Definition:Bi- oder Panzytopenie und hypozelluläres Knochenmark ohne morphologische Anomalien der Stammzellen. Wahrscheinlich autoimmune Genese in der Mehrzahl der Fälle.
Häufigkeit:Selten: In Mitteleuropa 2 bis 3 Fälle pro Million und Jahr.
Symptome:Abhängig davon, welche Zellreihe am meisten betroffen ist: Dyspnoe, Müdigkeit, rezidivierende Infektionen.
Befunde:Anämiezeichen wie Blässe,Tachykardie. Evtl. Zeichen einer erhöhten Blutungsneigung wie Petechien, Hämatome. Keine Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie oder Knochenschmerzen.
Diagnostik:Hb, Differenzialblutbild, Hämolyseparameter, Gerinnung. Eine Knochenmarkbiopsie bestätigt die Diagnose.
Therapie:Abhängig von Alter, Ursache und Schweregrad: supportive Transfusionen, immunsupressive Behandlung, evtl. Thrombopoetinagonist. Knochenmarktransplantation als langfristig wirksamste Option für ausgewählte Patient*innen. Bei niedrigem Schweregrad genügt oft eine regelmäßige Überwachung des Blutbilds ohne Behandlung.
Alle hämatopoetischen Zellen stammen aus pluripotenten Stammzellen. Schädigung oder Verminderung dieser Stammzellen resultieren in einer Bi- oder Panzytopenie.
Panzytopenie (auch Trizytopenie): Reduktion von Erythrozyten, Granulozyten und Thrombozyten.
Bizytopenie: Reduktion von zwei Zellreihen, z. B. Erythrozyten und Granulozyten
Die aplastische Anämie ist definiert durch Bi- oder Panzytopenie des Blutes kombiniert mit hypozellulärem Knochenmark und ohne anomale Zellen.
In der Regel können einige der verursachenden Faktoren identifiziert werden, aber bei den meisten Betroffenen (ca. 70 %) liegt eine angeborene Prädisposition für die Erkrankung vor.
Wahrscheinlich spielen dabei T-Zell-vermittelte Autoimmunmechanismen eine Rolle.
Ist bei erworbener Erkrankung in den meisten Fällen immunvermittelt.
Autoreaktive Lymphozyten vermitteln die Zerstörung von hämopoetischen Stammzellen.
Es wird angenommen, dass Umweltexpositionen wie Medikamente, Viren und Toxine bei einigen Betroffenen die pathologische Immunreaktion auslösen, aber in den meisten Fällen wird diese als idiopathisch klassifiziert.
Blutungsprophylaxe: z. B. Vermeidung aller Thrombozytenaggregationshemmer
Transfusionen
ggf. Behandlung transfusionsbedingter Eisenüberladung (Chelattherapie, in der Remission auch Aderlass).
Medikamentöse Therapie
Supportive Behandlung
Transfusionen von Erythrozyten und/oder Thrombozyten nach Bedarf
Bei häufigen Transfusionen kann es aufgrund von Alloimmunisierung zum fortschreitenden Wirkungsverlust und bei Erythrozyteninfusionen zur Eisenüberladung kommen.
Dieses Risiko kann durch die Gabe von leukozytendepletierten bzw. bestrahlten Blutprodukten gesenkt werden.
Die Bestrahlung senkt auch das Risiko für eine transfusionsinduzierte Graft-versus-Host-Reaktion
bei Blutungsneigung ggf. Thrombozytentransfusionen
Wenn sich Thrombozytenantikörper entwickeln, nach Möglichkeit auf HLA-kompatible Spender ausweichen.
Transfusionen zurückhaltend einsetzen, besonders bei Kandidaten für eine Stammzelltransplantation
Infektionen werden antibiotisch/antiviral/antimykotisch behandelt.
Immunsuppressive Behandlung
Wird bei Patient*innen angewendet, die nicht für eine Knochenmarktransplantation infrage kommen, weil sie älter sind oder ein geeigneter Spender fehlt.2
60–75 % der von aplastischer Anämie Betroffenen sprechen auf ATG an. Vergleichbare Ansprechraten werden mit Ciclosporin A erreicht.
