Ösophagusdivertikel

Zusammenfassung

  • Definition: Divertikel sind Aussackungen der Schleimhaut, die durch die Muskelschicht des Ösophagus nach außen dringen.
  • Häufigkeit: Selten, meist im höheren Alter; häufigste Form: Zenker-Divertikel.
  • Symptome: Entwickeln sich langsam. Typisch sind Schluckbeschwerden, manchmal auch Husten, Heiserkeit und Mundgeruch.
  • Befunde: In der Regel keine klinischen Befunde.
  • Diagnostik: Ösophagus-Röntgen und/oder Endoskopie.
  • Therapie: Operation, wenn die Divertikel starke Beschwerden verursachen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Divertikel sind Aussackungen der Schleimhaut, die durch die Muskelschicht des Ösophagus nach außen dringen.1-2
  • Einteilung nach anatomischer Lokalisation
    • pharyngoösophageale Divertikel (Zenker-Divertikel)
    • Divertikel des mittleren Ösophagus
    • epiphrenische Divertikel
  • Einteilung nach dem Grad der Aussackung
    • Bei echten Divertikeln umfasst die Aussackung alle Schichten der Ösophaguswand.
    • Bei falschen Divertikeln (z. B. Zenker-Divertikel) umfasst die Aussackung Mukosa und Submukosa.
    • Bei intraluminalen Divertikeln umfasst die Aussackung lediglich die Submukosa.

Häufigkeit

  • Die häufigsten Divertikel sind Zenker-Divertikel.3
    • Die Prävalenz in den USA liegt bei 0,01–0,1 %.4
    • Wahrscheinlich wird die Zahl unterschätzt, weil auch asymptomatische Verläufe auftreten.
    • Im Alter zwischen 70 und 90 sind die Inzidenzen am höchsten, Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Bei unter 40-Jährigen sind Zenker-Divertikel eine Rarität.

Ätiologie und Pathogenese

Zenker-Divertikel

  • Es handelt sich um Pseudodivertikel aus Ösophagusmukosa und Submukosa, sie entstehen an einem muskelschwachen Bereich (Killian-Dreieck) an der Pharynxhinterwand.
  • Der obere Ösophagussphinkter öffnet sich unvollständig oder verspätet aufgrund mangelnder Elastizität.
  • Der erhöhte Druck im Hypopharynx drückt die Schleimhaut nach außen durch das Killian-Dreieck zwischen den schräg verlaufenden Fasern des Musculus constrictor pharyngis inferior und den horizontal verlaufenden Fasern des Musculus cricopharyngeus.5
  • Die Ausbuchtung weicht in der Regel nach links ab.
  • Die Pathogenese ist nicht eindeutig geklärt. Vermutlich liegt bei den Patienten eine mangelnde Koordination des Schluckmechanismus vor, und es kommt daher zu einem erhöhten Druck in der pharyngealen Mukosa. Im Laufe der Zeit führt der Druck zu einer Aussackung der Ösophagusmukosa.

Divertikel des mittleren Ösophagus

  • Diese Divertikel sind sehr selten, sie wurden ursprünglich als Folge einer tuberkulösen Lymphadenopathie im Mediastinum beschrieben.
  • Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass als Ursache auch Motilitätsstörungen im Ösophagus (diffuser Ösophagusspasmus, Achalasie) zugrunde liegen können.

Epiphrenische (distale) Divertikel

  • Diese Divertikel entstehen in den meisten Fällen durch zu hohen Druck im Ösophagus, sie sind meist mit Ösophagusmotilitätsstörungen (Dysfunktion des unteren Ösophagussphinkters, Achalasie) assoziiert.

Prädisponierende Faktoren

  • Motilitätsstörungen des Ösophagus

ICPC-2

  • D84 Speiseröhrenerkrankung

ICD-10

  • K22 Sonstige Krankheiten des Ösophagus
    • K22.3 Perforation des Ösophagus
    • K22.4 Dyskinesie des Ösophagus
    • K22.5 Divertikel des Ösophagus, erworben
  • Q39 Angeborene Fehlbildungen des Ösophagus
    • Q39.6 Ösophagusdivertikel (angeboren)

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose lässt sich am einfachsten durch eine Röntgenuntersuchung des Ösophagus stellen.

