Körperliche Aktivität und Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen
Allgemeine Informationen
Kardiovaskuläre Erkrankungen
Im Allgemeinen alle Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie die Erkrankungen, deren Ursache eine Arteriosklerose ist.
Die Prävention auf individueller Ebene sollte an das kardiovaskuläre Gesamtrisiko angepasst werden: Je höher das Risiko, desto intensiver sollten die Bemühungen sein.1
Ein kardiovaskuläres Risikoassessment sollte nach der Leitlinie in folgenden Situationen durchgeführt werden:2
Ein oder mehrere der folgenden Risikofaktoren sind vorhanden: Übergewicht besonders mit bauchnaher Fettverteilung oder Adipositas.
anlässlich einer Gesundheitsuntersuchung, bei Frauen > 60 Jahre, bei Männern > 55 Jahre
Personen mit hoher psychosozialer Belastung/niedrigem Bildungsgrad oder sozialer Schicht ab 35 Jahren
Wenn es die Patient*innen wünschen bzw. eine entsprechende Besorgnis äußern.
Zur Risikoberatung und gemeinsamen Therapie-Entscheidungsfindung sollte das ARRIBA-Instrument eingesetzt werden.2
Regelmäßige körperliche Aktivität führt zur Reduzierung des kardiovaskulären Risikos und damit zu Senkung der allgemeinen und kardiovaskulären Sterblichkeit. 3
nichtlineare Dosis-Wirkungs-Beziehung
Der entscheidende Schritt besteht von der Inaktivität zur moderaten körperlichen Aktivität.
Mit einer weiteren Steigerung der körperlichen Aktivität sinkt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen immer weniger.
Mortalität
2018 waren Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems mit 36,2 % die häufigste Todesursache in Deutschland.4
Dies entspricht 345.274 Menschen.
davon 157.282 Männer und 187.992 Frauen
Auch weltweit sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache bei Menschen < 75 Jahren.1
Körperliche Aktivität
Leitlinie: Empfehlungen für körperliche Aktivität1
Gesunden Erwachsenen aller Altersklassen wird mindestens 150 Minuten gemäßigtes aerobes Fitnesstraining in der Woche (je 30 Minuten an 5 Tagen/Woche) oder 75 Minuten/Woche intensives aerobes Fitnesstraining (je 15 Minuten an 5 Tagen/Woche) oder eine gleichwertige Kombination beider empfohlen.
Um den Nutzen bei gesunden Erwachsenen zu erhöhen, wird eine allmähliche Steigerung der Dauer von gemäßigtem aerobem Fitnesstraining auf 300 Minuten in der Woche bzw. auf 150 Minuten in der Woche bei intensivem aerobem Fitnesstraining empfohlen. Auch hier ist eine Kombination möglich.
Eine regelmäßige Erfassung und Beratung zur körperlichen/sportlichen Aktivität wird empfohlen, um das Engagement zu verbessern und nötigenfalls eine Steigerung der körperlichen/sportlichen Aktivität im Lauf der Zeit zu unterstützen.
Sport sollte mehrmals die Woche betrieben werden, jeweils ≥ 10 Minuten dauern und gleichmäßig über die Woche verteilt werden, d. h. auf 4–5 Tage in der Woche, vorzugsweise täglich.
Personen mit geringem Risiko wird Sport uneingeschränkt empfohlen.
Personen mit bevorzugt sitzender Lebensweise mit Risikofaktoren, die eine intensivere körperliche Aktivität beabsichtigen, sollten sich zuvor einer sorgfältigen klinischen Untersuchung (ggf. einschl. Belastungstest) unterziehen.
Aktivität bei Erwachsenen in Deutschland
In Deutschland üben nur 42,6 % der Frauen und 48,0 % der Männer mindestens 2,5 Stunden in der Woche aerobe körperliche Aktivität aus.5
Für alle Altersgruppen bei Frauen und Männern gilt:
Je höher der Bildungsstand, desto häufiger wird die empfohlene körperliche Aktivität erreicht.5
Ärztliche Aufgaben bei Trainingsempfehlung und -verschreibung
Fragen Sie nach der bisherigen körperlichen Aktivität und Bewegung.
Vor Beginn eines Trainings sollte bei Patient*innen mit Risikofaktoren eine klinische Abklärung von Begleiterkrankungen und Kontraindikationen erfolgen.
Für alle Patient*innen sollte ein individuelles Trainingsprogramm festgelegt werden mit Ausdauertraining, Krafttraining und Koordinations-/Flexibilitätstraining.
Zur besseren Motivierung der Patient*innen ist z. B. die 5-A-Strategie hilfreich:2
Die 5 A stehen jeweils für:
Assess (Status erheben)
Advise (direkte, deutliche Empfehlung zur Verhaltensänderung)
Agree (Erfassen der Veränderungsbereitschaft)
Assist (Unterstützung anbieten)
Arrange (Vereinbarung weiterer Termine).
