Gesamtprävalenz Kinder und Jugendliche (0–17 Jahre) 2,8 %10
Mädchen 3,2 %, Jungen 2,4 %
Leitlinien zur Primärprävention
Es existieren insgesamt 3 deutsche Leitlinien zur Thematik der Primärprävention von allergischen Erkrankungen.
Die AMWF-Leitlinie Allergieprävention ist aktuell (Stand 2020) in Überarbeitung und behandelt generell allergische Erkrankungen.1
Die Nationale Versorgungsleitlinie Asthma sowie die Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Asthma von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin diskutieren ausschließlich die Primärprävention von Asthma.4,11
Insgesamt decken sich die Leitlinien in fast allen Empfehlungen und verweisen gegenseitig aufeinander, deutliche Widersprüche sind nicht zu finden.
Ausnahmen
Während die AWMF-Leitlinie Allergieprävention in der momentan überarbeiteten Version hydrolysierte Nahrung bei nichtgestillten Risikokindern empfiehlt, sieht die AWMF-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Asthma in dieser Maßnahme keinen Benefit bezüglich einer Asthmaprävention.
Während die Leitlinie Allergieprävention Hundehaltung mit keinem erhöhten Allergierisiko verbindet, empfiehlt die Leitlinie Diagnostik und Therapie von Asthma bei Risikokindern komplett auf Fell- und Federtiere als Haustiere zu verzichten.
Die Zielpopulation der Leitlinie sind Personen, insbesondere Kinder, mit und ohne genetische Vorbelastung für atopische Erkrankungen.
Kinder mit genetischer Vorbelastung (sog. Risikokindern) sind dadurch definiert, dass mindestens ein Elternteil oder Geschwister unter einer der genannten atopischen Erkrankungen leidet.
Somit kommen als Zielgruppe neben der Allgemeinbevölkerung insbesondere junge Familien, Paare mit Kinderwunsch bzw. Schwangere und Personen mit familiärer Vorbelastung in Betracht.
Die aktuelle Datenlage unterstützt die Empfehlung, dass für den Zeitraum der ersten 4 Monate voll gestillt werden soll.
Mütterliche Ernährung in der Schwangerschaft und/oder Stillzeit
Während Schwangerschaft und Stillzeit wird eine ausgewogene und nährstoffdeckende Ernährung empfohlen.
Diätetische Restriktionen (Meidung potenter Nahrungsmittelallergene) während der Schwangerschaft oder Stillzeit sollen aus Gründen der Primärprävention nicht erfolgen.
Es gibt Hinweise, dass Fisch in der mütterlichen Ernährung während der Schwangerschaft und oder Stillzeit einen protektiven Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen beim Kind hat. Fisch sollte Bestandteil der mütterlichen Ernährung während der Schwangerschaft und Stillzeit sein.
Laut Berufsverband der Frauenärzte sollten allerdings bestimmte Seefische wegen der Belastung mit Methylquecksilber in Schwangerschaft und Stillzeit nur maximal 1x pro Monat verzehrt werden: z. B. Thunfisch, Schwertfisch, Makrele, Heibutt, Zackenbarsch, Meeforelle. (Anm. der Redaktion)
Muttermilchersatznahrung bei Risikokindern
Wenn nicht oder nicht ausreichend gestillt wird, soll hydrolysierte Säuglingsnahrung bei Risikokindern gegeben werden.
Die aktuelle Datenlage stützt diese Empfehlung für den Zeitraum der ersten 4 Lebensmonate.
Sojabasierte Säuglingsnahrungen sind zum Zwecke der Allergieprävention nicht zu empfehlen.
Einführung von Beikost und Ernährung des Kindes im 1. Lebensjahr
Die zu der Zeit in Deutschland existierende Empfehlung, Beikost nach dem vollendeten 4. Lebensmonat einzuführen, ist aus Gründen eines steigenden Nährstoffbedarfs sinnvoll.
Eine Verzögerung der Beikosteinführung soll aus Gründen der Allergieprävention nicht erfolgen.
Für einen präventiven Effekt einer diätetischen Restriktion durch Meidung potenter Nahrungsmittelallergene im 1. Lebensjahr gibt es keine Belege. Sie sollte deshalb nicht erfolgen.
