Akutmedizinische Behandlung von Schwerverletzten am Unfallort

Erstuntersuchung und lebensrettende Maßnahmen

  • Achten Sie auf Ihre eigene Sicherheit und die Sicherheit anderer. Sichern Sie, falls nötig, den Unfallort ab.
  • Stimmen Sie sich mit den anderen Einsatzkräften ab, falls solche vor Ort sind.
  • Rufen Sie sich nach Möglichkeit Hilfe herbei.
  • Verschaffen Sie sich zügig ein Bild von der Lage, während Sie sich der verletzten Person nähern, und wählen Sie 112, falls noch kein Rettungswagen gerufen wurde.
    • Scheint die Person bei Bewusstsein zu sein und eigenständig zu atmen?
    • Was ist passiert und wie ist es passiert?
    • Verletzungsmechanismus: Wie groß ist die Energie, die eingewirkt hat, und wie hat sie auf die Person eingewirkt?
    • Bestehen massive lebensbedrohliche Blutungen, die umgehend gestillt werden müssen (vor ABC)?

Befolgen Sie das ABCDE-Schema1-3

  • A = Airway: Atemwege
    • Diagnose: frei/beeinträchtigt/verlegt
    • Therapie: freimachen, sichern (HWS-Immobilisation)
  • B = Breathing: (Be-)Atmung
    • Diagnose: Atemfrequenz/Atemarbeit/seitengleich/Spo2
    • Therapie: Oxygenierung, ggf. Beatmung
  • C = Circulation: Blutzirkulation
    • Diagnose: Pulse/Herzfrequenz/Blutdruck/Rekapillarisierungszeit/Palpation Abdomen, Becken, Oberschenkel
    • Therapie: zwei großlumige Zugänge, Kreislauf stabilisieren, Schocksituation behandeln (Blutung stoppen).
  • D = Disability: neurologischer Status/neurologisches Defizit
    • Diagnostik: Bewusstseinstörung/FAST-Test/Pupillomotorik/Paresen/Glasgow Coma Scale (GCS)/Meningismus/Krampfanfall
    • Therapie: z. B. Initialtherapie bei Apoplex, Krampf etc.
  • E = Exposure: Exploration – erweiterte Untersuchung
    • Diagnostik: Bodycheck (so weit wie möglich entkleiden; cave: Wärmeverlust, Privatsphäre!)
    • Blutzucker
    • Körpertemperatur
    • Verletzungen
    • Falls die Person bewegt werden muss, geschieht dies so, dass es zu keiner Verschiebung oder Verdrehung von Hals und Rücken kommt (siehe Punkt D: Disability).

Anamnese/Fremdanamnese3

  • A = Allergie
  • M = Medikation
  • P = Beginn der Symptomatik (plötzlich oder langsam), Schmerzangabe, Vorerkrankungen
  • E = Ereignis (z. B. Auffindesituation)
  • L = letzte Mahlzeit

Bedenken Sie mögliche Ursachen neben dem Trauma3

  • Hirninfarkt, intrakranielle Raumforderung
  • Hypotension
  • Hypothermie/Hyperthermie
  • Hypoxie
  • Exsikkose
  • Z. n. Krampfanfall
  • Intoxikation
  • Endogen-metabolische Ursache (typisch: Kfz-Unfall infolge Hypoglykämie bei Diabetes)
  • Psychose
  • Infektion

A. Airway: Atemwege

  • Halten Sie den Kopf in neutraler Stellung und stabilisieren Sie ihn manuell (mit den Händen oder Knien). Dies kann nach kurzer Einweisung auch von Laien übernommen werden.
  • Machen Sie die Atemwege frei, indem Sie das Kinn anheben.
  • Überprüfen Sie den Mund auf Fremdkörper, Blut und Schleim. Bei Bedarf entfernen/absaugen.
  • Ziehen Sie bei bewusstlosen Patient*innen einen Guedel-Tubus in Betracht.

