Allgemeine Informationen
Definition
- Palpable Schwellung im Bereich der Beine verursacht durch eine Zunahme des interstitiellen Flüssigkeitsvolumens1
- Begriff abgeleitet aus dem Griechischen: „Oidema“ = Geschwulst oder Schwellung2
- Unspezifischer Befund mit zahlreichen möglichen lokalen oder systemischen Ursachen
Häufigkeit
- Es gibt nur wenige epidemiologische Daten zur Häufigkeit von Beinödemen als Beratungsanlass in der Hausarztpraxis.3
- Die geschätzte Häufigkeit in der hausärztlichen Praxis liegt bei 4–8 %.4
- Beratungsanlass Beinschwellung wird in den verfügbaren Statistiken nicht gesondert aufgeführt.3
- statistisch vermutlich verteilt auf die verschiedenen Grunderkrankungen
- Die häufigste Ursache für Patient*innen über 50 Jahre ist vermutlich venöse Insuffizienz.1
Pathophysiologie
- Körperwasser verteilt auf Intrazellulär- und Extrazellulärraum
- Extrazellulärraum (enthält 1/3 des Körperwassers) besteht aus:5
- intravasalem Plasmavolumen (25 %)
- interstitiellem Raum (75 %).
- Normalerweise besteht ein Gleichgewicht zwischen Filtration aus dem Intravasalraum ins Interstitium und dem Lymphtransport aus dem Interstitium zurück ins Gefäßsystem.
- Ödementstehung durch Störung des Gleichgewichts mit Zunahme des interstitiellen Flüssigkeitsvolumens
- Mechanismen, die zu einer Störung des Gleichgewichts zwischen intravasalem und interstitiellem Raum führen:6
- erhöhter hydrostatischer Kapillardruck
- erhöhtes Plasmavolumen
- verminderter onkotischer Druck im Plasma (Hypoalbuminämie)
- erhöhte Kapillarpermebealität
- verminderter Lymphtransport.
- Typische Arten von Ödemen sind:
- venöses Ödem
- niedrig-visköse, eiweißarme Flüssigkeit im Interstitium durch erhöhte Filtration
- Das normale Lymphsystem kann die erhöhte Flüssigkeitsmenge nicht mehr ausgleichen.
- Lymphödem
- eiweißreiche interstitielle Flüssigkeit durch dysfunktionales Lymphsystem
- Das Lipödem ist trotz seiner Bezeichnung eher eine Fettverteilungsstörung als ein tatsächliches Ödem.
ICPC-2
- K07 Geschwollene Knöchel/Ödeme
ICD-10
- R60.9 Ödem, nicht näher bezeichnet
Differenzialdiagnosen
Einseitige Ödeme – akut
- Thrombenbildung in Becken-, Bein- oder Unterschenkelvenen
- Prädisponierende Faktoren: St. n. Thrombose, Thrombophilie, prädisponierende Erkrankungen (z. B. Malignom), längere Immobilisierung, Schwangerschaft, zurückliegende Operation
- Typische Symptome sind Ödem, Schmerz, Spannungsgefühl, Zyanose, verstärkte Venenzeichnung.7
- Die klinische Wahrscheinlichkeit für eine TVT kann systematisch durch Erhebung des Wells-Score bestimmt werden.
- Akut bakterielle, nicht-eitrige Infektion der Dermis unter Einbezug von Lymphgefäßen, Erreger meist beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A
- Typisches klinisches Bild: scharf begrenzte Rötung, Schwellung und Schmerzen, Fieber, evtl. Schüttelfrost
- Laborchemisch Anstieg von BSG, CRP, Leukozyten
- Akute pyogene Infektion der Unterhaut unterschiedlicher Tiefe
- Beginnt oft als Komplikation nach (Bagatell-)Verletzung mit Fieber und Schmerzen
- Ödematöse Schwellung, rötlich-livide Verfärbung und Überwärmung der Haut, evtl. geschwollene Lymphknoten
- Keine scharfe Abgrenzung zur gesunden Haut (im Gegensatz zum Erysipel)
Muskelfaserriss mit Hämatombildung
- Muskelfaserriss z. B. durch plötzliche Belastung der Wadenmuskulatur8
- Pralle Schwellung bei subfaszialer Hämatombildung, evtl. sichelförmiges, abgesunkenes Hämatom unter dem Knöchel nach 3–4 Tagen8
Traumatisches Ödem
- Passageres Auftreten von Schwellungszuständen nach Prellungen, Verstauchungen, Operationen etc.9
- Charakteristisch ist das sofortige Auftreten des Ödems an der Stelle des Traumas9
- Bei Bildung von großem Ödem/Hämatom Gefahr der Ausbildung eines Kompartmentsyndroms4
Begleitödem bei Arthritis/aktivierter Arthrose
- Weiches Begleitödem10
- Im Bereich des betroffenen Gelenks10
- Überwärmung, Rötung
- Druck- und Bewegungsschmerz
- Ergussbildung
- Plötzlicher Schmerz in der proximalen Wade8
- Nachfolgendes Ödem des Unterschenkels mit Rötung und Überwärmung durch Entzündungsreaktion8
- Evtl. in der Vorgeschichte störende Resistenz in der Kniekehle, Kniegelenkergüsse8
Einseitige Ödeme – chronisch
- Chronisch-venöse Insuffizienz kann auch zu beidseitigen Ödemen führen, aber ist häufig asymmetrisch verteilt.
