Poland-Syndrom

Zusammenfassung

  • Definition:Es handelt sich um eine komplexe angeborene Fehlbildung, bei der die Muskulatur im Schultergürtel (insbesondere die Brustmuskulatur) einseitig unterentwickelt ist. Häufig liegt gleichzeitig auch eine Syndaktylie vor. Der Grad und das Ausmaß der Defekte variieren.
  • Häufigkeit:Das Poland-Syndrom ist sehr selten.
  • Symptome:Es imponiert durch das einseitige Fehlen oder eine starke einseitige Unterentwicklung der Muskulatur im Schultergürtel, Brustkorb sowie im Hand- und Armbereich und geht häufig mit einer Vielzahl weiterer Fehlbildungen einher.
  • Befunde:Die Diagnose erfolgt über den Nachweis körperlicher Fehlbildungen.
  • Diagnostik:Eine Röntgenuntersuchung kann indiziert sein.
  • Therapie:Die Therapie zielt auf die weitestgehende Korrektur der Deformitäten sowie das Vermeiden einer Verschlimmerung vorhandener Fehlbildungen ab.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Beim Poland-Syndrom handelt es sich um eine komplexe angeborene Fehlbildung, bei der die Muskulatur im Schultergürtel (insbesondere die Brustmuskulatur) einseitig unterentwickelt ist. Häufig liegt gleichzeitig auch eine Syndaktylie vor. Der Grad und das Ausmaß der Defekte variieren.1

Häufigkeit

  • Die Inzidenz des Poland-Syndroms liegt bei 1:32.000 Lebendgeburten1, variiert allerdings einigen Angaben zufolge zwischen 1:7.000 und 1:100.000 jährlich.2
  • Die Syndaktylie tritt mit einer Häufigkeit von 1:2.500 Lebensgeburten auf, bei rund 10 % davon handelt es sich um Kinder mit dem Poland-Syndrom.
  • Jungen sind häufiger vom Poland-Syndrom betroffen als Mädchen. In 75 % aller Fälle ist die rechte Körperseite von den Fehlbildungen betroffen.
  • Meist sporadisch; es gibt aber auch seltene familiäre Fälle, die mit autosomal-dominanter Vererbung vereinbar waren.3

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ätiologie hinter dem Poland-Syndrom ist nicht näher bekannt, man vermutet jedoch, dass vaskuläre Malformationen zu einer verschlechterten Durchblutung im Schultergürtel und der oberen Extremität führen und diese sich infolgedessen nicht ordnungsgemäß entwickeln. Der Zeitpunkt, an dem sich die Fehlbildung manifestiert, läge demnach rund um die 7. Schwangerschaftswoche.2
  • Eine durch verschiedene Ursachen hervorgerufene Hypoxie in utero kann möglicherweise ebenfalls zur Ausbildung des Syndroms führen (Medikamente oder selbstinduzierte Abtreibungsversuche).
  • Die Anomalien im Bereich des Brustkorbs können eine Hypoplasie oder das völlige Fehlen eines oder mehrere Muskeln und Strukturen umfassen. Folgende Muskeln können betroffen sein:
    • M. pectoralis major
    • M. pectoralis minor
    • M. deltoideus
    • M. serratus anterior
    • M. obliquus externus abdominis
    • M. latissimus dorsi.
  • Zu den weiteren Fehlbildungen zählen:
    • Deformitäten der Rippen, des Schlüsselbeins und des Brustbeins
    • Sprengel-Deformität
    • Skoliose
    • Halbwirbel
    • Dextrokardie
    • Aplasie oder Hypoplasie der Brust.
  • Mögliche Fehlbildungen der oberen Extremitäten sind:
    • Syndaktylie
    • Hypoplasie oder Aplasie von Metakarpalknochen oder Phalangen
    • fehlende Streck- oder Beugesehnen
    • Handwurzel-Verwachsungen oder -Hypoplasie
    • Verkürzung des Humerus, des Radius oder der Ulna
    • eine radioulnare Synostose
    • unterentwickelte Nägel.

Assoziierte Anomalien

Prädisponierende Faktoren

  • Traumata oder Drogen während der Schwangerschaft, vor allem während des 1. Trimesters

ICPC-2

  • L82 Angeb. Anomalie muskuloskelet.

ICD-10

  • Q79 Angeborene Fehlbildungen des Muskel-Skelett-Systems, anderenorts nicht klassifiziert
    • Q79.8 Sonstige angeborene Fehlbildungen des Muskel-Skelett-Systems

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Kombination von Thorax-Deformitäten und Syndaktylie auf einer Körperseite

Differenzialdiagnosen

  • Deformität, die nicht Teil eines Syndroms ist.
  • Sonstige angeborene Deformitäten
  • Erworbene Fehlbildung

Anamnese

  • Die Diagnose erfolgt anhand der klinischen Untersuchung. Es kann aber versucht werden, mögliche Ursachen oder Komplikationen während der Schwangerschaft zu identifizieren, um herauszufinden, worauf die Mutter bei einer evtl. Folgeschwangerschaft besonders achten sollte.
  • Eine erbliche Komponenten ist nicht ausgeschlossen, scheint aber insgesamt ohne Bedeutung zu sein.