B. Breathing: (Be-)Atmung

  • Prüfen Sie, ob die Person zufriedenstellend atmet. Gelangt ausreichend Luft in die und aus den Lungen?
  • Hebt und senkt sich der Brustkorb symmetrisch?
  • Verabreichen Sie Sauerstoff per Maske mit Reservoirbeutel (10–12 l/min). Oxygenierung (ggf. Beatmung) steht vor Intubation.3
  • Leiten Sie ggf. die künstliche Beatmung per Maske und Beutel/Pocketmaske ein, falls die Person unzureichend (z. B. zu schnell, flach, Frequenz < 10 oder > 30 Atemzüge/min) oder gar nicht atmet.
  • Prüfen Sie, ob eine Endotrachealintubation oder Larynxtubus/-maske indiziert sind. Vor dem ersten Intubationsversuch Beantwortung der zentralen Frage, ob eine Intubation zwingend erforderlich ist, oder ob Oxygenierung über einen alternativen Atemweg zunächst ausreicht.3
  • Auskultieren Sie den Thorax. Sind die Atemgeräusche auf beiden Seiten gleichmäßig? Liegt evtl. ein Pneumothorax oder Spannungspneumothorax vor?
  • Falls die Person nicht atmet und keinen Puls aufweist: Leiten Sie die Herz-Lungen-Wiederbelebung ein (Kinder/Erwachsene).
  • Bei Erfolglosigkeit aller Maßnahmen („Cannot intubate, cannot ventilate“-Situation) Koniotomie ohne Zeitverzögerung durchführen.3

C. Circulation: Blutzirkulation und Stillen von Blutungen

  • Überprüfen Sie gleichzeitig den Puls der A. carotis und der A. radialis, um sich ein Bild über den Blutdruck zu verschaffen.
  • Beurteilen Sie die Pulsstärke und -frequenz (> 100 deutet auf eine Blutung hin).
  • Beurteilen Sie Farbe (blass, Zyanose?), Zustand (trocken, feucht?) und Temperatur der Haut.
  • Beurteilen Sie die periphere Kapillarfüllungszeit (> 2 sec deutet auf eine Blutung hin).
  • Stillen Sie äußere Blutungen (massive, lebensbedrohliche äußere Blutungen müssen vor allen anderen Maßnahmen durch direkten Druck und/oder ein Tourniquet gestillt werden).
  • Bei Anzeichen einer Kreislaufstörung ist eine innere Blutung anzunehmen.
  • Bei Verletzungsmechanismen und/oder Befunden, die auf eine Beckenfraktur hindeuten, oder bei zirkulatorisch instabilen Patient*innen ist ein beckenstabilisierender Verband auf Höhe des Trochanter major anzulegen (darf nicht zu hoch angelegt werden).
  • Legen Sie zwei grobe Venenkanülen (am besten während des Transports) oder evtl. einen intraossären Zugang, falls das Legen der Venenkanüle misslingt.
  • Verabreichen Sie intravenös/intraossär Flüssigkeit (am besten warm), falls die Person das Bewusstsein verliert oder falls eine bewusstlose Person den Radialispuls verliert.
    • Bei Erwachsenen und Kindern > 10 Jahre: Verabreichen Sie wiederholt Elektrolytflüssigkeitsinfusionen, z. B. Ringer-Acetat-Lösung 250 ml, bis die verletzte Person anspricht.
    • Bei Kindern < 10 Jahre: Verabreichen Sie wiederholt 10–15 ml Flüssigkeit je kg Körpergewicht, max. 250 ml pro Infusion, bis das Kind anspricht.
  • Beenden Sie die Flüssigkeitszufuhr, wenn die Patient*innen das Bewusstsein erlangen oder bei bewusstlosen Patient*innen ein Radialispuls tastbar ist.
  • Prüfen Sie mindestens alle 5 Minuten Bewusstsein, Haut, Blutdruck und Puls.

