Definition:Maligne Erkrankung des lymphatischen Systems, die malignen Zellen stammen vorwiegend von B-Lymphozyten ab. Typischer histologischer Befund sind Hodgkin-Reed-Sternberg-Zellen umgeben von reaktiven Zellen.
Häufigkeit:Jährliche Inzidenz 2–3/100.000 Einw. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, Häufigkeitsgipfel zwischen dem 20. und 30. sowie über dem 55. Lebensjahr.
Symptome:In erster Linie nichtschmerzhafte Lymphknotenschwellung, v. a. zervikal und axillär. Leistungsschwäche, evtl. Juckreiz. B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust). Dyspnoe, Husten, thorakaler Druck bei Mediastinaltumor. Bauchbeschwerden bei abdominellem Befall.
Männer sind etwas häufiger als Frauen betroffen im Verhältnis 3:2.2
Im Jahr 2014 erkrankten 1.440 Männer und 1.030 Frauen.5
Im jungen Erwachsenenalter ist die Erkrankung bei Frauen etwa gleich häufig wie bei Männern, im höheren Alter sind Männer häufiger als Frauen betroffen.6
Ätiologie und Pathogenese
Die Ätiologie des Hodgkin-Lymphoms ist nicht definitiv geklärt.
Eine Reihe von möglichen Ursachen wird diskutiert:
Es besteht eine signifikante Beziehung zwischen EBV-Infektion und Hodkin-Lymphom7-8
Nachweis bei ca. 20–40 % der Patient*innen mit Hodgkin-Lymphom2
Die Beziehung besteht bei den verschiedenen Formen des klassischen Hodkin-Lymphoms (95 % der Fälle) in unterschiedlicher Ausprägung, zum nodulären Lymphozyten-prädominanten Hodgkin-Lymphom (5 % der Fälle) besteht hingegen keine Assoziation.9
Geschwister von Erkrankten haben ein 3- bis 7-fach erhöhtes Risiko.
Im Gegensatz zu anderen Lymphomen machen die eigentlichen neoplastischen HRS-Zellen weniger als 10 % der Tumormasse aus.12
Quantitativ dominierend ist ein Immunzellinfiltrat aus T-Lymphozyten, B-Zellen, eosinophilen sowie neutrophilen Granulozyten, Makrophagen, Mastzellen, Plasmazellen und Stromazellen.13
Histologische und klinische Bilder sind Ausdruck einer durch Zytokine und Chemokine vermittelten Reaktion zwischen HRS-Zellen und reaktiven Immunzellen.13-15
Primärlokalisation am häufigsten zervikal (60–80 %), mediastinal und inguinal1
Ausbreitung lymphogen, hämatogen oder per continuitatem in extralymphatische Organe1
Histologische Klassifikation
Histologische Klassifikation des Hodgkin-Lymphoms nach WHO2
noduläres lymphozyten-prädominantes Hodgkin-Lymphom (NLPHL), ca. 5 %
klassisches Hodgkin-Lymphom (cHL) mit 4 Subgruppen, ca. 95 %
nodulär-sklerosierender Typ (NS), 65 %
gemischtzelliger Typ (MC), 25 %
lymphozytenreicher Typ (LR), 4 %
lymphozytenarmer Typ (LD), 1 %.
ICPC-2
B72 Morbus Hodgkin /-Lymphom
ICD-10
C81 Hodgkin-Lymphom
C81.0 Hodgkin-Lymphom, lymphozytenreicher Typ
C81.1 Hodgkin-Lymphom, noduläre Sklerose
C81.2 Hodgkin-Lymphom, gemischter Zelltyp
C81.3 Hodgkin-Lymphom, lymphozytenarmer Typ
C81.7 Andere Typen von Hodgkin-Lymphom
C81.9 Hodgkin-Lymphom, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Differenzialdiagnosen
Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
Obwohl der Einsatz wissenschaftlich unstrittig ist, erfolgt die Kostenübernahme durch die GKV nur im Einzelfall auf Antrag.16
Magnetresonanztomografie (MRT)
Alternative zum CT bei schwerer Kontrastmittelunverträglichkeit16
Bei Verdacht auf extranodalen Befall oder Organbefall, der in der CT und PET/CT nicht zu sichern ist.16
Sonografie
Kann bei Bedarf ergänzend eingesetzt werden.
