Postpartale Blutung

Zusammenfassung

  • Definition:Postpartale Blutungen (> 500 ml) stellen eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation nach sowohl vaginaler Entbindung als auch nach Sectio dar.
  • Häufigkeit:Eine postpartale Blutung von über 500 ml tritt bei ca. 10 % aller Gebärenden auf. Eine schwere postpartale Blutung, definiert als Blutung > 1000 ml, kommt bei 1–2 % vor.
  • Symptome:Postpartale Blutung.
  • Befunde:Blutung, evtl. Schockentwicklung.
  • Diagnose:Zusatzuntersuchungen zur Beurteilung des Blutbilds.
  • Behandlung:Medikamentöse Behandlung, manuelle Kompression des Uterus, ggf. Intensivbehandlung und akute Operation, um die Blutung zu stoppen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Postpartale Blutungen stellen eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation nach sowohl vaginaler Entbindung als auch Sectio dar.
  • Traditionell wird eine postpartale Blutung als Blutverlust von über 500 ml bei einer vaginalen Entbindung und von über 1000 ml bei einer Sectio definiert.1
    • Eine unkomplizierte Entbindung kann häufig zu einem Blutverlust von über 500 ml führen, ohne dass die Mutter dadurch gefährdet ist.
    • Eine schwere postpartale Blutung liegt dann vor, wenn bei einer vaginalen Entbindung ein Blutverlust von über 1000 ml eintritt.
  • Es erscheint sinnvoll, jegliche Blutung mit Symptomen oder Anzeichen einer hämodynamischen Instabilität oder eine Blutung, die bei Nichtbehandlung zu hämodynamischer Instabilität führen kann, als postpartale Blutung zu definieren,
  • Postpartale Blutungen können in zwei Hauptkategorien eingeteilt werden:
    • frühe postpartale Blutung: tritt innerhalb von 24 Stunden nach der Entbindung ein
    • späte postpartale Blutung: tritt 24 Stunden bis 12 Wochen nach der Entbindung ein

Häufigkeit

  • Weltweit sterben jährlich rund 140.000 Frauen aufgrund von postpartalen Blutungen2; damit sind diese für 25 % aller maternalen Todesfälle verantwortlich.
  • Eine postpartale Blutung von über 500 ml tritt bei ca. 10 % aller Gebärenden auf; manche Quellen geben bis zu 18 % an.3
  • Eine schwere postpartale Blutung, definiert als Blutung > 1000 ml, kommt bei 1–2 % vor.4
  • Hysterektomien aufgrund postpartaler Blutungen sind selten
    • Massive Blutungen führen z.B. in Norwegen bei rund 0,2 von 1000 Geburten zu einer akuten Hysterektomie.5

Ätiologie und Pathogenese

  • Uterusatonie
    • Ist die häufigste Ursache (80–90 %).
    • Der Uterus zieht sich nach der Geburt nicht ausreichend zusammen, was zu anhaltender Blutung aus dem Bereich führt, an dem die Plazenta angehaftet war.
      • Die physiologische Blutungskontrolle post partum erfolgt durch Kontraktion des Myometriums, was zur Schließung der Spiralarterien beiträgt.
  • Traumen
    • Risse oder Lazerationen an Zervix und/oder Vagina6
    • Hämatombildung im Perineum- oder Beckenbereich
  • Koagulationsstörungen oder disseminierte intravaskuläre Koagulation (DIC)
  • Plazentaretention
    • Die gesamte Placenta oder Teile der Plazenta bleiben haften, was zu sowohl unmittelbaren als auch späteren Blutungen führen kann.
    • Eine Placenta accreta (am Myometrium festgewachsene Plazenta) kann die Ursache dafür sein, dass die Plazenta nicht spontan geboren wird.
  • Uterusinversion
    • Die Innenseite des Corpus uteri kehrt sich nach außen; dabei ist nicht klar, ob dies auf Zug an der Nabelschnur zurückzuführen ist.
  • Uterusruptur
    • Kann eine leichte vaginale Blutung, aber auch starke Abdominalschmerzen und eine unstabile Hämodynamik aufgrund von intraperitonealen oder retroperitonealen Blutungen auslösen.
  • Die wichtigsten Ursachen einer späten postpartalen Blutung:
    • Plazenta- und Eihautreste
    • Uterusinfektion: Endomyometritis im Wochenbett

