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Schienbeinkantensyndrom

Zusammenfassung

  • Definition: Klinisches Schmerzsyndrom mit belastungsinduziertem Schmerz entlang des distalen posteromedialen Rands der Tibia.
  • Häufigkeit: Eine der häufigsten Verletzungen der unteren Extremität bei Läufer*innen.
  • Symptome: Während und nach dem Training (z. B. Lauftraining) treten Schmerzen an der posteromedialen Tibiakante auf.
  • Befunde: Druckdolenz der posteromedialen Tibiakante über ≥ 5 cm.
  • Diagnostik: Klinische Diagnose. Bildgebung nur ggfsggf. zum Ausschluss einer Stressfraktur.
  • Therapie: Konservative Therapie mit initial Kühlung und Belastungsreduktion. Anschließend abgestuftes Aufbelastungsprogramm.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonyme: (mediales) Tibiakantensyndrom, shinShin splintsSplints
  • Definiert durch:
    • belastungsinduzierten Schmerz entlang des distalen posteromedialen Rands der Tibia und
    • Vorliegen eines Schmerzes bei Palpation über eine Länge von ≥ 5 cm. 1

Häufigkeit

  • Eine der häufigsten Verletzungen der unteren Extremität bei Läufer*innen2
    • 16 % aller Laufverletzungen sind mit dem Schienbeinkantensyndrom assoziiert. 3

Ätiologie und Pathogenese

  • Gilt als klinisches Schmerzsyndrom, da es keine eindeutigen Beweise für eine der pathologischen Theorien gibt. 1
  • Bis vor kurzemKurzem wurde Periostitis als Ursache der Schmerzen postuliert. 2
  • Neuere Studien vermuten knöcherne Stressreaktion als Auslöser. 2
    • Beispielsweise wurden reduzierte tibiale Knochenmineralisationsdichten und Mikrorisse als ein Hinweis auf  eine beeinträchtigte Knochenreparaturfunktion gefunden. 1

Prädisponierende Faktoren

Extrinsische Faktoren 2

  • Laufen auf harten und unebenen Untergründen
  • Bergab/Bergauf laufen.
  • Zu schnelle Steigerung der Trainingsintensität ohne adäquate Ruhephasen
  • Abgetragene, instabile Laufschuhe

Intrinsische Faktoren 4

  • Überpronation des Fußes
    • Ein Absinken des Os naviculare ≥ 10 mm verdoppelt das Risiko, ein Schienbeinkantensyndrom zu entwickeln. 5
  • Verkürzung/Verspannung des M. gastrocnemius, M. soleus und der plantaren Fußmuskeln

ICPC-2

  • L87 Bursitis/Tendinitis/Synovitis NNB

ICD-10

  • M76.8 Sonstige Enthesopathien der unteren Extremität mit Ausnahme des Fußes

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinische Diagnose durch Anamnese und körperliche Untersuchung1

Differenzialdiagnosen

  • Stressfraktur der Tibia
  • Chronisches belastungsbedingtes Kompartmentsyndrom
    • Typischtypisch: 1
      • Taubheit, Stechen während der Belastung
      • Krämpfe und brennender Schmerz im posterioren Kompartiment.

Anamnese

  • Leitsymptom: Belastungsinduzierte Schmerzen entlang der distalen zwei Drittel2/3 der posteromedialen Tibiakante. 1 
  • Schmerzprovokation durch (während oder nach) physikalische Aktivität und Rückgang nach Entlastung1
  • Häufig Umstellung des Trainings, Steigerung der Intensität oder Wechsel der Sportschuhe in der Vorgeschichte.

Klinische Untersuchung

  • Druckdolenz der posteromedialen Tibiakante über ≥ 5 cm 1
    • Patient*innen umfahren bei der Frage nach der Schmerzlokalisation typischerweise ein größeres Areal mit ihren Fingern. 2
    • Beibei Ermüdungsfraktur meist lokal begrenzterer Druckschmerz (kann mit einem Finger gezeigt werden).
  • Fußfehlstellung?
    • Nachnach Möglichkeit Begutachtung der Laufschuhe: unregelmäßig abgelaufene Sohle (medial mehr Abnutzung als lateral) als indirektes Zeichen für Überpronation.   

