Der gewöhnliche Muskelkrampf tritt ohne erkennbare Ursache auf.1
Cave: Als Ursache vermutet werden von Patient*innen häufig Überanstrengung, Elektrolytverschiebungen und eine zu geringe Trinkmenge.3
Es gibt jedoch keine wissenschaftliche Evidenz für die prophylaktische oder therapeutische Supplementierung mit Elektrolyten oder eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr über das normale Maß (ca. 2 l pro Tag) hinaus.
Ein gehäuftes Auftreten findet sich bei u. g. prädisponierenden Faktoren. In diesen Fällen spricht man von einem symptomatischen Wadenkrampf.
Prädisponierende Faktoren
Prädisponierende Faktoren gemäß der Leitlinie der DGN1
Körperliche Arbeit oder sportliche Belastung, insbesondere unter Hitzebelastung (starkes Schwitzen, Salzverlust)
Schwangerschaft
Hypovolämie, hypotone Dehydratation (Hyponatriämie) und unter Hämodialyse
Bei Personen > 60 Jahre leiden Patient*innen, die mindestens 1 alkoholisches Getränk pro Woche zu sich nehmen, 6,5-mal häufiger an nächtlichen Wadenkrämpfen als abstinente Patient*innen.4
ICPC-2
L14a Unterschenkelsympt./-beschwerden
ICD-10
R25.2 Krämpfe und Spasmen der Muskulatur
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Die Diagnose wird auf Grundlage der typischen Anamnese gestellt.
Behebbare Ursachen oder bislang unbekannte, auslösende Grunderkrankung sollen ausgeschlossen werden.
Den neurologischen Status der betroffenen Extremität erheben, um schmerzhafte Muskelkontraktionen anderer Genese auszuschließen (z. B. Dystonien oder dauerhafte spastische Tonuserhöhungen).1
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Zur Basisdiagnostik gehört gemäß der Leitlinie der DGN Blutuntersuchung mit:1
Elektrolytwerten inklusive Kalzium und Magnesium
Nieren- und Leberwerten
Blutzucker
Schilddrüsenhormonen
Kreatinkinase.
Diagnostik bei Spezialist*innen
Bei Hinweisen auf symptomatische Muskelkrämpfe oder schmerzhafte Muskelkontraktionen anderer Genese schließen sich entsprechende Untersuchungen an, z. B.:1
Blutuntersuchungen: Kortisol und Aldosteron, Serumlaktat, Autoantikörper gegen neuronale Bestandteile
elektrophysiologische Untersuchungen: Elektromyografie (spontane Entladungen von Muskelaktionspotenzialen, ganz überwiegend im Frequenzbereich von 40–75 Hz), Neurografie
Funktionsuntersuchungen: Ischämie-Arbeitstest, dopplersonografische Untersuchung der arteriellen Beindurchblutung
Indikationen zur Überweisung
Bei Verdacht auf symptomatische Muskelkrämpfe
Bei nicht beherrschbaren Muskelkrämpfen mit starker Störung der Nachtruhe
Therapie
Therapieziele
Anfallshäufigkeit und Schwere der nächtlichen Wadenkrämpfe reduzieren.
Allgemeines zur Therapie
Dehnübungen sind sowohl in der Prävention als auch in der Akutbehandlung die Maßnahme der 1. Wahl.1
Pharmakologische Therapieversuche umfassen Magnesium und in 2. Linie, wegen möglicher schwerer Nebenwirkungen, Chinin.1
Ggf. Behandlung der Grunderkrankung oder Auslassversuch von potenziell auslösenden Medikamenten
Nichtmedikamentöse Therapien
Bei nächtlichen Wadenkrämpfen sollen regelmäßig Dehnübungen der Wadenmuskeln durchgeführt werden.1
Mehrmals am Tag wiederholtes Vorbeugen des Körpers im Stand unter Erhalt des Bodenkontakts der Fersen.
Bei Abstützung der Arme an einer ca. 1 m entfernten Wand kann die Übung auch von Älteren durchgeführt werden.
Beim statischen Dehnen sollten es mindestens 30 sec bei 4- bis 5-maliger Wiederholung pro Tag sein.3
Zusätzlich zum regelmäßigen Dehnen soll eine Kräftigung der antagonistischen Muskulatur erfolgen, um das erreichte Dehnergebnis muskulär zu sichern.3
Durch Wärme und Massieren lässt sich der Muskel zwar lockern, aber nicht dehnen. Solche Maßnahmen sind höchstens als Ergänzung geeignet.3
Medikamentöse Therapie
Die Gabe von Magnesium sollte aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofiles versucht werden, die Wirksamkeit ist aber nicht ausreichend belegt.1
Chinin ist wirksam, sollte wegen der (seltenen) schweren Nebenwirkungen aber erst in 2. Linie und nur bei schwerer Ausprägung der Krämpfe eingesetzt werden.1
strenge Indikation bei Niereninsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und Störungen der Endplattenfunktion1
Zur Therapiekontrolle wird ein Auslassversuch (erneute Zunahme der Muskelkrämpfe?) nach einer z. B. 3-monatigen Behandlungsphase empfohlen.1
Studien deuten darauf hin, dass die Wirkung von Magnesium nur der eines Placebos entspricht.5-6
Chininpräparate
Das einzige in Deutschland zugelassene chininhaltige Medikament ist seit dem 1. April 2015 rezeptpflichtig und sollte nur angewendet werden, wenn die Krämpfe sehr häufig oder besonders schmerzhaft sind und behandelbare Ursachen der Krämpfe ausgeschlossen wurden und nichtpharmakologische Maßnahmen die Beschwerden nicht ausreichend lindern können.7
Der Grund für die Anwendungsbeschränkung sind die teilweise ernsten Nebenwirkungen:8
insbesondere immunologisch – und damit dosisunabhängig – vermittelte Thrombozytopenie1
Patient*in ist über Zeichen einer Gerinnungsstörung aufzuklären (spontane Haut- oder Schleimhauteinblutungen, Nasenbluten oder verstärkte Blutungsneigung).
