Solitäre Knochenzyste

Zusammenfassung

  • Definition:Knochenzysten sind gutartige tumorähnliche meist flüssigkeitsgefüllte Läsionen des Knochens. Unterschieden wird in einfache (juvenile) Knochenzysten und aneurysmatische Knochenzysten.
  • Häufigkeit:Die meisten Zysten treten in den ersten beiden Lebensdekaden auf. Jungen sind insbesondere bei der juvenilen Knochenzyste etwas häufiger betroffen.
  • Symptome:Häufig sind die Knochenzysten asymptomatisch, sofern nicht eine Fraktur als Komplikation auftritt. Es zeigen sich aber auch lokale z. T. schmerzhafte Schwellungen. 
  • Untersuchung:Ggf. lokale Schmerzen und Schwellung oder klinischer Hinweis auf eine Fraktur.
  • Diagnostik:Nativ-Röntgen der betroffenen Region in 2 Ebenen.
  • Therapie:Die Therapie richtet sich nach Lokalisation, Art und Größe der Knochenzyste sowie nach Frakturrisiko bzw. Vorhandensein einer Fraktur. Ein konservativ abwartendes Vorgehen ist ggf. möglich. Als operatives Verfahren wird die Kürettage (auch zur histologischen Sicherung) in Kombination mit anderen Maßnahmen (Auffüllen des Hohlraums mit Fremdknochen bzw. Knochenersatz, Stabilisierung mittels Marknagel) empfohlen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Knochenzysten sind gutartige tumorähnliche meist flüssigkeitsgefüllte Läsionen des Knochens. Unterschieden wird in einfache (juvenile) Knochenzysten und aneurysmatische Knochenzysten. Weiterhin erfolgt die Einteilung nach radiologischem Befund bzw. dem Ergebnis einer Therapie.1
    • Juvenile Knochenzysten sind einkammerige mehrere Zentimeter große osteolytische Knochenläsionen, die von einer Membran umgeben sind und meist zentral in den Metaphysen der großen Röhrenknochen liegen. Im Inneren findet sich seröse oder nach Fraktur blutig-seröse Flüssigkeit.2
    • Aneurysmatische Knochenzysten sind tumorartige osteolytische Läsionen mit Hohlräumen, die durch Bindegewebssepten unterteilt sind. Häufig ist die exzentrische Lage metadiaphysär mit einer typisch blasig aufgetriebenen stark verdünnten Kortikalis („Blow out"-Phänomen).1

Häufigkeit

  • Ca. 65 % der juvenilen Knochenzysten treten im 1. bzw. 20 % im 2. Lebensjahrzehnt auf, die Prävalenz liegt bei 0,3:100.000/Jahr. Das Geschlechtsverhältnis m:w ist ca. 2:1. Prädilektionsstellen sind die proximale Humerusmetaphyse (50–70 %) und die proximale Femurmetaphyse (25 %). Je nach Wachstum liegen die Zysten anfangs unmittelbar an der Wachstumsfuge („aktive Zyste“) und rücken zunehmend in die Diaphyse („latente Zyste“).1
  • Die Prävalenz der aneurysmatischen Knochenzyste wird mit 0,32:100.000/Jahr, die Inzidenz mit 1,4:100.000 angegeben. Das Alter liegt in ¾ der Fälle zwischen 5 und 20 Jahren; die Geschlechtsverteilung wird meist als ausgeglichen angegeben. Aneurysmatische Knochenzysten können in nahezu allen Knochen auftreten, bevorzugt sind die langen Röhrenknochen (Femur, Tibia, Humerus) gefolgt von Wirbelsäule und Beckenknochen.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ursachen sind nicht sicher bekannt.
  • Bei der aneurysmatischen Knochenzyste werden genetische Translokationen beschrieben, die mit der Reifung von Osteoblasten, Osteolyse, Inflammation und Neovaskularisation zu tun haben.3-4 Auf zellulärer Ebene wurden vielkernige osteoklastenähnliche Riesenzellen nachgewiesen.5

ICD-10

  • M85.4- Solitäre Knochenzyste (z.B. juvenile Knochenzyste)
    • M85.40 Solitäre Knochenzyste; mehrere Lokalisationen
    • M85.41 Solitäre Knochenzyste; Schulterregion
    • M85.42 Solitäre Knochenzyste; Oberarm
    • M85.43 Solitäre Knochenzyste; Unterarm
    • M85.44 Solitäre Knochenzyste; Hand
    • M85.45 Solitäre Knochenzyste; Beckenregion und Oberschenkel
    • M85.46 Solitäre Knochenzyste; Unterschenkel
    • M85.47 Solitäre Knochenzyste; Knöchel und Fuß
    • M85.48 Solitäre Knochenzyste; Sonstige Region
    • M85.49 Solitäre Knochenzyste; Nicht näher bezeichnete Lokalisation
  • M85.5- Aneurysmatische Knochenzyste
    • M85.50 Aneurysmatische Knochenzyste; Mehrere Lokalisationen
    • M85.51 Aneurysmatische Knochenzyste; Schulterregion
    • M85.52 Aneurysmatische Knochenzyste; Oberarm
    • M85.53 Aneurysmatische Knochenzyste; Unterarm
    • M85.54 Aneurysmatische Knochenzyste; Hand
    • M85.55 Aneurysmatische Knochenzyste; Beckenregion und Oberschenkel
    • M85.56 Aneurysmatische Knochenzyste;Unterschenkel
    • M85.57 Aneurysmatische Knochenzyste; Knöchel und Fuß
    • M85.58 Aneurysmatische Knochenzyste; Sonstige
    • M85.59 Aneurysmatische Knochenzyste; Nicht näher bezeichnete Lokalisation

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose wird bei Vorliegen entsprechender Beschwerden durch den radiologischen Zystennachweis (Röntgen in 2 Ebenen) gestellt. Fakultativ kann ein CT oder ein MRT erfolgen.1
    • Bei der aneurysmatischen Knochenzyste sind Flüssigkeitsspiegel innerhalb der Zysten richtungsweisend. Bei der Kombination von Röntgen und MRT werden eine Sensitivität von 82,6 bzw. eine Spezifität von 70 % erreicht.
    • Bei der junvenilen Knochenzyste zeigte die Röntgenaufnahme eine zentral sitzende, scharf berandete, strahlentransparente Läsion mit sklerosiertem Rand. Eine Ausdehnung in die Epiphyse ist ungewöhnlich, ebenso überschreitet der Durchmesser die Breite der benachbarten Wachstumsfuge nicht. In 20 % der Fälle findet sich ein eingebrochenes („Fallen Fragment Sign“) oder ein in die Zyste hineinragendes Fragment („Türflügelzeichen“). Eine Periostreaktion tritt nur nach Fraktur auf.2

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • In der Regel sind Kinder und junge Menschen betroffen.
  • Solitäre Knochenzysten sind für gewöhnlich asymptomatisch, sofern nicht eine Fraktur als Komplikation auftritt. Manchmal werden lokale Schwellungen und Schmerzen unabhängig vom Vorliegen einer Fraktur beschrieben.
  • Als mögliche Symptome können lokale Schmerzen, ein schmerzbedingt hinkender Gang oder Funktionsverlust der Extremität vorliegen.
  • Die Möglichkeit einer Knochenzyste sollte insbesondere bei Frakturverdacht bei inadäquatem Trauma in Betracht gezogen werden.

Klinische Untersuchung

  • Die klinische Untersuchung zeigt bei asymptomatischen Knochenzysten meist keinen wegweisenden Befund.
  • Bei einer Fraktur liegen die typischen Symptome wie Schmerzen, Funktionseinschränkung und begleitende Schwellung vor.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Keine

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Röntgen
    • Die native Röntgen-Untersuchung in 2 Ebenen der betroffenen Region ist das Standardverfahren.
  • CT und MRT
    • Bei der juvenilen Knochenzyste ist die Computertomografie bei atypischen Lokalisationen bzw. im Beckenbereich hilfreich. Das MRT zeigt die exaktere Ausdehnung der Zyste.2
    • Bei der aneurysmatischen Knochenzyste kann ein CT (20–78 HE der Zyste) oder ein MRT, das zumeist die spezifischere Diagnose erlaubt, erfolgen. Diagnostisch richtungweisend sind nachweisbare Flüssigkeitsspiegel innerhalb der Zysten. Bei der Kombination von RÖ und MRT werden eine Sensitivität von 82,6 bzw. eine Spezifität von 70 % erreicht.1
  • Feinnadelbiopsie
    • Feinnadelbiopsien können insbesondere bei aneurysmatischen Knochenzysten zu Fehldiagnosen führen.6 Deshalb wird eine offene Biopsie empfohlen.1

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Nachweis einer Knochenzyste, bei Fraktur- oder Tumorverdacht frühzeitig an Orthopädie

Therapie

Therapieziele

  • Verhinderung pathologischer Frakturen, Unterstützung der Abheilung der Zyste und Verhinderung von Rezidiven oder erneuten Frakturen
  • Ausschluss möglicherweise maligner Differenzialdiagnosen
  • In der hausärztlichen Betreuung geht es um die Beratung der betroffenen Person und der Angehörigen.

Allgemeines zur Therapie

  • Mögliche Therapien bei solitären Knochenzysten sind Abwarten, Kürettage in Kombination mit stabilisierenden Verfahren (Osteosynthese) und Auffüllen der Defekthöhle.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Um pathologische Frakturen zu verhindern, ist häufig eine Einschränkung der körperlichen Aktivität notwendig.

Therapieverfahren

Therapie-Algorithmus1

  • Aufklärung der betroffenen Person (und Eltern) über die möglichen Behandlungsalternativen
    • Ohne Nachweis einer Fraktur oder bei nur gering dislozierter Fraktur sowie bei eher kleiner Zyste ist ein konservatives Vorgehen möglich.
    • Bei großer Zyste ohne oder mit nur gering dislozierter Fraktur sowie geringer körperlicher Aktivität oder Angst vor einer OP ist ebenfalls ein konservativer Therapieversuch möglich.
      • Handelt es sich um eine körperlich aktive Person oder besteht Sorge vor einer (Re-)Fraktur ist die Osteosynthese und Kombinationsbehandlung indiziert.
    • Bei dislozierter Fraktur wird die Osteosynthese + Kombinationsbehandlung empfohlen.
    • Die Indikation zur Therapie/Osteosynthese an der unteren Extremität ist bei Frakturgefahr generell häufiger gegeben, da die Belastung höher ist.
    • Bei Kalkaneus-Zyste sollte mittels Kürettage und Auffüllen der Zyste (ggf. Osteosynthese) behandelt werden.

Operative Kombinationsbehandlung

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Die Kürettage in Kombination mit weiteren Maßnahmen konnte zeigen, dass sie ohne wesentliche Nebenwirkungen die Ausheilung der Zysten beschleunigt und die Diagnose histologisch gesichert werden kann. Kombiniert wird sie mit:
    • Die ESIN-Osteosynthese (elastisch stabile intramedulläre Nagelung) mit Titan-Drähten führt bei großen Zysten und insbesondere bei Frakturen
      zur sofortigen Übungsstabilität im Bereich der langen Röhrenknochen.
      • Als alleinige Maßnahme ist sie nicht ausreichend.
      • Nach Konsolidierung der Knochenzyste erfordert die Nagelentfernung einen erneuten Eingriff.
    • Eine komplette Füllung der Zysten mit Fremdknochen bzw. Knochenersatz verringert das Risiko einer Residualzyste bzw. eines Rezidives.

Nicht mehr allgemein empfohlene Maßnahmen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Konservative Therapie (außer bei symptomlosen Zysten < 1/10 der Knochenlänge)
  • Zystenresektion
  • Instillation von Kortison
  • Dekompressionsschrauben oder ESIN-Osteosynthese als singuläre Maßnahme
  • Alleinige Kürettage
  • Spongiosaplastik bzw. die Kombination Spongiosaplastik + Kortison

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Nach einer Fraktur heilen ca. 15 % der Zysten spontan unter konservativer Therapie aus, wobei Refraktur(en), Wachstumsstörungen und Deformitäten auftreten können.7

Komplikationen

  • Fraktur

Prognose

  • Die multimodale Therapie aus Kürettage, ESIN-Osteosynthese und lokaler Defektauffüllung durch autologen Knochen bzw. Knochenersatzstoffen zeigt bei juveniler und aneurysmatischer Knochenzyste eine Ausheilungsrate von 80 %.1

Illustrationen

Juvenile Knochenzyste.jpeg
Fraktur bei juveniler Knochenzyste (Humeruskopf). Quelle: Wikipedia
 
Aneurysmatische Knochenzyste.jpg
Links: Aneurysmatische Knochenzyste der Fibula. Rechts: 2 Monate nach Kontinuitätsresektion und Überbrückung mit Knochenspan aus der Tibia (Quelle: Wikipedia).

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie. Knochenzysten. AWMF-Leitlinie Nr. 006-029. S1, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie. Knochenzysten. AWMF-Leitlinie Nr. 006-029. S1, Stand 2019. www.awmf.org
  2. Greenspan A, Remagen W. Knochentumoren. Differenzialdiagnose in Radiologie und Pathologie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2002.
  3. Lau AW, Pringle LM, Quick L, et al. TRE17/ubiquitin-specific protease 6 (USP6) oncogene translocated in aneurysmal bone cyst blocks osteoblastic maturation via an autocrine mechanism involving bone morphogenetic protein dysregulation. J Biol Chem 2010;285:37111-20. PubMed
  4. Ye Y, Pringle LM, Lau AW, et al. TRE17/USP6 oncogene translocated in aneurysmal bone cyst induces matrix metalloproteinase production via activation of NF-kappaB. Oncogene 2010;29:3619-29. PubMed
  5. Palmerini E, Ruggieri P, Angelini A, et al. Denosumab in patients with aneurysmal bone cysts: A case series with preliminary results. Tumori 2018;104:344-51. PubMed
  6. Creager AJ, Madden CR, Bergman S, Geisinger KR. Aneurysmal bone cyst: fine-needle aspiration findings in 23 patients with clinical and radiologic correlation. Am J Clin Pathol 2007;128:740-5. PubMed
  7. Donaldson S, Wright JG. Recent developments in treatment for simple bone cysts. Curr Opin Pediatr;23:73-7. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Christoph, Allerlei, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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