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Übertragene Schwangerschaft

Zusammenfassung

  • Definition:Eine Schwangerschaft gilt ab Tag 294, d. h. nach 42 vollen Schwangerschaftswochen, als übertragen.
  • Häufigkeit:Etwa 4 % der Frauen entbinden in SSW 42 und 0,1 % in SSW 43.
  • Symptome:Übertragung
  • Befunde:Keine besonderen klinischen Befunde
  • Diagnose:Sonografie, CTG ab 40+0 zweitägig und Zervixuntersuchung empfohlen.
  • Behandlung:Geburtseinleitung ab 41+0 anbieten, spätestens ab 41+3 dringend empfehlen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Laut der WHO gilt eine Schwangerschaft ab Tag 294, d. h. nach 42 vollen Schwangerschaftswochen (42+0), als übertragen.
  • Der WHO-Definition zufolge wird die letzte Menstruation oder – wenn das Datum der letzten Menstruation nicht bekannt ist – das sog. „best clinical estimate“ als Grundlage herangezogen.

Häufigkeit

  • Der Anteil der Frauen, die in Deutschland nach Schwangerschaftswoche 42+0 entbunden haben, lag 2011 bei 0,61 %.
  • Der Anteil der Frauen, die den errechneten Geburtstermin überschritten lag bei 37,1 %.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ursachen für eine übertragene Schwangerschaft sind nicht bekannt.
  • Wahrscheinlich spielen genetische bzw. erbliche Faktoren eine Rolle.2
  • In manchen Fällen ist sie wohl auch auf eine falsche Berechnung des Entbindungstermins zurückzuführen, das heißt, es liegt keine tatsächlich übertragene Schwangerschaft vor.
  • Bei der spontanen Geburt besteht eine große biologische Streuung. Nur etwa 5 % der Frauen entbinden zum berechneten Termin.
  • In der Regel handelt es sich bei der übertragenen Schwangerschaft um ein völlig normales Phänomen, bei dem die spontane Geburt lediglich etwas später eintritt als bei anderen.

Prädisponierende Faktoren

  • Frühere übertragene Schwangerschaft (RR 2–3)3
  • Erhöhtes Risiko auch bei Erstgebärenden, männlichen Feten und bei starkem Übergewicht4

ICPC-2

  • W99 Störung Schwang. / Entbind., and

ICD-10

  • O48 Übertragene Schwangerschaft

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Schwangerschaft ab Tag 294 (Schwangerschaftswoche ≥ 42+0)

Andere Untersuchungen

  • Es wird empfohlen, alle Schwangeren ohne Risikofaktoren mit Terminüberschreitung folgendermaßen zu untersuchen:1
    • 40+0 SSW: Ultraschall
    • zur Beurteilung der Fruchtwassermenge und zur Einschätzung des Gewichts5 (falls nicht > 36 SSW erfolgt) und Herzaktion, ggf. Ruhe-CTG
    • ab dem errechneten Termin 2-tägig CTG
    • 40+3 und 40+6 SSW: optional Fruchtwassermenge und Ruhe-CTG
    • 41+1, 41+3, 41+5: Fruchtwassermenge und Ruhe-CTG

Indikationen zur Überweisung

  • Zur Geburtsplanung
  • Zur Geburtseinleitung 41+0 SSW, spätestens 41+3 SSW

Therapie

Geburtseinleitung

  • Empfehlungen der deutschen Leitlinie1
    • 39+0 SSW: Frauen > 40 Jahre wird bereits ab 39+0 SSW die Einleitung angeboten.
    • 40+0 SSW: Beendigung der Schwangerschaft, wenn Mutter oder Kind eine Gefährdung anzeigen, z.B. bei Oligohydramnion.
    • 41+0 SSW: Anbieten der Geburtseinleitung, da hierdurch perinatale Mortalität, Makrosomie (Geburtsgewicht > 4000 g), Rate an Mekoniumaspirationen und Sektiorate vermindert werden.
    • 41+3 SSW: Einleitung dringend angeraten.
    • 42+0 SSW: Beratung bezüglich zwingender Indikation zur Geburtseinleitung oder Sectio caesarea
  • Der Arzt spricht Empfehlungen aus, die endgültige Entscheidung nach entsprechender Risikoaufklärung liegt bei der Patientin.
  • Bei einer Fortsetzung der Schwangerschaft wird empfohlen, Kontrollen nach o. g. Schema vorzunehmen.
  • In einer schwedischen Studie bei Schwangerschaften mit niedrigem Risiko zeigte sich eine geringere perinatale Mortalität bei einer Enleitung in der Woche 41 im Vergleich mit Kontrolluntersuchungen und evtl. Einleitung in Woche 42. 6

