Diabetische Retinopathie

Diabetische Retinopathie

  • Definition:Mikrovaskuläre Komplikation des Diabetes mellitus mit Visuseinschränkung durch retinale Gefäßveränderungen.
  • Häufigkeit:Prävalenz bei Patient*innen mit Typ-2-Diabetes 9–16 %, bei Typ-1-Diabetes 24–27 %.
  • Symptome:In der Regel schleichender, symptomarmer Sehverlust, bei Komplikationen plötzlicher Sehverlust (z. B. bei Glaskörperblutungen).
  • Befunde:In augenärztlicher Untersuchung der Retina u. a. Mikroaneurysmen, Blutungen, harte Exsudate oder Makulaödem.
  • Diagnostik:Regelmäßiges augenärztliches Screening bei allen Patient*innen mit Diabetes mellitus.
  • Therapie:Primär bestmögliche Diabetes-Kontrolle und Behandlung einer evtl. Hypertonie. Stadiengerechte augenärztliche Behandlung durch Lasertherapie, ggf. intravitreale Applikation von Medikamenten.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Mikrovaskuläre Komplikation des Diabetes mellitus1-2
  • Sehverlust (Visusminderung oder Verschlechterung einer anderen Sehfunktion) durch diabetisch bedingte Gefäßveränderungen (siehe Abschnitt Ätiologie und Pathogenese).1

Einteilung der Retinopathien 

  • Nichtproliferative (Simplex-)Retinopathie (NPDR)
    • Mikroaneurysmen, venöse Dilatation und Kaliberwechsel, retinale Blutungen, harte und weiche Exsudate, Ödeme
  • Proliferative Retinopathie (PDR)
    • Neubildung von Blutgefäßen aus dem retinaeigenen Blutversorgungssystem
  • Makulopathie
    • nichtproliferative Retinopathie mit Blutungen, Mikroaneurysmen, Exsudaten und Ödemen im Bereich der Makula

Häufigkeit

  • Prävalenz der diabetischen Retinopathie in Deutschland3
  • Prävalenz der diabetischen Makulopathie in Deutschland4
    • Typ-1-Diabetes: bis zu 10 %
    • Typ-2-Diabetes: 6 %
  • Prävalenz der erblindeten Patient*innen mit Diabetes in Deutschland3
    • 0,2–0,5 %
  • Deutliche Abhängigkeit der Retinopathierate von der Erkrankungsdauer (DMP Nordrhein 2007)5
    • Erkrankungsdauer < 3 Jahren: 2,4 %
    • Erkrankungsdauer 3–10 Jahre: 8,0 %
    • Erkrankungsdauer > 10 Jahre: 24,1 %

Ätiologie und Pathogenese

  • Der Sehverlust beruht auf den folgenden Gefäßveränderungen:1
    • pathologisch gesteigerte Kapillarpermeabilität
    • progressiver Kapillarverschluss mit Ischämie und Gefäßproliferation (ungeordnete retinale Gefäßneubildung) mit den Spätfolgen Glaskörperblutung, traktive Netzhautablösung und neovaskuläres Glaukom.
  • Netzhaut gilt entwicklungsgeschichtlich betrachtet als vorgeschobener Hirnteil.
    • Neuronale Komponenten können sich ‒ einmal zerstört ‒ nicht wieder regenerieren.
    • Schädliche Einwirkungen führen zu irreversiblen Schädigungen der Sehfunktion.
  • Bei Typ-1-Diabetes typischerweise Neovaskularisation (proliferative Retinopathie) und bei Typ-2-Diabetes Makulopathie (nichtproliferative Retinopathie)6

Retinopathie

  • Ursache für Retinaveränderungen ist Ischämie im Retinagewebe aufgrund einer Mikroangiopathie in retinalen präkapillären Arteriolen, Kapillaren und Venolen.
  • Pathogenese
    • Diabetische Retinopathie beginnt mit erhöhter vaskulärer Permeabilität, die allmählich zu vaskulären Okklusionen und Ischämie führt.
    • Ischämie führt zur Freisetzung neovaskulärer Polypeptide, die die lokale Proliferation der Blutgefäße in der Retina/Papille und in der Aderhaut (Iris und Kammerwinkel) stimuliert.
    • Makulopathie oder Ödem in der Makula wird durch aufgehobene Kapillarfunktion und erhöhte Permeabilität verursacht.

