Tungiasis

Zusammenfassung

  • Definition:Ektoparasitäre Hautkrankheit, die durch einen Befall mit dem Sandfloh Tunga penetrans verursacht wird.
  • Häufigkeit:Die Prävalenz liegt in endemischen Gebieten (Lateinamerika, Karibik, südl. Afrika, Indien, Pakistan) bei 21‒83 %.
  • Symptome:Die Symptome bestehen meist aus juckenden oder schmerzenden Hautläsionen an den Füssen. Typische Reiseanamnese.
  • Befunde:Heimkehrende Reisende weisen selten mehr als eine vereinzelte Läsion auf. Sie imponieren meist als weißliche Papeln mit zentralem schwarzem Punkt an den Füssen. Eier und bräunliche Kotfäden sind oft mikroskopisch sichtbar.
  • Diagnose:klinisch mit typischer Reiseanamnese. Ggf. Histologie.
  • Behandlung:Die Behandlung besteht in der chirurgischen Exzision und topischer Antibiotika-Therapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bei der Tungiasis handelt es sich um eine ektoparasitäre Hautkrankheit, die durch einen Befall mit dem Sandfloh Tunga penetrans verursacht wird.
  • Die Tungiasis wird auch bei Reiserückkehrern festgestellt. Die zunehmende Reisetätigkeit in endemische Gebiete wird voraussichtlich die Häufigkeit erhöhen.
  • Ohne Vorwissen kann die Diagnose schwierig sein, die Krankheit kann differenzialdiagnostisch mit anderen Erkrankungen verwechselt werden. Das Wissen über die Erkrankung ist daher essenziell für Ärzte, die Reisende beraten und behandeln.
  • Die Tungiasis ist eine Zoonose und tritt in Endemiegebieten bei Hunden, Katzen, Ratten und Schweinen auf.1

Häufigkeit

  • Die Prävalenz beträgt in endemischen Gebieten 21‒83 %, während die Krankheit in nicht-endemischen Gebieten in erster Linie bei Reisenden, die aus tropischen und subtropischen Regionen zurückkehren, festgestellt wird.2
  • Tunga penetrans kommt endemisch in Lateinamerika (von Mexiko bis Nordargentinien), der Karibik und dem Teil Afrikas, der südlich der Sahara liegt, sowie in Indien und Pakistan.2-3,4
  • Insgesamt ca. 88 Länder sind potentiell betroffen.4
  • Endemiegebiete sind städtische Slums, abgelegene Dörfer an der Küste oder im Landesinneren in tropischen Regionen.1
  • Die vor allem betroffenen Altersgruppen sind Kinder bis 14 Jahre und ältere Erwachsene. Männer sind etwas häufiger betroffen.4
  • Saisonale Häufung von Tungiasis-Fällen korrelieren mit einem Anstieg an beobachteten Tetanus-Fällen.4
  • Alle Daten zur Häufigkeit basieren auf gemeindebasierten, kleineren Studien.4