D. Disability: neurologische Untersuchung

  • Ist die Person bei Bewusstsein oder nicht? Wie gut ist er/sie bei Bewusstsein?
  • Notieren Sie den Glasgow Coma Scale-Score. Bei Patient*innen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss ist eine Beurteilung des GCS-Scores schwierig.
  • Bei unruhigen, verwirrten oder unwirschen Patient*innen ist eine Kopfverletzung mit Druckanstieg (ICP) in Betracht zu ziehen.
  • Pupillenreaktion: Größe, Symmetrie, Reaktion auf Lichtreize
  • Bewegung der Extremitäten
  • Bewusstlose Patient*innen MÜSSEN in die Seitenlage gebracht werden. Patient*innen, die ein Trauma erlitten haben, werden achsengerecht auf die linke Seite gelegt, sodass im Rettungswagen der Zugang zu den Atemwegen gewährleistet ist. Zum Drehen der Betroffenen wird dabei das Logroll-Manöver angewandt.
  • Falls der Verdacht auf eine Genick-/Rückenverletzung besteht, der Zustand der verletzten Person jedoch nicht als kritisch zu bezeichnen ist, werden zunächst Genick und Rücken stabilisiert, sodass es zu keiner Verschiebung oder Verdrehung kommt.

E. Exploration: Freimachen

  • Machen Sie die Person so weit wie nötig frei, um eine vollständige Untersuchung durchführen und die erforderliche Behandlung einleiten zu können.
  • In der Regel ist es am zweckmäßigsten, die Kleidung von Schwerverletzten aufzuschneiden. Bitten Sie die Person dafür möglichst um Erlaubnis, falls genügend Zeit dafür vorhanden ist.
  • Decken Sie die Person anschließend rasch wieder zu, um eine Hypothermie zu vermeiden. Eine Hypothermie MUSS verhindert werden.
  • Ist die Person Ihrer Auffassung nach in einem kritischen Zustand, ist nach dem Eintreffen des Rettungswagens umgehend der Transport einzuleiten. Die weitere Untersuchung und Behandlung kann dann während des Transports erfolgen. Patient*innen mit inneren Blutungen werden kontinuierlich weiter bluten, bis sie im Krankenhaus operiert werden.
  • Denken Sie daran, Ihre Befunde an die Notrufzentrale (112) zu melden, sodass im Krankenhaus die entsprechenden Vorbereitungen getroffen werden können.

Schnelle Kopf-bis-Fuß-Untersuchung (Bodycheck)

  • Grundsatz: Patientenbeurteilung immer von Kopf bis Fuß (Bodycheck = kraniokaudale Ganzkörperuntersuchung)4-5
  • Wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht, wird diese am Unfallort oder evtl. während des Transports durchgeführt.
  • Kontrolle auf:
    • Verletzungen
    • Schmerzen
    • Sensibilität
    • Motorik.

Kopf

  • Siehe Artikel Schädel-Hirn-Trauma (SHT).
  • Diagnostik
    • Kopf untersuchen/palpieren.
    • Ohren/Pupillen prüfen.
    • Auf Blutungen prüfen.
    • Nach instabilen Strukturen tasten.
    • Bewusstseinslage, Pupillenfunktion und GCS wiederholt erfassen und dokumentieren (A).6
  • Vorgehen6
    • Bei Erwachsenen mit SHT sollte eine Normotension (RR sys nicht unter 90 mmHg) angestrebt werden (A).
    • Auf die Gabe von Glukokortikoiden soll bei SHT verzichtet werden (A).
    • Bei Verdacht auf stark erhöhten intrakraniellen Druck, insbes. bei Zeichen der transtentoriellen Herniation (Pupillenerweiterung, Strecksynergismen, Streckreaktion auf Schmerzreiz, progrediente Bewusstseinstrübung) können folgende Maßnahmen angewandt werden (A):
      • Hyperventilation
      • Hypertone Kochsalzlösung
      • Mannitol.
    • Herausgeschlagene Zähne und Zahnfragmente sollten aufgenommen, feucht gelagert und zur Replantation ins Traumazentrum mitgebracht werden (A).

Genick/Hals

  • Genick palpieren, nach Schmerzen fragen, auf Schmerzreaktion prüfen.
  • Hals untersuchen.
  • Auf Halsvenenstauung prüfen.
  • Siehe Abschnitt Wirbelsäule.

