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Zahn- und KieferschädenZahntrauma

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die meisten Gesichtsverletzungen werden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst oder auf der Erste-Hilfe-Station im Krankenhaus notfallmedizinisch versorgt.
  • Insbesondere Verletzungen von Zähnen und zahnumgebendem Gewebe, sogenannten dentoalveoläre Verletzungen, kommen recht häufig vor.

Häufigkeit

  • Sportverletzungen machen einen Großteil der Verletzungen im Gesicht aus.1
  • 5–10 % der Patienten, die sich an die Notaufnahme eines Krankenhauses wenden, weisen Zahnschäden auf, und 74 % der Patienten mit dentoalveolären Verletzungen sind nicht älter als 15 Jahre.
  • Gemäß einer in Malmö durchgeführten Forschungsstudie sind Kieferfrakturen in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen am häufigsten. In 35 % der Fälle ist die Ursache äußere Gewalteinwirkung, in 80 % handelt es sich um eine Mandibulafraktur.2
  • Traumatische Zahnverletzungen kommen sehr häufig vor, und insbesondere Kinder sind davon betroffen.3
    • jedes dritte fünfjährige Kind hat Schäden an den Milchzähnen.
    • jedes vierte zwölfjährige Kind hat Schäden an den bleibenden Zähnen.
  • Verletzungen des Milchzahngebisses kommen im Alter von zwei bis drei Jahren am häufigsten vor, bei den bleibenden Zähnen ist die Anzahl der Zahnunfälle im Alter zwischen neun und zehn Jahren am höchsten.

Diagnostische Überlegungen

  • Gesichtsverletzungen bei Unfällen: Es kann zu Verletzungen des Weichgewebes, der Zähne, der Kieferknochen und der Mundhöhle kommen.
  • Zahnverletzungen können auch in Verbindung mit Krampfanfällen bei Epilepsie oder durch Medikamentenmissbrauch auftreten.
  • Wird der Zahn unmittelbar getroffen, kann es zu einer Fraktur oder einer Auslenkung des Zahns kommen. Weichteilverletzungen der Lippe sind in solch einem Fall sehr viel wahrscheinlicher. Die Lippe fungiert mitunter als eine Art Stoßdämpfer und verteilt die Krafteinwirkung auf mehrere Zähne, so dass sich die Gefahr einer Zahnfraktur verringert.
  • Eine Fraktur von Kiefer oder Kieferkamm (Alveolarkamm) sollte stets ausgeschlossen werden.

Konsultationsgrund

  • Zahnschäden treten häufig infolge eines Traumas bei Stürzen, sportlichen Aktivitäten, beim Spiel, durch äußere Gewalteinwirkung oder Verkehrsunfälle auf.

ICPC-2

  • D19 Zahn-/Zahnfleischsympt./-beschw.
  • D20 Mund-/Zungen-/Lippenbeschwerden
  • D82 Zahn-/Zahnfleischerkrankung

ICD-10

  • K08 Sonstige Krankheiten der Zähne und des Zahnhalteapparates
    • K08.1 Zahnverlust durch Unfall, Extraktion oder lokalisierte parodontale Krankheit

Differenzialdiagnosen

Weichteilverletzungen

  • Bei einem Drittel aller Zahntraumen kommt es zu Weichteilverletzungen, insbesondere im Bereich der Gingiva und der Lippen.
  • Therapie: siehe Maßnahmen und Empfehlungen.

Kieferfraktur

  • Bei klinischem Verdacht auf einen Kieferbruch wird ein Röntgen durchgeführt.
  • Mit einem Orthopantomogramm (OPG) lassen sich die meisten Mandibulafrakturen zuverlässig aufzeigen, gleichzeitig ermöglicht es eine gute Übersicht über die Zähne im Fall umfangreicher Zahnverletzungen.
  • Die Detektionsrate für Mandibulafrakturen ist bei der Orthopantomografie deutlich höher als bei einer konventionellen Lateralaufnahme der Mandibula.4
  • Ein CT des Gesichtsskeletts mit reformatiertem Schnitt (frontal, sagital) liefert weitere Informationen zur Lokalisation der Fraktur.