Die Kombination mit Ciclosporin A erhöht die Wirksamkeit.
Die Kombination von ATG mit Kortikosteroiden ist Standard.
Der Nachteil bei dieser Behandlung ist, dass damit in den meisten Fällen keine komplette und nachhaltige Remission erreicht wird.
Im Langzeitverlauf können sekundäre klonale Erkrankungen wie paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie oder ein myelodysplastisches Syndrom auftreten.13
Andere Immunsuppressiva
Vorläufige Hinweise auf eine Wirksamkeit des zur MS-Therapie zugelassenen monoklonalen Antikörpers Alemtuzumab bei therapierefraktärer aplastischer Anämie bedürfen der Überprüfung in weiteren Studien.
Cyclophosphamid sollte bis auf Weiteres nicht außerhalb der Standardanwendung, nämlich als Vorbehandlung (Konditionierung) vor einer Knochenmarkstransplantation eingesetzt werden.
Hämatopoetische Wachstumsfaktoren
Der Thrombopoetinagonist Eltrombopag ist wirksam in der Behandlung therapierefraktärer schwerer aplastischer Anämien und für diese Indikation zugelassen.
Die Behandlung mit anderen Wachstumsfaktoren wie G-CSF ist noch nicht ausreichend untersucht.
Eine Knochenmarkstransplantation ist die beste Behandlung bei Personen unter 50 Jahren, wenn Knochenmark von einem HLA-kompatiblen Donor (Geschwister) erhalten werden kann.
Das beste Ergebnis wird bei denjenigen erreicht, die vorher keine Bluttransfusionen erhalten haben.
Die HLA-Typisierung sollte schnellstmöglich durchgeführt werden.
Wirksamkeit
Die Ergebnisse sind ständig besser geworden, vor allem als Folge einer besseren Prophylaxe gegen die Graft-versus-Host-Erkrankung, aber bis zu 1/3 der Patient*innen bekommt später chronische Beschwerden – das Risiko dafür steigt mit dem Alter.
Die Wahrscheinlichkeit für eine Heilung ist hoch (70–90 % bei Personen unter 30 Jahren), aber weniger als 30 % haben einen passenden Geschwisterdonor.
Eine Knochenmarkstransplantation reduziert das Risiko für Rezidiv und die Entstehung von späten klonalen Störungen wie dem myelodysplastischen Syndrom und paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie.
Nicht schwere Formen verlaufen oft über viele Jahre ohne Progression.
Liegt eine schwere aplastische Anämie vor, liegt die mittlere Überlebenszeit ohne Behandlung bei 3 Monaten, und nur 20 % überleben 1 Jahr.
Nur mit supportiver Behandlung bei schwerer und sehr schwerer Erkrankung liegt die 2-Jahres-Mortalität bei ca. 80 %.15 Die meisten Betroffenen sterben durch invasive Pilzinfektionen und bakterielle Sepsis.
Das Risiko steigt mit der Dauer der immunsuppressiven Behandlung.5
Prognose
5-Jahres-Überlebensrate in einer schwedischen Studie im Zeitraum 2000–20114
gesamt: ca. 61 %
bei ≥ 60-Jährigen: ca. 38 %
bei nicht schwerer Form: > 90 %
Bei schweren oder sehr schweren Formen und immunsuppressiver Therapie mit ATG und Ciclosporin A: ca. 75–80 %; jüngere Patient*innen haben höhere Überlebensraten.
Nach Stammzelltransplantation haben junge Betroffene mit passenden verwandten Spender*innen eine über 80-prozentige Chance auf eine nachhaltige Remission und langfristiges Überleben.14
Verlaufskontrolle
Die Verlaufskontrolle erfolgt an einem hämatologischen Zentrum.
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Autor*innen
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Definition:Bi- oder Panzytopenie und hypozelluläres Knochenmark ohne morphologische Anomalien der Stammzellen. Wahrscheinlich autoimmune Genese in der Mehrzahl der Fälle.