Zusammenfassung
- Definition:Angeborene Fußdeformität unbekannter Ursache, jedoch mit gewissen erblichen Komponenten.
- Häufigkeit:Die jährliche Inzidenz beträgt etwa 1–2 Fälle auf 1.000 Lebendgeburten.
- Symptome:Wird bei der Geburt erkannt.
- Befunde: Ferse in Varusstellung, Mittelfuß in Adduktion, Hohlfuß, Spitzfuß und die Außenkanten des Fußes zeigen nach unten. Doppelseitige Veränderungen in 50 % der Fälle.
- Diagnostik:Klinische Diagnose, keine weiteren Untersuchungen erforderlich.
- Therapie:Wird nach der Ponseti-Methode 6 Wochen lang mit Dehnung und wöchentlich erneuertem Gipsverband behandelt. Danach Nachtorthese bis zum Alter von 4 Jahren. Bei Restdeformität operative Korrektur.
Allgemeine Informationen
Definition
- Beim kongenitalen Klumpfuß (primärer idiopathischer Klumpfuß) handelt es sich um eine komplexe Fehlstellung im Talokalkanealgelenk, Talonavikulargelenk und Kalkaneokuboidgelenk („subtalarer Gelenkkomplex“) mit Kontrakturen der Gelenkkapseln und Sehnenverkürzungen unterschiedlicher Ausprägung.1
- PEVA ist eine Abkürzung des beschreibenden Namens dieser angeborenen Fehlbildung: Pes equinovarus adductus. Das Sprunggelenk steht spitz (Equinus, Spitzfuß) die Ferse im Varus und der Rest des Fußes in Adduktion.2
- Klumpfüße treten häufig in Verbindung mit einer Reihe von neuromuskulären Erkrankungen wie Spina bifida, Sakraldysgenesie, -agenesie, infantile Zerebralparese, Muskeldystrophie, Arthrogryposis multiplex congenita u. a. auf.
Häufigkeit
- Inzidenz: In West- und Mitteleuropa etwa 1–2 auf 1.000 Lebendgeburten.3
- Die Inzidenz liegt bei Jungen 2- bis 3-mal höher.4
- In etwa 50 % der Fälle sind die Veränderungen doppelseitig.2
Ätiologie und Pathogenese
- In den meisten Fällen ist die Ursache unbekannt.5
- Es gibt eine erbliche Komponente, aber der genaue Vererbungsmodus ist nicht bekannt.6
- Häufig mit neuromuskulären Erkrankungen verbunden:1
- Spina bifida, Zerebralparese, Arthrogryposis multiplex congenita, Muskeldystrophie
Prädisponierende Faktoren
- Wenn ein Kind mit Klumpfuß geboren wird, ist das Risiko für das nächste Kind stark erhöht und liegt bei 10 %.2,4
- Wenn ein Elternteil einen Klumpfuß hat, beträgt das Risiko eines Kindes etwa 3–4 %, und wenn beide Eltern Klumpfuß haben, liegt das Risiko bei etwa 30 %.
ICPC-2
- L82 Angeb. Anomalie muskuloskelet.
ICD-10
- Q66.0 Pes equinovarus congenitus Klumpfuß o.n.A.
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Typische angeborene Fehlstellung des Fußes:
- Spitzfußstellung
- Varusstellung der Ferse
- Adduktion von Mittel- und Vorfuß (Sichelfuß)
- Hypersupination (Fußaußenseiten zeigen nach unten)
- Hohlfuß (ausgeprägtes Längsgewölbe).
- Auffallend dünne Wadenmuskeln
- Bei einseitigen Fällen ist der betroffenen Fuß in der Regel kleiner als der gesunde.
Differenzialdiagnosen
- Vorfußadduktion (Ferse in Normalstellung)
Anamnese
- Die Diagnose wird bei der regulären klinischen Untersuchung kurz nach der Geburt gestellt.