Für einen präventiven Effekt durch die Einführung potenter Nahrungsmittelallergen vor dem vollendeten 4. Lebensmonat gibt es derzeit keine gesicherten Belege.
Es gibt Hinweise darauf, dass Fischkonsum des Kindes im 1. Lebensjahr einen protektiven Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen hat. Fisch sollte mit der Beikost eingeführt werden.
Körpergewicht
Es gibt Belege, dass ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) mit Asthma positiv assoziiert ist.
Personen ohne erhöhtes Allergierisiko sollten die Haustierhaltung nicht einschränken.
Bei Risikokindern gilt:
Familien mit erhöhtem Allergierisiko sollten keine Katzen anschaffen.
Hundehaltung ist nicht mit einem höheren Allergierisiko verbunden.
Hausstaubmilben
Zur Primärprävention können spezifische Maßnahmen, z. B. milbenallergendichter Matratzenüberzug, zur Reduktion der Exposition gegenüber Hausstaubmilbenallergenen nicht empfohlen werden.
Schimmel und Feuchtigkeit
Ein Innenraumklima, das Schimmelpilzwachstum begünstigt (hohe Luftfeuchtigkeit, mangelnde Ventilation), sollte vermieden werden.
Aktive und passive Exposition gegenüber Tabakrauch erhöhen das Allergierisiko (insbesondere das Asthmarisiko) und sind zu vermeiden. Dies gilt bereits während der Schwangerschaft.
Innenraumluftschadstoffe
Es gibt Hinweise darauf, dass Innenraumluftschadstoffe das Risiko für atopische Erkrankungen und insbesondere Asthma erhöhen können (z. B. Formaldehyd, flüchtige organische Komponenten, wie sie besonders durch neue Möbel und bei Maler- und Renovierungsarbeiten freigesetzt werden können).
Die Exposition gegenüber Innenraumluftschadstoffen sollte gering gehalten werden.
Kfz-Emission
Die Exposition gegenüber Stickoxiden und kleinen Partikeln (PM 2,5) ist mit einem erhöhten Risiko, besonders für Asthma, verbunden.
Die Exposition gegenüber kraftfahrzeugbedingten Emissionen sollte gering gehalten werden.
Impfungen
Es gibt keine Belege, dass Impfungen das Allergierisiko erhöhen, aber Hinweise, dass Impfungen das Allergierisiko senken können.
Es wird empfohlen, dass alle Kinder, auch Risikokinder, nach den STIKO-Empfehlungen geimpft werden sollen.
Kaiserschnitt
Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen, ein erhöhtes Allergierisiko haben.
Dies sollte bei der Wahl des Geburtsverfahrens berücksichtigt werden, sofern keine medizinische Indikation für einen Kaiserschnitt besteht.
Stellungnahmen/Statements, jedoch keine Empfehlungen
Einfluss von Probiotika
Ein präventiver Effekt von Probiotika konnte bislang nur für das atopische Ekzem dargestellt werden.
Eine Empfehlung hinsichtlich konkreter Präparate, Applikationsformen und Dauer und Zeitpunkt der Gabe kann aufgrund der Heterogenität der Bakterienstämme und der Studiendesigns nicht gegeben werden.
Ernährung allgemein und Vitamin D
Es gibt Hinweise, dass der Konsum von Gemüse und Früchten – einer sog. mediterranen Kost von Omega-3-Fettsäuren (bzw. ein günstiges Omega-3- zu Omega-6-Verhältnis) – sowie von Milchfett einen präventiven Effekt auf atopische Erkrankungen hat.
Bezüglich der Bedeutung von Vitamin D für die Entstehung allergischer Erkrankungen ist die Studienlage derzeit widersprüchlich.
Insgesamt ist die Datenlage derzeit nicht ausreichend um eine Empfehlung zu formulieren.
Unspezifische Immunmodulation
Es gibt Belege, dass eine frühzeitige unspezifische Immunstimulation vor der Entwicklung allergischer Erkrankungen schützt.
Hierzu zählen z. B. das Aufwachsen auf einem Bauernhof, der Besuch einer Kindertagesstätte in den ersten 2 Lebensjahren und eine höhere Anzahl älterer Geschwister.
Medikamente
Die beschriebenen Zusammenhänge zwischen der Einnahme von Antibiotika, Paracetamol und atopischen Erkrankungen sind aufgrund potenziell verzerrender Einflussfaktoren nicht sicher zu interpretieren.