Bei Verdacht auf extranodalen Befall oder Organbefall, der in der CT und PET/CT nicht zu sichern ist.16
Szintigrafie
seit der Einführung des PET/CT kaum noch von Bedeutung
Echokardiografie
Vor Therapieeinleitung: Beurteilung der Therapierbarkeit, auch als Ausgangsbefund zur Beurteilung späterer therapiebedingter Toxizitäten16
Gonadenfunktion
Frauen: Dokumentation der Zyklusanamnese, FSH, LH, Anti-Müller-Hormon16
Männer: Spermiogramm bei nicht abgeschlossener Familienplanung, FSH, LH, Testosteron, Inhibin B16
Psychoonkologische Diagnostik
Der Bedarf nach psychoonkologischer Beratung sollte geklärt und ggf. niedrigschwellig ein psychoonkologisches Gespräch angeboten werden16
Stadieneinteilung nach der modifizierten Ann-Arbor-Klassifikation
Stadium I: Befall einer Lymphknotenregion oder ein einziger lokalisierter Befall außerhalb des lymphatischen Systems
Stadium II: Befall von 2 oder mehr Lymphknotenregionen auf derselben Seite des Zwerchfells oder lokalisierter Befall außerhalb des lymphatischen Systems und von Lymphknotenregionen auf der gleichen Seite des Zwerchfells
Stadium III: Befall von 2 oder mehr Lymphknotenregionen bzw. von Organen außerhalb des lymphatischen Systems auf beiden Seiten des Zwerchfells
Stadium IV: nicht lokalisierter, diffuser oder disseminierter Befall einer oder mehrerer extralymphatischer Organe mit oder ohne Befall von lymphatischem Gewebe
Jede ungeklärte Lymphknotenschwellung, die länger als 4 Wochen persistiert oder die eindeutige Progredienz zeigt, soll durch Biopsie und histologische Untersuchung abgeklärt werden.
Die histologische Diagnose soll an der Biopsie eines ganzen Lymphknotens oder eines anderen primär befallenen Organs gestellt werden.
Nach histologischer Diagnosesicherung sollen die Ausbreitungsdiagnostik und die Organfunktionsdiagnostik sowie evtl. fertilitätserhaltende Maßnahmen innerhalb von 4 Wochen abgeschlossen sein.
Die Diagnostikuntersuchungen sollen umfassen:
Anamnese
körperliche Untersuchung
Labor
bildgebende Verfahren
Röntgen-Thorax
CT (mit Kontrastmittel) von Hals, Thorax und Abdomen
PET/CT.
Sonografie und MRT sollten bei Bedarf ergänzend eingesetzt werden.
Untersuchungen zur Toxizitätsbeurteilung (EKG, Echokardiogramm, Lungenfunktion, TSH, Gonadenfunktion) sollen vor Therapiebeginn durchgeführt werden.
Bei nicht abgeschlossener Familienplanung bzw. vorhandenem Kinderwunsch soll auf die Möglichkeiten fertilitätserhaltender Maßnahmen hingewiesen werden.
Bei allen Patient*innen mit Hodgkin-Lymphom soll der Bedarf der Betroffenen nach einer psychoonkologischen Mitbetreuung geklärt werden. Allen Patient*innen mit Hogkin-Lymphom soll die Möglichkeit eines psychoonkologischen Gesprächs orts- und zeitnah angeboten werden.
Bei Diagnosemitteilung sollen die Patient*innen Informationen zu Selbsthilfegruppen erhalten.
Therapie
Therapieziele
Heilung
Verbesserung der Heilungschancen auf 80–90 % in den letzten 20 Jahren mithilfe von Therapiestudien19
Lebensverlängerung
Symptomverbesserung
Allgemeines zur Therapie
Nach Diagnosestellung umfassende Aufklärung über Erkrankung, Behandlung, Nebenwirkungen, Spätfolgen und Risiken, Notwendigkeit regelmäßiger Nachsorgeuntersuchungen16
Die individuelle körperliche, psychische und soziale Situation berücksichtigen.