Ophthalmologische Befunde bei Retinopathie

  • Mikroaneurysmen
    • lokale Distension der Kapillarwände
    • häufig erste klinisch nachweisbare Anzeichen einer Retinopathie
    • Als kleine rote Flecken sichtbar, die temporal der Makula liegen (reversibel).
  • Blutungen
    • Büschel- oder flammenförmig in Retina sichtbar
    • häufig in Verbindung mit schwerer Hypertonie
  • Harte Exsudate
    • gelbe, wachsartige, verhältnismäßig scharf abgegrenzte Ablagerungen
    • an den Rändern von Bereichen mit chronischen Ödemen, häufig als kreisförmiges Muster rund um ein beschädigtes Gefäß
    • Beeinträchtigung des Sehvermögens, wenn harte Exsudate die Makula befallen.
    • Reversibel, wenn die Gefäßbeschädigung behandelt wird.
  • Retinaödeme
    • durch mikrovaskuläres Leck verursacht
    • Treten als gräuliche Bereiche retinaler Verdickungen auf.
    • Können wie blütenähnlich geformte Zysten auf der Makula aussehen und zu erheblichen Einschränkungen des Sehvermögens führen.
  • Retinale Ischämie
    • Typische Cotton-Wool-Herde: weiße Flecken mit leicht unscharfer Abgrenzung, die Mikroinfarkte darstellen.

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • F83 Retinopathie

ICD-10

  • H36.0 Retinopathia diabetica
  • E10.30+ H36.0* Diabetes mellitus Typ 1 mit Makulopathie/Retinopathie
  • E11.30+ H36.0* Diabetes mellitus Typ 2 mit Makulopathie/Retinopathie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Regelmäßiges Screening in augenärztlicher Praxis empfohlen, Koordination durch die behandelnden Hausärzt*innen oder Diabetolog*innen
  • Nachweis spezifischer Veränderungen wie Mikroaneurysmen, Exsudate und Blutungen in der Retina bei bestehendem Diabetes mellitus

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Erkrankung zeigt sich lange asymptomatisch, da Retinopathie anfänglich das Scharfsehen nicht beeinträchtigt.
  • Später unterschiedlich stark ausgeprägter Verlust des Sehvermögens

Warnzeichen, die auf Netzhautkomplikationen hindeuten

  • DDG nennt folgende Warnzeichen:4
    • Verschlechterung der Sehschärfe, die nicht durch Änderung der Sehhilfe behoben werden kann.
    • Leseschwierigkeiten bis zum Verlust der Lesefähigkeit
    • Farbsinnstörungen
    • allgemeine Sehverschlechterung im Sinne von Verschwommensehen
    • verzerrtes Sehen (Metamorphopsie)
    • „Rußregen“ vor dem Auge durch Glaskörperblutungen bis zur praktischen Erblindung durch persistierende Glaskörperblutungen oder bei traktiven Netzhautablösungen.

Frühverschlechterung (Euglycemic Reentry)

  • Frühverschlechterung der Retinopathie bei < 5 % der Patient*innen innerhalb der ersten 12 Monate nach Stoffwechselverbesserung4
    • Auf lange Sicht überwiegt der positive Effekt der Blutzuckerverbesserung.
  • Auftreten vor allem bei:4
    • langer Diabetesdauer (> 10 Jahre)
    • langfristig schlecht eingestelltem Blutzucker (HbA1c > 10 %)
    • vorbestehender Retinopathie.

Klinische Untersuchung (bei Spezialist*in)

  • Augenärztliche Untersuchung4
    • Sehschärfe
    • vorderer Augenabschnitt
    • Augenhintergrund mit binokular-biomikroskopischer Funduskopie (bei erweiterter Pupille)
    • Augendruck bei schwerer nichtproliferativer oder proliferativer Retinopathie, bei Iris-Neovaskularisationen
  • Optische Kohärenztomografie (OCT) optional zur Differenzialdiagnose einer Makulopathie oder obligat bei Vorliegen einer therapiebedürftigen diabetischen Makulopathie
    • nichtinvasives Verfahren
    • Ermöglicht quantitative Analyse sowohl des Spontanverlaufs der diabetischen Makulopathie als auch des Ansprechens oder Nichtansprechens auf eine Therapie.
  • Fluoreszein-Angiografie bei bestimmten Konstellationen einer fortgeschrittenen diabetischen Retinopathie oder Makulopathie.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Ärztliches Gespräch und Koordination1
    • Patient*innen über Problematik der Netzhautkomplikationen und Bedeutung der regelmäßigen Untersuchung, auch bei Beschwerdefreiheit, aufklären.
    • Koordination der regelmäßigen augenärztlichen Untersuchung und gezieltes Erinnern der Patient*innen
  • Untersuchungen während der normalen Kontrollen von Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, z. B. im Rahmen des DMP