Bislang fehlt der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen entsprechender Medikamenteneinnahme und der Entwicklung von atopischen Erkrankungen.
Psychosoziale Faktoren
Es gibt Hinweise, dass ungünstige psychosoziale Faktoren (z. B. schwerwiegende Lebensereignisse) während der Schwangerschaft und Kindheit zur Manifestation von atopischen Erkrankungen beitragen können.
Die Evidenz zur Assoziation bestimmter Faktoren zu einem erhöhten Asthmarisiko liegt größtenteils aus Beobachtungsstudien vor.
Die Leitliniengruppe sieht diese als nicht zuverlässig genug an, um daraus Empfehlungen für die Primärprävention zu formulieren.
Die Leitliniengruppe befürwortet das Stillen im Sinne der Allergieprävention und verweist dazu auf die Empfehlungen der o. g. S3-Leitline Allergieprävention.
AWMF-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Patient*innen mit Asthma: Prävention11
Das vulnerable Fenster (Window of Opportunity) für die Entwicklung eines Asthmas liegt in utero und im sehr frühen Kindesalter.
Daher sollten primäre präventive Interventionsmaßnahmen ebenfalls früh, möglicherweise schon während der Schwangerschaft begonnen werden, um eine Chance auf Erfolg zu haben.
Im Wesentlichen erstrecken sich diese Maßnahmen auf die Reduktion von Passivrauchexposition und auf die Stärkung natürlicher Schutzfaktoren, die als Folge der modernen Zivilisation zugunsten von Risikofaktoren abgenommen haben.
Empfehlungen
Neugeborene sollten 4 Monate ausschließlich gestillt werden.
Nach dem vollendeten 4. Lebensmonat soll Beikost eingeführt werden; es soll keine Verzögerung der Beikosteinführung erfolgen.
Kinder mit Allergierisiko sollten keine Fell- und Federtiere anschaffen bzw. halten. Katzenhaltung ist bei diesen Kindern generell nicht zu empfehlen.
Hohe Luftfeuchtigkeit und mangelnde Ventilation in Räumen, flüchtige organische Verbindungen (z. B. Formaldehyd), aktive und passive Tabakrauchexposition, sowie KfZ-Abgasexposition sollen vermieden werden.
Auch Säuglinge und Kinder mit erhöhtem Asthmarisiko sollen nach den allgemeinen Empfehlungen geimpft werden.
Übergewicht und Adipositas sind mit Asthma positiv assoziiert und sollten bei Kindern vermieden werden.
Stellungnahmen/Statements, jedoch keine Empfehlungen
Es gibt keinen Anhalt dafür, dass der Einsatz partiell oder extensiv hydrolisierter Säuglingsnahrungen der Asthmaprävention dient.
Es sind keine diätetischen Restriktionen im Hinblick auf die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit erforderlich.
Kinder ohne Allergierisiko müssen nicht auf Haustiere verzichten.
Eine Hausstaubmilbensanierung ist zur Primärprävention nicht zu empfehlen, zur Sekundär- und Tertiärprävention jedoch ratsam.
Eine höhere Anzahl älterer Geschwister, der Besuch einer Kindertagesstätte, das Aufwachsen auf einem Bauernhof mit Tieren sowie Wurminfektionen sind negativ mit Asthma assoziiert.
Aktive Tabakrauchvermeidung und striktes Meiden von Environmental Tobacco Smoke (ETS) ist die wichtigste Präventionsmaßnahme in der Schwangerschaft.
Allergische Sensibilisierung
Aufbau einer spezifischen Immunantwort nach Kontakt mit einem Fremdstoff
Kann der Entwicklung einer allergischen Erkrankung vorausgehen.
Kann v. a. in den ersten Lebensjahren ein normales und vorübergehendes Phänomen sein.12-14
Nicht jede allergische Sensibilisierung (durch Testverfahren diagnostiziert) entwickelt sich zu einer manifesten allergischen Erkrankung.
Natürlicher Verlauf
Personen mit allergischen Erkrankungen haben ein erhöhtes Risiko, weitere Allergien/Symptome zu entwickeln.12
Für Typ-I-Allergien („Sofort-Typ") wie Heuschnupfen und Neurodermitis ist die Produktion allergenspezifischer Immunglobulin-E-Antikörper charakteristisch.7
Sind diese sIgE im Blut nachweisbar, spricht man von allergischer Sensibilisierung (Atopie).
