Therapie: Operative Entfernung, evtl. Strahlen- und Chemotherapie.
Allgemeine Informationen
Definition
Karzinom der Mundhöhle
Betroffen können sein die Innenwange, das retromolares Dreieck, der Alveolarfortsatz, harter Gaumen, die Vorderfläche des weichen Gaumens, die vorderen 2/3 der Zunge, der Mundboden, das Vestibulum und das nicht keratinisiertes Lippenrot.1
Einem Mundhöhlenkarzinom gehen in aller Regel leicht erkennbare Veränderungen in der Schleimhaut voraus, was eine frühzeitige Diagnose und Therapie der Krebsvorstadien ermöglicht.
Häufigkeit
Bei Mund-und Rachenkarzinome gab es in Deutschland 2013 bei Männern 9.900 Neuerkrankungen, bei Frauen 3700.2
Am häufigsten tritt die Erkrankung bei Männern zwischen 55 und 65, bei Frauen zwischen 50 und 75 Jahren auf.3
Ätiologie und Pathogenese
Es handelt sich in ca. 95 % der Fälle um Plattenepithelkarzinome, die häufig mit einem chronischen Alkohol- oder Tabakkonsum assoziiert sind.3
Die häufigsten Lokalisationen sind die Zunge, der Mundboden und die Unterlippe.
Als Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms sind die intraepithelialen Neoplasien anzusehen, wi z. B. die Leukoplakie, eine vornehmlich weiße Läsion der Mundschleimhaut.
Nicht alle präkanzerösen Veränderungen werden zu malignen. Auf der anderen Seite gibt Mundhöhlenkarzinome, die kein präkanzeröses Stadium durchlaufen.
Bei bis zu 40 % der Patienten ist es bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose trotz eines klinisch unauffälligen Befundes zu einem Befall der Halslymphknoten gekommen.
Ein Mundhöhlenkarzinom wächst lokal invasiv, was zu Gewebezerstörung und einer frühzeitigen Metastasierung in das Lymphgewebe führt.
Der Tumor wächst oft früh in die Muskulatur, die Sehnen, das Periost und die Knochen hinein.
Fernmetastasen sind selten, aber in den Fällen, in denen es zu solchen kommt, sind diese zumeist in der Lunge lokalisiert.
Prädisponierende Faktoren
Tabak in allen Formen stellt ein signifikantes Risiko für die Entwicklung von Plattenepithelkarzinomen dar.
Alkohol ist ebenfalls ein wichtiger Risikofaktor.
Die Kombination von Tabak und übermäßigem Alkoholkonsum erhöht das Risiko um mehr als die Summe der einzelnen Faktoren.
Der Nachweis von humanem Papilloma-Virus (HPV 16) im Serum stellt einen weiteren Risikofaktor dar.4-6
UV-Strahlen sind ein wichtiger ätiologischer Faktor für das Lippenkarzinom.7
Einseitige Ernährung, wie etwa ein übermäßiger Konsum von Fleisch oder gebratenem Essen, erhöht die Gefahr einer Karzinomentstehung in der Mundhöhle.1
Darüber hinaus wird angenommen, dass auch genetische Faktoren die Entstehung eines Mundhöhlenkarzinoms beeinflussen.8
ICPC-2
D77 Bösartige Neubild. Verdauungstrakt
ICD-10
C05 Bösartige Neubildung des Gaumens
C05.9 Gaumen, nicht näher bezeichnet
C06 Bösartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Mundes
C06.8 Sonstige und nicht näher bezeichnete Teile des Mundes, mehrere Teilbereiche überlappend
C06.9 Mund, nicht näher bezeichnet
C14 Bösartige Neubildung sonstiger und ungenau bezeichneter Lokalisationen der Lippe, der Mundhöhle und des Pharynx
C14.8 Lippe, Mundhöhle und Pharynx, mehrere Teilbereiche überlappend
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Da die Heilungsaussichten bei Frühbefunden wesentlich günstiger sind als bei fortgeschrittenen Tumoren kommt der Früherkennung eine zentrale Bedeutung zu.1
Die regelmäßigen Untersuchung der Mundschleimhaut sollte besonders bei Patienten mit bereits bekannten typischen Risikofaktoren oder prädisponierenden Erkrankungen der Mundschleimhaut durchgeführt werden.