Thorax

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.3,6
  • Siehe Artikel Thoraxtrauma.
  • Probleme
    • Verletzung des Thorax durch stumpfe oder spitze Gewalt
      • Frakturen von Rippen, Sternum, BWS
      • Lungenkontusion, Pneumothorax/Spannungspneu, Hämatothorax
      • Perikardtamponade, Myokard-Kontusion/-Ruptur, Aorten-Dissektion/-Ruptur
      • tracheobronchiale Verletzungen, Ösophagusverletzungen
      • Zwerchfellruptur, Verletzungen von Abdominalorganen (Milz, Leber, Niere)
    • 75 % der Thoraxverletzten weisen primär keine sichtbaren Verletzungszeichen am Thorax auf.
  • Diagnostik/Klinik
    • Atemfrequenz und Auskultation sollten wiederholt erfolgen (B).
    • Inspektion
      • Seitendifferenz der Atemexkursion?
      • Vorwölbung einer Seite?
      • Paradoxe Atmung?
      • Prellmarken? Äußere Verletzungen? Spuren einer Kontusion? Rippenfrakturen? Sternumfrakturen?
      • Hautemphysem?
      • Obere Einflussstauung?
    • Auskultation der Lunge
      • Seitendifferenz?
      • Abgeschwächtes/fehlendes Atemgeräusch?
        • Verdachtsdiagnose Pneumo- und/oder Hämatothorax bei einseitig abgeschwächtem oder fehlendem Atemgeräusch (nach Kontrolle der korrekten Tubuslage) (A)
        • Fehlen eines solchen Auskultationsbefundes, insbes. bei Normopnoe und thorakaler Schmerzfreiheit schließt einen größeren Pneumothorax weitgehend aus (A).
        • Verdachtsdiagnose Spannungspneumothorax bei einseitig fehlendem Atemgeräusch und zusätzlichem Vorliegen von typischen Symptomen, insbes. schwere respiratorische Störung oder obere Einflussstauung in Kombination mit arterieller Hypotension (B)
    • Palpation
      • Schmerzen?
      • Krepitationen?
      • Hautemphysem?
      • Instabilität?
    • Perkussion
      • Hypersonorer Klopfschall?
      • Seitendifferenz?
  • Vorgehen
    • Sauerstoffgabe, Volumenzufuhr, Analgesie, evtl. Beatmung
    • Der Spannungspneumothorax ist die häufigste reversibele Ursache des traumatischen Herkkreislaufstillstandes und soll in der Präklinik entlastet werden (A).
    • Klinisch vermuteten Spannungspneu umgehend dekomprimieren (A)!
    • Mögliche Progredienz eines kleinen, zunächst präklinisch nicht diagnostizierbaren Pneumothorax in Betracht ziehen: engmaschige klinische Kontrolle (B).
    • Ein durch Auskulationsbefund diagnostizierter Pneumothorax soll bei Patient*innen, die mit Überdruck beatment werden, dekomprimiert und bei bei nicht beatmeten Patient*innen in der Regel unter engmaschiger klinischer Kontrolle beobachtend behandelt werden (B).
    • evtl. Thoraxdrainage
    • Offene, „blubbernde“ Thoraxverletzungen sind mit Folie abzudecken und auf drei Seiten festzukleben.
    • Zielklinik: Traumazentrum

Abdomen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Siehe Artikel Abdominaltrauma.
  • Probleme
    • Unterscheide: stumpfes Trauma/penetrierendes Trauma.
    • Bei etwa 1/3 der Polytraumatisierten ist das stumpfe Bauchtrauma Teilverletzung.
    • Stets an Abdominaltrauma denken. Cave: Unterschätzung der Verletzungsschwere!
  • Anamnese (wenn möglich)
    • Unfallmechanismus
    • Schmerzen? Bei bewusstlosen Patient*innen auf Schmerzreaktion prüfen.
  • Diagnostik
    • Inspektion: Äußere Verletzungen? Spuren einer Kontusion? Verdacht auf innere Verletzungen?
    • Bauch untersuchen und palpieren (4 Quadranten).
    • Nach Abwehrspannung der Bauchmuskulatur tasten – oft in der frühen Phase nach Trauma noch nicht vorhanden.
    • Kreislaufsituation (Hypovolämie – DD: Spannungspneu)
  • Vorgehen
    • venöse Zugänge (möglichst 2 großlumige)
    • adäquate Volumen- Schmerz-, Beatmungstherapie
      • ggf. Narkose, Intubation
    • „Treat and run“/„permissive Hypotension“ bei kritischem Patientenzustand (V. a. intraabdominelle Blutung) – cave: Zeitfaktor!
    • Voranmeldung Klinik: Schockraum
    • zügiger Transport in eine geeignete Klinik
    • Offene Bauchverletzungen sind mit sterilen (mit Elektrolytlösung getränkten) Kompressen abzudecken.
    • Fremdkörper belassen und abpolstern.
    • Bei Austritt von Darm abdecken (Ischämieprophylaxe).
    • Bei Verdacht auf eine Urethraverletzung sollte die präklinische Blasenkatheterisierung unterbleiben (B).6