Prädisponierende Faktoren

  • Risikofaktoren (nachstehende Odds Ratios (OR)7 , weitere Referenzen8-9
    • Verlängerte Austreibungsphase bei der Geburt (OR 7,6)
    • Präeklampsie (OR 5,0)
    • Frühere postpartale Blutungen (OR 3,5)
    • Mehrlingsschwangerschaft (OR 3,3)
    • Koagulationsstörungen oder Blutungserkrankungen
    • Übergewicht der Mutter und/oder hohes Alter
  • Eine postpartale Blutung kann allerdings bei jeder Geburt auftreten, auch ohne dass Risikofaktoren vorliegen.

ICPC-2

  • W17 Postpartale Blutung

ICD-10

  • O67 Komplikationen bei Wehen und Entbindung durch intrapartale Blutung, anderenorts nicht klassifiziert
    • O67.0 Intrapartale Blutung bei Gerinnungsstörung
    • O67.8 Sonstige intrapartale Blutung
    • O67.9 Intrapartale Blutung, nicht näher bezeichnet
  • O72 Postpartale Blutung
    • O72.0 Blutung in der Nachgeburtsperiode
    • O72.1 Sonstige unmittelbar postpartal auftretende Blutung
    • O72.2 Spätblutung und späte Nachgeburtsblutung
    • O72.3 Postpartale Gerinnungsstörungen
  • O73 Retention der Plazenta und der Eihäute ohne Blutung
    • O73.0 Retention der Plazenta ohne Blutung
    • O73.1 Retention von Plazenta- oder Eihautresten ohne Blutung

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Blutverlust von über 500 ml bei vaginaler Entbindung oder von über 1000 ml nach Sectio.
  • Schwere postpartale Blutung bei einem Blutverlust von über 1000 ml nach vaginaler Entbindung oder Absinken des postpartalen Hämatokritwerts um über 10 % gegenüber dem pränatalen Wert.1

Differenzialdiagnosen

  • Prüfen Sie auf folgende mögliche Ursachen:
    • Risse an Zervix oder Vagina
    • Koagulopathie der Mutter
    • retinierte Plazenta
    • Uterusatonie
    • Uterusinversion
    • Uterusruptur

Anamnese

  • Anormal starke postpartale Blutung

Diagnostische Fragestellungen

  • Klären Sie, ob es in der aktuellen Schwangerschaft ungewöhnliche Vorkommnisse gegeben hat, und fragen Sie nach früheren postpartalen Blutungen, Parität, früheren Mehrlingsschwangerschaften oder Polyhydramnion.
  • Liegt eine familiäre Koagulationsstörung vor?
  • Hatte die Patientin zuvor schon einmal starke Blutungen in Verbindung mit operativen Eingriffen oder während der Menstruation?
  • Nimmt die Patientin Medikamente gegen Hypertonie oder Herzerkrankungen?
  • Verwendet sie Antikoagulanzien als Thromboseprophylaxe?

Klinische Untersuchung

  • Blutung > 500 ml
  • Versuchen Sie die Ursache der Blutung zu eruieren.
    • Bimanuelle Palpation des Uterus: Anzeichen einer Atonie? vergrößerter Uterus? akkumuliertes Blut? Hämatome an Perineum oder im Becken?
    • Inspektion von Zervix und Vagina: Anzeichen von Rissverletzungen?
    • Untersuchung der Plazenta: Anzeichen von fehlendem Plazentagewebe?
    • Ziehen Sie eine Koagulopathie in Betracht, falls Blut aus kleineren Wunden oder Punktionen sickert.
  • Überwachen Sie Puls und Blutdruck: Anzeichen einer Schockentwicklung?
  • Kann eine schwere innere Blutung vorliegen (vaginales /intraabdominales/retroperitoneales Hämatom)?
  • bei Blutung > 1000 ml
    • intrauterine Palpation und Prüfung auf Risse an Collum, Vagina und Perineum
Blutungsmenge Blutdruck Symptome
500–1000 ml (10–15 %) normal Palpitationen, Benommenheit, leichte Tachykardie
1000–1500 ml (15–25 %) leichter Abfall schlapp, kalter Schweiß, Tachykardie
1500–2000 ml (25–35 %) 60–80 rastlos, blass, Oligurie
2000–3000 ml (35–45 %) 40–60 Kollaps, Atemnot, Anurie

