Eine Herzkatheteruntersuchung wird zur invasiven Abklärung von Erkrankungen der Herzkranzgefäße, des Herzmuskels, der Klappen, des Endokards, des Perikards oder der großen zu- und abführenden Gefäße durchgeführt.1
Unter röntgenologischer Führung werden dabei Katheter in Koronararterien, Herzbinnenräume und große Gefäße vorgebracht.
Kontrastmittelinjektionen durch den Katheter ermöglichen die Darstellung von Gefässen und Herzhöhlen.
Bei Bedarf können außerdem Druck- und Flussmessungen vorgenommen werden.
Häufigkeit
Im Jahr 2014 wurden in Deutschland etwa 907.000 diagnostische Linksherzkatheteruntersuchungen durchgeführt.2
Die Zahl der perkutanen Koronarinterventionen (PCI) belief sich auf etwa 361.000.2
Indikationsstellung
Die Indikation zur Herzkatheteruntersuchung wird in der Regel vom primär betreuenden Arzt (Arzt in Krankenhaus oder Praxis) gestellt.1
Häufig ist der Arzt, der initial die Indikation zur invasiven Diagnostik stellt, kein Kardiologe. Der Untersucher muss die Indikation überprüfen und ggf. zusätzliche Voruntersuchungen veranlassen.1
Leitlinie
Indikationen zur Koronarangiografie/Linksherzkatheteruntersuchung1,3
Allgemeine Indikation bei V. a. KHK oder bekannter KHK
typische Angina-Symptomatik auf niedriger Belastungsstufe (CCS III/IV) oder eindeutiger, großer Ischämienachweis
Bei atypischen Angina-Beschwerden stützt sich die Indikation vornehmlich auf nichtinvasive Verfahren zur Ischämiediagnostik. Hiermit lassen sich Hochrisikopatienten identifizieren, die invasiv abgeklärt werden sollten.
Eine Koronarangiografie soll nicht durchgeführt werden
bei niedriger Wahrscheinlichkeit für eine stenosierende KHK.
bei mittlerer Wahrscheinlichkeit für eine stenosierende KHK und fehlendem Ischämienachweis nach nichtinvasiver Diagnostik.
Reduzierte LV-Funktion/Kardiomyopathien
Bei einer links- oder rechtsventrikulären Funktionsstörung in der nichtinvasiven Bildgebung (Echokardiografie, MRT) ist eine Koronarangiografie zur Abklärung der Genese indiziert.
Zusätzlich kann eine Messung der Druckwerte im kleinen Kreislauf zur Evaluierung einer diastolischen oder systolischen Dysfunktion erforderlich sein.
Herzklappenfehler
Nachweis/Ausschluss der Differentialdiagnose KHK
geplante Klappenoperation bei Risiko für KHK
Beurteilung der hämodynamischen Relevanz eines Vitiums bei Diskrepanz zwischen klinischer Symptomatik und apparativen Untersuchungen (Echo/MRT)
Besteht aufgrund der nichtinvasiven Untersuchungen eine eindeutige Indikation zur Operation, so ist eine zusätzliche invasive Evaluation der hämodynamischen Relevanz nicht notwendig.
Perikarderkrankungen
In trotz nichtinvasiver Diagnostik (Echo/CT) unklaren Fällen ist eine invasive Untersuchung mit simultaner Messung des links- und rechtsventrikulären Füllungsdrucks angezeigt.
Endokarditis
Der klinische V. a. eine frische Endokarditis stellt eine Kontraindikation für die Passage der betroffenen Klappe dar.
Die Indikation zur Koronarangiografie ist zurückhaltend zu stellen und hängt ab vom kardiovaskulären Risiko.
Präoperative Untersuchung vor nichtkardialer Chirurgie
Die Indikationen zur Koronarangiografie sind grundsätzlich ähnlich denen ohne geplante Operation.4
Die präoperative Koronarangiografie wird bei nachgewiesener Ischämie oder AP CCS III–IV unter adäquater medikamentöser Therapie empfohlen.4
Nicht empfohlen wird eine Koronarangiografie bei kardial stabilen Patienten vor Eingriffen mit niedrigem Risiko.4
Bestätigung des V. a. auf eine pulmonalarterielle Hypertonie (Gruppe 1) und Unterstützung von Behandlungsentscheidungen5
Bei Patienten mit chronischer thrombembolischer pulmonaler Hypertonie zur Bestätigung der Diagnose und Unterstützung von Behandlungsentscheidungen5
Zur Bestimmung des Herzzeitvolumens im Rahmen der Quantifizierung von Vitien (z. B. Messung der Aortenklappenöffnungsfläche)
Bei klinischen Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz kann sich die Indikation zur Messung der Hämodynamik ergeben.