Beispielhafte Effekte des körperlichen Trainings
Verbesserung der körperlichen Fitness
Verringerung der Stressreaktion des Körpers (Sympathikusaktivität)
Verbesserung der Erweiterungsfähigkeit der Blutgefäße
Die Risiken einer erhöhten körperlichen Aktivität, wie sie für die kardiovaskuläre Prävention empfohlen werden, sind sehr gering.
Vorsicht ist geboten bei:
sehr anstrengender körperlicher Belastung
exzessiver Gesamtaktivität
vorbestehenden muskuloskelettalen Erkrankungen.
Körperliche Aktivität und Herz- und Gefäßerkrankungen
Herz- und Gefäßerkrankungen allgemein
Retrospektive Studien, Querschnittsstudien und prospektive Studien zeigen einen inversen Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen, körperlicher Aktivität bei der Arbeit oder in der Freizeit und der Kondition.7
Menschen, die körperlich inaktiv sind, haben im Vergleich zu körperlich aktiven Menschen ein doppelt so hohes Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu entwickeln.8
Dies gilt sowohl für Männer als auch für Frauen.
Koronare Herzerkrankung
Auch bei bestehender Koronarerkrankung hat körperliches Training einen positiven Effekt auf die Morbidität und Mortalität im Sinne der Sekundärprävention.
Aus epidemiologischer Sicht besteht ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen körperlicher Inaktivität und Schlaganfällen.9
Risikoreduktion durch körperliche Aktivität um 25 % (ischämischer Schlaganfall) bzw. 33 % (Hirnblutung)10
Kardiale Rehabilitation
Sinnvolle Sportarten sind Gehen, Laufen (Jogging), Schwimmen, Radfahren und Ausdauertraining an Geräten wie Ruderergometer. Dies kann durch gymnastische Übungen oder leichtes Krafttraining ergänzt werden. Generell ist der Einstieg über eine ambulante Herzgruppe empfehlenswert, um die eigene Belastbarkeit kennenzulernen, Fehlbelastungen zu vermeiden und um das Training zu steuern.
Körperliche Aktivität und metabolisches Syndrom
Lipide/Lipoproteine
Randomisierte, kontrollierte Trainingsstudien haben gezeigt, dass sowohl bei Frauen als auch bei Männern eine Reduktion triglyzeridreicher Lipoproteine um 10–17 % stattfindet.11
Auswirkungen von körperlicher Aktivität, insbesondere Ausdaueraktivität, auf den Blutdruck
Es kann eine Reduktion von 7/5 mmHg (systolisch/diastolisch) erwartet werden, es gibt allerdings große individuelle Unterschiede.12
In einer weiteren Metaanalyse, in die nur Studien mit Personen einbezogen waren, die Bluthochdruck hatten, wurde eine höhere Wirkung festgestellt – bzw. ein um 13/18 mmHg niedrigerer systolischer und diastolischer Blutdruck.13
Mechanismen
Entscheidende Mechanismen sind die Verbesserung der Barorezeptorsensitivität und die arterielle Compliance.
Die Wirkung ist wahrscheinlich zudem auf eine verringerte Sympathikusaktivität und Reninaktivität zurückzuführen.
Eine weitere Erklärung kann die Gewichtsreduktion infolge erhöhter körperlicher Aktivität sein.
Körperliche Aktivität erhöht die Insulinempfindlichkeit und senkt den Blutzuckerspiegel.
Dies gilt für Ausdauertraining und Krafttraining.
Die erhöhte Insulinempfindlichkeit kann für mehrere Tage anhalten, abhängig von der Intensität und der Dauer der körperlichen Aktivität.
HbA1c wird durch körperliche Aktivität um durchschnittlich 33 % gesenkt.10
Die Teilnahme an regelmäßiger körperlicher Aktivität, mindestens einmal pro Woche, ergab ein relatives Risiko, Typ-2-Diabetes zu entwickeln, von 0,67 gegenüber den körperlich inaktiven Personen.14
Übergewichtige, die körperlich fit sind, haben ein geringeres Erkrankungsrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als körperlich inaktive schlanke Menschen.6
Hämostase/Fibrinolyse
Es ist nachgewiesen, dass mäßige körperliche Aktivität eine positive Wirkung auf die Thrombozytenaggregation (in vitro) bei mäßig übergewichtigen, inaktiven Männern auslösen kann.11
Endotheliale Dysfunktion
Die endotheliale Dysfunktion ist ein frühes Anzeichen von Arteriosklerose.
Körperliches Training verbessert erwiesenermaßen die endotheliale Funktion, sowohl bei gesunden Menschen als auch bei Menschen mit bekannter koronarer Herzerkrankung.15
Diese Veränderung wird wahrscheinlich u. a. durch eine erhöhte Stickstoffmonoxid-Konzentration hervorgerufen.