Einleitungsmethoden

  • Eine Eipollösung ist wahrscheinlich bei manchen Frauen effektiv, scheint nicht mit einer erhöhten Komplikationsrate einherzugehen und kann die Nutzung anderer Einleitungsmethoden reduzieren. 7
  • Medikamentöse Einleitung: In Deutschland wird bei Frauen ohne Narbe im Uterus in der Regel intravaginal Misoprostol und bei einem vorausgegangenen Kaiserschnitt intrazervikales oder intavaginales Prostaglandin-Gel angewendet.
  • Eine alternative Einleitungsmethode ist die Einleitung per Ballonkatheter (unabhängig von einem etwaigen vorausgegangenen Kaiserschnitt).
  • Es ist eine kontinuierliche Überwachung des Fetus erforderlich (eine Einleitung aufgrund einer Übertragung zählt als Risikogeburt).
  • Gegebenenfalls ist Oxytocin zu verabreichen, falls eine Wehenauslösung notwendig ist.

Therapeutika

  • Intrazervikales Gel8
    • intra-(endo-)zervikale Applikation von 0,5 mg PGE2-Gel, eventuell Wiederholung nach 6–8 Stunden (zulassungskonform: 8–12 Stunden)
    • Ind.: Geburtseinleitung bei unreifer Zervix (Bishop-Score ≤ 5)
  • Vaginalgel8
    • 1 mg und 2 mg PGE2-Gel intravaginal, evtl. Wiederholung nach sechs Stunden
    • Indikation: Bishop-Score ≥ 4.
    • Zugelassene Tagesgesamtdosis: 3 mg (in 24 h)
    • Initialdosis 1 mg gefolgt von 1 oder 2 mg nach 6 Stunden je nach Geburtsfortschritt.
    • zulassungskonforme Tageshöchstdosis 3 mg
    • Ist dem intrazervikalem Gel gegenüber zu bevorzugen, da es gleich wirksam, aber weniger invasiv ist.
  • PGE2-Vaginalinsert8
    • 10 mg Dinoproston, vaginales Freisetzungssystem mit 10 mg Dinoproston
    • kontinuierliche Freisetzung von 0,3–0,4 mg/h bei zugelassener Liegezeit von 24 Stunden
    • Indikation: Einleitung der Zervixreifung in der Spätschwangerschaft ab 37 SSW – unabhängig vom Zervix-Score
    • Entfernung des Vaginalinserts bei Einsetzen der Wehen, (V. a.) uterine Überstimulation, Hinweise auf fetalen Distress (CTG), systemischen Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Hypotonie, Tachykardie) oder mindestens 30 Minuten vor dem Einsatz von Oxytocin
  • PGE2-Vaginaltablette8
    • initial 3 mg PGE2-Vaginaltablette
    • evtl. Wiederholung nach 6–8 Stunden, max. 6 mg in 24 Stunden
    • Indikation: ausreichende Geburtsreife der Zervix 
  • Misoprostol8
    • Rote Hand-Brief vom 16.03.2020
      • off label use
      • große, Anzahl randomisierter Studien mit Misoprostolist zur Geburtseinleitung und zur Anwendung bei Schwangeren nicht zugelassen.
      • zahlreiche neue Berichte zu schweren Nebenwirkungen (Uterusrupturen, uterine Tachysystolie, reduzierter fetaler Herzrhrythmus)
    • Dosierung: 25 µg intravaginal alle (4–)6 Stunden
    • Oxytocin frühestens 4 Stunden nach der letzten Misoprostol Applikation
    • absolute Kontraindikation bei Z. n. Sectio oder anderen transmuralen Uterus-Operationen