Differenzialdiagnosen

  • Für Zenker-Divertikel (andere Ursachen für eine oropharyngeale Dysphagie)
    • neurologische Erkrankungen
    • Muskelerkrankungen
    • Entzündungen (Stomatitis, Tonsillitis, Pharyngitis, Abszess)
    • Kompression (Struma, Kopf-Hals-Tumor)
    • Folgezustand nach Operation
    • verringerte Speichelsekretion
  • Für sonstige Ösophagusdivertikel (andere Ursachen für eine ösophageale Dysphagie)

Anamnese

  • Verdacht bei:
    • mittlerem und höherem Lebensalter
    • zunehmender Dysphagie
    • Regurgitation unverdauter Nahrungsreste

Zenker-Divertikel

  • Kleine Divertikel können asymptomatisch sein.
  • Die Symptome entwickeln sich schleichend.
  • Die Patienten klagen über eines oder mehrere der folgenden Symptome:
    • Schluckbeschwerden – treten bei 98 % der Patienten auf.
    • Husten, häufig nachts, Globusgefühl, lokalisierte Schmerzen, Brechreiz infolge von Aspiration
    • Heiserkeit durch die Reizung des Larynx oder als Ergebnis des direkten Drucks von Divertikeln auf den Nervus laryngeus recurrens
    • Mundgeruch (Halitosis)
    • Bei 1/3 der Patienten ist eine Gewichtsabnahme aufgrund der Schluckbeschwerden zu beobachten.
  • Bei voll ausgeprägten Divertikeln auch Symptome einer Retention mit Regurgitation von Nahrung, die mehrere Stunden zuvor verzehrt wurde, häufig in liegender Position.
  • Bei bis zu 1/3 der Patienten kann es zu einer Aspirationspneumonie kommen, insbes. bei älteren Patienten.

Sonstige ösophageale Divertikel

  • Divertikel des mittleren Ösophagus sind häufig asymptomatisch.
  • Bei epiphrenischen Divertikeln liegt häufig eine Motilitätsstörung im Ösophagus vor. Daher kann es schwierig sein, zwischen den Symptomen der beiden Erkrankungsbilder zu unterscheiden.
    • Es treten Druck auf der Brust, Dysphagie und Regurgitation auf.

Klinische Untersuchung

  • In den meisten Fällen unauffällige körperliche Untersuchung
  • Ein sehr großes Zenker-Divertikel lässt sich manchmal am Hals fühlen.
    • Solche Divertikel können die Dysphagie aufgrund der Kompression des Ösophagus von außen verstärken.

Diagnostik beim Spezialisten

  • Röntgenologische Darstellung der Ösophaguspassage
    • Darstellung des Divertikels nach peroraler Einnahme eines Barium-Kontrastmittels von vorn und von der Seite
    • Zenker-Divertikel vor allem beim Schlucken und auf den seitlichen Aufnahmen auf der Ebene C5–6 gut zu sehen.
    • Wenn das Divertikel groß ist, kann es seitlich vorfallen, meist nach links.
    • Beurteilung des Lumens des Divertikels auf Unregelmäßigkeiten oder Füllungsdefekte erforderlich, da sich bei einigen wenigen Patienten ein Plattenepithelkarzinom bilden kann.
  • Endoskopie
    • Die Divertikelöffnung kann übersehen werden, insbes. bei einem Zenker-Divertikel.
    • Wenn die Spitze des Endoskops in das Divertikel eindringt, besteht Perforationsgefahr.

Indikationen zur Überweisung

Checkliste zur Überweisung

Ösophagusdivertikel

  • Zweck der Überweisung
    • Chirurgie? Weitere Diagnostik?
  • Anamnese
    • Beginn und Dauer? Plötzlicher oder allmählicher Verlauf?
    • Dysphagie? Regurgitation von Speiseresten? Husten? Heiserkeit? Foetor ex ore? Tastbarer Knoten/Schwellung am Hals? Gewichtsverlust?
    • Grad der Beschwerden?
    • Andere Erkrankungen von Bedeutung? Medikamente?
    • Auswirkungen der Beschwerden auf die Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität?
  • Klinische Untersuchung
    • Sichtbarer oder tastbarer Knoten am Hals?
  • Ergänzende Untersuchungen
    • Ösophagusbreischluck – Ergebnis?

Therapie

Therapieziele

  • Beobachtung in Hinsicht auf Komplikationen
  • Endoskopische oder offen chirurgische Behandlung symptomatischer Divertikel

Allgemeines zur Therapie

  • Kleine asymptomatische Divertikel können beobachtet werden.
  • Bei der Entscheidung, ob operiert werden soll, spielt die Größe des Divertikels eine untergeordnete Rolle. Das zentrale Kriterium ist der Grad der Beschwerden.
  • Rein technisch gesehen kann es schwierig sein, sehr kleine Divertikel endoskopisch zu behandeln, weil die Platzierung des Divertikuloskops durch die engen Verhältnisse erschwert wird.

