Definition:Lebensbedrohliche Komplikation des Diabetes mellitus (insbesondere Typ 2) mit Hyperglykämie, Hyperosmolarität und Dehydrierung. In Abgrenzung zur diabetischen Ketoazidose (DKA) jedoch ohne Ketoazidose.
Häufigkeit:Gehäuft bei älteren Patient*innen mit Typ-2-Diabetes. Insgesamt aber selten, weniger als 1 % aller diabetesbedingten stationären Einweisungen.
Symptome:Polyurie, Polydipsie, Schwäche, Sehstörungen, kognitive Einschränkungen, z. B. Konzentrationsschwierigkeiten.
Befunde:Exsikkose, Hypotonie, Tachykardie, Bewusstseinseintrübung bis Koma, Nierenversagen, fokale oder generalisierte Krampfanfälle.
Diagnostik:Diagnostische Kriterien sind Plasma-Glukose > 600 mg/dl, Osmolalität > 320 mosm/kg und Abwesenheit einer Ketoazidose.
Therapie:Intensivmedizinische stationäre Therapie. Intravenöse Rehydrierung erste und wichtigste Maßnahme. Zudem Ausgleich von Elektrolytstörungen, ggf. Insulingabe und Diagnostik und Therapie von auslösenden Ursachen.
typisch für DKA: jüngere Patient*innen mit Typ-1-Diabetes
Ätiologie und Pathogenese
Ursächlich für HHS sind Insulinmangel und erhöhte blutzuckersteigernde Hormone wie Glukagon, Katecholamine und Kortisol.5
Im Gegensatz zur DKA kein absoluter Insulinmangel, sodass Insulinmenge zwar noch hoch genug ist, um Lipolyse und Ketogenese zu verhindern, aber eine ausgeprägte Hyperglykämie auftreten kann.1
Häufigster Auslöser der Erkrankung sind Infektionen (50–60 %). Weitere Ursachen:2
Medikamente, z. B. Thiazide, Betablocker, Glukokortikoide oder atypische Antipsychotika
Oft alleinstehende oder in einer Pflegeeinrichtung lebende Patient*innen, die sich nicht eigenständig um ihre Bedürfnisse und Medikamente kümmern können.
Meist weitere Vorerkrankungen und Einnahme von Medikamenten, die die Erkrankung aggravieren können, z. B. Diuretika.
Akute Erkrankung, meist febriler Infekt, als Trigger für HHS
Im Gegensatz zur DKA entwickeln sich die Symptome schleichend über Tage bis Wochen.
Durch simultane Insulingabe ist die Aufnahme von Kalium in Zellen mit resultierender Hypokaliämie möglich.
Kontinuierliches EKG-Monitoring empfohlen, um Herzrhythmusstörungen sofort zu erkennen.6
Natrium-Konzentration sollte nicht mehr als 180 mg/dl (10 mmol/l) in 24 h verändert werden (Gefahr zentraler pontiner Myelinolyse bei zu schnellem Ausgleich einer Hyponatriämie).7
Insulingabe
Deutsche Leitlinie empfiehlt zunächst keine Insulingabe, da Volumenersatz mit 0,9 % Kochsalzlösung in der Regel bereits zu Blutzuckersenkung führt.7
Blutzucker sollte nicht mehr als 90 mg/dl (5 mmol/l) pro h fallen.
Fällt Blutzucker nicht mehr durch i. v. Flüssigkeitsgabe oder wenn Ketonämie > 18 mg/dl (1 mmol/l) vorliegt, soll mit einer 0,05 IE/kg/h Insulininfusion begonnen werden.
Eine amerikanische Leitlinie empfiehlt Insulintherapie. Beginn jedoch erst nach Flüssigkeitsgabe, da sonst Hypotension aggraviert werden kann.6
Mögliches i. v. Schema für Erwachsene nach amerikanischer Leitlinie:6
0,1 Einheiten pro kg Körpergewicht als initialer Bolus
Anschließend kontinuierliche Infusion von 0,1 Einheiten pro kg Körpergewicht pro Stunde, bis der Blutzuckerspiegel zwischen 250–300 mg/dl liegt.
Sobald Patient*in bewusstseinsklar ist und essen kann, Umstellung auf subkutane Insulingabe mit lang- und kurzwirksamen Insulinpräparaten.1
Elektrolytstörungen, insbesondere Hypokaliämie durch Insulingabe
Herzrhythmusstörungen
Zentrale pontine Myelinolyse bei zu schneller Anhebung des Natriums6
Hirnödem bei zu schneller Senkung des Blutzuckers2
Prognose
Sterblichkeit 5–16 % und somit deutlich höher als bei DKA5
Alter, Grad der Dehydrierung, hämodynamische Instabilität, auslösende Ursache des HHS und Grad der Bewusstlosigkeit Prädiktoren für letalen Ausgang.8-9
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
Sorgfältige Einhaltung der Behandlungsanweisungen und regelmäßige Blutzuckerkontrolle, insbesondere bei Stresssituationen und Einnahme von neuen Medikamenten mit Einfluss auf Blutzucker.
Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Leitlinie Nr. 057-013. S3, Stand 2018. www.awmf.org
Literatur
Avichal D. Hyperosmolar Hyperglycemic State. Medscape, last updated Jan 05, 2021. emedicine.medscape.com
Adeyinka A, Kondamudi NP. Hyperosmolar Hyperglycemic Nonketotic Coma. StatPearls 2021. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Pasquel FJ, Umpierrez GE. Hyperosmolar Hyperglycemic State: A Historic Review of the Clinical Presentation, Diagnosis, and Treatment. Diabetes Care 2014; 37(11): 3124-3131. care.diabetesjournals.org
Agrawal S, Baird GL, Quintos JB, et al. Pediatric Diabetic Ketoacidosis With Hyperosmolarity: Clinical Characteristics and Outcomes. Endocr Pract 2018; 24(8): 726-32. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Fayfman Maya, Pasquel FJ, Umpierrez PE. Management of Hyperglycemic Crises: Diabetic ketoacidosis and hyperglycemic hyperosmolar state. Med Clin North Am 2017; 101(3): 587-606. www.ncbi.nlm.nih.gov
Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Therapie des Diabetes mellitus Typ 1, Stand 2018. AWMF-Leitlinie Nr. 057-013, www.awmf.org
MacIsaac RJ, Lee LY, McNeil KJ, Tsalamandris C, Jerums G. Influence of age on the presentation and outcome of acidotic and hyperosmolar diabetic emergencies. Intern Med J 2002; 32: 379-85. PubMed
Ting JY. Hyperosmolar diabetic non-ketotic coma, hyperkalaemia and an unusual near death experience. Eur J Emerg Med 2001; 8: 57-63. PubMed
Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Lebensbedrohliche Komplikation des Diabetes mellitus (insbesondere Typ 2) mit Hyperglykämie, Hyperosmolarität und Dehydrierung. In Abgrenzung zur diabetischen Ketoazidose (DKA) jedoch ohne Ketoazidose.