Tonus

  • Uterusatonie ist die häufigste Ursache (ca. 70 %) von postpartalen Blutungen.10
  • Eine markante postpartale Blutung deutet auf eine Uterusatonie hin und sollte bimanuell untersucht werden.
  • Bei einem weichen Uterus wird eine Massage durchgeführt, indem man eine Hand in die Vagina einführt und vin hier mit der einen Hand Druck auf die Gebärmutter ausübt, während die andere Hand von oben durch die Bauchdecke auf den Fundus drückt.
  • Aortenkompression: Bei unkontrollierten Blutungen wird die Aorta mit der Faust gegen die Wirbelsäule komprimiert, indem man sich mit dem eigenen Gewicht auf die Patientin lehnt.

Traumen

  • machen weniger als 20 % aller Blutungen aus
  • dazu gehören Lazerationen, Episiotomie11, Hämatome, Uterusinversion und Uterusruptur6
  • Präpartal ist eine fetale Bradykardie das primäre Anzeichen einer Uterusruptur. Tachykardie und späte Dezelerationen sind ebenfalls Warnhinweise einer Uterusruptur. Dasselbe gilt für vaginale Blutungen, Druckempfindlichkeit des Abdomens, Tachykardie der Mutter, Kreislaufkollaps und zunehmende Auftreibung des Abdomens.12

Plazentaprobleme

  • machen weniger als 10 % der Blutungen aus
  • teilweise abgelöste oder retinierte Plazenta
  • retinierte Plazenta: die Plazenta wird nicht binnen 30 Minuten nach der Geburt des Kindes geboren
    • kommt in weniger als 3 % aller vaginalen Entbindungen vor.13

Koagulopathie

  • Ist sowohl eine Ursache als auch ein Resultat postpartaler Blutungen, da anhaltende erhebliche Blutungen unabhängig von ihrer Ursache zu einem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren sowie zur Hämodilution von verbleibenden Faktoren führen.14

Ergänzende Untersuchungen

  • Blutbild
    • Hb, Hk
    • Thrombozyten
  • Blutgruppenbestimmung
  • INR: Anzeichen von Gerinnungsstörungen? Faktoren II, VII, X prüfen.
  • Evtl. DIC-Screening
  • D-Dimer-Test
    • Liegen Anzeichen erhöhter Mengen von Fibrinabbauprodukten vor? Dies wäre ein Hinweis auf eine Gerinnungsstörung.

Andere Untersuchungen

  • Ultraschall
    • kann Anomalien der Gebärmutter oder unerkannte Hämatome aufdecken
  • Angiografie
    • kann zur Aufdeckung einer möglichen Embolisierung blutender Gefäße eingesetzt werden

Therapie

Therapieziel

  • Beherrschung der Blutung
  • Vermeidung weiterer Komplikationen.

Generelle Prophylaxe

  • Der prophylaktische Effekt ist gut dokumentiert.
  • Aktive Entbindung der Plazenta (aktiv im 3. Stadium der Entbindung) (Ia)15, regelmäßige Palpation und Massage des Uterus.
  • Uuteruskontrahierende Arzneimittel Oxytocin 5–10 IE i.m. und/oder Prostaglandinanaloga (Misoprostol) (Ia).3
    • Prophylaktische Effekte und die Behandlung anhaltender Blutungen sind gut dokumentiert., (Ia)
  • Bei Frauen mit früheren Nachgeburtsblutungen und anderen Risikofaktoren: ebenfalls Oxytocin 5 IE i.v. (kann evtl. einmal wiederholt werden). Höhere Dosierungen können zu einer Hypotonie der Mutter führen. An herzkranke Patientinnen nie unverdünnt verabreichen.

