Definition:Nach klassischer Einteilung wird zwischen diffusen Ösophagusspasmen, dem Nussknacker-Ösophagus mit spastischen Kontraktionen und einem hypertensiven unteren Ösophagussphinkter unterschieden, alle mit unbekannter Ursache. Die Chicago-Klassifikation unterscheidet je nach Befund in der hochauflösenden Ösophagusmanometrie zwischen distalem Ösophagusspasmus und hyperkontraktilem Ösophagus.
Häufigkeit: Die Inzidenz des diffusen Ösophagusspasmus wird auf ca. 0,1/100.000 geschätzt. Es gibt keine zuverlässigen Zahlen zur Häufigkeit der nach Chicago-Klassifikation unterschiedenen Entitäten.
Symptome:Ösophagusspasmen führen zu Sodbrennen, saurem Aufstoßen, Schluckbeschwerden oder rezidivierenden Schmerzen im Brustraum.
Befunde:Die klinische Untersuchung ist normalerweise unauffällig.
Diagnostik:Die Untersuchung konzentriert sich vor allem auf den Ausschluss anderer Erkrankungen. Die Manometrie ist die Methode der Wahl für eine sichere Diagnose. Sie erlaubt eine Differenzierung zwischen verschiedenen Motilitätsstörungen.
Therapie: Es können aufgrund der unzureichenden Datenlage kaum zuverlässige Aussagen zur Wirksamkeit einzelner Therapieansätze gemacht werden. Der bislang am besten untersuchte medikamentöse Therapieansatz ist die endoskopische Injektion von Botulinumtoxin. Bei begleitender Refluxerkrankung ist ein Therapieversuch mit Protonenpumpenhemmern angezeigt. Weitere Wirkstoffklassen mit vorläufigen Hinweisen auf klinische Wirksamkeit sind Pfefferminzöl, Kalziumantagonisten, Nitrate, Antidepressiva und Phosphodiesterase-5-Hemmer. Invasive Therapien wie die pneumatische Dilatation oder Myotomie sind nur bei therapieresistenten Einzelfällen indiziert.
Allgemeine Informationen
Definition
Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-7
Klassische Einteilung
Nach klassischer Einteilung gibt es zwei Haupttypen hypertensiver Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus, d. h. des Abschnittes zwischen oberem und unterem Ösophagussphinkter:
diffuser Ösophagusspasmus (aufgrund des Bildes in der Breischluck-Untersuchung früher auch als Korkenzieher-Ösophagus bezeichnet), gekennzeichnet durch:
gestörte Propagation der peristaltischen Kontraktionen
hohe Kontraktionsstärke (Amplitude)
Nussknacker-Ösophagus, gekennzeichnet durch:
normale Peristaltik (d. h. die Kontraktionen setzen sich koordiniert fort)
sehr hohe Kontraktionsstärke (Amplitude) vor allem in den distalen Ösophagusabschnitten.
Chicago-Klassifikation
Für die Einteilung anhand der hochauflösenden Ösophagusmanometrie – mittlerweile als Goldstandard der ösophagealen Motilitätsdiagnostik angesehen – hat sich die Chicago-Klassifikation durchgesetzt.
Spastische Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus sind durch eine anomal erhöhte Kontraktionsamplitude mit oder ohne verkürzte Kontraktionszeit gekennzeichnet.4,6
In der aktuellen Version der Chicago-Klassifikation ist die Kategorie des hypertensiven Ösophagus oder Nussknacker-Ösophagus nicht mehr enthalten.2,4
Nach Ausschluss einer Abflussbehinderung auf Höhe des unteren Ösophagussphinkters (Achalasie, siehe dort, oder mechanische Obstruktion) unterscheidet die Chicago-Klassifikation folgende Kategorien:
schwere Motilitätsstörung, fast immer symptomatisch
Hyperkontraktiler Ösophagus,im englischsprachigen Raum auch als Jackhammer(Presslufthammer)-Ösophagus bezeichnet: Das distale kontraktile Integral (DCI), ein Parameter bei dem Kontraktionsstärke (Amplitude), -dauer und -länge der distalen ösophagealen Kontraktion multipliziert werden, ist höher als 8.000 mmHg x sec x cm.
fehlende Kontraktilität: alle DCI < 100 mmHg x sec x cm.