Indikationen zur Überweisung

  • Die Hausärzt*innen koordinieren die Untersuchungen.
    • Diagnose und Verlaufskontrolle einer DR erfolgen bei Ophthalmolog*innen.
  • Regelmäßiges Screening auf diabetische Retinopathie empfohlen:1,7
    • bei Typ-1-Diabetes jährlich ab dem 11. Lebensjahr oder nach einer Diabeteserkrankungsdauer von 5 Jahren
    • bei Typ-2-Diabetes bei Patient*innen ohne Retinopathie zum Zeitpunkt der Diagnose und danach jährlich, in unkomplizierten Fällen alle 2 Jahre
    • Bei Anzeichen für eine beginnende Retinopathie sollten die Kontrollen individuell in kürzerem Abstand erfolgen.
    • Schwangerschaft: sofort bei Feststellung der Schwangerschaft, dann alle 3 Monate4
    • bei Therapieintensivierung mit Insulin (CSII, ICT) und mit GLP-1- Rezeptoragonisten sorgfältige Beachtung einer Retinopathieverschlechterung (keine explizite Angabe eines Untersuchungsintervalls)4
    • vor geplanter und nach schneller und deutlicher Blutglukosesenkung kurzfristige augenärztliche Überwachung (Gefahr der vorübergehenden Verschlechterung der Retinopathie: Frühverschlechterung)4

Formulare für die Überweisung

  • Vor jeder Untersuchung sollen sich die behandelnden Augenärzt*innen die vorliegenden Befunde über allgemeine Risikofaktoren für diabetisch bedingte Augenschädigung ansehen.1
  • Für die Weitergabe dieser Informationen Verwendung des standardisierten Dokumentationsbogens Hausärztliche/diabetologische Mitteilung.
  • Zur Dokumentation der augenärztlichen Untersuchung Verwendung des standardisierten Dokumentationsbogens Augenfachärztliche Mitteilung.

Therapie

Therapieziele

  • Vermeidung bzw. Reduzierung eines spürbaren Sehverlustes1
    • Diabetischen Retinaveränderungen vorbeugen.
    • Vorhandene Retinaveränderungen begrenzen.
  • Interventionen wie intensive Kontrolle von Blutzucker und Blutdruck können die Inzidenz einer diabetischen Retinopathie reduzieren, aber nicht immer Verlust des Sehvermögens verhindern.8

Hausärztliche Therapie

  • Wichtigste Maßnahmen sind normnahe Blutzuckereinstellung und Blutdrucknormalisierung.4

Glykämische Kontrolle

  • Während an Korrelation zwischen Ausmaß der diabetischen Stoffwechsellage (HbA1c) und Auftreten sowie Schweregrad einer Retinopathie kein Zweifel besteht9-10, war es durch Interventionen von Hausärzt*innen mit Ausnahme der UKPDS in keiner der großen Diabetes-Studien zu einer signifikanten Senkung der klinisch relevanten Endpunkte Visusverlust, Erblindung und Notwendigkeit der Lasertherapie bei Augenerkrankungen gekommen.1
    • In der UKPDS wurde zudem kein Effekt auf die Endpunkte Visusverlust bzw. Erblindung beobachtet, allerdings wurden in der intensiviert behandelten Gruppe weniger Lasertherapien durchgeführt.
  • In einem Cochrane-Review wurde die Effektstärke einer intensiven Glukosesenkung bei Patient*innen mit Typ-2-Diabetes analysiert.11
    • Retinopathie- und Photokoagulationsraten waren unter intensivierter Therapie jeweils geringer, aber verbunden mit Verdopplung des Hypoglykämie-Risikos.
  • Der HbA1c-Schwellenwert für Entstehen oder Progression einer Retinopathie ist nicht bekannt.1
    • Bei Typ-1-Diabetes besteht ein exponentieller Zusammenhang zwischen HbA1c und Retinopathie, bei Typ-2-Diabetes ein linearer.
    • HbA1c unter 7 % schließt nicht aus, dass Netzhautkomplikationen auftreten; umgekehrt bleiben einige Patient*innen mit dauerhaft erhöhtem HbA1c von   Retinopathie verschont.