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Röntgen 4

Indikationen zur Überweisung

  • Bei therapierefraktären Beschwerden trotz konservativer Therapie Überweisung zu Orthopäd*in.

Therapie

TherapiezielTherapieziele

  • Linderung der Beschwerden
  • Rückkehr zu schmerzfreier körperlicher Aktivität

Allgemeines zur Therapie

  • Besprechung der Erwartungshaltung mit Patient*in: Das Schienbeinkantensyndrom ist oft eine länger anhaltende Verletzung, deren Heilung bis zu 9–12 Monate dauern kann. 1
  • Abgestuftes Aufbelastungsprogramm empfohlen1

Empfehlungen für Patient*innen

  • Vermeidung oder Verringerung der ursächlichen Belastungen, ggf. Umstellung auf alternative Trainingsformen.
    • Gutgut geeignet, gerade für Ausdauersportler*innen, beispielsweisez. B. Radfahren.
  • Bei leichten Symptomen Belastung reduzieren, bei starker Symptomatik pausieren. 
  • Die gereizte Stelle regelmäßig kühlen.
  • Das Laufen auf harten Untergründen sollte vermieden bzw. reduziert werden.
  • Laufschuhe
    • Daumenregel: nach 500 km Laufschuhe durch ein neues Paar ersetzen. 2
    • Laufschuhe mit guter Dämpfung können Beschwerden reduzieren bzw. dafür sorgen, dass das Syndrom erst gar nicht auftritt. Auch ein Wiederauftreten kann mit geeigneten Laufschuhen verhindert werden.6

Akute Phase

  • Belastungspause und Kühlung der betroffenen Region2,4
    • 2–3 x pro Tag für jeweils 10 min kühlen.
  • Bei nicht- tolerierbaren Schmerzen kurzzeitiger Einsatz von NSAR möglich4

Rehabilitationsphase

  • Empfehlung für stufenweise Aufbelastung gemäß folgender Referenz. 1
  • Eine Kombination aus gradueller Belastung der Tibia und Stärkung der Plantarflexoren (M. gastrocnemius, M. soleus) scheint eine gute Strategie zu sein. 
    • Beide als pathogenetisch relevant diskutierten Strukturen (knöcherne Überbelastung der Tibia und/oder eine Fasziopathie der Fascia cruris) profitieren von abgestufter Belastung.
  • Belastungssteigerung um < 10 % pro Woche wichtig, um erneutes Aufflammen sowie Verletzungen zu vermeiden.
  • Aus klinischer Erfahrung wird empfohlen, einen Schmerzwert von 2 auf einer Schmerzskala von 0–10 bei körperlicher Aktivität nicht zu überschreiten.

Orthesen/Einlegesohlen

  • Bei Überpronation können Einlagen zur Unterstützung des medialen Fußgewölbes hilfreich sein. 2

Physiotherapie

  • Physiotherapeutisch angeleitete Übungen zur sowohl Kräftigung der Plantarflexoren1 als auch zu deren Dehnung 2 können zur Heilung beitragen.
  • Patient*innen können auch von einer Stärkung der Hüft- und Rumpfmuskulatur profitieren. 7-8
    • Dadurch können eine bessere Laufmechanik erzielt und Verletzungen infolge einer Überbeanspruchung der unteren Extremitäten verhindert werden.

Operative Therapie

  • Manche Autor*innen empfehlen eine operative Therapie nach Versagen der konservativen Maßnahmen nach 1 Jahr. 4
    • Die Operation besteht aus einer Fasziotomie, entweder allein oder in Kombination mit einer periostalen Resektion. 1
  • Für klinische Empfehlungen fehlen qualitativ hochwertige Daten. 1

Prävention

  • Es sollte gut dämpfendes Schuhwerk getragen werden. 
  • Die Laufschuhe sollten bei hohen Trainingsumfängen regelmäßig erneuert werden.
  • Es sollte so wenig wie möglich auf harten Untergründen wie Asphalt oder Ähnlichem gelaufen werden.
  • Wenn Beschwerden auftreten, sollte das Training reduziert oder umgestellt werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Bei den meisten Patient*innen klingen die Beschwerden ab, wenn Ruhe gehalten und das Training umgestellt wird.
  • Dennoch kann es zu Rezidiven kommen, sodass längere Pausen nötig sind oder auf andere Sportarten ausgewichen werden muss.
  • Bei manchen Patient*innen entwickeln sich chronische Beschwerden, die die Ausübung einer Sportart verhindern.