Katheteruntersuchung
Allgemeine Voraussetzungen
Herzkatheterlabore müssen spezielle organisatorische, bauliche, technische und hygienische Voraussetzungen erfüllen.6
Der die Herzkatheteruntersuchung durchführende Arzt sollte zum Erwerb der notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten ein von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie strukturiertes Curriculum absolviert haben.7
Patientenvorbereitung
Aufklärungsgespräch/Einverständniserklärung
Das Aufklärungsgespräch mit dem behandelnden Arzt soll spätestens am Tag vor der Untersuchung stattfinden.1
Die Durchführung des Aufklärungsgesprächs und dessen Inhalt muss auch bei Verwendung von Vordrucken individuell schriftlich dokumentiert werden.1
Erklären Sie den Patienten den Zweck der Untersuchung, Art der Durchführung und mögliche Komplikationen.
Überprüfen Sie Allergien und Unverträglichkeiten.
Die Patienten sollten 4–5 h vor der Untersuchung nichts gegessen haben.
Die Medikation sollte im Allgemeinen nicht verändert werden mit Ausnahme der oralen Antikoagulanzien.
Eine Antikoagulationstherapie mit Phenprocoumon sollte in Abhängigkeit von der INR in den meisten Fällen 1–3 Tage vor der Untersuchung pausiert werden, im Einzelfall Rücksprache mit dem Untersucher.
Eine Antikoagulation mit direkten oralen Antikoagulanzien (z. B. Rivaroxaban, Apixaban, Dabigatran) sollte am Tag vor der Untersuchung pausiert werden.
Die Patienten sollten urinieren, bevor der Eingriff beginnt.
Vor der Untersuchung kann ein Sedativum verabreicht werden, eine Narkose ist nicht notwendig.
Die Untersuchung ist im Allgemeinen, abgesehen von der Injektion des Lokalanästhetikums, nicht mit Schmerzen verbunden.
Bei der Kontrastmittelinjektion kann ein Wärmegefühl auftreten.
Informationen und Unterlagen
Folgende Informationen und Unterlagen sind vor der Untersuchung notwendig:8
Die Patienten liegen auf einem speziellen Untersuchungstisch unter steriler Abdeckung.
EKG, Blutdruck und Sauerstoffsättigung werden kontinuierlich überwacht.
In der Regel wird ein Sedativum verabreicht, und die Injektionsstelle wird lokal betäubt.
Der Zugang erfolgt über die Arteria femoralis oder die Arteria radialis.
Früher war die A. femoralis der Standardzugang.
Heutzutage sollte, wenn technisch möglich, die A. radialis als Zugang bevorzugt werden, da
die Patienten nach der Untersuchung schnell wieder mobilisiert werden können.
signifikant weniger Blutungskomplikationen auftreten.
die niedrigere Blutungsrate sich nach PCI auch prognostisch günstig auswirkt.10
Die Koronarangiografie wird meistens zusammen mit der übrigen Linksherzkatheteruntersuchung über den gleichen arteriellen Zugang durchgeführt (siehe Artikel zur Koronarangiografie).
Eine Standarduntersuchung umfasst die Darstellung des linken und rechten Koronarsystems sowie des linken Ventrikels mittels Röntgenkontrastmittel.
Die Darstellung der Koronargefäße erfolgt nach einem standardisierten Protokoll in unterschiedlichen Projektionen.
Üblicherweise erfolgt die Darstellung des linken Koronarsystems mit Kontrastmittel in 6(–8), die der rechten Koronararterie in 2(–3) Projektionen.
In jeder Projektion werden kurze Filmsequenzen aufgenommen und digital gespeichert.