Geringergradige Motilitätsstörung, evtl. mit gestörter Clearance-Funktion, d. h. der Fähigkeit des Ösophagus, geschluckte Nahrung vollständig abzutransportieren.
ineffektive tubuläre Motilität: mindestens 50 % ineffektive Schlücke mit DCI < 450 mmHg x sec x cm
fragmentierte Peristaltik: mindestens 50 % ineffektive Schlücke mit peristaltischer Lücke > 5 cm bei aber DCI > 450 mmHg x sec x cm
Normalbefund (mehr als 50 % effektive Schlücke)
Häufigkeit
Die Inzidenz des diffusen Ösophagusspasmus wird auf ca. 0,1/100.000 geschätzt.6
Es gibt keine zuverlässigen Zahlen zur Häufigkeit der nach Chicago-Klassifikation unterschiedenen Entitäten (Stand Dezember 2019).
Die Inzidenz steigt mit dem Alter.
Peristaltik des Ösophagus
Koordinierte Kontraktionen der verschiedenen Muskelschichten des Ösophagus ergeben das Bewegungsmuster, das als Peristaltik bezeichnet wird.
Die Peristaltik sind sequenzielle, koordinierte Kontraktionswellen, die sich über die gesamte Länge des Ösophagus fortsetzen und auf diese Weise den Inhalt der Speiseröhre in den Magen transportieren.
Der untere Ösophagussphinkter entspannt sich beim Schlucken und wird offen gehalten, bis die Peristaltikwelle den Sphinkter passiert hat. Danach wird er wieder zusammengezogen und arbeitet im Grundtonus weiter.
Im Übergangsbereich zwischen der quergestreiften und der glatten Muskulatur treten kleine Peristaltikwellen auf, ohne die eigentliche Peristaltik zu stören.
Primäre Peristaltik
Dabei handelt es sich um die Peristaltikwelle, die vom Schluckzentrum ausgelöst wird.
Die peristaltische Kontraktionswelle setzt sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 2 cm/s fort und korreliert mit manometrisch gemessenen Kontraktionen.
Das Verhältnis zwischen der Kontraktion und dem Nahrungsbolus ist aufgrund des Drucks von oben (oberhalb des Bolus) und des Widerstands von unten (unterhalb des Bolus) komplexer.
Sekundäre Peristaltik
Die sekundäre Peristaltikwelle wird durch Ausweitung des Ösophagus durch einen verbleibenden Bolus, durch Reflux oder verschluckte Luft ausgelöst.
Diese Kontraktionswelle hat zur Aufgabe, die Speiseröhre von verbleibenden Essensresten oder von gastroösophagealem Reflux zu befreien.
Tertiäre Peristaltik
Tertiäre Kontraktionen sind gleichzeitige, isolierte, dysfunktionale Kontraktionen.
Diese Kontraktionen sind nicht peristaltisch, haben keine bekannte physiologische Funktion und nehmen mit zunehmendem Alter an Häufigkeit zu.
Radiologisch wird dieses Phänomen als „Presbyösophagus“ bezeichnet.
K22.8 Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Ösophagus
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
Ösophagusspasmen führen zu unspezifischen Symptomen, die leicht mit anderen Erkrankungen verwechselt werden können.
Die Manometrie ist die Methode der Wahl für eine sichere Diagnose. Sie erlaubt eine Differenzierung zwischen verschiedenen Motilitätsstörungen (siehe Abschnitt Definition).
Eine genaue Differenzierung unterschiedlicher hypertensiver Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus ist nur via hochauflösender Ösophagusmanometrie möglich.
Evtl. rezidivierende Schmerzen im Brustraum
Evtl. intermittierende, nichtprogressive Dysphagie mit oder ohne Regurgitation fester oder flüssiger Nahrung
Häufig tritt ein Globus- bzw. Fremdkörpergefühl im Hals auf.
Schmerzen
Treten bei ca. 80 % der Patienten auf.
Sie sind normalerweise retrosternal und können nach hinten in den Rücken ausstrahlen.