Zahnfrakturen

  • Kronenfrakturen umfassen Bruchverletzungen in Zahnschmelz und Dentin im Bereich der Zahnkrone.
  • Ist die Pulpa nicht freigelegt, so spricht man von einer unkomplizierten Kronenfraktur; es handelt sich um das häufigste Trauma der bleibenden Zähne.5
  • Zahntraumen mit freigelegtem Pulpagewebe werden als komplizierte Kronenfraktur bezeichnet. Der Patient sollte baldmöglichst einen Zahnarzt aufsuchen, um eine genaue Zustandsbeurteilung vornehmen zu lassen.

Zahnluxationen

  • Subluxation
    • Der Zahn ist druckempfindlich und beweglich, aber nicht ausgelenkt.
    • Bei einer Verletzung der parodontalen Fasern kann es zu einer Blutung im Bereich der Zahnfleischtasche kommen.
  • Luxation
    • Der Zahn ist ausgelenkt, es handelt sich um das häufigste Zahntrauma beim Milchzahngebiss.
    • Ob und wie eine Verletzung der Milchzähne behandelt wird, sollte stets individuell beurteilt und von der Gefahr einer Beschädigung der darunterliegenden permanenten Zahnanlagen abhängig gemacht werden.

Processus-alveolaris-Fraktur

  • Eine Fraktur des Processus alveolaris und der dazugehörigen Zähne führt häufig zu erheblichen Okklusionsproblemen.

Ausgeschlagener Zahn

  • Ein ausgeschlagener Zahn lässt eine leere Zahnalveole zurück.
  • Die vorderen Schneidezähne des Oberkiefers (Incisivi) sind am häufigsten betroffen.
  • Der wichtigste prognostische Faktor bei ausgeschlagenen Zähnen ist die Zeit vom Ausschlagen des Zahns bis zu seiner Replantation.
  • Eine Austrocknung schädigt die Wurzelhautfasern (Parodontalligamente), was langfristig zur Wurzelresorption führen kann.
  • Bei Zähnen mit voll ausgebildeter Wurzel (Erwachsene) beträgt die kritische Zeit fünf Minuten, bei Zähnen mit unvollendeter Wurzelbildung (Kinder und Jugendliche) 20 Minuten.6
  • Wird der feucht aufbewahrt, z. B. in Milch, physiologischer Kochsalzlösung oder Speichel, so lässt sich die Zeitperiode bis zur Replantation um einige Stunden verlängern.7-8

Anamnese

Zentrale Elemente

  • Schmerzen?
    • Lokalisation
  • Lose Zähne?
  • Taubheit in der Lippe?
  • Probleme beim Öffnen des Mundes?
  • Bissanomalien?

Klinische Untersuchung

Inspektion

  • Untersuchung des Gesichts auf Schwellungen
  • Eine Hautlazeration unter dem Kinn ist charakteristisch für Frakturen der Mandibula im Bereich des Kiefergelenks und der Symphyse.

Palpation

  • Bei der Palpation der Unterkante der Mandibula von der Symphyse bis zum Bereich des Kiefergelenks sollten Sie idealerweise hinter dem Patienten stehen.
  • Schwellungen, palpierbare Spalten und Druckempfindlichkeit können auf eine Fraktur hindeuten.

Verschiedene Schäden

  • Bei Frakturen des Corpus und Angulus mandibulae kann es zu einer Verletzung des N. alveolaris inferior kommen, dies führt zu einer verminderten Sensibilität in der Unterlippe.
  • Blutungen aus dem Gehörgang können auf Rissen in der Gehörgangshaut, verursacht durch eine Fraktur des Collum mandibulae, beruhen.
  • Befragen Sie den Patienten, ob er Veränderungen bei der Okklusion wahrgenommen hat, und überprüfen Sie die Passgenauigkeit von Ober- und Unterkiefer beim Zusammenbeißen.
  • Bei Okklusionsproblemen kommen drei Ursachen infrage:
    • Kieferfraktur
    • Hydrops
    • Dislokation des Kiefergelenks oder Zahntrauma, z. B. ein ausgelenkter Zahn.