Plötzlicher Tod bei körperlicher Aktivität
Intensive körperliche Aktivität kann mit einem vorübergehend erhöhten Risiko für einen plötzlichen Herztod assoziiert sein, insbesondere bei Männern.
Eine Studie stellt fest, dass bei 3–4 % der Infarktfälle körperliche Aktivität wahrscheinlich der auslösende Faktor war.16
Dieses Risiko kann durch regelmäßiges Training reduziert werden.
Aufbau des Trainings
Vor Trainingsbeginn
Beurteilung der Belastbarkeit durch Anamnese und Befunde, ggf. Belastungs-EKG, Echokardiografie
Ausschluss von Kontraindikationen
Einteilung in Risikogruppen
Überwachung durch medizinische Kontrolluntersuchungen nötig?
Zusätzliches Monitoring (Herzfrequenz) während des Trainings mit Zielvorgaben für den Trainingsbereich?
Ärztliche Überwachung, z. B. in einer Herzsportgruppe, notwendig?
Für Breiten- oder Gesundheitssport sollte die allgemeine Beratung zur Vermeidung von Fehlbelastungen im Vordergrund stehen. In aller Regel genügt hier eine gründliche Anamnese, Beratung und eine Gesundheitsuntersuchung, wie sie im Bereich der GKV vorgesehen ist. Lediglich bei hinweisenden Beschwerden oder gravierenden Vorerkrankungen sind weitere Untersuchungen indiziert. Eine Pathologisierung dieses Bereiches ist unbedingt zu vermeiden, allerdings sind individuelle Hinweise zur Vermeidung von sportbedingten Fehlbelastungen hifreich.
Aerobes Ausdauertraining
Geeignete Sportarten: Laufen, Schwimmen, Gehen, Radfahren, Ergometer, Stepper etc.
Die Trainingsintensität kann durch 5 Faktoren gesteuert werden:
Herzfrequenz
Leistung in Watt
Sauerstoffaufnahme
Blutlaktatspiegel
Steuerung nach der BORG-Skala (Maß für subjektives Belastungsempfinden)17
Körperliche Aktivität sollte wie ein hochwirksames Medikament zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt werden.10
Der entscheidende Schritt mit der höchstem Wirksamkeit besteht von der Inaktivität zur moderaten körperlichen Aktivität.3
Körperliche Aktivität ermöglicht den Patient*innen, eigenverantwortlich etwas für die eigene Gesundheit und Gesunderhaltung zu tun.
Bei moderater Intensität körperlicher Freizeit-Aktivitäten über mindestens 30 Minuten an 5 Tagen der Woche liegt ein um ca. 35 % vermindertes kardiovaskuläres Risiko vor.2
Jede Einheit von mindestens 10 Minuten ist hilfreich!1
Es zählt jede Form der Bewegung. Ermuntern Sie die Patient*innen zu einer aktiven Lebensführung: Treppe statt Fahrstuhl, Fahrrad statt Auto (oder das Auto weiter entfernt abstellen) etc.
Körperliche Aktivität kann in der Regel in jedem Alter und bei jeder Ausgangsfitness begonnen werden.
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention. AWMF-Leitlinie Nr. 053-024. S3, Stand 2017. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Stand 2016. www.dgk.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Stand 2016. leitlinien.dgk.org
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention. AWMF-Leitlinie Nr. 053-024. S3, Stand 2017. www.awmf.org
Löllgen H, Bachl N. Kardiovaskuläre Prävention und regelmäßige körperliche Aktivität. Herz 2016; 41(8): 664-70. link.springer.com
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Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen e.V. Leitlinie körperliche Aktivität zur Sekundärprävention und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen. Clin Res Cardiol Suppl 4:1–44 (2009). link.springer.com
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Borg, Gunnar. Anstrengungsempfinden und körperliche Aktivität. Dtsch Arztebl 2004; 101: A 1016–1021 [Heft 15] www.aerzteblatt.de
Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Erika Baum, Prof. Dr. med., Professorin für Allgemeinmedizin, Biebertal (Review)
Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
Die ursprüngliche Version dieses Artikel basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
fysisk aktivitet og forebygging av hjerte- og karsykdom; Metabolsk syndrom; Hjerte- og karsykdom, fysisk aktivitet
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Im Allgemeinen alle Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie die Erkrankungen, deren Ursache eine Arteriosklerose ist. Die Prävention auf individueller Ebene sollte an das kardiovaskuläre Gesamtrisiko angepasst werden: Je höher das Risiko, desto intensiver sollten die Bemühungen sein.1
Gesundheitsförderung/Prävention
Körperliche Aktivität und kardiovaskuläre Erkrankungen