Die Sondierung und Darstellung des linken Ventrikels erfolgt untersucherabhängig vor oder nach der Koronarangiografie.
Größe, globale und regionale Kontraktilität werden erfasst.
ggf. Darstellung einer Mitralklappeninsuffizienz durch Kontrastmittelrückfluss in den linken Vorhof
ggf. Darstellung von linksventrikulären Raumforderungen
Messung des enddiastolischen linksventrikulären Drucks
bei V. a. Aortenklappenstenose: Messung des transvalvulären Gradienten zwischen linkem Ventrikel und Aorta
Liegt bereits ein echokardiografischer Befund vor, wird auf die Darstellung des linken Ventrikels nicht selten verzichtet zur Verminderung der Strahlen- und Kontrastmittelbelastung.
Bei entsprechender Fragestellung (z. B. nach Aneurysma) ergänzende Darstellung der supravalvulären Aorta und des Aortenbogen
Durchführung der Rechtsherzkatheteruntersuchung
Der Zugang erfolgt meistens über die Vena femoralis (alternativ über die Vena jugularis).
Der Katheter wird durch die Vena cava inferior (alternativ: Vena cava superior) in den rechten Vorhof, den rechten Ventrikel und in die Pulmonalarterie geführt.
Einführung des Katheters unter röntgenologischer Durchleuchtung
Bei der Rechtsherzkatheteruntersuchung wird der Druck an folgenden Orten gemessen:
Vena cava
rechter Vorhof
rechter Ventrikel
Pulmonalarterie
Nach weitem Vorschieben des Katheters kann der Druck in den Lungenkapillaren (Lungenkapillar-Verschlussdruck = PCWP) gemessen und so der Druck im linken Vorhof abgeschätzt werden.
Shunts können festgestellt und quantifiziert werden.
Hierfür werden an verschiedenen Orten Blutproben entnommen und jeweils die Sauerstoffsättigung bestimmt.
Das Herzminutenvolumen kann mithilfe unterschiedlicher Methoden ermittelt werden (Ficksches Prinzip, Thermodilutionsmethode).
Die Bestimmung des Herzminutenvolumens ist für die invasive Quantifizierung von Aorten- und Mitralklappenstenosen notwendig.
Nachsorge
Nachdem der Entfernung des Katheters wird die Punktionsstelle komprimiert und ein Druckverband angelegt.
Nach der Untersuchung werden, wenn diese über die Arteria femoralis vorgenommen wurde, in der Regel 6–8 h Bettruhe empfohlen.
Beim Zugang über die Arteria radialis können die Patienten in der Regel nach 1 h mobilisiert werden.
Nach Rechtsherzkatheteruntersuchung genügt eine Kompression der venösen Punktionsstelle von 20–30 Minuten.
Während der Bettruhe sollte der Patient zur Verminderung des Nachblutungsrisikos die Beine gestreckt halten.
Regelmäßige Kontrolle, ob sich ein Hämatom entwickelt. In einem solchen Fall ist eine zusätzliche mechanische Kompression erforderlich.
Zur Nephroprotektion sollte der Patient reichlich trinken, ggf. intravenöse Infusion.
Kontrolle von EKG und Labor
Komplikationsmöglichkeiten während und nach der Katheteruntersuchung
Herzrhythmusstörungen
Allergische Reaktion auf das Kontrastmittel
Embolie/Schlaganfall
Gefäßverschluss/Herzinfarkt
Gefäßperforation
Blutungen aus der Punktionsstelle (weniger Risiko beim Zugang über die Arteria radialis)
Die Stenosierung wird im Allgemeinen visuell in folgende semiquantitative Schweregrade eingeteilt:1
< 25 %: Wandunregelmäßigkeiten
25–49 %: leichtgradige Stenose
50–74 %: mittelgradige Stenose
75–89 %: hochgradige Stenose
> 90 %: höchstgradige Stenose.
Die Ergebnisse der Koronarangiografie bilden die Grundlage für die Wahl der weiteren Behandlung.
medikamentöse Therapie oder
PCI (perkutane koronare Intervention, Koronarangioplastie) oder
Bypasschirurgie
Die PCI wird heute meistens in der gleichen Sitzung mit der Koronarangiografie und über den gleichen arteriellen Zugang (A. femoralis oder A. radialis) durchgeführt.