Blutdruckkontrolle

  • Retinopathie-Inzidenz kann durch intensivierte Blutdrucktherapie innerhalb von 4–5 Jahren um 20 % reduziert werden.12
    • Eine Progressionshemmung einer bereits bestehenden Retinopathie durch antihypertensive Therapien konnte nicht nachgewiesen werden.
  • Empfehlungen zu bestimmtem Antihypertensivum können gegenwärtig nicht gegeben werden.
    • Eine Studie hat ergeben, dass Behandlung mit Angiotensin-II-Blockern (Candesartan) bei Patient*innen mit Typ-1-Diabetes ohne Hypertonie die Inzidenz einer Retinopathie reduzieren kann.13
      • Die Behandlung trug aber nicht zu reduzierter Progression einer bereits vorhandenen Retinopathie bei.
    • Einige Studie haben verzögerte Progression der Retinopathie bei Gabe von ACE-Hemmern nachgewiesen, andere Studien konnten dies nicht bestätigen.12

Lipidsenkende Behandlung?

  • Epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass Dyslipidämie das Risiko einer diabetischen Retinopathie erhöht.14-15
  • Bisher gibt es jedoch keine beweiskräftigen Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien zur Wirkung lipidsenkender Medikamente.

Antikoagulation

  • Die folgenden Aussagen stammen aus der NVL von 2015.1
  • ASS
    • Beeinflusst nicht den Verlauf einer diabetischen Retinopathie.
    • Das Vorliegen einer Retinopathie ist keine Kontraindikation für eine kardioprotektive Therapie mit ASS (Risiko einer retinalen Blutung nicht erhöht).
  • Clopidogrel
    • kein Effekt auf geringfügige Blutungsereignisse
  • Marcumar/Warfarin
    • stark erhöhtes Blutungsrisiko bei fortgeschrittener Retinopathie
  • NOAK
    • keine Daten zu Blutungsrisiko bei diabetischer Retinopathie

Spezielle augenärztliche Behandlung

  • Diabetische Retino- und/oder Makulopathie sollen stadiengerecht durch Augenärzt*innen überwacht und behandelt werden.1

Nichtproliferative diabetische Retinopathie (NPDR)

  • Bei milder oder mäßiger NPDR soll keine panretinale Lasertherapie angeboten werden.
  • Bei schwerer NPDR kann bei bestimmten Risikopatient*innen panretinale Laserkoagulation erwogen werden.

Proliferative diabetische Retinopathie (PDR)

  • Bei PDR soll eine panretinale Laserkoagulation erfolgen.
  • Wenn bei PDR kombiniert mit diabetischem Makulaödem ohne Foveabeteiligung fokale und panretinale Laserkoagulation indiziert ist, sollte man zunächst Makulopathie gezielt und dann PDR panretinal lasern.
  • Bei nicht resorbierender Glaskörperblutung oder drohender oder vorhandener traktiver zentraler Netzhautablösung soll eine Glaskörperentfernung (Vitrektomie) angeboten werden.

Diabetisches Makulaödem

  • Bei Vorliegen eines den Visus bedrohenden klinisch signifikanten diabetischen Makulaödems ohne Foveabeteiligung kann fokale Laserkoagulation angeboten werden.
  • Bei diabetischem Makulaödem mit Foveabeteiligung sollte intravitreale Medikamentengabe (IVOM) primär mit VEGF-Inhibitoren angeboten werden, wenn der morphologische Makulabefund einen positiven Effekt der IVOM auf dieSehfähigkeit erwarten lässt (Visusuntergrenze 0,05).
    • Sondervotum der DEGAM
      • Bei diabetischem Makulaödem mit Foveabeteiligung sollte eine intravitreale Medikamentengabe primär mit VEGF-Inhibitoren dann angeboten werden, wenn ein von den Patient*innen „erlebter Sehverlust“ vorliegt und Verbesserung der Sehfähigkeit noch möglich erscheint (Visusuntergrenze 0,05).
      • Bei Patient*innen ohne „erlebten Sehverlust“ mit diabetischem Makulaödem mit Foveabeteiligung kann eine intravitreale Medikamentengabe primär mit VEGF-Inhibitoren erwogen werden.
  • Bei unzureichendem oder fehlendem Ansprechen der intravitrealen Therapie mit VEGF-Inhibitoren kann eine intravitreale Therapie mit Steroiden angeboten werden.
  • Die Therapie mit intravitrealer Medikamenteneingabe soll beendet werden, wenn aufgrund der morphologischen und funktionellen Befunde keine Verbesserung der Sehfähigkeit mehr zu erwarten ist.
  • Bei diabetischem Makulaödem mit Foveabeteiligung kann alternativ zur IVOM wegen des geringeren Aufwandes und der geringeren Nebenwirkungen trotz des geringeren Nutzens eine Lasertherapie angeboten werden, wenn die Leckagestellen für die Laserkoagulation gut zugänglich sind.