- Die Diagnose wird immer öfter bereits bei der Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft gestellt.7
Klinische Untersuchung
- Spitzfußstellung im Knöchel, Varusstellung der Ferse und Adduktion von Mittel- und Vorfuß. Die Fehlstellungen sind teilweise korrigierbar; auffallend dünne Wadenmuskeln.
- Hüfte kontrollieren. Hüftdysplasie kommt bei Kindern mit Klumpfuß häufiger vor.8
Diagnostik beim Spezialisten
- Die Diagnose ist rein klinisch, Röntgenuntersuchung ist nicht erforderlich.
- Vor umfangreichen operativen Korrekturen eines Klumpfußes sollte aber stets eine standardisierte Röntgenaufnahme in 2 Ebenen erfolgen, frühestens nach dem 3. Lebensmonat.1
- Oft wird die Diagnose pränatal gestellt.7,9
Indikationen zur Überweisung
- Wird bei Diagnose unmittelbar an die nächste orthopädische Klinik, die über entsprechende Erfahrungen verfügt, überwiesen.
Therapie
Therapieziel
- Eine so normale Anatomie und Funktion wie möglich
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung beginnt schnellstmöglich nach der Geburt, in der Regel innerhalb der ersten 1–2 Wochen nach der Geburt.1
- Die Ponseti-Methode (s. u.) ist am besten dokumentiert und wird heute fast ausschließlich verwendet.10-11
- Der schwierigste Teil der Therapie ist meist die Orthesenbehandlung, die hohe Anforderungen an die Eltern stellt.
Empfehlungen für Patienten
- Die Motivation und Compliance der Eltern in Bezug auf die Orthesenanwendung bis zum Alter von 3–4 Jahren ist entscheidend für ein gutes Endergebnis.
Ponseti-Methode
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
- Dehnung und Eingipsen in der korrigierten Position beginnt möglichst bald nach der Geburt, in der Regel in der ersten Lebenswoche.
- Der Gips wird wöchentlich ausgewechselt und der Fuß in einer weiter korrigierten Lage erneut eingegipst.
- Dehnung und Eingipsen werden vom Orthopäden/von entsprechend ausgebildetem Fachpersonal durchgeführt.
- Nach 6 Wochen der Dehnung und Gipsbehandlung sind in der Regel die Varus- und Adduktionsfehlstellungen korrigiert.
- Der Gips wird wöchentlich ausgewechselt und der Fuß in einer weiter korrigierten Lage erneut eingegipst.
- Nun wird eine Achillessehnen-Tenotomie durchgeführt, um die Achillessehne zu verlängern und die restliche Equinusfehlstellung zu korrigieren. Bei über 90 % der Kinder wird diese Operation erforderlich und oft ambulant unter Lokalanästhesie durchgeführt.
- Nach der Operation wird für 3 Wochen ein Gips angelegt.
- Das Ziel ist, dass sich der Fuß nach der letzten Gipsbehandlung in der normalen Position befindet.
- Der letzte Teil der Behandlung ist eine Orthese, die aus einem Paar untereinander mit einer Schiene verbundenen Schuhen besteht. Auf beiden Seiten werden die Schuhe in Abduktion befestigt.
- Die Schiene wird 3 Monate lang, oder bis das Kind anfangen möchte zu krabbeln, rund um die Uhr verwendet.
- Danach wird die Schiene jede Nacht und während evtl. Schlafphasen tagsüber angelegt, bis das Kind 3–4 Jahre alt ist.
Chirurgische Behandlung
- Die Achillessehnen-Tenotomie wird bei fast allen Patienten, die nach dem Ponseti-Konzept behandelt werden, durchgeführt.
- In den Fällen, bei denen man das Ziel nicht durch Dehnung, Eingipsen und Orthesenbehandlung erreicht, können andere chirurgische Eingriffe erforderlich werden.
- Die häufigsten Operationen sind eine Erweiterung der Weichteilstrukturen und ein Tibialis-anterior-Sehnentransfer. In seltenen Fällen können Osteotomien erforderlich sein.