- Fortgeschrittene, funktionelle Störung des Venensystems mit:
- Ödemen
- Hautveränderungen
- Ulzerationen.
- Verursacht primär durch Varikosis oder sekundär im Rahmen eines postthrombotischen Syndroms, seltener kongenital
- Symptome: Schwere- und Müdigkeitsgefühl in den Beinen, Kribbeln, Brennen, Juckreiz, Muskelkrämpfe, Schmerzen
- Befunde: eindrückbares Ödem, Hautveränderungen (Hyperpigmentierung, Dermatitis, Lipodermatosklerose, weiße Atrophie, Ekzem, Corona phlebectatica paraplantaris), Ulzera
Venöses Kompressionssyndrom
- Kompression von Becken- oder Beinvenen durch Raumforderungen, z. B.:10
- Tumor
- Aneurysma
- retroperitonelae Fibrose.
- Chronische Erkrankung des Interstitiums durch Schädigung der Lymphgefäße11
- Primäres Lypmphödem (selten)
- Geht auf eine genetische Prädisposition zurück.11
- Tritt immer asymmetrisch auf.12
- Entwicklung von distal (Zehen mit positivem Stemmer-Zeichen13) nach proximal10
- Stauungspapillomatose, Hyperkeratosen als zusätzliche Hautveränderungen10
- Sekundäres Lymphödem (Inzidenz 0,13–2 %)11
- Adipositas-assoziiertes Lymphödem
- mittlerweile häufigste Form des sekundären Lymphödems12
- Wird als solches bezeichnet, wenn Adipositas die einzige Ursache ist; eine Adipositas verschlechtert aber alle primären und sekundären Lymphödeme.12
- St. n. Tumorbehandlung (Operation inkl. Lymphknotenentfernung, Radiatio)
- Stadieneinteilung
- 0: subklinisches Stadium
- I: weiche Konsistenz, Hochlagern beseitigt die Schwellung
- II: sekundäre Gewebeveränderungen, keine Reversibilität durch Hochlagern
- III: deformierende harte Schwellung
Acrodermatitis atrophicans
- Spätmanifestation der Borreliose, Auftreten meist erst Monate oder Jahre nach einem Zeckenstich14
- Initial ödematös infiltratives Stadium mit rötlicher Verfärbung der Haut, im Verlauf livid-rote bis bräunliche Verfärbung mit Hautatrophie14
- In über der Hälfte der Fälle sind Parästhesien und Allodynie beschrieben.14
Beidseitige Ödeme – akut
Beidseitige Ödeme – chronisch
- Klinisches Syndrom mit:15-16
- Symptomen wie Leistungsschwäche, Dyspnoe
- Befunden wie Halsvenenstauung, Lungenstauung, Beinödemen
- Ursache ist eine strukturelle oder funktionelle Veränderung des Herzens mit (in Ruhe oder unter Belastung):15
- vermindertem Herzzeitvolumen und/oder
- erhöhtem Füllungsdruck.
- Ödeme durch:
- erhöhten venösen Druck bei Rechtsherzinsuffizienz
- Natrium- und Wasserretention durch sekundären Hyperaldosteronismus.
- Unterdiagnostizierte Ursache für Beinödeme, v. a. bei älteren Patient*innen16
- Bei noch kompensierter pulmonaler Hypertonie ist die klinische Untersuchung oft unauffällig, im Verlauf dann Cor pulmonale mit Ödemen als Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz.