Becken

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Problem
    • Beckenfraktur ist typischerweise keine isolierte Verletzung: Etwa 2/3 der Patient*innen mit Beckenfraktur haben Polytrauma.
    • Beckenfrakturen oft gemeinsam mit Weichteilverletzungen und dadurch z. T. lebensbedrohlichen Blutungen
    • besonders bei instabilen Beckenfrakturen hohe Mortalität
    • häufige Auslöser: Verkehrsunfälle (Seitenaufprall, Überrolltrauma, Motorradfahrer), Sturz aus großer Höhe
  • Diagnostik/Symptomatik
    • Becken auf Schmerzen/Schmerzreaktion untersuchen (niemals Druck nach außen ausüben!).
    • Äußere Verletzungen? Spuren einer Kontusion?
    • Blutung und Volumenmangelschock
    • perineales Hämatom, Blutung aus der Urethra
  • Vorgehen
    • Volumen-, Schmerz-, evtl. Beatmungstherapie
    • Immobilisation (Vakuummatratze, Beine in Adduktion)
    • Beckenkompression bei Verdacht auf „Aufklappbarkeit“ (z. B. Beckenschlinge, Rettungskorsett oder Tuch)
    • Bedenke: Begleitverletzung innerer Organe = Blutstillung ist präklinisch nicht zu erreichen – ZEITKRITISCH!

Extremitätenverletzungen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
  • Stark blutende Verletzungen der Extremitäten, die die Vitalfunktion beeinträchtigen können, sollen mit Priorität versorgt werden (A).
  • Versorgung von Verletzungen der Extremitäten soll weitere Schäden vermeiden und die Gesamtrettungszeit bei Vorliegen weiterer bedrohlicher Verletzungen nicht verzögern (A).
  • Alle Extremitäten eines Verunfallten sollten präklinisch orientierend untersucht werden (A).
  • Eine auch nur vermutlich verletzte Extremität sollte vor grober Bewegung/dem Transport der Person ruhiggestellt werden (B).
  • Grob dislozierte Frakturen und Luxationen sollten, wenn möglich, und insbes. bei begleitender Ischämie der betroffenen Extremität/langer Rettungszeit annähernd präklinisch reponiert werden (B).
  • Jede offene Fraktur sollte von groben Verschmutzungen gereinigt und steril verbunden werden (B).
  • Aktive Blutungen sollten durch folgendes Stufenschema behandelt werden (A):
    • manuelle Kompression/Druckverband
    • Hochlagerung
    • Tourniquet.
  • Wenn vorangegangene Maßnahmen nicht erfolgreich sind, können Hämostyptika ergänzend angewendet werden (C).
  • Ein Tourniquet sollte sofort angewendet werden bei (B):
    • lebensgefährliche Blutungen/multiple Blutungsquellen an einer Extremität
    • keine Erreichbarkeit der eigentlichen Verletzung
    • mehrere Verletzte mit Blutungen
    • schwere Blutung der Extremitäten bei gleichzeitig kritischem A-, B- oder C-Problem
    • Unmöglichkeit der Blutstillung durch andere Maßnahmen
    • schwere Blutung an Extremitäten bei Zeitdruck oder Gefahrensituation
  • Ein Amputat sollte grob gereinigt und in sterile, feuchte Kompressen gewickelt werden. Es sollte indirekt gekühlt transportiert werden (B).

