Kreuzotter- und Aspisviperbiss

Zusammenfassung

  • Definition:Wenn beim Menschen ein Kreuzotterbiss oder ein Aspisviperbiss auftritt, ist die anfängliche Schädigung lokal an der Stelle des Bisses und kann sich zu einer systemischen Toxizität ausbreiten. Schlangen verwenden ihre Giftproduktion hauptsächlich zum Zielen auf Beute an, es ist aber auch eine Form der Selbstverteidigung.
  • Häufigkeit:Weltweit sind 1,2–5,5 Mio. Menschen von Schlangenbissen betroffen. Die Kreuzotter (Vipera berus) ist neben der Aspisviper die einzige Schlangenart in Deutschland mit einem giftigen Biss.
  • Symptome:Systemische Symptome können Bauchschmerzen, Erbrechen, Diarrhö und Dehydrierung, Blutdruckabfall, Tachykardie, Schwindel, Schockentwicklung, Atemnot/Stridor, Schwellungen im Gesicht und der Atemwege sein. Es kann auch zu Bewusstlosigkeit und Krämpfen, Reizbarkeit oder Apathie, unfreiwilligem Abgang von Urin und Kot kommen. Lokale Reaktionen können Schmerzen, violette Verfärbung der Haut, sich ausbreitende Schwellung, Blasenbildung auf der Haut, Lymphangitis oder Thrombophlebitis sein.
  • Befunde:Spuren eines Bisses an der Verletzungsstelle. Es kann zu lokalen Gewebeschäden wie Ekchymose, Blasenbildung oder sogar Gewebenekrose kommen.
  • Diagnostik:Identifizierung der Schlangenart, wenn möglich. Bisskanäle an der Bissstelle. Lokale oder systemische Symptome.
  • Therapie:Erste Hilfe vor Ort sollte darauf abzielen, die Betroffenen schnell zum nächsten Behandlungszentrum zu bringen.

Allgemeine Informationen

  • Die Kreuzotter (Vipera berus) ist neben der Aspisviper (Vipera aspis) die einzige Schlangenart in Deutschland mit einem giftigen Biss.
    • Die Kreuzotter hat in der Regel ein dunkles Zickzackmuster auf einem helleren Hintergrund, aber sie kann auch dunklere Farbkombinationen haben, die das Muster schwer erkennen lassen. Die Kreuzotter kann auch komplett schwarz sein.
      Kreuzotter
      Kreuzotter
    • Eine erwachsene Kreuzotter wird gewöhnlich 50–70 cm lang, kann jedoch bis zu 90 cm lang werden und wiegt. 
  • Die Aspisviper (Vipera aspis) ist in Deutschland nur im Südschwarzwald beheimatet. Außerdem ist sie in West-, Mittel- und Südeuropa zu finden.
    • Die Schlange bevorzugt sonnige, trockene und steinige Hänge (bis 3.000 m Höhe).1-2

ICPC-2

  • S13 Tier-/Menschenbiss

ICD-10

  • T63.0 Schlangengift Inkl.: Gift von Seeschlangen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Zunächst sind die einzigen Anzeichen für einen Kreuzotterbiss oder einen Aspisviperbiss zwei deutliche Bisskanäle an der Bissstelle.
    • Kreuzotterbisse und Aspisviperbisse sind für einen Erwachsenen gewöhnlich nicht lebensbedrohlich, aber Kinder, ältere Menschen, Schwangere und Kranke zeigen häufig schwerere Reaktionen.3-4
    • Nur 10–15 % der Bisse sind schwerwiegend.
    • Bei mindestens 30 % der Bisse wird kein Gift eingespritzt (trockene Bisse), und es tritt keine Reaktion auf.

Anamnese und Befunde

  • Reaktionen
    • Systemische Symptome beginnen gewöhnlich im Lauf von 1–2 Stunden, können jedoch auch schneller auftreten.
    • Lokale Reaktionen treten ebenfalls schnell – innerhalb einer halben bis zu 2–3 Stunden – auf und können sich über 2–3 Stunden weiterentwickeln.
      • Schmerzen
      • violette Verfärbung der Haut
      • Sich ausbreitende Schwellung, die schließlich die gesamte Extremität betreffen kann, evtl. übrige Teile des Körpers.
      • evtl. Blasenbildung auf der Haut, Lymphangitis, evtl. Thrombophlebitis
  • Neurotoxizität 
    • Direkte neurotoxische Giftwirkungen wie Ophthalmoplegie, teilweise oder vollständige Lid-Ptosis, Schluck- und Sprechstörungen, Parästhesien und Lähmungen der betroffenen Gliedmaßen werden vor allem bei Vipern-Bissen in Südeuropa beobachtet.5