Kontraindikationen

  • Absolute
    • Placenta praevia totalis
    • Querlage
    • Nabelschnurprolaps
    • Vasa praevia
  • Vorsicht bei
    • Beckenendlage
    • Herzerkrankung oder schwerer Hypertonie der Mutter
    • Mehrlingsschwangerschaft
    • Polyhydramnion
    • vorangehendem Teil über dem Beckeneingang
    • Z. n. opertivem Eingriff des Uterus, z. B. Sectio caesarea

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • In den meisten Fällen übertragener Schwangerschaften kommt es im Laufe von Schwangerschaftswoche 43 (294–301 Tage) spontan zur Geburt.
  • Die 70–80 % der Feten, die kein Clifford-Syndrom entwickeln, wachsen weiter und können mitunter so groß werden, dass es bei der Geburt zu Komplikationen kommen kann.
  • Rund um den Termin nimmt der Fetus wöchentlich etwa 200 Gramm an Gewicht zu.

Komplikationen

  • Bei übertragenen Schwangerschaften ist das Risiko eines Oligohydramnions und einer Mekoniumaspiration erhöht.
  • Es wurde eine leicht erhöhte perinatale Sterblichkeit festgestellt, und zwar insbesondere bei Kindern mit einem geringeren Geburtsgewicht als erwartet („Small for Gestational Age“, SGA).9
    • Die Geburtseinleitung führt zu weniger Todesfällen und weniger Kaiserschnitten als das Abwarten auf den spontanen Beginn der Geburt, das absolute Risiko eines perinatalen Todes ist jedoch gering (Ia).10-11
    • In Deutschland ist die fetale Sterblichkeit bei übertragenen Schwangerschaften ausgesprochen gering.
  • Es gibt keine Belege dafür, dass im Falle der routinemäßigen Einleitung eine geringere oder höhere Zahl von Kaiserschnitten oder sonstigen operativen Entbindungen erfolgt.12

Clifford-Syndrom

  • Das Clifford-Syndrom ist auf eine Plazentainsuffizienz zurückzuführen. Die betroffenen Kinder sind dünn, haben trockene, runzelige und schuppige Haut und lange Nägel.
  • Die Fruchtwassermenge ist reduziert.
  • In schwerwiegenderen Fällen liegen ein durch das Mekonium verfärbtes Fruchtwasser (neonatale Asphyxie) und eine Verfärbung der Nabelschnur, Eihäute und Haut vor.
  • Dies führt zu einer erhöhten perinatalen Mortalität und Morbidität.
  • In 20–30 % der übertragenen Schwangerschaften entwickelt sich ein Clifford-Syndrom.
  • Bei einer Plazentainsuffizienz vor dem Entbindungstermin besteht ein entsprechendes Risiko für den Fetus.

Prognose

  • Infolge des Fortschritts in der Geburtshilfe ist die absolute Mortalität im Falle einer übertragenen Schwangerschaft heute sehr gering.
  • Bei einer Übertragung in Kombination mit einem geringen Geburtsgewicht (SGA) besteht eine leicht erhöhte perinatale Mortalität.

Verlaufskontrolle

  • Bei einer Übertragung sollte eine regelmäßige Überwachung von Mutter und Kind nach o. g. Schema (siehe andere UNtersuchungen) erfolgen.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patientin informieren?

  • Schwangere sollten darüber informiert werden, dass der Entbindungstermin als Schätzung zu verstehen ist, und dass die Schwangerschaft erst ab SSW 42+0 als übertragen gilt.
  • Falls die Untersuchung Faktoren aufdeckt, die ein erhöhtes Komplikationsrisiko mit sich bringen, erhält die Patientin die Empfehlung, die Geburt einleiten zu lassen.
  • Sind keine Risikofaktoren erkennbar, birgt es keine erhöhte Gefahr, die Schwangerschaft fortzusetzen und darauf zu warten, dass die Geburt spontan beginnt, sofern die Patientin engmaschig untersucht wird.

Welche schriftlichen Patienteninformationen gibt es dazu?