Hier ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von allen bei der Behandlung von Läsionen in der Mundhöhle beteiligten Ärzten, insbesondere auch Zahnärzten, wichtig.
Im frühen Verlauf sind die meisten Läsionen asymptomatisch.
Manchmal besteht eine nicht schmerzende Wunde oder einen „Fleck“ auf der Lippe oder in der Mundhöhle.
Mit der Zeit nehmen Empfindlichkeit und Schmerzen zu.
Bei fortgeschrittener Erkrankung sind Dysphagien und Dysarthrien zu beobachten.
Häufig wird über Mundgeruch (Foetor) geklagt.
Mundbodenkarzinom
Weitere Symptome können Blutungen, Behinderungen des Prothesensitzes, Taubheitsgefühl oder Verlust benachbarter Zähne sein.
Allgemeine Symptome sind Müdigkeit, Leistungsabfall, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme.
Klinische Untersuchung
Zur klinischen Untersuchung gehört die Inspektion und die Palpation.9
Klinische Symptome von Mundschleimhautveränderungen können sein:
Verlust des Oberflächenglanzes
Plattenepithelkarzinom (Abbildung zur Verfügung gestellt von Klaus D. Peter)
Verhornungstendenz (weiße Läsionen/Leukoplakie)
flächiger Verlust der Oberflächenintegrität (rote Läsionen/Erythroplakie)
Erosion
Ulzeration
Blasenbildung/Desquamation
Induration
Atrophie
Pigmentierung
Schmerzsensation
Brennen.
Diagnostik beim Spezialisten
Eine CT oder MRT kann die lokale Ausdehnung eines Mundhöhlenkarzinoms feststellen.
Entscheidende Bedeutung kommt der entnommenen Biopsie zu, um die Diagnose histologisch bestätigen zu lassen; diese sollte erst nach Durchführung der Schichtbildgebung erfolgen.
Zum Ausschluss synchroner Zweittumoren soll im Rahmen der Primärdiagnostik des Mundhöhlenkarzinoms eine Hals-Nasen-Ohrenärztliche Untersuchung, ggf. eine Endoskopie und ein Thorax-CT durchgeführt werden.
Bei Patienten mit Rezidivverdacht im Bereich der Kopf-Hals-Region kann evtl. auch eine PET-CT hilfreich sein.
Unbekannte Primärtumore sowie Fernmetastasen können mit der PET-CT zuverlässiger als mit CT oder MRT diagnostiziert werden.10
Die Ultraschalluntersuchung ist eine Standardmethode zur Beurteilung der Halslymphknoten.
Indikationen zur Überweisung
Patienten, die seit über 2 Wochen an folgenden Befunden leiden, sollten einem Spezialisten zur weiteren Abklärung überwiesen werden:1
weiße oder rote Flecken auf der Mundschleimhaut an jeglicher Lokalisation
Vorliegen eines Schleimhautdefektes oder einer Ulzeration
Schwellungen im Bereich der Mundhöhle
Unklare Zahnlockerung, die nicht mit einer Parodontalerkrankung assoziiert ist, persistierendes, speziell einseitiges Fremdkörpergefühl.
Schluckstörungen oder Schmerzen beim Schlucken
Schwierigkeiten beim Sprechen
verminderte Zungenbeweglichkeit
Taubheitsgefühl an Zunge, Zähnen oder Lippe
unklare Blutungen
Schwellung am Hals
Foetor
Veränderung der Okklusion.
Therapie
Therapieziele
Kurative oder – in weit fortgeschrittenen Fällen – palliative Therapie
Die Therapie sollte auf optimale funktionelle und kosmetische Ergebnisse abzielen.
Allgemeines zur Therapie
Die Planung der Therapie soll unter Berücksichtigung der Gesamtsituation erfolgen.