Ätiologie und Pathogenese

  • Der Floh ist 1 mm lang und kann 20 cm hoch springen. Er lebt in warmen Sandböden.
  • Nach der Paarung sucht das trächtige Flohweibchen nach einem warmblütigen Wirt und beginnt hier eine Entwicklung in 5 Stadien. Der Entwicklungszyklus dauert ca. 1 Monat.1
  • Menschen werden vor allem befallen, wenn sie sich barfuß im Lebensraum des Flohs bewegen. Die Epidermis des Wirts wird penetriert, meist dort, wo diese dünn ist, wie zwischen den Zehen oder unter den Zehennägeln.
  • Prädilektionsstellen sind die Füsse. Ektopische Lokalisationen an den Händen, am Gesäß oder im Inguinalbereich sind selten, werden aber bei der Untersuchung häufig übersehen.1 
  • Die Invasion wird selten bemerkt, kann aber als kleiner roter Fleck zu sehen sein.1 Wahrscheinlich sind an der Invasion keratolytische Enzyme beteiligt.4 
  • Der Floh saugt Blut aus dem oberflächlichen Teil der Dermis, die Entwicklung der Eier beginnt, wodurch der Bauch des Flohs an Umfang zunimmt. Dieses Stadium wird als juckender, schmerzender Knoten mit einem zentralen, schwarzen Fleck und unterschiedlicher Umgebungsentzündung bemerkt.
  • Nach ca. 4 Tagen erreicht der Parasit seine maximale Größe (um den Faktor 2000 vergrößert4). Die Läsion ähnelt dann einer weißen Perle mit einer zentralen Öffnung, die aus der anogenitalen Region des Flohs besteht. Aus dieser sondert der Floh Eier und Kot ab.
  • Flohfäzes ist ausgesprochen klebrig und bleibt in den umliegenden Hautpapillen haften. Er dient möglicherweise als Lockstoff für weitere Weibchen zur Penetration in der Nachbarschaft der bestehenden Läsion.1 
  • Durch diese Öffnung entsteht eine durchgehende Verbindung zur Dermis, die eine Eintrittspforte für pathogene Mikroorganismen darstellt.1
  • Drei bis vier Wochen nach der Penetration stirbt der Floh in situ und wird abgestoßen. Die Läsion ist dann typischerweise mit dunklem Schorf bedeckt.
  • Von nun an heilt die Läsion allmählich und hinterlässt eine Narbe in der Hornschicht.

Prädisponierende Faktoren

  • Aufenthalt in endemischen Gebieten

ICPC-2

  • S72 Krätze/andere Askariasis

ICD-10

  • B88 Sonstiger Parasitenbefall der Haut
    • B88.1 Tungiasis [Sandflohbefall]

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose erfolgt klinisch anhand des typischen klinischen Bildes (unterstützt durch Lupe oder Dermatoskop), der typischen topographischen Lokalisation und der Reiseanamnese.
  • Histopathologisch kann sich das Vorhandensein von T. penetrans durch den Nachweis des charakteristischen Arthropodenkörpers beziehungsweise von Chitinfragmenten bestätigen.1 Man sieht dann eine intradermale Höhle umgeben von einer eosinophilen Umgebungshaut, was dem Körper des Flohs entspricht. In der Höhle liegen Eier und leere, ringförmige Trachealstrukturen. In der umgebenden Dermis sieht man häufig eine Entzündungsreaktion.4

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Der Patient mit Reiseanamnese bemerkt einen Knoten.
  • Die Austreten von Eiern und bräunlichen Kotfäden aus der Läsion ist pathognomonisch.
  • Heimkehrende Reisende weisen selten mehr als eine vereinzelte Läsion auf, die Krankheit heilt in der Regel spontan.
  • In endemischen Gebieten ist dagegen oft ein massiver und invalidisierender Befall mit bis zu 145 Läsionen zu sehen, der häufig von Komplikationen in Form von Nagelhypertrophie oder Nagelverlust, Deformation oder Autoamputation der Zehen sowie Gangstörungen begleitet wird.2-3,5

Klinischer Untersuchung

  • Zur klinischen Stadieneinteilung wird oft die so genannte Fortaleza-Klassifikation benutzt, in der 5 Krankheitsstadien unterschieden werden: 
    • Stadium 1: Penetrationsstadium (30 Minuten bis mehrere Stunden)
    • Stadium 2: beginnende Hypertrophie (1. bis 2. Tag nach Penetration)
    • Stadium 3: maximale Hypertrophie mit Expulsion von Eiern (2. Tag bis 3. Woche nach Penetration)
    • Stadium 4: Absterben des Ektoparasiten und Abstoßung des Fremdkörpers (3. bis 5. Woche nach Penetration)
    • Stadium 5: Residuale Narbe im Stratum corneum (6. Woche bis mehrere Monate nach Penetration)1
  • Erscheinungsbilder in den verschiedenen Stadien sind die folgenden:
    • Stadium 1: rötlicher Punkt mit oder ohne erythematösem Hof 
    • Stadium 2: wachsender, weißlicher papulöser Hof, der durch Hypertrophie vor allem der Eileiter, aber auch der Tracheen und Verdauungsorgane entsteht. Die After-Genital-Öffnung imponiert als zentraler schwarzer Punkt.
    • Stadium 3: runde, gut abgegrenzte uhrglasähnliche, vorgewölbte Papel von prallelastischer Konsistenz, begleitet von einer starken epidermalen Hyperplasie mit Hyperkeratose 
    • Stadium 4:  ist das Involutionsstadium des Parasiten und zeichnet sich vor allem durch Abnahme der prallelastischen Konsistenz und eine Zunahme der bräunlichen Verfärbung aus.
    • Stadium 5: bräunlich schwarze Kruste um die Läsion1   