Wirbelsäule

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
  • Probleme
    • Bei bewusstlosen Patient*innen soll bis zum Beweis des Gegenteils von dem Vorliegen einer Wirbelsäulenverletzung ausgegangen werden (A).
    • Verletzung der Wirbelsäule (Fraktur oder Luxation) evtl. mit Schädigung des Rückenmarks
    • Unfallmechanismus erkennen; cave: Begleitverletzungen!
    • frühzeitiger Einsatz von Umlagerungs- und Immobilisationshilfen (Schaufeltrage, Vakuummatratze etc.)
    • Notwendige Lagerungsmaßnahmen nur achsengerecht durchführen.
    • hohe Koinzidenz von SHT- und HWS-Verletzungen
  • Diagnostik
    • Gezielte körperliche Untersuchung inklusive der Wirbelsäule und der mit ihr verbundenen Funktionen solle durchgeführt werden (A).
  • Vorgehen
    • Die Halswirbelsäule soll bei der schnellen und schonenden Rettung vor der eigentlichen technischen Rettung immobilisiert werden (A).
    • Sekundäre Schäden vermeiden.
    • Vor Drehmanövern oder sonstigen Bewegungen des Verletzten erfolgt die Abtastung der Wirbelsäule.
    • Zur abschließenden Inspektion des Rückens in axialer Drehung sind mehrere Helfer*innen notwendig.4
    • Transport auf Vakuummatratze
    • Zielklinik: Traumazentrum mit Wirbelsäulenchirurgie
    • RTH-Transport erwägen.

Weitere Beobachtung und Behandlung

Kontinuierliche Überwachung der Patient*innen

  • Bewusstsein
  • Atmung
  • Puls
  • Haut
  • Pulsoxymetrie
  • Rektale Temperatur bei Verdacht auf Hypothermie

Atemwegsmanagement, Beatmung und Notfallnarkose

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
  • Bei polytraumatisierten Patient*innen sollten bei bei folgenden Indikationen präklinisch eine Notfallnarkose, eine endotracheale Intubation und eine Beatmung durchgeführt werden:
    • Apnoe oder Schnappatmung (Atemfrequenz < 6) (A)
    • Hypoxie (SpO2 < 90 %) trotz Sauerstoffgabe und nach Ausschluss eines Spannungspenumothorax (B)
    • schweres SHT (GCS < 9) (B)
    • traumaassoziierte persistierende hämodynamische Instabilität (RR sys < 90 mmHG, altersabdaptiert bei Kindern) (B)
    • schweres Thoraxtrauma mit respiratorischer Insuffizienz (Atemfrequenz < 29, altersadaptiert bei Kindern) (B)
  • Präoxigenierung vor Narkoseinleitung (A)
  • Nach mehr als 2 Intubationsversuchen sollen alternative Methoden zur Beatmung bzw. Atemwegssicherung in betracht gezogen werden (A).
  • Überwachung mittels EKG, Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie und Kapnografie (A)
  • Beim endotracheal intubierten und narkotisierten Traumapatienten soll eine Normoventilation durchgeführt werden (A).
  • Aufgrund der fehlenden Nüchternheit und des Aspirationsrisikos soll eine Notfallnarkose als Rapid Sequence Induction durchgeführt werden (A).
  • Etomidat soll vermieden werden, Ketamin stellt hier meistens eine gute Alternative dar (B).

Volumentherapie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
  • Bei schwer verletzten Patient*innen sollte eine Volumentherapie eingeleitet werden, die bei unkontrollierbaren Blutungen in reduzierter Form durchgeführt werden sollte, um den Kreislauf auf niedrig-stabilem Niveau zu halten und die Blutung nicht zu verstärken.
  • Bei hypotensiven Patient*innen mit einem Schädel-Hirn-Trauma sollte eine Volumentherapie mit dem Ziel der Normotension durchgeführt werden.
  • Bei Traumapatienten sollte ein venöser Zugang gelegt werden.
  • Zur Volumentherapie bei Trauma-Patient*innen sollten Kristalloide eingesetzt werden.
    • Isotone Kochsalzlösung sollte nicht verwendet werden.
    • Ringer-Malat, alternativ Ringer-Acetat oder Ringer-Laktat, sollte bevorzugt werden.
    • Humanalbumin soll nicht zur präklinischen Volumentherapie herangezogen werden.
  • Hypertone Lösungen zur Behandlung bei Polytrauma
    • Sollen bei penetrierendem Trauma verwendet werden, sofern hier eine präklinische Volumentherapie durchgeführt wird.
    • Können bei stumpfem Trauma mit hypotonen Kreislaufverhältnissen verwendet werden.
    • Können bei hypotonen Patient*innen mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma verwendet werden.