Erste Hilfe bei anhaltenden Blutungen

  • Holen Sie Hilfe
    • Umgehende Hilfe durch Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie zusätzliche Hebamme holen.
  • Rasche Inspektion und Exploration/Naht von Rissen sowie Uterusmassage.
    • Uterusmassage, falls die Plazenta noch nicht geboren wurde.
    • Fundus uteri massieren und beobachten, ob Plazenta kommt oder die Blutung nachlässt.
  • Sauerstoff
  • Blutproben: Hb, Hk, Thrombozyten. Blutprobe für Verträglichkeitsprüfung; evtl. Erythrozytenkonzentrate bestellen.
  • Sicherstellung einer leeren Harnblase, evtl. Katheter legen. Uterus mit Kugelzange fixieren und halten.
  • Patientin in Trendelenburg-Lagerung bringen, mit Beinen in Beinhalterungen.
  • Intravenöser Zugang durch zwei große (mindestens grüne) Venenkatheter.
    • Intravenöse Flüssigkeit zuführen, rasche Infusion: 0,9 % NaCl oder Ringerlösung (ca. 3-fache Menge des geschätzten Blutverlusts) oder künstliche Kolloide.
    • evtl. Bluttransfusion.
  • Manuelle Entfernung der Plazenta im Kreißsaal, falls möglich (gute PDA).
  • Bei Blutungen über 500–1000 ml Anästhesisten hinzuziehen (unterschiedliche Vorgehensweisen).
  • Überwachung
    • Formular für Blutdruck, Puls und Diurese
  • Eine uteruskontrahierende Behandlung wird parallel zu den obigen Punkten begonnen.(Ia)10,16

Vorgehensweisen bei weiterhin anhaltenden Blutungen

  • Verlegung der Patientin in den OP erwägen
  • manuelle Entfernung der Plazenta/Revision in Narkose
  • Vernähen tiefer Vaginal- oder Zervixrisse.
  • Blutproben: Hb, Hk, Thrombozyten, INR, APTT, D-Dimer, Fibrinogen, Antithrombin
  • Erythrozytenkonzentrate bestellen, evtl. humanes koagulationsaktives Plasma.
  • kontinuierliche bimanuelle Uterusmassage, evtl. durch Assistenzpersonal (von Anfang an)
  • Achtung bei PDA-Patientinnen im Präschock: sie verlieren die Fähigkeit zur vasokonstriktorischen Kompensation und haben warme untere Extremitäten.

Empfehlung: Algorithmus zum Management der postpartalen Blutung für den deutschsprachigen Raum

Therapiealgorithmus für den geburtshilflichen Notfall "Postpartale Hämorrhagie" für den deutschsprachigen Raum länderübergreifend (Deutschland – Österreich – Schweiz )17:

Step 1

  • Dauer max. 30 min nach Diagnosestellung
  • Blutverlust >500 ml nach vaginaler Geburt bzw. >1000 ml nach Sectio caesarea bei kreislaufstabiler Patientin
  • Procedere:
    • Hinzuziehen geburtshilflicher Facharzt und Vorabinformation der Anästhesie
    • 2 i.v.-Zugänge (mindestens 1 großlumiger)
    • Kreuzprobe, Notfalllabor, EK's bereitstellen
    • Volumengabe (z.B. Kristalloide/Kolloide)
    • Blase katheterisieren
    • Blutverlust messen
    • rasche Abklärung der Blutungsursache (4T's)
      • Uterustonus (Tonus-Atonie?)
      • Plazentainspektion (Tissue-Plazentarest?)
      • Speculumeinstellung (Trauma-Geburtskanal?)
      • Gerinnung (Thrombin-Laborwerte?)
    • Uteruskompression
    • Ultraschall
    • Medikamente:
      • Oxytocin 3–5 IE (1 Amp.) als Kurzinfusion und 40 IE in 30 min (Infusion/Perfusor) oder
      • Carbetocin (off label use) 100 µg (1 Amp.) in 100 ml NaCl 0,9% als Kurzinfusion
        • falls nicht ausreichend: Vorgehen bei starker persistierender Blutung analog STEP 2
      • Misoprostol (off label use) 800 µg (4 Tbl. á 200 µg) rektal bei moderat persistierender Blutung erwägen