Insbesondere innerhalb der ersten 2 Wochen ist auf hämatologische Nebenwirkungen zu achten.
Sollte sich die Frequenz oder Intensität der Krämpfe nicht innerhalb von 4 Wochen deutlich gebessert haben, ist die Behandlung zu beenden.
Alle 3 Monate sollte der Einsatz des Chinins neu bewertet werden.
Prävention
Regelmäßige Dehnübungen der Wadenmuskulatur und Kräftigung der antagonistischen Muskulatur (Kniestrecker und Fußheber).
Reduktion von belastungsabhängigen Krämpfen durch Dehnungsübungen vor der Belastung, Anpassung der körperlichen Leistung und des Trainings sowie Massagen nach der Belastung.1
Ausreichende Flüssigkeitszufuhr von ca. 2 l pro Tag, die je nach Witterungsbedingungen und Aktivität erhöht werden muss.3
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Meist chronischer Verlauf
Bei 59 % der Patient*innen dauern die Beschwerden > 3 Jahre.2
Komplikationen
Dauerhafte Schlafstörungen und dadurch verminderte Leistungsfähigkeit im Alltag9
In sehr schweren Fällen sind Muskelfaserrisse möglich.2
Prognose
Durch regelmäßige Dehnübungen der Wadenmuskulatur kann die Frequenz und Schwere der nächtlichen Wadenkrämpfe vermutlich reduziert werden.10
Bei stark ausgeprägter Symptomatik kann durch die Einnahme von 200 mg Chinin pro Tag bei der Mehrzahl der Patient*innen Anzahl, Dauer und Schmerzintensität der nächtlichen Wadenkrämpfe reduziert werden.11
guter bis sehr guter therapeutischer Effekt bei 92 % der Patient*innen
Esser M. Muskelkrämpfe: Halbwissen versus Evidenz. Sportverletz Sportschaden 2018; 32(4): 360-4. www.thieme-connect.com
Delacour C, Chambe J, Lefebvre F, et al. Association Between Alcohol Consumption and Nocturnal Leg Cramps in Patients Over 60 Years Old: A Case-Control Study. Ann Fam Med 2018; 16(4): 296-301. www.ncbi.nlm.nih.gov
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BfarM. Chinin gegen nächtliche Wadenkrämpfe (Limptar® N): Bescheid des BfArM zu Änderungen der Produktinformation, einschließlich Einschränkung der Indikation, u.a. wegen des Risikos für schwere Blutbildveränderungen (Thrombozytopenien) im Rahmen eines nationalen Stufenplanverfahrens 2.4.2015 www.bfarm.de
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Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Zusammenfassung
Definition:Nächtliche schmerzhafte und unwillkürliche Kontraktion der Wadenmuskulatur.
Häufigkeit:In Deutschland sind etwa 2,8 Mio. Menschen regelmäßig von nächtlichen Wadenkrämpfen betroffen, deutliche Zunahme mit dem Alter.
Symptome:Plötzlich auftretende, häufig sehr schmerzhafte Verhärtung der Wadenmuskulatur.
Befunde:Keine spezifischen klinischen Befunde.
Diagnostik:Basisdiagnostik mit Medikamentenanamnese, neurologischer Untersuchung und Laboruntersuchung.
Therapie:Dehnung der Wadenmuskulatur ist die Maßnahme der Wahl, sowohl zur Prävention als auch zur Akuttherapie bei Krampf. Medikamentöser Therapieversuch mit Magnesium wegen geringer Nebenwirkungen möglich, jedoch fragliche Wirksamkeit. Bei sehr schwerer Symptomatik Chinin wirksam, aber mit potenziell schwerwiegenden Nebenwirkungen.
R252 Krämpfe
L14a
Wadenkrampf; Wadenkrämpfe in der Nacht; Schmerzhafte Kontraktionen der Wadenmuskulatur; Magnesium; Dehydratation; Hypermobilitätssyndrom; Schwangerschaft; Neurologische Störungen
Nächtliche Wadenkrämpfe
U-NH 12.10.17
MK 30.01.2018, neue LL
BBB MK 07.02.2022 revidiert und stark gekürzt.
chck go 22.3., kleine Anpassung bzgl. Schwangerschaft JT, MK 08.06.17, komplett überarbeitet, unzulässige und in D nicht erhältliche Medikamente entfernt
Definition:Nächtliche schmerzhafte und unwillkürliche Kontraktion der Wadenmuskulatur. Häufigkeit:In Deutschland sind etwa 2,8 Mio. Menschen regelmäßig von nächtlichen Wadenkrämpfen betroffen, deutliche Zunahme mit dem Alter.