Schmerzbehandlung

  • Nur bei Patient*innen, die bei Bewusstsein sind und eindeutig über Schmerzen klagen.
  • Morphin 2,5 mg–15 mg fraktioniert langsam i. v.3
  • Metoclopramid 10 mg i. v. gegen Übelkeit verabreichen.

Sonstige Maßnahmen

  • Hypothermie vorbeugen.
  • HWS-Schiene
  • Grobe Reposition von Frakturen (nur mit entsprechender Kompetenz durchzuführen)
  • Infektionsprophylaxe bei offenen Frakturen
    • Abdeckung offener Frakturen mit sterilen, feuchten Kompressen
    • evtl. Gabe von Penicillin 2 Mio. IE i. v. Achtung: Allergie? evtl. Cefuroxim 1.500 mg i. v.

Krampfbehandlung (Grand mal)

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Definition: andauernder Krampfanfall (> 5–10 min) oder mehrere generalisierte zerebrale Krampfanfälle bei anhaltender Bewusstlosigkeit
  • 1. Schritt: Benzodiazepine hochdosiert und intravenös
    • Lorazepam 2–6 mg – oder –
    • Clonazepam 1–4 mg – oder –
    • Diazepam 10–30 mg – oder –
    • Midazolam 0,1–0,2 mg/kg KG = 5–15 mg/70 kg, off label 0,2–0,5 mg/kg KG intranasal
  • 2. Schritt bei Persistenz des Status: Krampfdurchbrechung, ggf. mit Intubationsnarkose
    • Phenobarbital 350 mg/70 kg KG – oder –
    • Thiopental 375 mg/70 kg KG – oder –
    • Propofol 150–200 mg/70 kg KG, dann 2–10 mg/kgKG/h
    • Phenytoingabe nur unter Intensivbedingungen und lückenlosem Monitoring
  • Achtung: intrakranielle Blutung!

Transport

  • Traumamanagement ist Zeitmanagement!
  • Veranlassen Sie bei Patient*innen mit kritischen Verletzungen oder Verdacht auf innere Blutungen schnellstmöglich den Transport.
  • Setzen Sie die Überwachung, Untersuchung und Behandlung hinsichtlich der o. g. Faktoren fort.
  • Führen Sie in regelmäßigen Abständen eine erneute Bewertung von ABCD durch.
  • Informieren Sie die Notrufzentrale über den Zustand der verletzten Person.

Quellen

Leitlinien

  • Deutscher Rat für Wiederbelebung – German Resuscitation Council. Leitlinien des ERC zur Reanimation 2015 in Deutschland. Ulm, GRC 2015. www.grc-org.de
  • Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 012-019, Stand 2016. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutscher Rat für Wiederbelebung - German Resuscitation Council. Reanimation 2015 - Leitlinien kompakt. Ulm, GRC 2015 www.grc-org.de
  2. Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, Frankfurt/M. Medizinische HAndlungsanweisung Schweres Trauma im Rettungsdienstbereich Ffm. Frankfurt M, 2010. Zugriff Oktober 2015 www.feuerwehr-frankfurt.de
  3. Arbeitsgemeinschaft in Norddeutschland tätiger Notärzte (AGNN). Therapieempfehlung für die Notfallmedizin. Lübeck, AGNN 2015 www.agnn.de
  4. Ellinger K, Osswald PM, Stange K. Fachkundenachweis Rettungsdienst: Begleitbuch zum bundeseinheitlichen Kursus, 2. Auflage. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag, 2913. books.google.de
  5. Schweizerischer Samariterbund. Erste-Hilfe-Wissen. Thema Bodycheck am Verletzten. Stand 2015 www.samariter.ch
  6. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 012-019, Stand 2016 www.awmf.org

Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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