Indikation zur Klinikeinweisung

  • Grundsätzlich sollen alle Patient*innen mit Kreuzotterbiss eingewiesen werden.
    • Der niedrigste Schwellenwert besteht für Kinder, Schwangere oder ältere Menschen mit eingeschränkter Gesundheit.
    • Betroffene mit Bissstellen außerhalb der Arme oder Beine – d. h. Rücken, Bauch, Brust, Kopf, Hals – sollen eingewiesen werden.
    • Patient*innen, die im Verlauf verwirrt werden, sollten stationär eingewiesen werden.

Therapie

Erstmaßnahmen am Unfallort

  • Patient*innen immobilisieren, während auf den Rettungsdienst gewartet wird.6 
  • Kleidung und alles andere, was zur Einengung oder Einschnürung an der Bissstelle führen könnte, entfernen, um Schäden durch Schwellungen zu vermeiden.7
  • Die Betroffenen beruhigen, da die meisten giftigen Schlangenbisse nicht zum Tod führen.7
  • Patient*innen so schnell wie möglich in ein Krankenhaus tansportieren.8
  • Traditionelle Erste-Hilfe-Methoden oder pflanzliche Arzneimittel vermeiden.7
  • Paracetamol kann zur Behandlung von lokalen Schmerzen verabreicht werden.7
  • Es kann Erbrechen auftreten, sodass es sinnvoll ist, die Person in die stabile Seitenlage zu legen.7
  • Atemwege und Atmung genau überwachen,
    Seitenlage
    stabile Seitenlage
    Reanimationsbereitschaft.7
  • Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wie nützlich es ist, die betroffene Extremität in eine Schiene zu legen und auf Herzhöhe zu halten. Dies sollte daher nur erfolgen, wenn der Transport nicht verzögert wird.9 
  • Druckverbände sind ein weiteres kontroverses Thema.
    • Wenn bekannt ist, dass die Identität der Schlangenart Neurotoxizität und keine lokale Gewebeschädigung verursacht, kann die Anwendung eines Druckverbandes die Ausbreitung des Giftes verlangsamen.
    • Wenn jedoch bekannt ist, dass das Gift lokale Gewebeschäden verursacht, kann die Implementierung des Druckverbandes die Schäden an der Extremität verschlimmern.
    • Die Anwendung eines Tourniquets in der Nähe der Bissstelle führt zu einer höheren Morbidität ohne Verbesserung der Ergebnisse, weshalb von dieser Praxis abgeraten wird.9

Therapie in der Arztpraxis oder in der Klinik

  • Die Bissstelle wird ruhig gehalten.
  • Tetanusprophylaxe, abhängig vom Impfstatus
  • Symptomatische Behandlung nach Bedarf 
  • Bei schweren Vergiftungen mit verbreiteten lokalen Veränderungen und systemischer Reaktion ist nur ein Antivenin wirksam.
  • Symptomatische Behandlung ist in vielen Fällen ausreichend.
    • Schmerzlinderung
    • Flüssigkeitsbehandlung für das Aufrechterhalten einer guten Diurese

Antivenin-Behandlung

  • Die generelle Gabe eines Schlangengift-Antiserums (z. B. Schlangengift-Immunserum Europa) wird nicht empfohlen, da die Gefahr eines Serumschocks größer sein kann als die Giftwirkung.10
  • Die Serumgabe wird von der Schwere der Vergiftung abhängig gemacht und sollte stationär erfolgen sowie mit einem Giftinformationszentrum abgestimmt werden.
  • Mögliche Indikationen zur Antivenin-Gabe
    • Systemische Reaktionen, die sich nicht schnell durch symptomatische Behandlung korrigieren lassen.
    • Komorbidität und Verschlechterung der Symptome
    • Koma, metabolische Azidose, Rhabdomyolyse, ausgeprägte Leukozytose, Hämolyse und Koagulationsstörungen
    • schnelle Progression der lokalen Symptome (z. B. Ödem an der Hand, das sich im Laufe weniger Stunden dem Ellbogen nähert)
    • besonders niedriger Schwellenwert für Risikogruppen (Kinder, Schwangere, ältere Menschen, geschwächter Allgemeinzustand)
    • V. a. Kompartmentsyndrom11