Der Schmerz kann stärker sein als der bei einer Koronarerkrankung, kann aber auch eher mild sein.
Er kann von wenigen Minuten bis zu mehreren Stunden andauern.
Treten nicht unbedingt bei jedem Krampfanfall im Ösophagus auf, aber 30–60 % der Patienten leiden unter Schluckbeschwerden.
Die Schluckbeschwerden sind meist am schlimmsten, wenn die Brustschmerzen am heftigsten sind.
Die Schluckbeschwerden bei Ösophagusspasmen treten intermittierend auf und können über die Zeit und im Schweregrad variieren, sind aber selten so schwerwiegend, dass sie eine Gewichtsabnahme mit sich bringen würden.
Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung ist normalerweise unauffällig.
Gilt mittlerweile als Goldstandard in der Diagnostik ösophagealer Motilitätsstörungen.3,6
Näheres zu den Befundkonstellationen nach Chicago-Klassifikation siehe Abschnitt Definition.
Ösophagus-Breischluck
Der klassische Befund, nämlich der Korkenzieher-Ösophagus, wird nur bei einer Minderheit aller Patienten vorgefunden.9
Wird zur Abgrenzung unterschiedlicher ösophagealer Motilitätsstörungen in der Regel nicht mehr verwendet, u. a. weil das Verfahren dafür nicht ausreichend sensitiv ist.6
Nur bei speziellen Fragestellungen. Die Indikationsstellung erfolgt in der gastroenterologischen Praxis oder Klinik.
Ggf. CT
Indikationen zur Überweisung
Bei Verdacht auf Ösophagusspasmen
Ggf. zur Differenzialdiagnostik ösophagealer und anderer Erkrankungen (siehe Abschnitt Differenzialdiagnosen)
Therapie
Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.5-7
Therapieziele
Linderung der Symptome, im Ausnahmefall Heilung
Allgemeines zur Therapie
Es können aufgrund der unzureichenden Datenlage kaum zuverlässige Aussagen zur Wirksamkeit einzelner Therapieansätze gemacht werden.
Das überwiegend auf Expertenmeinung basierende therapeutische Vorgehen ist bei allen Formen spastischer Ösophagusmotilitätsstörungen ähnlich.
Es gibt keine Therapie, die bei allen Patienten wirksam wäre, und bei einigen Patienten scheint die Erkrankung überhaupt nicht auf irgendeine Behandlung anzusprechen.
Medikamentöse Therapie
Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.5-6,9-10
Wirkprinzip und Wirksamkeitsnachweise
Reduktion der Kontraktionskraft der glatten Muskulatur
Hinweise auf Wirksamkeit sind bei allen infrage kommenden Medikamenten als vorläufig zu betrachten.
Botulinumtoxin
Endoskopische Injektion in die Ösophagusschleimhaut
Der bislang am besten untersuchte medikamentöse Therapieansatz (Stand Dezember 2019)
In einer placebokontrollierten Studie führte die Behandlung zu einer signifikanten klinischen Besserung.11
Ein Nachteil scheint die begrenzte Wirkdauer zu sein. In Studien betrug sie zwischen 3 Monaten und 3 Jahren.5
Sytemische Medikation, Wirkstoffklassen
Pfefferminzöl
Scheint die Kontraktionsparameter zu verbessern und in manchen Fällen auch die Beschwerden zu lindern.
Dosierungsvorschlag: 5 Tropfen auf 10 ml Wasser
Wegen des geringen Nebenwirkungsrisikos kann ein Therapieversuch sinnvoll sein.
Kalziumantagonisten
Reduzieren messbar die Amplitude tubulärer Kontraktionen.
Die Wirksamkeit von Nifedipin ist bislang durch 3 placebokontrollierte Studien niedriger bis mittlerer Qualität belegt.10
Dosierungsbeispiel: Nifedipin 3 x 10 mg/d
Die Datenlage zu Diltiazem beschränkt sich auf kleine Studien niedriger Qualität und mit widersprüchlichen Ergebnissen.10
Dosierungsbeispiel: Diltiazem 4 x 90 mg/d
Cave: kardiovaskuläre Nebenwirkungen!
