Leberfunktionsstörung in der Schwangerschaft

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die Funktion der Leber kann in der Schwangerschaft gestört sein.
    • Dies kann auf schwangerschaftsspezifische oder schwangerschaftsunabhängige hepatische Manifestationen zurückzuführen sein.1
  • In der Schwangerschaft werden eventuell auffällige Leberwerte festgestellt.
    • Bei Schwangeren kann die alkalische Phosphatase erhöht sein, ohne dass dies ein Zeichen einer Lebererkrankung sein muss.
    • Die übrigen Leberenzyme sind bei einer unkomplizierten Schwangerschaft nicht verändert.
  • Juckreiz kann auf eine Beeinträchtigung der Leberfunktion hindeuten.

Häufigkeit

  • Bei bis zu 5 % der Patientinnen tritt im Laufe der Schwangerschaft Juckreiz auf. Dies kann ein Symptom einer Lebererkrankung sein.
  • Ein schwangerschaftsbedingter Juckreiz kann auch ohne eine Leberfunktionsstörung vorliegen. Bei Patientinnen mit derartigen Beschwerden (polymorphe Schwangerschaftsdermatose) ist häufig ein papulöser Ausschlag mit Elementen einer Urtikaria zu beobachten, der seinen Ursprung auf dem Abdomen hat.
  • Prävalenz hepatobiliärer Erkrankungen in der Schwangerschaft
    • Einer amerikanischen Studie zufolge tritt in knapp 1 % der Fälle eine schwangerschaftsspezifische Lebererkrankung (akute Fettleber, intrahepatische Cholestase, hepatorenales Syndrom) auf .2

Diagnostische Überlegungen

  • Veränderungen der Leberwerte in der Schwangerschaft können entweder auf eine primäre Leber- und Gallenwegserkrankung, von der auch nichtschwangere Patientinnen betroffen sein können, oder eine schwangerschaftsspezifische Erkrankung zurückzuführen sein.3
  • Im Rahmen der ersten Schwangerschaftskontrolle ist das Risikoprofil der Patientin zu beurteilen. Dies umfasst u. a. eine Ermittlung des Bedarfs eines Hepatitis-Screenings und etwaiger bekannter Leber- und Gallenwegserkrankungen.

ICPC-2

  • D97 Lebererkrankung NNB
  • W29 Schwangerschaftsbeschw., andere

ICD-10

  • O26 Betreuung der Mutter bei sonstigen Zuständen, die vorwiegend mit der Schwangerschaft verbunden sind
    • O26.6 Leberkrankheiten während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes

Differenzialdiagnosen

Schwangerschaftsbedingte Lebererkrankungen

Intrahepatische Schwangerschaftscholestase

  • Dies ist die häufigste schwangerschaftsbedingte Lebererkrankung.
  • Sie ist für die Patientin ungefährlich, kann aufgrund des starken Juckreizes, insbesondere auf den Handflächen und Fußsohlen, jedoch ausgesprochen unangenehm sein.
  • Es besteht ein erhöhtes Risiko einer Frühgeburt, eine erhöhte intrauterine Morbidität und eine erhöhte fetale Mortalität.
  • Zur Behandlung kann Ursodeoxycholsäure eingesetzt werden, was zu einer Linderung der Symptome, einer Normalisierung der Leberenzyme und möglicherweise auch zu einer Verringerung des Risikos für den Fötus führt.
  • Meist wird die Schwangerschaft in Woche 37–38 beendet.

HELLP-Syndrom

  • Dieses ist durch eine Hämolyse, erhöhte Leberenzyme und eine erniedrigte Thrombozytenzahl gekennzeichnet.
  • Häufig bestehen Schmerzen im oberen Abdomen.
  • Das Syndrom kann sowohl für die Mutter als auch für das Kind lebensbedrohlich sein.
  • Es ist eine sorgfältige Überwachung und Behandlung notwendig. Oftmals ist eine akute Entbindung indiziert.

Akute Schwangerschaftsfettleber

  • Diese ist durch eine akute Leberinsuffizienz gekennzeichnet, die sich innerhalb weniger Tage bis Wochen entwickelt.
  • Im weiteren Verlauf kommt es zu einem Multiorganversagen und einer Verbrauchskoagulopathie.
  • Die Erkrankung kann sowohl für die Mutter als auch für das Kind lebensbedrohlich sein.
  • Eine akute Entbindung und eine umfassende Intensivbehandlung sind notwendig.

Primäre Leber- und Gallenwegserkrankungen

Akute Virushepatitis

  • Eine Schwangerschaft hat keinen Einfluss auf den Verlauf einer akuten Virushepatitis.
  • Liegt bei der Patientin eine Hepatitis B vor, besteht ein erhöhtes Risiko einer intrauterinen Infektion.
  • Kinder von Patientinnen mit HbsAg-positiver Hepatitis B sollten nach der Geburt umgehend eine Immunprophylaxe und eine Impfung erhalten.
  • Bei Verwendung eines Hepatitis-B-Einzelimpfstoffs werden laut Robert-Koch-Institut insgesamt 3 Impfstoffdosen aus. 
  • Die Impfung des Kindes ist nach zwei und zwölf Monaten zu wiederholen.
  • Bei einer Hepatitis A oder C ist eine intrauterine Übertragung des Virus in der Regel nicht möglich.

