Burning-Feet-Syndrom

Allgemeine Informationen

Definition

  • Symptomkomplex mit unangenehmen Missempfindungen (Kribbeln, Brennen, Ameisenlaufen), Hitzegefühl und neuropathischen Schmerzen der Füße variabler Ausprägung1-2
  • Häufiges Erstsymptom einer Polyneuropathie mit Beteiligung der kleinen Nervenfasern (Small-Fiber-Neuropathie)3-5

Häufigkeit

Diagnostische Überlegungen

ICPC-2

  • N94 Periphere Neuritis/Neuropathie

ICD-10

  • G62 Sonstige Polyneuropathien
    • G62.0 Arzneimittelinduzierte Polyneuropathie
    • G62.1 Alkohol-Polyneuropathie
    • G62.2 Polyneuropathie durch sonstige toxische Agenzien
    • G62.8 Sonstige näher bezeichnete Polyneuropathien
    • G62.9 Polyneuropathie, nicht näher bezeichnet
  • G63 Polyneuropathie bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
    • G63.0 Polyneuropathie bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
    • G63.1 Polyneuropathie bei Neubildungen (C00–D48)
    • G63.2 Diabetische Polyneuropathie (E10–E14)
    • G63.3 Polyneuropathie bei sonstigen endokrinen und Stoffwechselkrankheiten (E00–E07, E15–E16, E20–E34, E70–E89)
    • G63.4 Polyneuropathie bei alimentären Mangelzuständen (E40–E64)

Differenzialdiagnosen

Polyneuropathie (PNP)

  • Siehe Artikel Neuropathische Schmerzen.
  • Erkrankungen mit generalisierter Schädigung des peripheren Nervensystems
    • häufigste Form: distal-symmetrische sensible Polyneuropathie (PNP)
      • längenabhängige, symmetrische Schädigung der peripheren Nerven mit distal betonten Sensibilitätsstörungen mit Beginn an den Füßen
    • Subtyp: Small-Fiber-Neuropathie (SFN)
      • Schädigung der dünnen, nicht-myelinisierten Nervenfasern
      • wesentlich durch Störung des Schmerz- und Temperaturempfindens gekennzeichnet
  • Häufigkeit
    • häufigste Ursache des Burning-Feet-Syndroms2-3
    • Prävalenz der Polyneuropathie: 2,4 % der Bevölkerung7
  • Symptome
    • neuropathische Schmerzen (elektrisierende Nervenschmerzen)3-5
    • Sensibilitätsstörungen (Parästhesien, Dysästhesien, Hypästhesie, Hyperalgesie/Allodynie, Temperaturempfindungsstörungen)4
    • autonome Störungen (trophische Störungen der Haut und Schweißdysregulation)4
    • motorische Defizite (Muskelkrämpfe, Lähmungen, Muskelatrophie) bei fortgeschrittener PNP4
  • Ursachen4
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • neurologische Untersuchung inkl. Prüfung der Sensibilität, Motorik, Reflexe
    • Labor und elektrophysiologische Diagnostik (Neurografie, Elektromyografie)4

Tarsaltunnelsyndrom

  • Siehe Artikel Tarsaltunnelsyndrom.
  • Engpasssyndrom mit Kompression des N. tibialis unter dem Retinaculum musculorum flexorum pedis im Bereich des Sprunggelenks
  • Häufigkeit
    • seltene Erkrankung
    • gehäuft bei Sportler*innen, nach vorangegangenen Traumata, bei Plattfuß und bei Stoffwechselerkrankungen (z. B. Typ-2-DiabetesGicht)
  • Symptome
    • neuropathische Schmerzen, Parästhesien (Brennen, Kribbeln) und Hypästhesie (Taubheit)
    • Lokalisation: vom medialen Sprunggelenk über die Fußsohle bis in die Zehen ziehend
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • Hoffmann-Tinel-Zeichen über dem Tarsaltunnel positiv
      • Ein Beklopfen des Nervs führt zu elektrisierenden Schmerzen und Parästhesien.
    • bildgebende Untersuchungen des Fußes und elektrophysiologische Diagnostik