Eine Entscheidung zur chirurgischen Therapie soll unter Berücksichtigung der Erreichbarkeit tumorfreier Resektionsgrenzen und der postoperativen Lebensqualität getroffen werden.3
Die individuelle Situation der Patienten und ihre Wünsche sollten berücksichtigt werden. Hierzu gehört eine ausführliche und mehrfache Aufklärung der Patienten.
Die Therapie des Mundhöhlenkarzinoms erfolgt mit chirurgischen Verfahren, Strahlentherapie und Chemotherapie, je nach Stadium einzeln oder in Kombination.
Operative Therapie
Wenn möglich und gewünscht, sollte eine chirurgische Entfernung des Tumors mit einem sicheren Resektionsrand mit sofortigen rekonstruktiven Maßnahmen (zum Erhalt der Kau-, Sprech- und Schluckfunktion sowie der Gesichtsästhetik) durchgeführt werden.
Die Kontinuität des Unterkiefers sollte möglichst erhalten bleiben.
Evtl. sollte eine Halslymphknotenausräumung (Neck Dissection) erfolgen.
Strahlentherapie
Kleine und oberflächliche Karzinome der Mundhöhle können sowohl durch die Operation als auch durch eine Strahlentherapie geheilt werden.
Eine postoperative Strahlentherapie soll bei fortgeschrittener T-Kategorie (T3/T4), knappen oder positiven Resektionsrändern, perineuraler Invasion, Gefäßinvasion und/oder Lymphknotenbefall erfolgen.3
Als Komplikationen kommen die orale Mukositis und die Knochennekrose, auch als infizierte Osteoradionekrose, vor.
Weiterhin kommt es häufig zu einer ausgeprägten und dauerhaften Mundtrockenheit (Xerostomie), wenn die Speicheldrüsen, besonders die Ohrspeicheldrüse, im Strahlenfeld liegen.1
Die orale Gabe von Pilocarpin (5–10 mg 3-mal tgl.) führt im Vergleich zu einer Placebogruppe zu einer signifikanten subjektiven Verbesserung der Mundtrockenheit.1
Spätfolge einer Strahlentherapie im Bereich der Kau- und Schlundmuskulatur kann eine Fibrose sein, die zu einer Einschränkung der Schluckfunktion und der Mundöffnung (Trismus) führen kann.
Chemotherapie
Eine alleinige Chemotherapie kommt höchstens in der palliativen Versorgung der Patienten in Betracht, aber die Kombination von Chemo- und Strahlentherapie ist häufig vorteilhaft.
Bei einer simultanen primären Radiochemotherapie sollte die Chemotherapie mit Cisplatin oder einer Cisplatin-haltigen Kombination erfolgen.
Alternativ kann eine Kombination mit Cetuximab erfolgen.
Immuntherapie
Auch die Immuntherapie kommt als Therapie des Mundhöhlenkarzinoms in Frage.
So soll z.B. das Immuntherapeutikum Nivolumab ( in Deutschland hierfür zugelassen) einen signifikanten Überlebensvorteil bei Patienten mit metastasiertem Plattenepithelkarzinom im Kopf- und Halsbereich bewirken, sehr viel verträglicher sein als die Chemotherapie und die Lebensqualität deutlich verbessern können.11
Das Nutzungsbewertungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses hierzu läuft noch.12
Palliative Therapie
Eine palliativen platinbasierten Chemotherapie in Kombination mit Cetuximab kann bei Patienten mit unheilbaren Tumorleiden, jedoch einem guten Allgemein- und Leistungszustand durchgeführt werden.
Bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand sollte eine Monotherapie erwogen werden.1
Siehe die folgenden Artikel zur palliativen Therapie von:
Frühzeitige Maßnahmen zur Sicherung einer ausreichenden Ernährung, z. B. PEG-Sonde oder parenterale Ernährung
Professionelle zahnärztliche Kontrolle zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit durch implantate oder Prothesen
Sprech- und Schluckrehabilitation durch Logopäden, Phoniater oder Physiotherapeuten, um Kommunikation und Nahrungsaufnahme zu verbessern.