Die patientenzentrierten Gespräche an den Informationsbedarf anpassen.
Die Patient*innen über Patientenleitlinien5 und Selbsthilfegruppen (s. u.) informieren.
Die Patient*innen sollten möglichst im Rahmen von klinischen Studien behandelt werden.16
Eine Behandlung im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien führt zu einem verlängerten progressionsfreien Überleben.16
Therapieerfolg in Deutschland innerhalb von Zentren der GHSG (German Hodgkin Study Group) unabhängig von Zentrumsart und Mindestmengen20
Qualitätsstandards sind in deutschen GHSG-Zentren auf allen Versorgungsebenen gewährleistet.20
Eine adäquate Behandlung erfordert die multidisziplinäre Zusammenarbeit von:16
Haus*ärztinnen
Fachärzt*innen der Hämatoonkologie, Pathologie, Psychoonkologie, Radiologie, Nuklearmedizin, Strahlentherapie
weiteren Fachärzt*innen in Abhängigkeit von Spätfolgen und Komplikationen:
kardiale und pulmonale Spätfolgen
Infertilität
Sekundärneoplasien.
Fertilitätsprotektion
Vor Therapie sollte eine Aufklärung über die Möglichkeit einer therapieinduzierten Infertilität sowie die Möglichkeiten der Fertilitätsprotektion erfolgen.16
Reproduktionsmedizin: Kryokonservierung von befruchteten/unbefruchteten Eizellen, Einfrieren von ovariellem Gewebe
Mögliche Maßnahmen bei Patienten
Kryokonservierung von Spermien
Kryokonservierung von Spermien extrahiert aus dem Hodengewebe
Untersuchungen zur Toxizitätsbeurteilung vor Therapie
Zur Beurteilung der Therapierbarkeit sowie als Basisuntersuchung vor Verlaufskontrollen hinsichtlich Toxizität sollen folgende Untersuchungen durchgeführt werden: EKG, Echokardiografie, Lungenfunktion, TSH, Gonadenfunktion).16
Stadienadaptierte Therapie
Die Therapie wird stadienadaptiert durchgeführt (frühe Stadien, mittlere Stadien, fortgeschrittene Stadien)
Die Stadieneinteilung erfolgt auf Basis der Ann-Arbor-Klassifikation und der Risikofaktoren:1
frühe Stadien
Stadium I (A oder B) ohne Risikofaktoren
Stadium II (A oder B) ohne Risikofaktoren
mittlere Stadien
Stadium I (A oder B) mit 1 oder mehreren Risikofaktoren
Stadium IIA mit 1 oder mehreren Risikofaktoren
Stadium IIB mit Risikofaktor hohe BSG und/oder ≥ 3 betroffene Lymphknotenareale
fortgeschrittene Stadien
Stadium IIB mit Risikofaktor großer Mediastinaltumor und/oder extranodaler Befall
Stadium III (A oder B)
Stadium IV (A oder B).
Therapiebeginn unmittelbar nach Diagnose und Stadieneinteilung!
Bestrahlung PET-positiver residueller Lymphknoten (≥ 2,5 cm) mit 30 Gy1
Möglichwerweise Reduktion der therapiebedingten Toxizitäten möglich durch Anwendung neuer zielgerichteten Substanzen wie Brentuximab Vedotin in Kombination mit konventionellen Chemotherapien21
Aufgrund der Toxizität keine Behandlung mit BEACOPPeskaliert
Stadienadaptiert Therapie mit 2, 4 bzw. 6–8 Zyklen ABVD
Bestrahlung im frühen und intermediären Stadium wie bei jüngeren Patient*innen, im fortgeschrittenen Stadium lokale Bestrahlung PET-positiver Lymphome (≥ 2,5 cm)
Therapie der Wahl für die meisten Patient*innen im 1. Rezidiv ist eine Hochdosischemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation (ASZT).10
Brentuximab Vedotin ist eine effektive Therapieoption bei Rezidiv nach ASZT.22
Nach Versagen einer Therapie mit Brentuximab Ventodin kommt eine Behandlung mit den Anti-PD1-Antikörpern Nivolumab und Pembrolizumab in Betracht.22-24
Bei Rezidiv oder Progress unter Anti-PD-1-Therapie gibt es noch keine klaren Therapieempfehlungen25
Allen Patient*innen soll eine Behandlung im Rahmen klinischer Studien angeboten werden, sofern keine Ausschlusskriterien eine Teilnahme unmöglich machen.