Morton-Metatarsalgie

  • Siehe Artikel Morton-Metatarsalgie.
  • Ursachen
    • Reizung eines Interdigitalnervens durch fibröse, perineurale Proliferation (Neurom)8
    • möglicherweise durch Kompression verursacht
    • Assoziation mit Spreizfuß
  • Häufigkeit
    • unter den häufigsten Gründen für Schmerzen im plantaren Vorfußbereich (Metatarsalgie)
    • 3. Interdigitalraum (zwischen 3. und 4. Zehe) am häufigsten betroffen
  • Symptome
    • dumpfe, brennende, elektrisierende Schmerzen im plantaren Vorfußbereich, zwischen den Metatarsalköpfchen und bis in die Zehen ausstrahlend9
    • Beschwerdezunahme beim Gehen
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • Mulder-Zeichen: Schmerzprovokation mit Ausstrahlung durch Druckausübung auf benachbarte Metatarsalköpfchen sowie den Interdigitalraum
    • Bildgebung: Röntgen und ggf. MRT des Fußes9

Plantarfasziitis

  • Siehe Artikel Plantarfasziitis.
  • Ursachen
    • Insertionstendinopathie der Plantaraponeurose (Plantarfaszie)
    • mechanische Überlastungsreaktion, a. e. durch repetitive Mikrotraumata9 
    • Risikofaktoren: Hohlfuß, Plattfuß und Laufen auf hartem Untergrund
  • Häufigkeit
    • häufigster Grund für Fersenschmerzen in der Hausarztpraxis
    • Prävalenz bei aktiven Läufer*innen: 5,2–17,5 %9
  • Symptome
    • belastungsabhängige Schmerzen im plantaren, medialen Fersenbereich9
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • Druckschmerz am plantaren, medialen Kalkaneus (Ansatz der Plantarfaszie am Tuberculum calcanei)9
    • Schmerzverstärkung durch Dorsalextension der Zehen9
    • Röntgendiagnostik bei therapierefraktären Beschwerden

Erythromelalgie

  • Siehe Artikel Erythromelalgie.
  • Ursachen
    • neuronale und vaskuläre Dysfunktion mit primären (genetisch, idiopathisch) und sekundären (z. B. bei rheumatoider Arthritis) Formen
    • Wird z. T. zu den peripheren, schmerzhaften Polyneuropathien gezählt.
  • Häufigkeit
    • seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von 0,4–2/100.000
  • Symptome
    • attackenartig auftretende Beschwerden mit brennende Schmerzen, Überwärmung und Rötung der Haut
    • Lokalisation an den distalen Extremitäten, insbesondere den Füßen
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • in erster Linie klinische Diagnose, weiterführende Diagnostik nur im Einzelfall8
  • Behandlung
    • während der Episode oft Besserung der Beschwerden durch Kühlung und Hochlagern der Füße
    • individuelle, multidisziplinäre Therapie (u. A. physikalische Medizin,  Psychotherapie, medikamentöse Behandlung)8

Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)

  • Siehe Artikel Periphere arterielle Verschlusskrankheit.
  • Ursachen
    • Einschränkung der Durchblutung der die Extremitäten versorgenden Arterien10
    • basiert in > 95 % der Fälle auf einer Atherosklerose
    • wesentliche Risikofaktoren: RauchenDiabetes mellitusHyperlipidämie
  • Häufigkeit
    • Prävalenz von 3–10 % basierend auf dem Knöchel-Arm-Index (ABI)10
  • Symptome
    • Claudicatio-Schmerz: belastungsabhängiger Muskelschmerz mit Besserung in Ruhe
    • Ruheschmerzen, häufig beginnend im Vorfuß
    • Wundheilungsstörungen, Ulzera, Gangrän
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • Untersuchung der Extremitäten: kalte Füße, fehlende Fußpulse
    • Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI)10
    • bildgebende Diagnostik mit Gefäßdarstellung

Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS)