Präventive Maßnahmen
Tabakkonsum sollte aufgegeben und Alkoholkonsum so weit wie möglich reduziert werden.
Der frühzeitige Nachweis von prämalignen Läsionen oder kleinen oralen Malignomarten ermöglicht einen zeitigeren Therapiebeginn.
Eine Ernährung mit Zitrusfrüchten, Gemüse, besonders frische Tomaten, Olivenöl und Fischölen (mediterrane Ernährung) reduziert das Auftreten von Mundhöhlenkarzinomen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Personen mit Läsionen in der Mundhöhle suchen für gewöhnlich erst relativ spät, oft mehr als 3 Monate nach Sichtbarwerden der ersten Anzeichen, ärztliche Hilfe auf.
Bei einer späten Diagnosestellung ist die Erkrankung insbesondere lokal oft schon fortgeschritten; und mit der Zeit kommen auch Fernmetastasen hinzu.
1/5 der Patienten bekommt ein lokales Tumorrezidiv, das in 76 % der Fälle innerhalb der ersten 2 Jahre auftritt; deshalb ist eine Nachsorge mit sorgfältiger Untersuchung der Mundhöhle und des Halses zum Ausschluss erneut wachsender Tumore in den ersten Jahren besonders wichtig.
Es kann zu Zweittumoren im Bereich des oberen Aerodigestivtraktes und der Lunge kommen.
Auch die allgemeine Lebensqualität der Patienten und ihre psychosoziale Verfassung sollte während der gesamten Nachsorge beobachtet und hinterfragt werden.1
Häufig kommt es im Verlauf zu depressiven Erkrankungen.
Prognose
Patienten mit frühen Stadien (T1–T2, N0) von Plattenepithelkarzinomen haben eine relativ gute Prognose.
Die Langzeit-Überlebensrate reduziert sich bei lokal fortgeschrittener Erkrankung (T3–T4).Hier liegt die 5-Jahres-Überlebensquote bei ca. 43 %.3
Das Mundhöhlenkarzinom muss als unheilbar angesehen werden1, wenn
das Tumorwachstum so weit fortgeschritten ist, dass eine Resektion nicht mehr möglich und auch von einer Strahlentherapie kein kurativer Effekt mehr zu erwarten ist.
der Allgemeinzustand der Patienten so stark reduziert ist, dass eine Operation oder Strahlentherapie nicht möglich ist.
die Patienten ein Rezidiv erlitten haben und eine weitere Therapie nicht mehr möglich ist.
Mundbodenkarzinom (mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Erich Ramstöck)
Plattenepithelkarzinom (Abbildung zur Verfügung gestellt von Klaus D. Peter)
Quellen
Leitlinien
Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Mundhöhlenkarzinom, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr.007 - 100OL, Stand 2012. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Mundhöhlenkarzinom, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr.007 - 100OL, Stand 2012. www.awmf.org
Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. Daten März 2016. Zugriff 29.7.2017 www.gekid.de
Wolff K-D, Follmann M, Nast A: Clinical practice guideline: The diagnosis and treatment of oral cavity cancer. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(48): 829–35. www.aerzteblatt.de
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Koch F, Diagnostik und Therapie von Mundschleimhautveränderungen. oralchirurgie 2012, ZWP online www.zwp-online.info
Regelink G, Brouwer J, de Bree R, et al.: Detection of unknown primary tumours and distant metastases in patients with cervical metastases: value of FDG-PET versus conventional modalities. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2002; 29: 1024–30. www.ncbi.nlm.nih.gov
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BBB MK 18.04.2023 revidiert, aktualisiert und z. T. umgeschrieben. Aktuelle LL.
Revision at 20.11.2014 12:39:47:
Noen mindre justeringer. MK 31.07.17, komplett überarbeitet, LL im Text
Definition: Karzinom in der Mundhöhle. Häufigkeit: Bei Männern häufiger, steigt mit dem Alter. Symptome: Die Krankheit beginnt häufig mit einer nicht schmerzenden Wunde oder einem „Fleck“ auf der Lippe oder in der Mundhöhle.