Definition: Schädigung des sensorischen Hautnervs, der das Hautareal anterolateral am Oberschenkel innerviert, meist durch Kompression unter dem Leistenband.
Häufigkeit: Nicht ganz selten.
Symptome: Die Symptome sind Taubheitsgefühl, Kribbeln und Schmerzen im innervierten Hautareal.
Diagnostik: Ergänzende neurologische Untersuchungen, ggf. Sono und MRT.
Therapie: Häufig spontane Remission, operative und medikamentöse Therapien stehen zur Verfügung.
Allgemeine Informationen
Definition
Der N. cutaneus femoris lateralis ist ein sensorischer Nerv, der das anterolaterale Hautareal des Oberschenkels innerviert.
Eine Läsion des Nerven erfolgt meist durch eine Kompression unter dem Leistenband und führt zu brennenden Schmerzen bis hin zu einer Hypästhesie im Bereich der vorderen Oberschenkelaußenseite.1
Wird auch als Meralgia paraesthetica oder Bernhardt-Roth-Syndrom bezeichnet.2
Häufigkeit
Die Inzidenz liegt bei 4 Neuerkrankungen pro 10.000 Personen pro Jahr.2
7–10 % der Patienten haben beidseitige Beschwerden.3
Ätiologie und Pathogenese
Der N. nervus cutaneus femoris lateralis ist ein kleiner senorischer Nerv, der direkt aus dem Plexus lumbalis entspringt, unter dem Leistenband entlangführt und die vorderen Oberschenkelaußenseite sensibel versorgt.
Häufigste Ursache für eine Meralgia paraesthetica ist eine Kompression des Nerven unter dem Leistenband, durch das er hindurchtritt.
In den meisten Fällen geschieht dies einfach so durch einen anatomisch ungünstigen Verlauf des Nerven.
Begünstigt wird die Entwicklung einer symptomatischen Meralgia durch mechanischen Druck z. B. bei:
direktem Druck durch enge Kleidung (Jeans), Gürtel oder Sicherheitsgurte (Seat-Belt-Syndrom)4
mechanische Irritationen durch Krafttraining der Leistenumgebung, insbesondere der Oberschenkelmuskeln und der Bauchmuskeln.
Als nichtmechanische Ursache kann eine Mononeuropathie im Rahmen eines Diabetes mellitus vorliegen.
Im Rahmen eines Traumas kann es zu einer Verletzung des N.cutaneus femoris lateralis kommen.
Iatrogene Verletzungen des N. cutaneus femoris lateralis können bei Spanentnahme aus dem Beckenkamm, Herniotomie, Leistenlappenplastik, bei einem ilioinguinalen Zugang zum Hüftgelenkacetabulum oder im Rahmen der Implantation einer Totalendoprothese vorkommen.5-6
Symptome der Nervenläsion sind:
Sensibilitätsausfall an der Vorder- und Außenseite des Oberschenkels
Die Patienten klagen über Parästhesien oder auch über brennende Schmerzen auf der Vorderseite/Außenseite des Oberschenkels, die nach unten zum Knie hin ausstrahlen können.
Anfangs treten diese vor allem bei längerem Stehen oder bei länger gestrecktem Hüftgelenk auf (z. B. in Rückenlage), später dann auch unabhängig von der Lage.13-14
Die Schmerzen können sehr stark sein.
Manchmal wird selbst Kleidung kaum ertragen.
Die Schmerzen treten oft in Perioden auf, in denen die Patientin/der Patient viel geht oder steht.
Durch Schädigung der Nervenfaser kann auch ein ausgeprägter Juckreiz (neuropathischer Pruritus) bestehen.15
Schmerzen können vermehrt in der Nacht auftreten (Meralgia paraesthetica nocturna).
Klinische Untersuchung
Missempfindungen oder Sensibilitätsausfall an der vorderen Oberschenkelaußenseite
Typisch ist, dass sich die Missempfindungen bei Hüftbeugung bessern. Umgekehrt lassen sie sich provozieren durch Überstreckung des Hüftgelenks bei gleichzeitiger Beugung im Knie in Seitenlage („umgekehrter Lasègue-Test"). Bei 2/3 der Patienten findet sich ein schmerzhafter Punkt knapp medial der Spina iliaca anterior superior.
Später kommt es zu vegetativen Störungen, z. B. zu einer Hypotrichose. Die Sensibilität verschlechtert sich zunehmend und kann schließlich dauerhaft gestört bleiben.
Es kommt zu keiner motorischen Beeinträchtigung, was die Meralgia paraesthetica von einer Radikulopathie unterscheidet.