  • Siehe Artikel Komplexes regionales Schmerzsyndrom.
  • Ursachen
    • Schmerzsyndrom nach Trauma einer Extremität mit Störungen der Sensorik, Motorik und des autonomen Nervensystems
    • Symptome durch Trauma selbst nicht mehr erklärbar
  • Häufigkeit
    • Auftreten nach Extremitätenverletzungen in 2–5 % der Fälle
  • Symptome
    • persistierender Schmerz (häufig brennend oder elektrisierend)
    • Sensibilitätsstörungen
    • Störungen der Hauttemperatur
    • trophische Störungen, Hautverfärbungen oder Schweißdysregulation
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • klinische Diagnose

Tinea pedis

  • Siehe Artikel Tinea pedis.
  • Ursachen
    • Pilzinfektion des Fußes (v. a. Fußsohlen und Interdigitalräume)
    • meist durch Dermatophyten verursacht
    • begünstigt durch Schwitzen (z. B. beim Sport)
  • Häufigkeit
    • häufigste Dermatophytose, Inzidenz bis zu 80 %
  • Symptome
    • Juckreiz, Rötung und Schuppenbildung
  • Klinischer Befund und Diagnostik
    • in der Regel klinische Diagnosestellung
    • Sicherung mittels Mikroskopie oder Kultur
  • Behandlung
    • topische Behandlung mit Antimykotika

Weitere Ursachen

Anamnese

Symptome

  • Beginn und Verlauf der Beschwerden4-5
    • mögliche Auslöser
    • nächtliche Zunahme der Beschwerden11
  • Schmerzanamnese5
  • Sensibilitätsstörungen3-5
    • vielseitige Missempfindungen
      • Kribbeln
      • Brennen
      • Ziehen
      • Stechen
      • Ameisenlaufen
      • Pelzigkeit
      • Gefühl, auf Watte zu laufen.
      • brennende Schmerzen oder unangenehme Empfindungen bereits bei leichtester Berührung, z. B. durch Kleidung (Allodynie)
    • Taubheitsgefühl (Hypästhesie)
    • Schmerzempfindungsstörung (Hypalgesie)
    • Temperaturwahrnehmungsstörung (Wärme-/Kältemissempfindungen)
  • Hautveränderungen
  • Funktionelle Auswirkungen der Symptomatik
    • z. B. Gangstörung, Immobilisation, Schlafmangel
    • Gleichgewichtsstörung insbesondere im Dunkeln häufig bei Polyneuropathie

Abklärung der Ursache

Klinische Untersuchung

Inspektion

  • Hautfarbe und Pigmentveränderungen
  • Hautveränderungen (trophische Störungen, Verletzungen, Hypo-/Anhidrosis)4
  • Schwellungen
  • Fußulkus oder Fußdeformität bei diabetischem Fuß
  • Fehlstellungen oder Fußdeformität4

Palpation

  • Hauttemperatur
  • Ertasten der Fußpulse
    • Palpation der A. dorsalis pedis und A. tibialis posterior
    • fehlende Fußpulse möglicher Hinweis auf PAVK
  • Auslösbare Schmerzen an spezifischen Druckpunkten
    • bei Morton-Neuralgie Schmerzen bei Druck auf den Interdigitalraum zwischen den Metatarsalköpfchen

Neurologische Untersuchung

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.4-5
  • Prüfung der Sensibilität
    • Berührungs-, Vibrations-, Schmerz und Temperaturempfinden
    • bei distal-symmetrischer PNP socken- oder strumpfförmige Störung des Berührungsempfinden
  • Prüfung der Motorik
    • Muskelkraft und Muskeltrophik im Seitenvergleich
  • Prüfung der Muskeleigenreflexe
  • Beurteilung des Gangbilds
    • bei Polyneuropathie Romberg-Test (Stand bei geschlossenen Augen) pathologisch und Seiltänzergang unsicher
  • Siehe auch Informationen zu regelmäßigem Screening im Rahmen des strukturierten Behandlungsprogramms (DMP Diabetes).6