- Zahlreiche Ätiologien, neben selteneren primären Formen vor allem Folge von Linksherzerkrankungen, Lungenerkrankungen/Hypoxie (inkl. Schlafapnoe) und Lungenembolien
Renale Ursachen
- Meistens Aszites als führendes Zeichen, aber auch Beinödeme sind häufig vorhanden.
- Ödeme durch:
- Hypoalbuminämie
- sekundärer Hyperaldosteronismus mit Wasser- und Salzretention.
- Außerdem evtl. Leberhautzeichen, Splenomegalie, Ikterus
Hypoalbuminämie
- Albumin ist wichtig für die Aufrechterhaltung des onkotischen Drucks.
- Ursachen für Hypoalbuminämie
- verminderter Eiweißgehalt in der Nahrung: Malnutrition
- verminderte intestinale Eiweißaufnahme: Malabsorption
- gastrointerstinaler Eiweißverlust – exsudative Enteropathie, u. a. bei:
- Eiweißverlust über den Urin
- verminderte Eiweißsynthese
Schilddrüsenerkrankungen
- In ca. 60 % der Fälle begleitende Ödeme
Arzneimittelinduziertes Ödem
- Ödeme sind häufige Nebenwirkungen von Medikamenten.
- Kalziumantagonisten (Dihydropyridine)
- NSAR
- Kortikosteroide
- Östrogene
- Antidepressiva
- u. a.
- Beim Lipödem handelt es sich primär um eine Fettverteilungsstörung.17
- Tendenz zur Flüssigkeitseinlagerung mit Übergangsformen zum Lymphödem, daher wird es üblicherweise zur Differenzialdiagnose der Beinödeme gezählt.10
- Tritt nahezu ausschließlich bei Frauen auf.17
- Symmetrisches Verteilungsmuster, Füße sind charakteristischerweise ausgespart.17
- Schmerzen bei Palpation oder spontan, im Tagesverlauf zunehmend17
- Hämatomneigung17
Schwangerschaft
- Häufig auch bei normaler Schwangerschaft – vor allem im 2. und 3. Trimenon
- erhöhte Wasser- und Salzretention
- Kompression von V. cava/Beckenvenen in der späteren Phase der Schwangerschaft
- Ödeme bei Präeklampsie mit Trias
Prämenstruelles Ödem
- Auftreten ausschließlich in der 2. Zyklushälfte10
- Beidseitige weiche, symmetrische Ödeme10
- Begleitend Schwellung von Händen, Mammae möglich10
Idiopathisches Ödem
- Nur Frauen betroffen, abzugrenzen vom prämenstruellen Ödem.
- Typisch ist die Zunahme des Gewichts im Lauf des Tages bei niedriger Urinmenge, gefolgt von Nykturie.8
- Ödem kaum sichtbar, generalisierte Spannungsymptomatik18
- Spannungssymptomatik im Lauf des Tages unterschiedlich18
- morgens vor allem obere Körperhälfte
- nachmittags/abends vor allem untere Körperhälfte
- Ausschlussdiagnose
Diagnostik
- Bei einseitiger Beinschwellung ist eine differenzialdiagnostische Abklärung häufig noch am selben Tag erforderlich.4
- Bei beidseitiger Beinschwellung ist meist eine abgestufte Differenzialdiagnose über Tage oder wenige Wochen möglich.4
- Ausnahme z. B. akute kardiale oder renale Dekompensationen
Anamnese
Ödeme
- Dauer
- akut (< 72 h)
- langsam progredient
- chronisch
- Verteilung
- Ausprägung
- Knöchel-, Unterschenkel-, Oberschenkelregion
- Beteiligung/Aussparung von Fußrücken, Zehen
- Lagerungsabhängigkeit
- Verbesserung beim Hochlagern z. B. bei chronisch venöser Insuffizienz, keine Verbesserung z. B. bei vermindertem onkotischem Druck (Hypalbuminämie)
- Assoziation mit dem menstruellen Zyklus
Andere Symptome
Aktuelle Anamnese
- Immobilisation, kurz zurückliegende Operation
- Trauma, Hautverletzung
- Schwangerschaft
- Änderung der Medikation
Vorgeschichte
Medikamente
- Zahlreiche Medikamente mit Ödemen als Nebenwirkung, v. a.:
- Kalziumantagonisten
- insbesondere Dihydropyridine, Ödeme bei bis zu 50 % der Patient*innen19
- NSAR
- Kortikosteroide
- Östrogene
- Antidepressiva
- u. a.