Bei anderen allergischen Erkrankungsbildern, z. B. dem allergischen Kontaktekzem, werden die allergischen Reaktionen über spezifische weiße Blutkörperchen (T-Zellen) vermittelt, und die Reaktionen finden verzögert statt (Typ-IV-Allergien).7
Entwicklung und Manifestation allergischer Erkrankungen beruhen auf einer komplexen Interaktion zwischen genetischen und verschiedenen begünstigenden Faktoren.
Laut der Nationalen Versorgungsleitlinie Asthma erhöhen folgende Risikofaktoren wahrscheinlich das Auftreten der Erkrankung:4
Vorhandensein anderer Erkrankungen des atopischen Formenkreises (z. B. Ekzem, Rhinitis)
positive Familienanamnese (Allergie, Asthma)
psychosoziale Faktoren.
Sekundärprävention
Eine frühe und korrekte Diagnose und Erkennung der allergischen Genese ist Voraussetzung für eine allergenspezifische Behandlung.16
Chancen durch eine frühzeitige, wirksame Behandlung bei bereits bestehender allergischer Erkrankung:
Symptomfreiheit
reduzierter Medikamenteneinsatz
höhere Lebensqualität
Verhinderung einer weiteren Symptomprogression und Krankheitsmanifestation.
Voraussetzung ist die sichere Identifizierung des spezifischen Allergens und die Möglichkeit der Allergeneliminierung.
Dies gilt insbesondere für Nahrungsmittel, Hausstaubmilben und Tierhaare.
Durch eine Verringerung der Menge an Hausstaubmilben-Allergenen lässt sich eine deutlich bessere Kontrolle einer Hausstaubmilbenallergie erreichen.3,17-20
Elimination von Reizstoffen
Bei Kindern mit allergischen Atemwegserkrankungen führt die Exposition gegenüber Tabakrauch zu:
Zunahme der Schwere der Symptome
Verschlechterung der Prognose
erhöhtem Medikamentenbedarf.
Vermeidung der Exposition gegenüber Tabakrauch ist eine wichtige präventive Maßnahme.21-22
Die SIT kann in unterschiedlichen Applikationsformen durchgeführt werden:
Die SCIT (subkutane Immuntherapie) wird mit s. c. Injektionen aufsteigender Allergenkonzentrationen durchgeführt.
Die SLIT (sublinguale Immuntherapie) wird mit einer sublingualen Gabe der Allergenlösungen durchgeführt.
Die Indikation zur SIT bei allergischem Asthma bronchiale wird insgesamt zurückhaltender gestellt als bei der allergischen Rhinokonjunktivitis.11
Die SIT sollte bei auf Therapiestufe 1 oder 2 kontrolliertem IgE-vermitteltem allergischem Asthma bronchiale als Therapieoption neben Allergenkarenz und Pharmakotherapie zur Anwendung kommen.
Ein unkontrolliertes Asthma bronchiale stellt eine Kontraindikation für die SIT dar.
Die SIT kann bei Patient*innen mit Rhinokonjunktivitis und Pollenallergie u. U. das Risiko, Asthma zu entwickeln, reduzieren.24
Dieser sekundärpräventive Aspekt stellt einen wichtige Grund für einen möglichst frühzeitigen Beginn der Therapie im Kindes- und Jugendalter dar.11
Das Ansprechen auf diese Therapie ist jedoch von Patient*in zu Patient*in sehr unterschiedlich.
Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie. Allergieprävention (DGAKI). AWMF-Leitlinie Nr. 061-016. S3, Stand 2014. www.awmf.org
NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale Versorgungsleitlinie Asthma Nr. nvl-002. 4. Aufl., Stand 2020. www.leitlinien.de
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma. AWMF-Leitlinie Nr. 020-009. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie. Allergieprävention. AWMF-Leitlinie Nr. 061-016, Stand 2014. www.awmf.org
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Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
Caroline Beier, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Zu den wesentlichen atopischen Erkrankungen gehören:1
das allergische Asthma
die allergische Rhinokonjunktivitis (Heuschnupfen) und
das atopische Ekzem.