Mundhöhle

  • Die Mundhöhle wird systematisch und mithilfe einer guten Lichtquelle untersucht.
  • Überprüfen Sie Gingiva und Mukosa auf Lazerationen und Hämatome.
  • Sublinguale Hämatome sind pathognomonisch für eine Mandibulafraktur.
  • Die Zähne sollten auf mögliche Auslenkungen, Beweglichkeit und sichtbare Frakturen hin untersucht werden.
  • Wenn sich mehrere lose Zähne in einem Bereich befinden, überprüfen Sie, ob sich der Alveolarkamm zusammen mit den Zähnen bewegt.
  • Rechnen Sie mit ausgeschlagenen Zähnen.
    • Zahnfragmente können eingeatmet oder verschluckt bzw. im Weichgewebe der Lippe eingebettet worden sein.
    • Zahnfragmente in der Lippe lassen sich am leichtesten mittels beidhändiger Palpation entdecken, unterstützend kann das Weichgewebe bei Bedarf geröntgt werden.
  • Notieren Sie die Anzahl der beschädigten Zähne sowie die Art und den Zeitpunkt der Verletzung in der Patientenakte.
    • Diese Angaben sind wichtig für die Beurteilung der Prognose und für Versicherungsleistungen und Kostenerstattungen der nachfolgenden zahnärztlichen Behandlung.

Ergänzende Untersuchungen

  • Röntgen der beschädigten Zähne
    • Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln stellen oftmals die einzige Möglichkeit dar, eine Wurzelfraktur zu diagnostizieren.
  • Bei Verdacht auf Kieferfraktur
    • Röntgen
    • Orthopantomografie
    • evtl. CT

Maßnahmen und Empfehlungen

Überweisung

  • Bei Zahnverletzungen sollte stets eine Überweisung zur adäquaten Diagnostik und Langzeitbehandlung durch einen Zahnarzt erfolgen.
  • In den meisten Fällen ist die Prognose am besten, wenn die Behandlung so zeitig wie möglich begonnen wird.

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei diagnostizierter Kieferfraktur sollte die Behandlung stationär durch einen Kieferchirurgen oder HNO-Arzt erfolgen.

Empfehlungen

Weichteilverletzungen

  • Durchgehende Schnittverletzungen der Lippe werden in drei Lagen mit resorbierbarem Nahtmaterial in Mukosa und Muskulatur sowie Hautnähten verschlossen.
  • Der Übergang von der Haut zum Lippenrot sollte vor der Injektion des Betäubungsmittels markiert werden, da er exakt zusammengefügt werden muss.
  • Oberflächliche Hautabschürfungen, Exkoriationen, sollten ggf. abgebürstet werden, bis alle sichtbaren Schmutzpartikel entfernt sind.
  • Intraorale Schleimhautlazerationen sollten mit resorbierbarem Nahtmaterial zusammengefügt werden, insbesondere zum Verdecken freigelegter Knochenstrukturen.

Zahnfrakturen

  • Bei freigelegtem Pulpagewebe sollte der Patient sich schnellstmöglich in zahnärztliche Behandlung begeben.
  • Abgesplitterte Zahnfragmente sollten feucht aufbewahrt und zum Zahnarzt mitgebracht werden. In vielen Fällen lassen sie sich mit gutem kosmetischem Resultat wieder am Zahn festkleben.

Zahnluxationen

  • Subluxation
    • Es sollte eine Verlaufskontrolle durch den Zahnarzt erfolgen, da Spätfolgen wie eine Pulpanekrose entstehen und Wurzelbehandlungen erforderlich sein können.
  • Luxation
    • Ob und wie eine Verletzung der Milchzähne behandelt wird, sollte stets individuell beurteilt und von der Gefahr einer Beschädigung der darunterliegenden permanenten Zahnanlagen abhängig gemacht werden.
    • Bleibende Zähne werden durch Fingerdruck wieder in ihre normale Position gebracht, anschließend wird die Okklusion überprüft.
    • Der Patient sollte sich umgehend in zahnärztliche Behandlung begeben.9

Processus-alveolaris-Fraktur

  • Das Fragment wird repositioniert und für 4–5 Wochen fixiert.
  • Eine solche Fraktur wird als offener Bruch eingestuft, weshalb eine Penicillinprophylaxe erforderlich ist.
  • Der Patient sollte sich umgehend in zahnärztliche Behandlung begeben bzw. an einen Kiefer- oder Mundchirurgen überwiesen werden.9