- Diuretikainduzierte Ödeme
- Diuretikaeinnahme (ggf. zusätzlich zu Laxanzien) aus ästhetischen Gründen, insbesondere durch junge Frauen, kann über Aktivierung vom Renin-Angiotensin-System und ADH selbst zu Ödemen führen.20-21
Klinische Untersuchung
Lokalbefund des Ödems
- Einseitig/beidseitig?
- Distal/proximal betont?
- Lokalisiert/ganzes Bein?
- Konsistenz (weich, teigig, derb, prall)?
- Eindrückbar?
- eindrückbar bei erhöhtem Kapillardruck und/oder niedrigem onkotischem Druck als Hinweis auf die Pathophysiologie des Ödems
- Myxödem, Lipödem, fortgeschrittenes Lymphödem nicht eindrückbar1
- Druckempfindlichkeit?
- tiefe Venenthrombose, Lipödem druckempfindlich1
- Lymphödem meistens nicht druckempfindlich1
- Rötung (z. B. Dermatitis, Erysipel)?
- Überwärmung (z. B. tiefe Venenthrombose, Erysipel, Phlegmone)?
- Pigmentveränderungen (z. B. Hämosiderose, Atrophie blanche bei chronisch venöser Insuffizienz)?
- Lipodermatosklerose (chronisch venöse Insuffizienz)?
- Ulcus cruris (chronisch venöse Insuffizienz)?
- Varikosis (chronisch venöse Insuffizienz)?
- Hautverdickung (z. B. Myxödem, fortgeschrittenes Lymphödem)?
- Papillomatose (Lymphödem)?
- Einbeziehung der Füße (beim Lipödem ausgespart)?
- Stemmer-Zeichen positiv (Hinweis für Lymphödem)?
- Das Stemmer-Zeichen ist positiv, wenn im Bereich der 2. Zehe nicht oder nur schwer eine Hautfalte gebildet werden kann.13
Allgemeine Befunde
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
EKG
- Hinweise für KHK, hypertensive Herzerkrankung, chronische Rechtsherzbelastung
- Siehe auch die Artikel:
Laboruntersuchungen
- Urin
- Spoturin auf Proteinurie (Albumin/Kreatinin-Quotient, Protein/Kreatini-Quotient)
- Strukturelle Nieren-, Lebererkrankung
- Lungen-/Atemwegserkrankungen
Diagnostik bei Spezialist*innen
Duplex-Sonografie der Beine
Rö-Thorax
- Lungenstauung, Lungenerkrankung
Polysomnografie
CT/MRT
- Beckenvenenthrombose, abdominelle Prozesse bei Venenkompression
Lymphszintigrafie
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
- Weiterführende Abklärungen durch Spezialist*innen bzw. stationäre Einweisung je nach Verdachtsdiagnose
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung ist abhängig von der Ätiologie des Ödems.24
- Sofern möglich, Therapie einer Grunderkrankung
- Abhängig von der Art des Ödems können folgende Maßnahmen sinnvoll sein:
- Diuretika sind nur sinnvoll bei eiweißarmen Ödemen (Herz-, Nieren-, Leberinsuffizienz, Hypoalbuminämie).
Spezielle Therapie
- Zur speziellen Therapie von Grunderkrankungen siehe folgende Artikel:
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Hypostatisches nässendes Ödem
Venen in den Beinen
Venen, Muskelpumpe
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Phlebologie. Lipödem. AWMF-Leitlinie Nr. 037-012. S1, Stand 2015. www.awmf.org
- Gesellschaft deutschsprachiger Lymphologen. Diagnostik und Therapie der Lymphödeme. AWMF-Leitlinie 058-001. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Angiologie, Gesellschaft für Gefäßmedizin. Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 065-002. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
Literatur
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Beinödem; Ödem; Peripheres Ödem; Lymphödem; Lipödem; Beinschwellung; Chronisch-venöse Insuffizienz; Tiefe Venenthrombose; Beinvenenthrombose; Herzinsuffizienz; Pulmonale Hypertonie; Niereninsuffizienz; Nephrotisches Syndrom; Leberinsuffizienz; COPD; Schlafapnoe; pulmonale Hypertonie; Cor pulmonale; Albuminmangel; Hypoalbuminämie; Erysipel; Phlegmone; Idiopathisches Ödem; Prämenstruelles Ödem; Bakerzyste; Ca- Antagonisten
Palpable Schwellung im Bereich der Beine verursacht durch eine Zunahme des interstitiellen Flüssigkeitsvolumens1
Begriff abgeleitet aus dem Griechischen: „Oidema“ = Geschwulst oder Schwellung2