle erhalten werden.3
Potenziell modifizierbare Risikofaktoren wie Hypertonie, Dyslipidämie, Rauchen und ein erhöhter BMI sollten therapiert werden, eine gute diabetische Stoffwechseleinstellung ist anzustreben.
Je nach Alter und Therapieziel soll der HbA1c zwischen 6,5 und 8,5 % liegen.21-22
Verlaufskontrolle
Patient*innen sind im Verlauf als Hoch-Risikopatient*innen für erneute Fußkomplikationen einzustufen und benötigen engmaschige Kontrolluntersuchungen der Füße, gemäß DMP mind. alle 3 Monate.
Schulung der Betroffenen, um ein Rezidiv selbst zu erkennen.
Monofilament: Der Draht sollte senkrecht gegen die Haut gehalten und für ca. 2 Sekunden gegen die Hautfläche gedrückt werden. Drücken Sie so fest, dass sich das Filament biegt. Patient*in sollte nicht sehen können, wann und wo das Filament platziert wird. Vermeiden Sie den Bereich mit harter Haut.
Charcot-Fuß, Stadium 1
Charcot-Fuß links
Charcot-Fuß (Quelle: Wikimedia commons, Charcots fot. Wikimedia commons: donated by Dr. Muzammil Irshad; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Diabetic_Charcot_Foot_Deformity.jpg).
Quellen
Leitlinien
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. DEGAM-Anwenderversion als Addendum zur Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes. AWMF-Register-Nr. nvl-001. Stand 2021. www.degam.de
NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes - Teilpublikation, 2. Auflage. Stand 2021. www.leitlinien.de
Literatur
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NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen. AWMF-Leitlinie Nr. nvl - 001c. Stand 2010 (abgelaufen). www.leitlinien.de
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Kassenärztliche Bundesvereinigung. Praxisnachrichten. DMP für Osteoporose-Patienten auf den Weg gebracht. Februar 2020. Letzter Zugriff 17.04.2021. www.kbv.de
Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Zusammenführung der Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme nach § 137f Absatz 2 SGB V. Stand 2021. Letzter Zugriff 12.04.2021. www.g-ba.de
NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes - Teilpublikation, 2. Auflage. Stand 2021. www.leitlinien.de
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. DEGAM-Anwenderversion als Addendum zur Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes. AWMF-Register-Nr. nvl-001. Stand 2021. www.degam.de
Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Seltene Sonderform des diabetischen Fußes mit schmerzloser, nichtinfektiöser Zerstörung von Knochen und Gelenken als Folge der Neuropathie. Häufigkeit:6.000 bis 8.500 Neuerkrankungen in Deutschland jährlich.