Versorgung mit vergrößernden Sehhilfen

  • Wenn es zum Verlust der Lesefähigkeit mit normalen Sehhilfen gekommen ist, sollten bei stabiler Blutglukose-Situation und stabilem Augenbefund optische oder auch elektronische vergrößernde Sehhilfen angepasst werden.

Disease-Management-Programm (DMP)

Allgemeine Informationen

Ablauf

  • Nach Gesprächen, Untersuchungen und Diagnose erstellt die Ärztin oder der Arzt auf Grundlage von DMP-Vorgaben einen individuellen Therapieplan.17
    • Dieser umfasst u. a. die medikamentöse Behandlung und andere therapeutische Maßnahmen, Schulungstermine und regelmäßige Kontrolluntersuchungen, z. T. auch in anderen Praxen oder Kliniken.

Untersuchungen beim DMP Typ-2-Diabetes

  • Die notwendigen Untersuchungen orientieren sich an den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses.19
  • Berechnung der geschätzten glomerulären Filtrationsrate
    • mind. 1 x/Jahr
  • Augenärztliche Untersuchung einschließlich Netzhautuntersuchung
    • ein- oder zweijährlich (risikoabhängig)
  • Inspektion der Füße einschließlich klinischer Prüfung auf Neuropathie und Prüfung des Pulsstatus
    • mind. 1 x/Jahr
  • Untersuchung der Füße bei erhöhtem Risiko, einschließlich Überprüfung des Schuhwerks
    • sensible Neuropathie: mind. halbjährlich
    • sensible Neuropathie und Zeichen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und/oder Risiken wie Fußdeformitäten (ggf. infolge Osteoarthropathie), Hyperkeratose mit Einblutung, Z. n. Ulkus, Z. n. Amputation: mind. alle 3 Monate
  • Blutdruckmessung
    • vierteljährlich, halbjährlich
  • HbA1c-Messung
    • vierteljährlich, halbjährlich
  • Bei insulinpflichtigen Patient*innen Untersuchung der Spritzstellen auf Lipohypertrophie und der korrekten Injektionstechnik, bei starken Blutzuckerschwankungen auch häufiger
    • vierteljährlich, mindestens halbjährlich
  • Überprüfung auf psychische Begleiterkrankung (z. B. Depression)
    • keine genaue Vorgabe, möglichst bei jedem Besuch
  • Strukturierte Arzneimittelerfassung und Kontrolle auf mögliche Nebenwirkungen und Interaktionen
    • bei Einnahme von 5 oder mehr Arzneimitteln mind. 1 x/Jahr
  • Individuelle Beratung
    • Ernährungsberatung
    • Raucherberatung
    • Beratung zu körperlicher Aktivität
    • Stoffwechselselbstkontrolle

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Schleichend, lange asymptomatisch
  • Kann beim Typ-2-Diabetes schon zum Diagnosezeitpunkt vorliegen, tritt beim Typ-1-Diabetes meist erst nach einigen Erkrankungsjahren auf.

Komplikationen

  • Blutung im Corpus vitreum bei proliferativer Retinopathie 
    • Tritt plötzlich und ohne Schmerzen auf.
    • Blut löst sich üblicherweise innerhalb weniger Wochen auf, aber zugrunde liegende proliferative Retinopathie kann rezidivierende Blutungen und zunehmenden Verlust des Sehvermögens verursachen.
  • Netzhautablösung
  • Makulopathie
  • Katarakt
    • Linsenveränderungen entwickeln sich bei Patient*innen mit Diabetes früher und progredieren schneller.
  • Primär chronisches Offenwinkelglaukom
  • Rubeosis iridis und neovaskuläres Glaukom
    • Treten auf, wenn sich in der Iris und im Drainagewinkel in der vorderen Kammer neue Gefäße bilden.
  • Erblindung

Prognose

  • Prognose abhängig von der Kontrolle des Diabetes und Blutdrucks
  • Diabetesbedingte Erblindung sind durch neue Behandlungsmöglichkeiten mittlerweile sehr selten.