- Operationen sind häufiger erforderlich, wenn der Klumpfuß zusammen mit anderen Krankheiten auftritt.
Prävention
- Es gibt keine Möglichkeit, dieser angeborenen Krankheit vorzubeugen.
- Eine konsequente Verwendung der Orthese bis zum Alter von 3–4 Jahren hilft, Rückfälle der Fehlstellung zu verhindern.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Wenn die Erkrankung unbehandelt bleibt, führt dies zu erheblichen Behinderungen: Die Belastungsfläche liegt auf dem lateralen Fußrücken, und die Fußsohle ist nach oben gedreht.
- Unbehandelt können bereits in der 2. oder 3. Lebensdekade Arthrosen im oberen und unteren Sprunggelenk auftreten.1
Komplikationen
- Rückfälle treten bei bis zu 50 % der Fälle auf, gehäuft bei Patienten mit inital stark deformiertem Klumpfuß und einer Tragedauer der Schiene von weniger als 2 Jahren.12
- Daher nachts und während Schlaf- oder Ruhezeiten immer die Orthesen anwenden.
Prognose
- Die Prognose ist bei Verwendung der Ponseti-Methode sehr viel besser als bei der früher verwendeten chirurgischen Korrektur.
- 30-Jahre-Follow-up der Ponseti-Methode haben sehr gute oder gute Ergebnisse bei 78 % der Patienten gezeigt.13
- Bei der chirurgischen Behandlung werden – entsprechenden Ergebnissen in veröffentlichten Studien zufolge – nur bei 30–40 % erzielt.
- Nach erfolgreicher Behandlung hat der Fuß ein normales Aussehen und hält normalen Belastungen stand, aber die meisten haben das Gefühl, dass der Fuß ein wenig steif ist.
Verlaufskontrolle
- Die Behandlung erfordert häufige Verlaufskontrollen und Kontrollen durch Kinderorthopäden.
- Bei frühen Rückfällen zeigt die erneute Redressionsbehandlung mit Gipsanlage nach Ponseti gute Ergebnisse.1
- Bei späteren Rückfällen (im Alter von 4–6 Jahren) wird häufig ein Sehnentransfer oder knöcherner Eingriff erforderlich, um die Mechanik des Fußes zu verbessern.2
- Kontrolle der Fußstellung
- Kontrolle der Muskelbalance des Fußes
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Die Therapie ist langwierig und anspruchsvoll.
- Die Prognose ist bei den adäquat behandelten Kindern gut, sodass zufriedenstellende kosmetische und funktionelle Ergebnisse erzielt werden.
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Kongenitaler Klumpfuß. AWMF-Leitlinie Nr. 033-021, Stand 2012. www.kinderorthopaedie.org
- Patel M. Clubfoot. Medscape, last updated Apr 16, 2017. emedicine.medscape.com
- Westhoff B, Weimann−Stahlschmidt K, Krauspe R. Der kongenitale Klumpfuß. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3, 2008: 95±114. DOI 10.1055/s−2007−995690. derma.klinikum.uni-muenster.de
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- Gray K, Pacey V, Gibbons P, et al. Interventions for congenital talipes equinovarus (clubfoot). Cochrane Database Syst Rev. 2014;(8):CD008602. Cochrane (DOI)
- Goldstein R, Chu A, Sala D, et al. Age of Recurrence in Idiopathic Clubfoot Treated with the Ponseti Method. Bull Hosp Jt Dis 2017; 75(3): 193-97. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Cooper DM, Deitz FR. Treatment of idiopathic clubfoot: a thirty year follow-up note. J Bone Joint Surg AM 1995; 77: 1477-89. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Orthopädie und Unfallchirurgie, Münster
- Carl Johan Tiderius, docent och överläkare, Barnortopediska enheten, Ortopediska kliniken, Skånes universitetssjukhus
- Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL