Harninkontinenz bei Männern

Blasenschwäche ist kein reines Frauenproblem. Vier von hundert Männern über 65 Jahre leiden an unkontrolliertem Harnabgang. Die Mehrzahl der Patienten verspürt gleichzeitig häufigen und starken Harndrang. Ursache ist bei vielen eine Vergrößerung der Prostata, die zu einer überaktiven Harnblase führt. Harninkontinenz kann je nach Ursache durch Beckenbodentraining, Medikamente oder eine Operation gebessert werden.

Harninkontinenz beim Mann – Unterschiede zur weiblichen Blasenschwäche

Bei einer Inkontinenz kommt es zu einem unwillkürlichen Harnverlust. Harninkontinenz kommt bei Männern nicht so häufig vor wie bei Frauen. In der Altersklasse der unter 65-Jährigen berichten nur 2 % der Männer von einer so starken Inkontinenz, dass sie ihre Unterwäsche wechseln müssen. Dieser Anteil verdoppelt sich bei Patienten über 65 Jahre. Bei Männern über 80 Jahre ist die Häufigkeit in etwa so hoch wie bei Frauen. Die Häufigkeitsangaben von Inkontinenz schwanken stark. Das liegt unter anderem an der uneinheitlichen Definition von Inkontinenz.

Das Beschwerdebild bei Inkontinenz unterscheidet sich deutlich zwischen den Geschlechtern. Bei Frauen überwiegt unter den Ursachen eine Schwäche des Beckenbodens. In der Folge führt körperliche Anstrengung, die mit einer Drucksteigerung im Bauch verbunden ist, zum unfreiwilligen Urinabgang. Bei Männern ist diese sogenannte Belastungsinkontinenz die Ausnahme. Deren wichtigster Risikofaktor – Schwangerschaften und Geburten – entfällt bei männlichen Patienten. Eine Schwächung der Strukturen, die für den Harnverschluss zuständig sind, liegt bei Männern allenfalls nach Operationen an der Prostata vor. Häufiger führt eine vergrößerte Prostata zu einer überaktiven Blase, die schon bei geringem Füllungsvolumen das Signal zur Blasenentleerung gibt. Diese Form des unwillkürlichen Harnabgangs wird Dranginkontinenz genannt. Betroffene Männer verspüren plötzlich den Drang, auf Toilette zu gehen, und können den Urin nicht oder nur teilweise halten. Auch das nächtliche Wasserlassen nimmt zu. Eine Kombination aus Belastungs- und Dranginkontinenz ist ebenfalls möglich.

Ein vollständiger Harnverhalt kann zu einer Überlaufinkontinenz führen, bei der ständig Urin aus der Harnröhre tröpfelt.

Ursachen

Männliche Geschlechtsorgane

Die häufigste Ursache für eine Dranginkontinenz ist eine überaktive Blase. Diese kann bei Männern auch durch eine vergrößerte Prostata verursacht werden. Teilweise bleibt die Ursache der überaktiven Blase ungeklärt. Auch Harnwegsinfekte können sich neben einem häufigen und starken Harndrang durch eine Inkontinenz bemerkbar machen.

In seltenen Fällen kann eine Prostataoperation eine Belastungsinkontinenz nach sich ziehen.

Eine fortgeschrittene Vergrößerung der Prostata kann in seltenen Fällen die Harnröhre abdrücken und so zu einem teilweisen oder vollständigen Harnverhalt führen. Der in der Blase verbleibende Restharn kann sich soweit anstauen, dass das Fassungsvermögen der Blase überschritten ist und kleine Mengen Urin beständig herausträufeln. Diese Form der Inkontinenz wird Überlaufblase genannt. Sie geht meist mit einem Harnaufstau bis in die Nieren und einer daraus folgenden Nierenschädigung einher.

Verletzungen des Rückenmarks wie eine Querschnittslähmung oder neurologische Erkrankungen wie multiple Sklerose können zu einer Blasenfunktionsstörung führen, die Reflexinkontinenz genannt wird. Dabei kann die oder der Betroffene seinen Blasenmuskel nicht mehr willentlich kontrollieren, weil die Signalleitung ins Gehirn gestört ist, es kommt jedoch zu unwillkürlichem Harnabgang bei bestimmten Reizen wie einer gefüllten Blase.

Risikofaktoren

Harninkontinenz kommt mit zunehmendem Alter häufiger vor. Bestimmte Erkrankungen erhöhen das Risiko für eine Harninkontinenz, dazu gehören u. a. Harnwegsinfekte, Erektionsstörungen, Prostataerkrankungen, Operationen der Prostata, Diabetes, chronische Verstopfung, Epilepsie, multiple Sklerose, Schädigungen der Nerven im Rückenmark und Demenz. Auch mangelnde körperliche Aktivität und psychische Belastungsfaktoren scheinen bei Inkontinenz und überaktiver Blase eine Rolle zu spielen. Zudem können einige Medikamente Harninkontinenz verursachen oder begünstigen. 

Diagnostik

Wie bei Frauen stützt sich die Diagnosefindung hauptsächlich auf das Anamnesegespräch. Zusätzlich können spezielle Fragebögen oder ein Miktionstagebuch (Toiletten-/Trinkprotokoll) verwendet werden.

Die Ärztin/der Arzt führt eine körperliche Untersuchung durch. Bei Verdacht auf eine vergrößerte Prostata wird diese durch den After abgetastet. Besteht die Möglichkeit eines Harnstaus, wird eine Ultraschalluntersuchung der Blase und der Nieren durchgeführt. Harnwegsinfekte lassen sich schnell über einen Urinstreifentest nachweisen. Teilweise sind Blutuntersuchungen nützlich, etwa die Bestimmung der Nierenwerte. Das prostataspezifische Antigen (kurz PSA) sollte nur bei Verdacht auf Prostatakrebs und nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile gemessen werden.

Wenn keine klare Ursache für eine Harninkontinenz gefunden wird oder die Behandlung keine Wirkung erzielt, können Sie für weitere Untersuchungen an eine urologische Praxis überwiesen werden.

Therapie

Zur Behandlung der Harninkontinenz steht ein breites Spektrum nicht-operativer und operativer Therapieoptionen zur Verfügung.

Blasen- und/oder Beckenbodentraining kann die Beschwerden bessern. Vermindern Sie außerdem den Konsum von Alkohol und Koffein und achten Sie auf Ihre Trinkmenge.

Die Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung. Zur Behandlung der überaktiven Blase siehe dort.

Gutartige Prostatavergrößerung

Medikamente: Alphablocker verringern die Drangsymptomatik, 5-Alpha-Reduktase-Hemmer verkleinern das Prostatavolumen.

Eine Operation kann Harnverhalt und andere Komplikationen beseitigen. Die chirurgische Verkleinerung des Prostatavolumens, z. B. durch einen Eingriff durch die Harnröhre (transurethrale Resektion der Prostata, TURP), kann den plötzlichen, starken Harndrang jedoch häufig nicht beheben. 

Harninkontinenz nach Prostataoperationen

Professionell angeleitetes Beckenbodentraining vor und unmittelbar nach der Operation hilft, die Inkontinenzperiode zu verkürzen.

Bei weniger als 10 % der Betroffenen wird eine Operation empfohlen, wenn sich die Inkontinenz nicht innerhalb von 12 Monaten bessert.

Unterstützend kann auf Hilfsmittel wie Einlagen und Windeln zurückgegriffen werden. Die Kosten trägt die gesetzliche Krankenversicherung. 

Wegen des erhöhten Risikos für Harnwegsinfektionen sollten Katheter nur in Ausnahmefällen, z. B. bei Harnverhalt, eingesetzt werden.

Prognose

Harninkontinenz ist bei Frauen wie Männern ein recht häufiges Problem. Von den meisten Betroffenen wird sie als körperliche, psychische und soziale Belastung empfunden. Nur jede und jeder Zweite sucht bei Inkontinenz ärztliche Hilfe auf. Dabei gibt es angepasst an die Ursache und die Form der Inkontinenz zuverlässige Heil- und Hilfsmittel. Nicht immer kann die Kontinenz vollständig wiederhergestellt werden. Mithilfe der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten kann jedoch eine zufriedenstellende Lebensqualität erreicht werden.

Weitere Informationen

Autoren

  • Martina Bujard, Wissenschaftsjournalistin, Wiesbaden
  • Dorit Abiry, Doktorandin am Institut und der Poliklinik für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Harninkontinenz bei Männern. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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