Komplikationen

  • Chronische Schmerzen bei unzureichender Belastungsreduktion bzw. zu schneller Wiederaufnahme/Steigerung der sportlichen Aktivität.

Prognose

  • Die Prognose ist im Allgemeinen gut, sofern die Patient*innen einen konservativen Therapieplan umsetzen, die schmerzauslösenden Aktivitäten reduzieren und individuell angepasste Schuhe/Einlegesohlen tragen.
  • Prognose für Patient*innen mit sportlich hohem Aktivitätsniveau: 1
    • Bei Schienbeinkantensyndrom seit etwa 3 Monaten dauert es ab Behandlungsbeginn etwa 9–12 Monate, bis beschwerdefreie Vollbelastung möglich ist.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Es ist notwendig, die auslösenden Aktivitäten zu vermeiden bzw. zu reduzieren.
  • Hinweise zur Selbsttherapie.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Winters M. Diagnostik und Therapie des Schienbeinkantensyndroms. Der Unfallchirurg 2019; 122: 848-53. link.springer.com
  2. Gardner S. Shin Splints. Pedorthic Association of Canada Clinical Practice Guidelines (Second Edition) 2018. pedorthic.ca
  3. Mulvad B, Nielsen RO, Lind M, et al. Diagnoses and time to recovery among injured recreational runners in the RUN CLEVER trial. PLoS ONE 2018; 13(10): e204742. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Amin I, Moroz A. Medial Tibial Stress Syndrome. Musculoskeletal Sports and Spine Disorders: A Comprehensive Guide 2017. books.google.de
  5. Winkelman ZK, Anderson D, Games KE, et al. Risk factors for medial tibial stress syndrome in active individuals: An evidence-based review. J Athl Train 2016; 51(12): 1049-52. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Craig DI. Medial tibial stress syndrome: evidence-based prevention. J Athl Train 2008; 43:316. PubMed
  7. Wilder RP, Sethi S. Overuse injuries: tendinopathies, stress fractures, compartment syndrome, and shin splints. Clinics in sports medicine 2004; 23: 55-81. PubMed
  8. Strakowski JA, Jamil T. Management of common running injuries. Physical medicine and rehabiltation clinics of north america 2006; 17: 537-52. PubMed

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • IngardDie Løge,ursprüngliche spesialistVersion idieses allmennmedisin,Artikels Instituttbasiert forauf samfunnsmedisinskeeinem fag,entsprechenden NorgesArtikel tekniskim norwegischen hausärztlichen Online-naturvitenskapeligeHandbuch universitet,Norsk Trondheim
  • IngridElektronisk Ekenman, överläkare ortopedisk kirurgi, Capio Artro Clinic, Sophiahemmet, StockholmLegehåndbok (MedibasNEL, https://legehandboka.no/)
  • Arild Aamodt, overlege/professor, Ortopedisk avdeling, Lovisenberg Sykehus, Oslo.
M768
L87
Tibiakantensyndrom; Shin Splints; Shin-Splint-Syndrom; Medial Tibial Stress Syndrome; MTSS; Chronische Muskelansatzreizung; Überbeanspruchung der Muskelansätze; Unterschenkelschmerzen; Tibia-Kanten-Syndrom; Tibiakanten-Syndrom
Schienbeinkantensyndrom
BBB MK 11.01.2022 umgeschrieben und aktualisiert (AiW Sportmedizin) erster Check GO > DN 21.1. Check GO 7.2. MK 04.04.2018 (Q)
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Definition: Klinisches Schmerzsyndrom mit belastungsinduziertem Schmerz entlang des distalen posteromedialen Rands der Tibia. Häufigkeit: Eine der häufigsten Verletzungen der unteren Extremität bei Läufer*innen.
Physiotherapie/Sportmedizin
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