Step 2

  • Dauer maximal weitere 30 min
  • Hinzuziehen Anästhesie, Alarmierung OP Team und Organisation des Op-Saals (= 60 min nach Diagnosestellung)
  • Indikation: anhaltend schwere Blutung, Patientin kreislaufstabil
  • OP-Vorbereitung
  • Ausschluss Uterusruptur
    • Nachtastung/Ultraschall (US)
  • bei V. a. Plazentarest (nach US oder Inspektion):
    • manuelle Nachtastung
    • ggf. Cürettage (unter Ultraschallkontrolle)
  • Bestellung, Bereitstellung und Kreuzen von
      • Fresh Frozen Plasma (FFP)
      • Erythrozytenkonzentrate (EK)
      • Thrombozytenkonzentrate (TK)
  • Medikamente:
    • Sulproston: 500 µg (1 Amp.; max. 3 Amp. pro 24 h) nur über Infusomat/Perfusor
    • Tranexamsäure: 2 g i.v. vor Fibrinogengabe
    • Bei persistierender schwerer Blutung (ca. 1500 ml Gesamtblutverlust)
      • Fibrinogen 2–4 g
      • FFP/EK erwägen

Step 3

  • Transferkriterien überdenken:
    • Fehlen von operativem oder interventionellem Equipment oder fehlende Anwesenheit von geschultem Personal
    • temporärer Blutungsstop durch Cavumtamponade
    • hämodynamische Transportstabilität der Patientin
    • existierende Standardvorgehensweise zwischen Zielkrankenhaus und transferierendem Krankenhaus 
  • Hinzuziehen von Oberarzt und Anästhesie
  • Information der bestmöglichen personellen Expertise
  • Indikation: 
    • therapierefraktäre schwere Blutung und kreislaufstabile Patientin oder
    • hämorrhagischer Schock
  • Ziel:
    • hämodynamische Stabilisierung, (temporärer) Blutungsstop
    • Optimierung von
      • Gerinnung und
      • Erythrozytenkonzentration
    • Organisation von Step 4
  • Maßnahmen:
    • Cavumtamponade
    • Ballonapplikation
      • Balloneinführung unter Ultraschallkontrolle
      • ausreichendes Auffüllen des Ballons (Sulproston weiter)
      • leichten Zug applizieren
      • alternativ Streifentamponade
    • Vorgehen bei Blutungsstop:
      • Intensivüberwachung
      • BALLONDEBLOCKADE nach 12–24 Std. (ggf. nach Transfer im Zentrum)
    • Persistierende oder erneute Blutung (Blutung bei liegendem Ballon oder nach Deblockade)
      • ggf. erneute Ballonapplikation („bridging")
      • obligat STEP 4
    • Zielkriterien
      • Hämoglobin > 8–10 g/dl (5–6,2 mmol/l)
      • Thrombozyten > 50 Gpt/l
      • RR systolisch > 80 mmHg
      • pH > 7,2
      • Temperatur > 35° C
      • Calcium > 0,8 mmol/l

Step 4

  • Hinzuziehen der bestmöglichen personellen Expertise
  • Definitive Versorgung/ (chirurgische) Therapie
  • Indikation: persistierende Blutung
  • Vorgehen bei Kreislaufinstabilität:
    • Blutstillung
      • Laparotomie
      • Gefäßklemmen
      • Kompression
    • Stabilisierung
      • Kreislauf
      • Temperatur
      • Gerinnung
      • eventuell rekomb. Faktor VIIa (off label use !): initial 90 µg/kg KG (Bolus),  ggf. Wiederholungsdosis bei persistierender Blutung nach 20 min
  • Vorgehen bei Kreislaufstabilität:
    • Definitive Chirurgische Therapie
      • Kompressionsnähte
      • Gefäßligaturen
      • Hysterektomie
      • Embolisation