Erste Hilfe bei ausgeschlagenen Zähnen

  • Patienten, die telefonischen Rat bei ausgeschlagenen Zähnen erbitten, sollten darüber informiert werden, den entsprechenden Zahn umgehend zu replantieren und danach einen Zahnarzt zu kontaktieren, auch außerhalb der Sprechzeiten.
  • Falls die Wurzeloberfläche sichtbar verunreinigt ist, sollte sie für zehn Sekunden unter klarem Wasser abgespült werden. Sie darf in keinem Fall gebürstet oder mechanisch gereinigt werden.
  • Replantation
    • Bei der Replantation eines ausgeschlagenen Zahn sollte eine Berührung der Wurzeloberfläche vermieden werden, um eine weitere Verletzung der Wurzelhautfasern zu verhindern.
    • Es kann zuweilen erforderlich sein, den betroffenen Bereich mittels Infiltration eines lokalen Anästhetikums in die Umschlagfalte zu betäuben.
    • Eventuelle Koagel in der Zahnalveole sollten ausgespült werden.
    • Der Zahn wird vorsichtig replantiert, aber nicht festgedrückt, da dies zu einer Beschädigung der Wurzeloberfläche führen kann.
    • Falls ein fühlbarer Widerstand auftritt, wird der Zahn wieder entfernt, feucht aufbewahrt und die Zahnalveole untersucht.
    • Sollten sich Knochensplitter in der Alveole befinden, müssen diese vor der Replantation des Zahns reponiert werden.
  • Nach der Replantation
    • Es sollte eine umgehende Überweisung an einen Zahnarzt zur Fixierung und Verlaufskontrolle des replantierten Zahns erfolgen.
    • Die meisten replantierten Zähne müssen anschließend, normalerweise innerhalb von zwei bis drei Wochen, wurzelbehandelt werden.6

Quellen


Literatur

  1. Reehal P. Facial injury in sport. Curr Sports Med Rep 2010; 9: 27. pmid:20071918 PubMed
  2. Hallmer et al. Jaw fractures diagnosed and treated at Malmö University Hospital: a comparison of three decades. Int J Oral Maxillofac Surg 2010; 39(5): 446-51. PubMed
  3. Douglass AB, Douglass JM. Common Dental Emergencies. Am Fam Physician 2003; 67: 511-7. pmid:12588073 PubMed
  4. Chayra GA, Meador LR, Laskin DM. Comparsion of panoramic and standard radiographs for the diagnosis of mandibular fracture. J Oral Maxillofacial Surg 1986; 44: 677-9. PubMed
  5. Ellis E, Moos KF, El-Attar A. Ten years of mandibular fractures: an analysis of 2,137 cases. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 1985; 59: 120-9. PubMed
  6. Andreasen JO, Andreasen FM, Bakland L et al. Traumatic dental injuries - a manual. København: Munksgaard, 2003.
  7. Andreasen JO, Borum MK, Jacobsen HL et al. Replantation of 400 avulsed incisors. 4. Factors related to periodontal ligament healing. Endod Dent Traumatol 1995; 11: 76-9. PubMed
  8. Olson B, Mailhot J, Anderson R et al. Comparsion of varios transport media on human periodontal ligament cell viability. J Endod 1997; 23: 676-9. PubMed
  9. Andreasen JO, Andreasen FM, Skeie A et al. Effect of treatment delay upon pulp and periodontal healing of traumatic dental injuries - a review article. Dent Traumatol 2002; 18: 116-28. PubMed

Autoren

  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Trondheim
  • Ylva-Britt Wahlin, universitetslektor odontologi, Umeå universitet (Medibas)
k08 andre forstyrrelser i tenner og støttevevK08; k08.1 manglende tenner som følge av ulykkeuttr.lokal periodontal sykdom; k08.1 manglende tenner som følge av ulykke/uttr./lokal periodontal sykdomK081
d19 tenner, tannkjøtt symptomer og plagerD19; d82D20; tenner, tannkjøtt sykdomD82
ZahnschädenZahntrauma; KieferschDentales Trauma; Zahnschäden; Gesichtsverletzungen; Dentoalveoläre Verletzungen; Kieferfrakturen; Kieferfraktur; Mandibularfraktur; Zahnunfall; ZanfrakturenZahnfrakturen; Kronenfrakturen; Zahnluxation; Processus-alveolaris-Fraktur; Ausgeschlagener Zahn
Zahn- und KieferschädenZahntrauma
U-NH 07.11.17
BBB MK 30.05.2022 revidiert, auf Zahnschäden gekürzt, Kiefertraumata gehören in Extrakapitel. Revision at 29.03.2014 18:53:42: Revidert. Små endringer. chck go 23.5.
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Die meisten Gesichtsverletzungen werden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst oder auf der Erste-Hilfe-Station im Krankenhaus notfallmedizinisch versorgt. Insbesondere Verletzungen von Zähnen und zahnumgebendem Gewebe, sogenannten dentoalveoläre Verletzungen, kommen recht häufig vor.
Hals/Nase/Ohren
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