Frühes Stadium
Die kombinierte Chemo-Strahlentherapie soll als Primärtherapie bei Patient*innen mit einem Hodgkin-Lymphom im frühen Stadium durchgeführt werden.
Die Chemotherapie bei Patient*innen mit einem Hodgkin-Lymphom im frühen Stadium soll mittels ABVD (Adriamycin = Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin und DTIC = Dacarbazin) durchgeführt werden.
Eine Strahlentherapie nach Abschluss der Chemotherapie bei Patient*innen mit einem Hodgkin-Lymphom im frühen Stadium soll durchgeführt werden.
Intermediäres Stadium
Patient*innen mit Erstdiagnose eines Hodgkin-Lymphoms im intermediären Stadium soll eine Kombinationstherapie bestehend aus mehreren Zyklen einer Polychemotherapie gefolgt von einer lokalen RT verabreicht werden.
Spätes Stadium
Erwachsene Patient*innen bis zu 60 Jahren mit fortgeschrittenem HL sollen mit BEACOPPeskaliert behandelt werden.
Alternative Therapieformen
Patient*innen sollten nach komplementären und/oder alternativen Therapien befragt und auf mögliche Risiken sowie mögliche Interaktionen mit Standardtherapien hingewiesen werden.16
Sonstige Verhaltensregeln während und nach Behandlung
Nikotinkarenz, da sich die Risiken des Rauchens und der Radiochemotherapie überadditiv addieren.1
Patient*innen sollten während und nach der Behandlung sportlich aktiv sein.16
Auch bei Rezidiv noch gute langfristige Behandlungserfolge und sogar Heilungen27
Die Überlebensraten steigen für beide Geschlechter an.6
Der lymphozytenreiche Subtyp weist die günstigste, der lymphozytenarme die schlechteste Prognose auf.6
Rezidive treten in den ersten Jahren nach Behandlung auf.
später als 5 Jahre nach Therapieende nur selten Rezidiv
Frührezidive (bis 12 Monate nach Therapieende) mit schlechterer Prognose als Spätrezidive28
Komplikationen
Sekundäre Tumorerkrankungen
Allgemein erhöhtes Risiko für sekundäre maligne Erkrankungen nach Therapie eines Hodgkin-Lymphoms
Folgetherapie nach Progredienz oder Rezidiv erhöht das Risiko nochmals.28
Die Erkrankungswahrscheinlichkeit für solide Tumoren 10 Jahre nach einem primären Hodgkin-Lymphom gegenüber der Allgemeinbevölkerung ist etwa um das Doppelte erhöht.6
insbesondere Krebserkrankungen des Magens, des Dickdarms und Rektums, der Lunge und der Brust6
30 Jahre nach Hodkin-Therapie im Kinder- und Jugendalter betrug die kumulative Inzidenz für:29
Links zu einer Reihe von nationalen und internationalen Selbsthilfegruppen finden Sie auf der Website der German Hodgkin Study Group (GHSG).
Quellen
Leitlinien
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Hodgkin Lymphoms bei erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 018-029OL. S3, Stand 2018. www.awmf.org
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, Österreichische Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, Schweizerische Gesellschaft für Hämatologie. Hodgkin-Lymphom, Stand 2018. www.onkopedia.com
Deutsche Krebsgesellschaft. Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten. AWMF-Leitlinie Nr. 032-051OL. S3, Stand 2014. www.awmf.org
Literatur
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Autor*innen
Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
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