Klinische Untersuchung

  • Sichtbare Deformitäten können bei einer ausführlichen körperlichen Untersuchung identifiziert werden.

Diagnostik beim Spezialisten

Indikationen zur Überweisung

  • Patienten mit Syndaktylie sollten noch im 1. Lebensjahr zur Beurteilung und Therapieplanung an einen plastischen Chirurgen überwiesen werden.

Therapie

Therapieziel

  • Die Therapie zielt auf die weitestgehende Korrektur der Deformitäten sowie das Vermeiden einer Verschlimmerung vorhandener Fehlbildungen ab.

Allgemeines zur Therapie

  • Der Schweregrad des Poland-Syndrom variiert stark, in den meisten Fällen geht es aber mit keiner speziellen körperlichen Beeinträchtigung einher. Plastisch-chirurgische Eingriffe aus kosmetischen Gründen sind allerdings häufig indiziert.
  • Syndaktylie
    • Mit einer Trennung der Knochenfragmente innerhalb des 1. Lebensjahres lässt sich möglicherweise ein besseres funktionelles Ergebnis erzielen; in der Regel wird aber gewartet, bis das Kind 1 Jahr alt ist und die Anästhesie besser verträgt.
    • Auch im Alter von 1 Jahr existiert auf der Rückseite der Hand noch ausreichend Fettgewebe, sodass das Nervengewebe wachsen kann und eine Anpassung der Wundränder leichter ist.
    • Dennoch muss häufig ein Hauttransplantat mit sämtlichen Hautschichten, z. B. aus dem Leistenbereich, verwendet werden.
  • Thoraxdeformität
    • Eine operative Korrektur der Thoraxdeformität ist häufig überwiegend kosmetisch und nicht funktionell begründet. In schweren Fällen kann sie allerdings mit einer deutlichen Krafteinschränkung im Schultergürtel einhergehen.
    • Einige Chirurgen empfehlen eine frühzeitige Operation aufgrund des Risikos, dass die gesunde Seite an der deformierten Seite zieht und dadurch die Fehlbildungen noch verschlimmert.4
    • Die Thoraxdeformität kann durch eine Transposition von Teilen des M. latissimus dorsi korrigiert werden.
    • Bei postpubertären Frauen kann eine submuskuläre Brustkorbverstärkung und bei Bedarf auch eine Brustreduktion auf der gesunden Seite vorgenommen werden.
    • Aplastische Rippen können mithilfe von Prothesen oder Rippentransplantationen rekonstruiert werden.2

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Angeborene Erkrankung, die sich im wachstumsfähigen Alter verschlimmern kann.

Komplikationen

  • 95 % der Patienten erleben infolge von chirurgischen Eingriffen keine Komplikationen. Eine Abstoßung des Transplantats, Haarwuchs im Transplantat, Flexionskontrakturen und erneute Verwachsungen/iatrogene Syndaktylien können aber vorkommen.
  • Findet keine chirurgische Korrektur stand, kann die Thoraxdeformität dazu führen, dass die Knorpelanteile der Rippen auf der betroffenen Seite hervorstehen und sich das Brustbein verdreht. Langfristig droht somit eine Verstärkung der Deformität.

Prognose

  • Die Prognose ist abhängig vom Grad der Fehlbildung, die meisten Betroffenen können aber ein weitgehend uneingeschränktes Leben führen. Häufig sind allerdings plastisch-chirurgische Eingriffe aus kosmetischen Gründen erforderlich.

Quellen

Literatur

  1. Lord MJ, Laurenzano KR, Hartmann RW. Poland's syndrome. Clinical pediatrics 1990 Oct;29(10):606-9. www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Fokin AA, Robicsek F. Poland's syndrome revisited. Ann Thorac Surg 2002; 74: 2218-25. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Orphanet. Poland-Syndrom. Paris, 2006. www.orpha.net
  4. Sadove AM, van Aalst JA. Congenital and acquired pediatric breast anomalies: a review of 20 years' experience. Plast Reconstr Surg 2005; 115: 1039-50. PubMed

Autoren

  • Günter Ollenschläger, Prof. Dr. Dr. med., Professor für Innere Medizin, Uniklinikum Köln
  • Martin Jägervall, överläkare, Barn- och ungdomskliniken, Centrallasarettet Växjö
  • Tor André Johannessen, allmänläkare, Hallset legesenter, Trondheim

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