Nitrate
Reduzieren messbar die Amplitude tubulärer Kontraktionen.
Datenlage zur klinischen Wirksamkeit sehr eingeschränkt10
Säurehemmende Medikamente
Protonenpumpenhemmer sollten bei begleitender Refluxerkrankung immer ausprobiert werden, auch wenn bislang nicht systematisch untersucht wurde, ob sie einen Effekt auf die gestörte Ösophagusmotilität und die begleitenden Symptome haben.5
Antidepressiva
Trizyklische Antidepressiva (insbes. Imipramin) scheinen die Intensität der begleitenden Thoraxschmerzen zu reduzieren.
vorläufige Hinweise auf eine Wirksamkeit auch in Studien zu Trazodon und SSRI
Näheres zum Neben- und Wechselwirkungsprofil der einzelnen Wirkstoffklassen siehe Artikel Depression.
Phosphodiesterase-5-Hemmer (z. B. Sildenafil)
Reduzieren die Kontraktionsamplitude und verlängern die Kontraktionszeit sowohl bei Patienten mit ösophagealen Motilitätsstörungen als auch bei gesunden Probanden.
Rohof WOA, Bredenoord AJ. Chicago Classification of Esophageal Motility Disorders: Lessons Learned. Curr Gastroenterol Rep 2017; 19(8): 37. PMID: 28730503 PubMed
Keller J, Fox MR, Allescher HD. Interpretation und Durchführung der hochauflösenden Ösophagusmanometrie: Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) sowie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- undStoffwechselerkrankungen (DGVS). Z Gastroenterol 2018; 56(11): 1378-1408. PMID: 30419581 PubMed
Kahrilas PJ, Bredenoord AJ, Fox M et al. The Chicago Classification of esophageal motility disorders, v3.0. Neurogastroenterol Motil 2015; 27:160–174. PMID: 25469569 PubMed
Keller J, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Das aktuelle Thema. Medikamentöse Therapie bei Motilitätsstörungen von Ösophagus und Magen. Arzneiverordnung in der Praxis 2016; 43(1): 4-14. www.akdae.de
Müller M, Gockel I, Motilitätsstörungen des Ösophagus. Internist 2015; 56: 615–624. PMID: 25940142 www.springermedizin.de
Mössner J. Motilitätsstörungen des Gastrointestinaltrakts. Internist 2015; 56: 613–614. PMID: 25940142 link.springer.com
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2020. Stand 20.09.2019; letzter Zugriff 17.12.2019. www.dimdi.de
Roman S, Kahrilas PJ. Management of spastic disorders of the esophagus. Gastroenterol Clin North Am 2013; 42:27–43. PMID: 23452629 PubMed
Coss-Adame E, Erdogan A, Rao SSC. Treatment of Esophageal (Non-cardiac) Chest Pain: Review. Clin Gastroenterol Hepatol 2014; 12(8): 1224–1245. PMID: 23994670 PubMed
Vanuytsel T, Bisschops R, Farré R et al.: Botulinum toxin reduces Dysphagia in patients with nonachalasia primary esophageal motility disorders. Clin Gastroenterol Hepatol 2013; 11: 1115-1121.e2. PMID: 23591282 PubMed
Spencer HL, Smith L, Riley SA. A questionnaire study to assess long-term outcome in patients with abnormal esophageal manometry. Dysphagia 2006; 21: 149. PubMed
Autoren
Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
Lars Aabakken, dr med, sektionsöverläkare vid medisinsk avdeling, Rikshospitalet
BBB MK 19.12.2019, revidiert und aktualisiert, Breischluck kaum mehr indiziert.
Revision at 17.12.2015 11:44:58:
German Version, MK 06.04.17, LL entfernt (nicht passend)
Definition:Nach klassischer Einteilung wird zwischen diffusen Ösophagusspasmen, dem Nussknacker-Ösophagus mit spastischen Kontraktionen und einem hypertensiven unteren Ösophagussphinkter unterschieden, alle mit unbekannter Ursache. Die Chicago-Klassifikation unterscheidet je nach Befund in der hochauflösenden Ösophagusmanometrie zwischen distalem Ösophagusspasmus und hyperkontraktilem Ösophagus.