Linker Ventrikel
Normale Größe und Funktion? Normwerte:
enddiastolisches Volumen: 50–90 ml/m2
endsystolisches Volumen: 25 ml/m2
Schlagvolumen: 45 ± 12 ml/m2
Ejektionsfraktion 0,67 ± 0,07.
Globale Verminderung der LV-Funktion? Regionale Wandbewegungsstörungen? Aneurysma? Thrombus?
Enddiastolischer Ventrikeldruck normal oder erhöht als Zeichen der Herzinsuffizienz?
Klappen
Duckgradient bei Aortenklappenstenose
semiquantitatve Beurteilung von Aortenklappen- und Mitralklappeninsuffizienzen
Berechnung der Klappenöffnungsfläche bei Aorten- und Mitralklappenstenosen zusammen mit Messungen aus der Rechtsherzkatheteruntersuchung
Normaler rechtsventrikulärer enddiastolischer Druck? Erhöhter enddiastolischer Druck als Zeichen der Herzinsuffizienz?
Normales Herzminutenvolumen (HMV)? Erniedrigtes HMV z. B. bei Herzinsuffizienz?
Normaler Lungenkapillar-Verschlussdruck (PCWP)? Erhöhter PCWP (z. B. bei Linksherzinsuffizienz, Mitralklappenvitien)?
Shuntvitien (z. B. Vorhofseptumdefekt, Ventrikelseptumdefekt)?
Quellen
Leitlinien
NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK. AWMF-Leitlinie nvl-004, Stand 2016. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Diagnostische Herzkatheteruntersuchung, Stand 2008. www.dgk.org
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Curriculum Interventionelle Kardiologie, Stand 2012. www.dgk.org
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Arbeitsanweisung Herzkatheterlabor und Hybridoperationssaal, Stand 2015. www.dgk.org
Literatur
Hamm CW, Albrecht A, Bonzel T, et al. Leitlinie Diagnostische Herzkatheteruntersuchung. Clin Res Cardiol 2008; 97: 475-512. doi:10.1007/s00392-008-0686-1 DOI
NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische KHK. AWMF-Leitlinie nvl-004. Stand 2016. www.awmf.org
Kristensen SD, Knuuti J, Saraste A, et al. 2014 ESC/ESA Guidelines on non-cardiac surgery: cardiovascular assessment and management. Eur Heart J 2014; 35: 2383-2431. doi:10.1093/eurheartj/ehu282 DOI
Galie N, Humbert M, Vachieryc JL et al. 2015 ESC/ERS Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension. Eur Heart J 2016; 37: 67-119. doi:10.1093/eurheartj/ehv317 DOI
V. Schächinger, H. Nef, S. Achenbach et al. Leitlinie zum Einrichten und Betreiben von Herzkatheterlaboren und Hybridoperationssälen/Hybridlaboren. Der Kardiologe 2015; 9: 89-123. doi:10.1007/s12181-014-0631-7 DOI
Schächinger V, Naber CK, Kreuzer J et al. Curriculum Interventionelle Kardiologie. Der Kardiologe 2012; 6: 315-323. doi:10.1007/s12181-012-0433-8 DOI
Schächinger V, Nef H, Achenbach S. et al. Arbeitsanweisung in Herzkatheterlabor und Hybridoperationssaal. Der Kardiologe 2015; 9: 29-34. doi:10.1007/s12181-014-0632-6 DOI
Lapp H, Krakau I. Das Herzkatheterbuch. Stuttgart, New York: Thieme Verlag, 2013.
Meyer R. Herzkatheter: Radialer Zugang im Handgelenk senkt die Sterberate. Dtsch Arztebl 2015 2015; 112: A1721. www.aerzteblatt.de
Autoren
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Freiburg
Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
Rune Wiseth, førsteamanuensis, dr. med ved Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet i Trondheim, og overlege ved hjertemedisinsk avdeling, Regionsykehuset i Trondheim
Eine Herzkatheteruntersuchung wird zur invasiven Abklärung von Erkrankungen der Herzkranzgefäße, des Herzmuskels, der Klappen, des Endokards, des Perikards oder der großen zu- und abführenden Gefäße durchgeführt.1