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

Labor

Bei Spezialist*innen

  • Weiterführende Labordiagnostik
    • insbesondere bei nachgewiesener Polyneuropathie und unklarer Ätiologie4-5
  • Standardisierte Fragebögen zur Charakterisierung neuropathischer Schmerzen5
  • Neurophysiologische Diagnostik4-6
    • sensible und motorische Elektroneurografie (ENG) und Elektromyografie (EMG)
    • Nachweis axonaler und demyelinisierender Nervenschäden sowie Bestimmung des Verteilungsmusters (einzelne Nerven oder Polyneuropathie)
  • Quantitative sensorische Testung (QST)
    • Untersuchung der kleinkalibrigen Nervenfasern bei V. a. Small-Fiber-Neuropathie4-5
    • niedrigere Sensitivität als die Hautbiopsie5
  • Ggf. Hautbiopsie
    • bei distalen Schmerzen und Sensibilitätsstörungen und unauffälliger elektrophysiologischer Diagnostik4
    • Goldstandard in der Diagnostik von Small-Fiber-Neuropathien5
      • pathologischer Befund: Reduktion der Dichte intraepidermaler Nervenfasern in der Haut3-5
  • Bildgebende Diagnostik9

Maßnahmen und Empfehlungen

  • Die kausale Therapie richtet sich nach der Ursache des Burning-Feet-Syndroms.
  • Zur symptomatische Behandlung stehen Medikamente verschiedener Wirkstoffklassen und nichtmedikamentöse Therapien (Patientenedukation, Verhaltenstherapie, physikalische Maßnahmen) zur Verfügung.3-5,11
  • Mögliche Maßnahmen für Patient*innen zur Symptomlinderung2-3,11
    • Kühlung der Füße in Wasser
    • Hochlagern der Beine
    • lokale Anwendung von Capsaicin-Salbe
  • Ggf. Versorgung mit orthopädischen Einlagen8

Indikationen zur Überweisung

  • Bei persistierenden Beschwerden und unklarer Ursache des Burning-Feet-Syndroms Überweisung an Neurolog*in3
  • Bei Patient*innen mit diabetischer Neuropathie und neuropathischen Schmerzen ohne ausreichende Schmerzlinderung soll nach spätestens 12 Wochen eine Überweisung an in der Schmerztherapie erfahrene Ärzt*innen erfolgen.6

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Video

Quellen

Leitlinie

  • NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes - Teilpublikation, 2. Auflage. Stand 2021. www.leitlinien.de
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik bei Polyneuropathien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-067. S1, Stand 2019. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114. S2k, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

  1. Makkar RP, Arora A, Monga A, et al. Burning feet syndrome. A clinical review. Aust Fam Physician. 2003 Dec;32(12):1006-9. www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Cleveland Clinic. Burning feet syndrome (Grierson-Gopalan Syndrome). Last reviewed on: 05/14/2018 (abgerufen am 11.02.2022). my.clevelandclinic.org
  3. Tavee J, Zhou L. Small fiber neuropathy: A burning problem. Cleve Clin J Med. 2009 May;76(5):297-305. doi: 10.3949/ccjm.76a.08070. PMID: 19414545. doi.org
  4. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik bei Polyneuropathien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-067. S1, Stand 2019. www.awmf.org
  5. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114, S2k, Stand 2019. www.awmf.org
  6. NVL-Programm von BÄK, KBV, AWMF. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes - Teilpublikation, 2. Auflage. Stand 2021. www.leitlinien.de
  7. Hughes R. Peripheral nerve diseases. Pract Neurol 2008; 8: 396-405. doi:10.1136/jnnp.2008.162412 DOI
  8. Dusch M, Schmelz M. Erythromelalgie: rote Haut und Schmerz. Schmerz 2019; 33: 475-490. doi:10.1007/s00482-019-00401-8 DOI
  9. Gutteck, N; Schilde, S; Delank, K-S. Plantarer Fußschmerz . Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 83-8. doi:10.3238/arztebl.2019.0083 DOI
  10. Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. AWMF-Leitlinie Nr. 065-003. Stand 2015. www.awmf.org
  11. Binder, A; Baron, R. Pharmakotherapie chronischer neuropathischer Schmerzen. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 616-26. doi:10.3238/arztebl.2016.0616 DOI

Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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