Bei Bewusstseinstrübung oder Atembeschwerden

  1. Atemwege freihalten, Kopf vorsichtig nach hinten beugen und Kinn anheben. Eng sitzende Kleidung lockern. Die Patient*innen sollten aufrecht sitzen und selbst die für sie angenehmste Position wählen.
  2. Falls die Person nicht aufrecht sitzen kann: Legen Sie sie auf die Seite, am besten in die stabile Seitenlage. Achten Sie darauf, dass sie weiter atmet.
  3. Hört die betroffene Person auf zu atmen: Beginnen Sie die Herz-/Lungen-Wiederbelebung.

Bei einer allergischen Reaktion

  • Verfügen die Betroffenen selbst über ein Allergiemedikament, sollten Sie bei der Einnahme helfen. Befolgen Sie die Dosierungsanleitung auf der Verpackung.
  • Bei schwerer allergischer Reaktion siehe Artikel Anaphylaxie, Erste Hilfe.

Patient*innen, die ACE-Hemmer oder Betablocker verwenden

  • Patient*innen, die ACE-Hemmer verwenden und von einer Kreuzotter gebissen wurden, sollen schnellstmöglich in eine Klinik transportiert werden.
  • Diese Arzneimittel können eine mögliche allergische Reaktion auf das Schlangengift verschlimmern.
  • Betablocker können auch solche allergischen Reaktionen verstärken, während im Zusammenhang mit Angiotensin-II-Antagonisten noch immer Unsicherheit besteht.

Überwachung/Nachbeobachtung

  • Wenn 2 Stunden nach dem Biss keine Symptome auftreten, weder lokale noch systemische, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um einen trockenen Biss handelt.
  • Erwachsene ohne Anzeichen einer Progression, die nur leichte Symptome zeigen, sollten 6–8 Stunden nachbeobachtet werden.
  • Kinder, die Symptome zeigen, sollen sofort eingewiesen und mindestens 24 Stunden nachbeobachtet werden.
  • Patient*innen mit ausgeprägten lokalen Symptomen, zunehmenden lokalen Reaktionen oder systemischen Reaktionen, müssen eingewiesen werden und mindestens 24 Stunden nachbeobachtet werden.

Weitere Informationen

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Seitenlage
stabile Seitenlage
Kreuzotter
Kreuzotter

Quellen

Literatur

  1. info fauna: Koordinationsstelle für Amphibien- & Reptilienschutz in der Schweiz (karch) 2006. Neuchâtel, 2006. www.karch.ch
  2. Vergiftungs-Informations-Zentrale Freiburg: Einheimische Giftschlangen Zugriff 2020. Freiburg, Zugriff 2020. www.uniklinik-freiburg.de
  3. Lauridsen MH. Hugormebid. Ugeskr Læger 2003; 165: 3087-91. PubMed
  4. Aakvik R, Refstad S, Ringstad LG, Jacobsen D. Hoggormbitt - forekomst og behandling. Tidsskr Nor Lægeforen 2004; 124: 1779-81. PubMed
  5. Meiera J, Rauber-Lüthyb Ch, Kupferschmidt H: Aspisviper (Vipera aspis) und Kreuzotter (Vipera berus): die medizinisch bedeutsamen Giftschlangen der Schweiz 2. Teil: Vorbeugung, Erste Hilfe und Behandlung von Bissunfällen. Schweiz Med Forum 2003; (34): 780-785. www.gifte.de
  6. Avau B, Borra V, Vandekerckhove P, De Buck E: The Treatment of Snake Bites in a First Aid Setting: A Systematic Review. PLoS Negl Trop Dis 2016; 10(10). pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. WHO: Health Topos - Snakebite. WHO, 2020. www.who.int
  8. Bayerisches Ärzteblatt: Achtung Schlange. München, 2019. www.bayerisches-aerzteblatt.de
  9. StatPearls Publishing: Evaluation and Treatment of Snake Envenomations. Treasure Island, 2020. www.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Giftzentrale Bonn. Kreuzotter. Bonn, Uniklinikum. Stand 2005, Zugriff Oktober 2015. gizbonn.de
  11. Roed C, Bayer L, Kjær AM et al. Kompartmentsyndrom efter hugormebid. Ugeskr.f.Læger 2009; 172: 327. bibliotek.dk

Autor*innen

  • Mana Schmidt-Haghiri, Dr. med., Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, München.
  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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