Operative Therapien

  • Zenker-Divertikel
    • Bei symptomatischen Zenker-Divertikeln werden primär endoskopische Verfahren eingesetzt.
    • Während des Eingriffs wird das Septum zwischen Divertikel und Ösophagus durchtrennt und eine Myotomie des Musculus cricopharyngeus durchgeführt. Der Eingriff erfolgt häufig in einer HNO-Abteilung.
    • Früher wurden normalerweise starre Endoskope benutzt, inzwischen kommen aber immer stärker flexible Geräte zum Einsatz, sodass keine Vollnarkose erforderlich ist.6
    • Dieser Eingriff lindert die Beschwerden und kann evtl. wiederholt werden.
    • Die Operation zeigt gute Ergebnisse: Über 90 % der Patienten profitieren, und es treten nur wenige Komplikationen auf.7-8
  • Divertikel des mittleren Ösophagus
    • Diese Divertikel sind häufig asymptomatisch und bedürfen keiner direkten Behandlung. Falls eine Behandlung erfolgt, richtet sie sich gegen zugrunde liegende Erkrankungsbilder.
  • Epiphrenische Divertikel
    • Falls die Divertikel symptomatisch sind, erfolgt die Therapie häufig offen chirurgisch.

Postoperatives Prozedere nach der endoskopischen Behandlung

  • Bei unkompliziertem Verlauf Beobachtung postoperativ einen Tag stationär auf Zeichen einer Mediastinitis (retrosternale Schmerzen und Fieber) 
  • Entlassung in der Regel am folgenden Tag
  • Die Patienten erhalten nach 6 Stunden peroral flüssige Nahrung und sollen 3 Tage bis 1 Woche nach dem Eingriff nur weiche Kost zu sich nehmen.
  • Keine routinemäßige Gabe von prä- oder postoperativen Antibiotika

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Komplikationen des Zenker-Divertikels
    • Aspirationspneumonie, Bronchiektasen, Lungenabszess, Ulzeration, Fistelbildung zwischen Divertikel und Trachea, Rekurrensparese durch den Druck von retinierten Speiseresten9

Prognose

  • Die Ergebnisse nach einem endoskopischen oder chirurgischen Eingriff sind sehr gut, Rezidive können auftreten.8

Verlaufskontrolle

  • Kontrolle nach 12 Monaten sinnvoll8
  • Falls sich ein symptomatisches Rezidiv gebildet hat, kann in der Regel erneut eine Behandlung erfolgen.

Patienteninformation

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Ösophagusdivertikel.jpg
Ösophagusdivertikel (mit freundlicher Genehmigung von endoskopiebilder.de, Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH, Hamburg)
Ösophagus-Divertikel
Ösophagus-Divertikel Ausbuchtung nach hinten im unteren Teil der Speiseröhre (1), distal davon ist eine Engstelle sichtbar (2).

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Ösophagoskopie. AWMF-Leitlinie Nr. 017-060. S1, Stand 2015. www.awmf.org

Literatur

  1. Schiff B, van Delft F. Zenker's diverticulum. UpToDate, last updated Dec03, 2019. UpToDate
  2. Bragg J. Esophageal diverticula. Medscape, last updated June 18, 2014. emedicine.medscape.com
  3. Ernster JA. Zenker Diverticulum. emedicine.medscape, 2017 emedicine.medscape.com
  4. Siddiq MA, Sood S, Strachan D. Pharyngeal pouch (Zenker's diverticulum). Postgrad Med J 2001; 77:506. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Overbeek J J. Pathogenesis and methods of treatment of Zenker's diverticulum. Ann Otol Laryngol 2003; 112: 583-93. PMID: 12903677 PubMed
  6. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Ösophagoskopie. AWMF-Leitlinie Nr. 017-060. Stand 2015. www.awmf.org
  7. Stangerup S-E, Kirkegaard J, Johansen LV. Endoskopisk behandling af øsofago-faryngeale divertikler (Zenkers divertikel). Ugeskr Læger 2004; 166: 703-4. pure.au.dk
  8. Velser T, Homøe P. Resultatet af ti års behandling med endoskopisk laserevaporation af Zenkers divertikel - en patienttilfredshedsundersøgelse. Ugeskr Læger 2005; 167: 1746-9. PubMed
  9. Sharma R, DeCross AJ. Zenker's diverticulitis secondary to alendronate ingestion: a rare cause of recurrent dysphagia. Gastrointest Endosc 2011; 73:368. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autoren

  • Hannah Brand, Cand. med., Berlin, Übersetzung einer Revision in NEL
  • Katrin Metz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Berlin
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, redaktør NEL

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