Positives Hoffmann-Tinel-Zeichen medial der Spina iliaca superior mit Missempfindungen am Oberschenkel bei Klopfen auf den Oberschenkel
Diagnostik beim Spezialisten
Eine gründliche neurologische Untersuchung bildet die Grundlage der Diagnostik.
Eine Blockade mit einem Lokalanästhetikum medial und unterhalb der SIAS kann die Diagnose bestätigen.3
Quantitative sensorische Testung
Mit einer quantitativen sensorischen Testung (QST), ein psychophysisches Verfahren, wird mittels kontrollierter somatosensorischer Testreize die Hautsensibilität und die Sensibilität der darunter liegenden Strukturen (Muskeln/Faszien) untersucht.16
Somatosensorisch-evozierte Potenziale (SEP) und laserevozierte Potenziale (LEP)
Bei beiden Verfahren werden Reize im betroffenen Bereich gesetzt und die Potenziale werden mittels EEG an der Kopfhaut abgeleitet.16
Elektroneurografie
zur Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit
Sonografie
Bei der Sonografie lassen sich typische Veränderungen des Nervenquerschnitts feststellen.3
MRT
Das MRT kann anatomische Besonderheiten aufzeigen und ggf. einen retroperitonealen Tumor ausschließen.
Therapie
Allgemeines zur Therapie
Eine spezielle Therapie ist nicht immer erforderlich, oft tritt eine spontane Besserung ein.13
Bei Beschwerdepersistenz stehen verschiedene Therapieansätze zur Verfügung, deren Evidenz jedoch nicht durch große Studien belegt ist.17
Häufig ist es ausreichend, auf Vermeidung der Kompression durch Gewichtsnormalisierung, weite Kleidung tragen etc. zu achten.
Primär oder ergänzend kommt eine Schmerztherapie mit einem NSAR infrage.
Wenn dadurch die Beschwerden nicht gemildert werden, können als spezielle Schmerztherapie Infiltrationen mit einem Glukokortikoid oder eine Nervenblockade mit einem Lokalanästhetikum durchgeführt werden.3
Bei therapieresistenten Fällen ist eine operative Neurolyse bzw. Dekompression des betroffenen Nerven möglich.3
Eine Neurektomie, also Durchtrennung des Nerven, führt in einem hohen Prozentsatz zu einer Besserung der Beschwerden, hinterlässt jedoch eine bleibende Hypästhesie im Innervationsareal.18
Persistierende neuropathische Schmerzen können medikamentös behandelt werden.16
Empfehlungen für Patienten
Gewichtsreduzierung
Vermeidung von Druck von außen auf das Leistenband
Operative Therapie
Ist selten erforderlich, bei refraktären Beschwerden jedoch möglich als Dekompressionsoperation (Neurolyse) oder Neurektomie, bei der der Nerv durchtrennt wird, was bei einem großen Prozentsatz der Patienten zu einer Besserung führt.18
Medikamentöse Therapie
Es ist immer eine kausale und kurative Therapie anzustreben, sollte dies nicht möglich sein, oder neuropathische Schmerzen persistieren, kommen auch Medikamente zum Einsatz:
Lidocain-5 %- und Capsaicin-8 %-Pflaster als topische Therapie16
Schmerztherapie nach WHO-Stufenschema
Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle (Gabapentin/Pregabalin)
tri- und tetrazyklische Antidepressiva.
Kombinationstherapien können sinnvoll sein, da dadurch die Einzeldosen reduziert werden können und synergistische Effekte möglich sind.16
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Prognose
Häufig spontane Besserungen
In ca. 90 % der Fälle ist eine konservative Therapie ausreichend.19
Je länger eine Nervenschädigung anhält, desto schwieriger und langwieriger wird der Heilungsprozess, manchmal bleiben Parästhesien oder Hypästhesien auch bestehen.
Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), Deutsche Gesellschaft für Neurochirugie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) u.a. Nervenverletzungen, Versorgung peripherer.... AWMF Leitlinie 005-010. S3, Stand 2013. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-048. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
Literatur
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Williams PH, Trzil KP. Management of meralgia paresthetica. J Neurosurg 1991; 74:76. PubMed
Autoren
Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, redaktør NEL
Espen Dietrichs, professor og avdelingsoverlege, Universitetet i Oslo og Nevrologisk avdeling, Rikshospitalet, Oslo
Definition: Schädigung des sensorischen Hautnervs, der das Hautareal anterolateral am Oberschenkel innerviert, meist durch Kompression unter dem Leistenband.