Polymyalgia rheumatica

Polymyalgia rheumatica und Arteriitis temporalis sind zwei verwandte rheumatische Erkrankungen. Polymyalgie macht sich durch Muskelschmerzen im Schulter- und Beckenbereich bemerkbar, während Arteriitis temporalis vor allem Kopf- oder Schläfenschmerzen verursacht.

Was ist Polymyalgia rheumatica (PMR)?

Polymyalgia rheumatica ist wie die Arteriitis temporalis wahrscheinlich eine Erscheinungsform einer sog. Riesenzellarteriitis, einer Entzündung der großen Blutgefäße (Schlagadern). Polymyalgia rheumatica (PMR) ist eine entzündliche rheumatische Erkrankung, die schwer zu diagnostizieren ist, da sich die Symptome von Patient zu Patient stark unterscheiden können. Die typischsten Merkmale der Krankheit sind:

  • Beschwerden und Schmerzen in den Muskeln und Gelenken beider Schultern, beider Hüften, manchmal sowohl in beiden Schultern als auch in beiden Hüften
  • Deutliche morgendliche Steifheit, die mindestens 45 Minuten andauert.
  • allgemeine Krankheitserscheinungen wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und Fieber
  • erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und/oder andere erhöhte Entzündungswerte (CRP).

Arteriitis temporalis (AT) ist eine Entzündung der Blutgefäße des Kopfes, die am häufigsten die Schläfenarterie (A. temporalis) betrifft. Typisch für diese Krankheit sind neu auftretende starke Kopfschmerzen, Schmerzen beim Kauen und Sehstörungen.

Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa 3 von 100.000 Einwohnern neu an diesen Krankheiten. Fast alle Patienten sind älter als 50 Jahre, im Durchschnitt liegt der Krankheitsbeginn um das 70. Lebensjahr. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Krankheitsentwicklung/Symptome

Die Krankheit entwickelt sich oft über einige Tage bis Wochen. Häufig klagen Patienten über Fieber, Übelkeit, Müdigkeit, Schwäche, Niedergeschlagenheit, Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust.

Bei der Polymyalgia rheumatica (PMR) leiden Patienten meist an Schmerzen und Steifheit in den Schultern und/oder Hüften, manchmal auch im Nacken, in den Oberarmen und Oberschenkeln. Morgensteifigkeit ist ein typisches Symptom. Diese ist oft so ausgeprägt, dass die Betroffenen Probleme haben, aus dem Bett zu kommen, sich anzuziehen und/oder ihre Arme über den Kopf zu heben. Einige berichten auch über leicht ausgeprägte Gelenkentzündungen in Knien oder Händen. Neben Schmerzen in den betroffenen Körperteilen können auch Muskelschwäche oder erhöhte Muskelermüdung auftreten. Häufig besteht begleitend eine depressive Verstimmung.

Einige Patienten leiden gleichzeitig an PMR und AT. 30–70 % der Patienten mit Arteriitis temporalis zeigen auch Symptome der Polymyalgie („Vielmuskelschmerz“). 40–50 % der Patienten mit Polymyalgia rheumatica haben auch Arteriitis temporalis.

Ursachen

Beide Erkrankungen sind wahrscheinlich auf eine chronische Entzündung der Arterienwände (Arteriitis) zurückzuführen. Der Grund, weshalb diese Entzündung auftritt, ist nicht genau geklärt, es wird davon ausgegangen, dass Antikörper gegen körpereigene Strukturen gebildet werden, die dann eine Entzündung dieser Strukturen auslösen. Dies ist ein Beispiel für eine sog. Autoimmunerkrankung. Es wird angenommen, dass sowohl äußere (wahrscheinlich Infektionen) als auch erbliche Faktoren zur Entstehung der Krankheit beitragen.

Diagnostik

Wie bereits erwähnt, ist die Diagnose PMR oft schwer zu stellen. Verschiedene andere, meist ebenfalls sog. rheumatische Krankheiten, gehen mit sehr ähnlichen Beschwerden einher.

Die Diagnosestellung geht zunächst hauptsächlich von der Krankengeschichte und zusätzlich dem Ausschluss anderer Krankheiten mit ähnlichen Symptomen aus. Die folgenden Symptome sollten einen Verdacht auf die Krankheit wecken:

  • Alter über 50 Jahre und mehr als 2 Wochen andauernde Beschwerden
  • Schmerzen in beiden Schultern oder beiden Hüften oder sowohl im Schulter- und Hüftbereich
  • ausgeprägte Morgensteifigkeit
  • Gelenkentzündungen der Schulter, Hüfte, Hände oder Knie
  • in der Blutuntersuchung eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und/oder andere Zeichen für eine Entzündung (CRP).