Quellen

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung. AWMF-Leitlinie Nr. 015/065. Stand 2014. www.awmf.org
  2. Morken NH, Melve KK, Skjaerven R. Recurrence of prolonged and post-term gestational age across generations: maternal and paternal contribution. BJOG. 2011;118:1630-5. PubMed
  3. Olesen AW, Basso O, Olsen J. Risk of recurrence of prolonged pregnancy. BMJ 2003; 326: 476. British Medical Journal
  4. Stotland NE, Washington AE, Caughey AB. Prepregnancy body mass index and the length of gestation at term. Am J Obstet Gynecol 2007; 197: 378. PubMed
  5. Whitworth M, Bricker L, Mullan C. Ultrasound for fetal assessment in early pregnancy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 7. Art. No.: CD007058. DOI: 10.1002/14651858.CD007058.pub3. DOI
  6. Wennerholm U-B, Saltvedt S, Wesssbweg A, et al. Induction of labour at 41 weeks versus expectant management and induction of labour at 42 weeks (SWEdish Post-term Induction Study, SWEPIS): multicentre, open label, randomised, superiority trial. BMJ 2019; 367: l6131. doi:10.1136/bmj.l6131. www.bmj.com
  7. Finucane EM, Murphy DJ, Biesty LM et al. Membrane sweeping for induction of labour. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 2. Art. No.: CD000451. DOI: 10.1002/14651858.CD000451.pub3. www.cochranelibrary.com
  8. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Anwendung von Prostaglandinen in Geburtshilfe und Gynäkologie. AMFM-Leitlinie Nr. 015-031. Stand 2010. www.awmf.org
  9. Olesen AW, Westergaard JG, Olesen J. Perinatal and maternal complications related to postterm delivery: a national register-based study, 1978-1993. Am J Obstet Gynecol 2003; 189: 222-7. PubMed
  10. Gülmezoglu AM, Crowther CA, Middleton P, Heatley E. Induction of labour for improving birth outcomes for women at or beyond term. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 6. Art. No.: CD004945. DOI: 10.1002/14651858.CD004945.pub3. DOI
  11. Wennerholm UB, Hagberg H, Brorsson B, Bergh C. Induction of labor versus expectant management for post-date pregnancy: is there sufficient evidence for a change in clinical practice? Review. Acta Obstet Gynecol Scand 2009; 88: 6-17. PubMed
  12. Heimstad R, Skogvoll E, Mattson LA, Johansen OJ, Eik-Nes SH, Salvesen KA. Induction of labor or serial antenatal fetal monitoring in postterm pregnancy: a randomized controlled trial. Obstet Gynecol 2007; 109: 609-17. PubMed
  13. Nakling J, Backe B. Adverse obstetric outcome in fetuses that are smaller than expected at second trimester routine ultrasound examination. Acta Obstet Gynecol Scand 2002; 81: 846-51. PubMed

Autoren

  • Julia Trifyllis, Dr. med., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W.
  • Kjell Åsmund Salvesen, overlege Kvinneklinikken St. Olavs hospital. Professor i fødselshjelp og kvinnesykdommer, NTNU
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, redaktør NEL
  • Per Bergsjø, professor emeritus, dr. med., Universitetet i Bergen. Spesialist i kvinnesykdommer og fødselshjelp, forsker ved Nasjonalt folkehelseinstitutt, Oslo
Overtidig svangerskapO48
Overtidig svangerskap
Overtidig svangerskapW99
Spätgeburt; Überschreitung des Geburtstermins; Entbindungstermin; Geburtsplanung; Geburtseinleitung; Eröffnung der Fruchtblase; Small for Gestational Age; Geringes Geburtsgewicht; SGA; Oligohydramnions; Mekoniumaspiration; Clifford-Syndrom
Übertragene Schwangerschaft
BBB MK 18.03.2020 Rote Hand-Brief Misoprostol U-MK 09.03.2020 U-MK 26.11.2019
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Definition:Eine Schwangerschaft gilt ab Tag 294, d. h. nach 42 vollen Schwangerschaftswochen, als übertragen. Häufigkeit:Etwa 4 % der Frauen entbinden in SSW 42 und 0,1 % in SSW 43.
Schwangerschaft/Geburtshilfe
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