Therapie

Therapieziel

  • Eradikation

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung besteht in der Eradikation der Flöhe in toto.
  • Die Therapie der Läsionen besteht grundsätzlich in chirurgischer Exzision beziehungsweise Enukleation mit anschließender lokaler Antibiotikatherapie.1 
  • Bei Verdacht auf bakterielle Superinfektion sollte eine zusätzliche systemische Antibiotika-Therapie erwogen werden.4
  • Manipulationen sollten vermieden werden. Sie gehen mit dem Risiko einer verstärkten Entzündungsreaktion einher, da proinflammatorisch wirkende Substanzen des Parasiten über die zerissene Intersegmentalhaut beziehungsweise auf der Parasitenoberfläche wachsende pathogene Bakterien in das umliegende Gewebe gedrückt werden.1
  • Der Tetanusimpfschutz ist in jedem Falle zu überprüfen.
  • Einzelne Beobachtungen zeigen, dass Thiabendazol oral (50 mg/kg/d über 5 Tage) oder als Salben-Okklusionsverband (fünf bis zehn Prozent) wirksam ist. Kontrollierte Untersuchungen gibt es jedoch nicht.1   

Prävention

  • Die Prävention bei Reisen in endemische Gebiete besteht in der Verwendung von geschlossenen Schuhen und Insektenschutzmitteln.
  • In Endemiegebieten sollte ausserdem Liegen oder Sitzen im Sand vermieden werden.
  • Das in Deutschland nicht erhältliche Insektenschutzmittel Zanzarin soll signifikant die Befallsrate mit Tunga penetrans verringern.4

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Heimkehrende Reisende weisen selten mehr als eine vereinzelte Läsion auf, die Krankheit heilt in der Regel spontan.

Komplikationen

  • Sekundäre bakterielle Infektionen mit Hautpathogenen wie Staphylococcus aureus (36 %) und hämolysierenden Streptokokken (11 %) sind häufig.6
  • Todesfälle infolge einer Infektion mit Clostridium tetani sind eine Komplikation, die bei nicht geimpften Personen auftreten kann.5
  • Häufig ist eine Kolonisierung mit verschiedenen Saprophyten wie Enterobacteriaceae (30 %), Enterococcus spp. (1 %), Pseudomonas spp. (3 %) und verschiedenen anaeroben Saprophyten (20 %) festzustellen.6

Prognose

  • Die Krankheit ist bei Reisenden in der Regel selbstlimitierend.
  • Problematisch ist die nahezu immer vorhandene Superinfektion mit pathogenen Aerobiern und Anaerobiern mit fortschreitender Entwicklung der Läsion.1  

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Franck S, Wilcke T, Feldmeier H. Tungiasis bei Tropenreisenden – eine kritische Bestandsaufnahme. Dtsch Arztebl 2003; 100(26). www.aerzteblatt.de
  2. Cestari TF, Pessato S, Ramos-e-Silva. Tungiasis and myiasis. Clin Dermatol 2007; 25: 158-64. PubMed
  3. Heukelbach J. Tungiasis. Orphanet. Stand 2014. www.orpha.net
  4. Smith DS. Tungiasis. Medscape. October 2015. emedicine.medscape.com
  5. Feldmeier H, Eisele M, Saboia-Moura RC et al. Severe tungiasis in underprivileged communities: case series from Brazil. Emerg Infect Dis 2003; 9: 949-55. PubMed
  6. Feldmeier H, Heukelbach J, Eisele M et al. Bacterial superinfection in human tungiasis. Trop Med Int Health 2002; 7: 559-64. PubMed

Autoren

  • Birgit Wengenmayer, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin,Freiburg
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Trondheim

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