Verlaufskontrolle

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Relevanz einer adäquaten Diabetes- und Blutdruckkontrolle
  • Regelmäßige augenärztliche Kontrollen, auch bei Beschwerdefreiheit

Patienteninformationen 

Patientenorganisationen

Videos

Illustrationen

Diabetische Retinopathie: Makulaveränderungen mit Blutungen und Exsudaten (Cotton-Wool-Herde)
Diabetische Retinopathie: Makulaveränderungen mit Blutungen und Exsudaten (Cotton-Wool-Herde)

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Praxisempfehlung: Diabetische Retinopathie. Stand 2020. www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de
  • Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Leitlinie Nr. 057-013. S3, Stand 2018. www.awmf.org

Literatur

  1. NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes: Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen. AWMF-Leitlinie Nr. nvl-001b, Stand 2015 www.awmf.org
  2. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Therapie des Diabetes mellitus Typ 1. AWMF Leitlinie 057-013. S3, Stand 2018 www.awmf.org
  3. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen bei Diabetes. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 816-23. www.aerzteblatt.de
  4. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Praxisempfehlung: Diabetische Retinopathie. Stand 2020. www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de
  5. Nordrheinische Gemeinsame Einrichtung Disease-Management-Programme, Hagen B, Altenhofen L, et al. Qualitätssicherungsbericht 2013. Disease-Management-Programme in Nordrhein. Brustkrebs, Diabetes mellitus Typ 1/Typ 2, Koronare Herzkrankheit, Asthma/COPD. Düsseldorf: Nordrheinische Gemeinsame Einrichtung DMP; 2014. www.kvno.de
  6. Bhavsar AR. Diabetic Retinopathy. Medscape, last updated Dec 08, 2020. emedicine.medscape.com
  7. Echouffo-Tcheugui JB,Ali MK, Roglic G, et al. Screening intervals for diabetic retinopathy and incidence of visual loss: a systematic review. Diabet Med. 2013; 30(11):1272-92. PMID: 23819487. PubMed
  8. ACCORD Study Group; ACCORD Eye Study Group, Chew EY, Ambrosius WT, et al. Effects of medical therapies on retinopathy progression in type 2 diabetes. N Engl J Med 2010; 363: 233-44. PubMed
  9. UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). Lancet 1998; 352: 837-53. PubMed
  10. The DCCT/EDIC Research Group. Intensive Diabetes Therapy and Ocular Surgery in Type 1 Diabetes. N Engl J Med 2015; 372: 1722-33. doi:10.1056/NEJMoa1409463 DOI
  11. Hemmingsen B, Lund SS, Gluud C, et al. Targeting intensive glycaemic control versus targeting conventional glycaemic control for type 2 diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev 2013;11:CD008143 DOI: 10.1002/14651858.CD008143.pub3. www.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Do DV, Wang X, Vedula SS, et al. Blood pressure control for diabetic retinopathi. Cochrane Database Syst Rev 2015; 1: CD006127. doi:10.1002/14651858.CD006127.pub2 DOI
  13. Chaturvedi N, Porta M, Klein R et al, for the DIRECT programme study group. Effect of candesartan on prevention (DIRECT-Prevent 1) and progression (DIRECT-Protect 1) of retinopathy in type 1 diabetes: randomised, placebo-controlled trials. Lancet 2008; 372: 1394-1402. PubMed
  14. van Leiden HA, Dekker JM, Moll AC, et al. Blood pressure, lipids, and obesity are associated with retinopathy: the hoorn study. Diabetes Care 2002; 25: 1320-5. PubMed
  15. Klein R, Sharrett AR, Klein BE, et al, ARIC Group. The association of atherosclerosis, vascular risk factors, and retinopathy in adults with diabetes: the atherosclerosis risk in communities study. Ophthalmology 2002; 109: 1225-34. PubMed
  16. Fuchs S, Henschke C, Blümel M, et al. Disease-Management-Programme für Diabetes mellitus Typ 2 in Deutschland. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 453-63. www.aerzteblatt.de
  17. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Was sind Disease-Management-Programme (DMP)?. Stand 2016. Letzter Zugriff 12.04.21. www.gesundheitsinformation.de
  18. Kassenärztliche Bundesvereinigung. Praxisnachrichten. DMP für Osteoporose-Patienten auf den Weg gebracht. Februar 2020. Letzter Zugriff 17.04.2021. www.kbv.de
  19. Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Zusammenführung der Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme nach § 137f Absatz 2 SGB V. Stand 2021. Letzter Zugriff 12.04.2021. www.g-ba.de

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

 

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