 

 

Medikamentöse Therapie

  • Oxytocin ist die erste Wahl.
    • Reduziert das Auftreten postpartaler Blutungen um 40 %;18; diese Reduktion wird auch erzielt, wenn Oxytocin nach der Plazentageburt verabreicht wird.3,19
    • Oxytocin stimuliert die Kontraktion des Myometriums, wodurch die Spiralarterien komprimiert werden und die Blutzufuhr zum Uterus reduziert wird.
    • als Prophylaxe
      • Oxytocin 5 oder 10 IE
    • zur Behandlung anormaler postpartaler Blutungen
      • Oxytocin 10 IU i.m. oder i.v., oder 20 IU in 1 l Kochsalzlösung als Infusion mit einer Flussrate von 250 ml pro Stunde.20. Bis zu 500 ml kann ohne Komplikationen binnen 10 Minuten infundiert werden,.
  • Evtl. als zweite Wahl 15-Methyl-PGF-2alpha oder Misoprostol.21-22
    • Prostaglandine (Misoprostol) verstärken die uterine Kontraktiliät und wirken gefäßkontrahierend.23-24
      • Erhöhtes Auftreten von Nebenwirkungen (Zittern, Fieber) im Vergleich zu Oxytocin.10,25
    • Die Dosis für Misoprostol variiert zwischen 200 und 1000 µg und kann sublingual, oral, vaginal oder rektal verabreicht werden; in Deutschland ist Misoprostol nur als off-lable-Use erhältlich
    • Misoprostol ist effektiv und wird peroral verabreicht; es ist deshalb eine gute Alternative in Gebieten mit eingeschränktem Zugang zu medizinischen Ressourcen.26 (Ib)
    • Kann auch im Falle erneuter Blutungen bei Patientinnen verwendet werden, die prophylaktisch mit Oxytocin behandelt wurden.27 (Ib)
  • Bei Koagulopathie
    • z.B. bei bekannter Koagulationsstörung oder bei HELLP-Syndrom oder disseminierter intravaskulärer Koagulation28
    • Transfusion von gefrorenem Frischplasma erwägen und Behandlung des zugrunde liegenden Krankheitsprozesses
  • Bei Thrombozytopenie
    • Thrombozytentransfusion erwägen
  • Postpartale Anämie
    • Intravenöse Eisensubstitution führt zu 1 g/dl höherer Hämoglobinkonzentration 6 Wochen nach Geburt im Vergleich mit nur oraler Eisenzufuhr. 29

Sekundärbehandlung

  • evtl. direkter Druck über Rissen an Perineum, Vagina, Zervix, Uterus
  • Plazenta auf fehlendes Plazentagewebe hin prüfen. Ist retiniertes Plazentagewebe im Uterus die Erklärung?
    • Die Entfernung von retiniertem Gewebe kann schwierig und schmerzhaft sein.
    • Evtl. kann eine Injektion einer Lösung mit 20 ml NaCl und 20 IU Oxytocin in die Umbilikalvene versucht werden. Eine Metaanalyse hat dieser Intervention jedoch wenig Effekt bescheinigt. (Ia)30
  • Uterusmassage
    • Manuelle oder bimanuelle Uterusmassage durchführen.
    • Bei einem weichen Uterus wird die Massage durchgeführt, indem man eine Hand in die Vagina einführt und Druck auf den Corpus uteri ausübt, während die andere Hand von oben durch die Bauchdecke auf den Fundus drückt (Abbildung).
    • Dies regt zu Uteruskontraktionen an und kann die Blutung aus dem Uterus stoppen.31
    • Wenden Sie nicht zu viel Kraft an, dies könnte eine Uterusinversion auslösen.
  • Uterusinversion
    • Kommt selten vor (bei 0,05 % aller Geburten).
    • Schieben Sie den Uterus vorsichtig in die richtige Position zurück (Abbildung).
  • Uterusruptur
    • Kommt bei einem Uterus ohne Narben selten vor, hingegen bei 0,6–0,7 % aller vaginalen Entbindungen bei Frauen mit früherer Sectio.32-34
    • Eine induzierte Geburt oder ein aktives Holen des Kindes erhöht das Risiko.
    • Es wird eine sofortige Laparotomie mit operativer Behebung des Defekts oder eine Hysterektomie durchgeführt.
  • Hämatome
    • Es sind kleine Hämatome zu sehen.
    • Bei Patientinnen mit anhaltendem Volumenverlust trotz Flüssigkeitszufuhr sowie bei Patientinnen mit großen und wachsenden Hämatomen ist eine Inzision und Evakuierung des Hämatoms erforderlich.
    • Irrigieren Sie den betroffenen Bereich und ligieren Sie das blutende Gefäß.
    • Bei einer diffusen Sickerblutung sollte die Schließung schichtweise erfolgen, um eine sichere Hämostase zu erzielen und der Bildung von Taschen vorzubeugen, in denen sich Blut sammeln könnte.20
  • Falls einfachere Maßnahmen erfolglos sind
    • Operative Behandlung mittels B-Lynch-Naht, bei der der Uterus durch eine relative einfache Nahttechnik „zugeschnürt“ wird.
    • Als letzter Ausweg: operative Entfernung des Uterus.