Ärzte untersuchen und fragen daher gezielt nach solchen Symptomen. Viele Betroffene berichten, dass es ihnen schon vor Auftreten dieser speziellen Symptome mehrere Tage nicht gut ging (allgemeine Symptome wie Fieber, Übelkeit, Muskelschmerzen etc.).

Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) ist in der Regel deutlich erhöht. Trotzdem ist eine normale Blutsenkungsgeschwindigkeit kein Ausschlusskriterium für PMR: Einige der Betroffenen weisen eine normale Blutsenkungsgeschwindigkeit auf. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit normalisiert sich nach der Behandlung schnell und stellt, zusammen mit einer Verbesserung der Symptome, ein gutes Maß für die Wirksamkeit einer Behandlung dar.

Der CRP-Wert (ein weiterer Entzündungsmarker) ist ebenfalls häufig erhöht, was jedoch auch bei vielen anderen Erkrankungen der Fall ist. Zum Ausschluss anderer Erkrankungen wird das Blut auch auf Autoantikörper (ANCA und ANA) untersucht.

Bildgebende Verfahren können Entzündungen der Schultergelenke aufzeigen.

Behandlung

Je nach Beschwerden und Stadium der Erkrankung kann die Therapie ambulant oder in einer Klinik erfolgen. Kortisontabletten werden eingesetzt, um die chronische Entzündung zu stoppen. Häufig ist eine deutliche Verbesserung der Erkrankung schon wenige Stunden nach Beginn der Behandlung zu beobachten.

Die Kortison-Dosis muss stufenweise über einen längeren Zeitraum wieder reduziert werden, und es ist sehr wichtig, den Anweisungen der Ärzte Folge zu leisten, um schwerwiegende Nebenwirkungen zu vermeiden. Die übliche Behandlungsdauer beträgt ca. 1 Jahr. Für einige Patienten kann eine niedrig dosierte (5–10 mg) Erhaltungsbehandlung mit einem Kortisonpräparat über ein paar Jahre hinweg indiziert sein, weil die Symptome wiederkehren oder sich auf konstantem Niveau halten.

Neben Kortison können auch spezielle andere sog. immunsuppressive (das Immunsystem dämpfende) Medikamente hilfreich sein. Bei PMR kann Methotrexat eingesetzt werden, wenn Rückfälle auftreten oder eine lange Kortisontherapie zu Nebenwirkungen führt.

Es ist wichtig, regelmäßige Verlaufskontrollen wahrzunehmen – zum einen, um die Wirksamkeit der Therapie zu kontrollieren, aber auch um mögliche Nebenwirkungen der Kortisoneinnahme frühzeitig zu erkennen. Bei Anzeichen von Nebenwirkungen oder neu aufgetretenen oder zunehmenden Beschwerden sollten Sie sich zeitnah bei Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt melden.

Gegen die Schmerzen können zusätzlich Schmerzmittel helfen. Dabei ist jedoch besonders darauf zu achten, dass viele Schmerzmittel und v. a. Kortison die Magenschleimhaut schädigen können.

Da die langfristige Anwendung von kortisonhaltigen Medikamenten das Risiko für die Entwicklung von Osteoporose erhöht, ist es meist ratsam, ergänzend regelmäßig Kalzium und Vitamin D einzunehmen. In einigen Fällen kann es notwendig sein, eine intensivere Behandlung mit anderen verschreibungspflichtigen Medikamenten anzuwenden. Körperliche Aktivität ist zudem wichtig zur Vorbeugung von Osteoporose.

Prognose

Unter Behandlung ist die langfristige Prognose meist gut. Die Behandlung dauert dennoch lang. Die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt 2 Jahre. Einige erleiden allerdings im Verlauf wieder Symptome (Rezidiv), nachdem die medikamentöse Behandlung abgeschlossen ist, und müssen erneut mit einer Behandlung beginnen. 

Sowohl bei PMR als auch bei AT ist es wichtig, bei Auftreten von Kopfschmerzen, Sehstörungen oder anderen Symptomen für eine Arteriitis temporalis sofort die Ärztin/den Arzt zu kontaktieren. Eine Entzündung der Schläfenarterie kann schnell zur Erblindung führen und auch auftreten, obwohl Kortisonpräparate eingesetzt werden. Dies kommt jedoch sehr selten vor.

Weitere Informationen

 Autoren

  • Martina Bujard, Wissenschaftsjournalistin, Wiesbaden
  • Susanne Meinrenken, Dr. med., Bremen
  • Marie-Christine Fritzsche, Ärztin, Freiburg

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Polymyalgia rheumatica/Arteriitis temporalis. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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