Choledochusstein

  • Mitunter können sich in der Schwangerschaft Steine im Ductus choledochus bilden.
  • Typischerweise kommt es dann zu anfallsartigen Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen und einer gleichzeitigen Veränderung der Leberwerte.
  • Bei schwangeren Patientinnen kann bedenkenlos eine endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (ERCP) und eine Steinextraktion durchgeführt werden; das Risiko ist nicht höher als bei Nichtschwangeren.

Chronische Erkrankungen

  • Angeborene Lebererkrankungen
  • Autoimmunhepatitis
  • Zirrhose
  • Bei Patientinnen mit einer chronischen Lebererkrankung besteht häufig ein erhöhtes Komplikationsrisiko und eine erhöhte fetale Morbidität und Mortalität.

Anamnese

Besonders zu beachten

  • Es ist zu prüfen, ob die Patientin einer Risikogruppe einer bestimmten Lebererkrankung angehört.
  • Bei Hepatitis:
    • Intravenöser Drogenmissbrauch?
    • Auslandsaufenthalt?
    • Berufsbedingt erhöhtes Infektionsrisiko?
    • Stammt die Patientin aus einer Region, in der die Hepatitis endemisch ist?
  • Bei Choledochussteinen:
    • Familiäre Prädisposition für Gallensteine?
    • Übergewicht?
    • Hypercholesterinämie?
  • Bei chronischen Lebererkrankungen:
    • Vorausgegangene Untersuchungen auf anomale Leberwerte?

Klinische Untersuchung

Im Allgemeinen

  • Blutdruck
  • Abdomen
    • vergrößerte und/oder duckempfindliche Leber
  • Vaskuläre Veränderungen
    • Spider naevi und Palmarerytheme treten in der Schwangerschaft häufig auf und verschwinden normalerweise nach der Geburt.
    • Sie sind vermutlich auf eine Hyperöstrogenämie zurückzuführen.

Ergänzende Untersuchungen

In der Praxis

  • Urinuntersuchung auf Eiweiß mittels Teststreifen
  • Leberwerte
  • Veränderungen der Leberwerte infolge der Schwangerschaft
  • Ggf. serologische Untersuchung auf Hepatitis

Andere Untersuchungen

  • Ggf. Sonografie des oberen Abdomens
    • Abklärung von Gallensteinen bzw. Cholestase
    • Abklärung, ob ein Hepatitis-Screening notwendig ist
  • Eine Leberbiopsie ist nur selten erforderlich.1

Maßnahmen und Ratschläge

  • Die Angaben zur Mortalität liegen in verschiedenen Studien zwischen 0 und 25 %.1,4-6
    • Lebensbedrohlich sind die akute Schwangerschaftsfettleber und das HELLP-Syndrom.

Überweisungen

  • Schwangere Patientinnen mit einer Leber- und Gallenwegserkrankung sollten von einem Facharzt für Geburtshilfe in Zusammenarbeit mit einem Hepato- oder Gastroenterologen untersucht und ggf. beobachtet werden.

Checkliste zur Überweisung

Leberfunktionsstörung in der Schwangerschaft

  • Zweck der Überweisung
    • Bestätigende Diagnostik? Therapie? Sonstiges?
  • Anamnese
    • Gestationsalter? Erst- oder Mehrgebärende?
    • Gehört die Patientin einer Risikogruppe einer bestimmten Lebererkrankung an? Liegt ein unangenehmer Juckreiz vor?
    • Erkrankungen der Mutter: Hyperemesis, Präeklampsie, Blutung, Sonstiges?
    • Ungünstige Lebensweise: Rauchen, Alkohol, Drogen, Medikamente? Familiäre Prädisposition?
  • Klinischer Befund
    • Allgemeinzustand? RR, sonstige Besonderheiten in der Schwangerschaft
  • Zusatzuntersuchungen
    • Urinuntersuchung auf Eiweiß mittels Teststreifen; GPT, alkalische Phosphatase, Bilirubin; bei Verdacht auf intrahepatische Cholestase: Gallensäuren im Blut
    • Ggf. serologische Untersuchung auf Hepatitis

Quellen

Literatur

  1. Bacq Y, Lee RH. Approach to liver disease occurring during pregnancy. UpToDate, last updated Apr 16, 2015. UpToDate
  2. Ellington SR, Flowers L, Legardy-Williams JK, et al. Recent trends in hepatic diseases during pregnancy in the United States, 2002-2010. Am J Obstet Gynecol 2015; 212:524.e1.
  3. Sandhu BS, Sanyal AJ. Pregnancy and liver disease. Gastroenterol Clin North Am 2003; 32: 407-36. PubMed
  4. Knight M, Nelson-Piercy C, Kurinczuk JJ, et al. A prospective national study of acute fatty liver of pregnancy in the UK. Gut 2008; 57:951. Gut
  5. Nelson DB, Yost NP, Cunningham FG. Acute fatty liver of pregnancy: clinical outcomes and expected duration of recovery. Am J Obstet Gynecol 2013; 209:456.e1.
  6. Reau N. Finding the needle in the haystack: predicting mortality in pregnancy-related liver disease. Clin Gastroenterol Hepatol 2014; 12:114. PubMed

Autoren

  • Julia Trifyllis, Dr. med., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Trondheim (Anpassung für NEL)
  • Maria Sennström, överläkare, Kvinnokliniken, Karolinska universitetssjukhuset (Medibas)

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