Präventive Behandlung

  • Die beste präventive Strategie ist die aktive Überwachung und Kontrolle der Austreibungsphase der Geburt (NNT = 12)3,19,35
  • Eine routinemäßige Prophylaxe in Form von uteruskontrahierenden Medikamenten in der Nachgeburtsphase reduziert das Blutverlustrisiko und die Notwendigkeit etwaiger Bluttransfusionen.,
  • Schätzungen zufolge wurde die Anzahl schwerer postpartaler Blutungen in Norwegen mit der Einführung der routinemäßigen Blutungsprophylaxe von rund 900 auf 300 Fälle reduziert.
  • Misoprostol sollte nicht zur Reifung der Zervix oder zur Induktion eingesetzt werden, wenn man bei einer Frau mit früherer Sectio eine vaginale Geburt versucht.36

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Postpartale Blutungen treten meist relativ akut nach der Geburt auf, wobei in manchen Fällen das Bild weniger dramatisch, jedoch von längerer Dauer ist.

Komplikationen

  • Zu den häufigsten Komplikationen gehören eine orthostatische Hypotonie, Anämie und Schlappheit.
  • Erhöhtes Risiko einer postpartalen Depression.37
  • operative Intervention mit evtl. Hysterektomie.
  • disseminierte intravaskuläre Koagulation
    • Thrombozyten erniedrigt, INR und APTT erhöht, D-Dimer erhöht, Fibrinogen erniedrigt, Antithrombin erniedrigt
  • Schock
  • multiples Organversagen, insbesondere Nierenversagen, infolge von Kreislaufversagen38
  • Sheehan-Syndrom (Hypophyseninsuffizienz)
  • Asherman-Syndrom bei starker Schabung des Cavum uteri
  • Tod

Prognose

  • Abhängig von der Ursache, der Dauer der Blutung, der Größenordnung des Blutverlusts, prädisponierenden Faktoren sowie dem Effekt der Behandlung.
    • Entscheidend sind eine rasche Diagnose und Behandlung.
  • Bereits eine einzige postpartale Blutungsepisode erhöht das Risiko eines erneuten Auftretens bei einer weiteren Geburt.

Patientinneninformation

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

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  6. Conrad LB, Groome LJ, Black DR. Management of persistent postpartum hemorrhage caused by inner myometrial lacerations. Obstet Gynecol 2015; 126:266. PubMed
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Autoren

  • Julia Trifyllis, Dr. med., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Trondheim
  • Anja Pinborg, afdelingslæge, dr.med., Fertilitetsklinikken, Rigshospitalet (Lægehåndbogen)
  • Per Bergsjø, professor emeritus, dr. med., Universitetet i Bergen. Spesialist i kvinnesykdommer og fødselshjelp, forsker ved Nasjonalt folkehelseinstitutt, Oslo

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