Akute Nierenentzündung (Glomerulonephritis)

Glomerulonephritis ist eine Sammelbezeichnung für eine Reihe von entzündlichen Erkrankungen der Niere. Bei diesen Erkrankungen ist die Filterfunktion der Niere gestört, und in der Folge verschieben sich wichtige Gleichgewichte des Organismus, wie etwa der Wasser-, Fett- und Eiweißhaushalt. Betroffene Personen können Wasser einlagern, Bluthochdruck entwickeln, Blut im Urin haben und weitere Symptome zeigen. Oft können lediglich die Symptome behandelt werden.

Glomerulonephritis – was bedeutet das?

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Querschnitt der Niere

Glomerulonephritis ist eine Sammelbezeichnung für entzündliche Erkrankungen (Endung „-itis“) der Niere (griech. „nephros“) unterschiedlicher Ursache, die die Filterfunktion der Niere stören. Es sind stets beide Nieren betroffen. Das Krankheitsbild ist selten, in Industrieländern erkranken jährlich 12 von 100.000 Menschen an Glomerulonephritis. Viele Formen sind gut behandelbar, andere führen zum vorübergehenden oder anhaltenden Nierenversagen.

Das Glomerulum (lat. „kleines Knäuel“) ist ein Bestandteil des Filterapparates der Niere. Neben der Leber ist die Niere das wichtigste Filter- und Ausscheidungsorgan des Menschen. In der Niere werden schädliche Stoffe aus dem Blut gefiltert, die mit der Nahrung und durch Medikamente aufgenommen oder bei Stoffwechselvorgängen des Organismus produziert werden. In der Niere werden auch lebenswichtige Gleichgewichte gesteuert, z. B. der Wasserhaushalt. Enthält der Körper zu viel Flüssigkeit, ist die Niere imstande, das überschüssige Wasser auszuscheiden. Bei Bedarf kann auch Wasser zurückbehalten werden. Der Urin ist das Endprodukt des komplexen Filterprozesses der Niere. Er wird im Nierenbecken gesammelt und über Harnleiter, -blase und -röhre ausgeschieden.

Der Filterapparat der Niere setzt sich aus über 1 Million Untereinheiten pro Niere zusammen, die Nephrone heißen. Jedes Nephron besteht aus einem Nierenkörperchen und einem feinen Kanalsystem, durch das der Urin in Richtung Nierenbecken abfließt. Als Nierenkörperchen werden das Glomerulum und seine umhüllende Kapsel (sogenannte Bowman-Kapsel) bezeichnet. Das Glomerulum ist ein kleines Gefäßknäuel von ca. 0,1 mm Durchmesser. Die hier befindlichen Gefäße, die Kapillaren genannt werden, enthalten das normale Blut, das auch durch alle anderen Adern fließt. Es strömt mit einem hohen Druck durch das Gefäßknäuel, sodass es durch die Kapillarwand hindurchgepresst wird und als Filtrat in der umhüllenden Kapsel landet, von wo es seinen Weg durch das verzweigte Kanalsystem fortsetzt. Nicht alle Bestandteile des Blutes überwinden jedoch den Filter, der neben der Kapillarwand aus weiteren Strukturen besteht. Die Gesamtheit aller Filterstrukturen im Nierenkörperchen bildet eine Schranke, die nur Stoffe bis zu einer bestimmten Größe und einer bestimmten Ladung passieren lässt. Sie wird auch Blut-Harn-Schranke genannt.

Die Blut-Harn-Schranke kann aus unterschiedlichen Gründen gestört sein. Ist eine Entzündung der Glomeruli ursächlich, wird das Krankheitsbild Glomerulonephritis genannt. Die Entzündung kann mehrere Ursachen haben und sich an unterschiedlichen Strukturen der Schranke abspielen. Dennoch äußert sich die Schrankenschädigung grundsätzlich nur auf zwei Weisen, die als nephrotisches Syndrom und als nephritisches Syndrom bezeichnet werden. 

 

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Querschnitt durch ein Nierenkörperchen mit Gefäßknäuel (Glomerulus) und Bowman-Kapsel

Symptome der Glomerulonephritis

Die Symptome einer Glomerulonephritis reichen von isolierten Laborbefunden ohne subjektive Beschwerden bis hin zum schnell voranschreitenden Nierenversagen. Auch chronische Verläufe mit einem langsam fortschreitenden Verlust der Nierenfunktion sind möglich.

Die meisten Formen der Glomerulonephritis treten entweder mit einem nephrotischen oder einem nephritischen Syndrom in Erscheinung. 

Nephrotisches Syndrom

Beim nephrotischen Syndrom dominiert der Eiweißverlust über die Nieren. Eiweiße (Proteine) sind wertvolle Stoffe des Organismus, die viele verschiedene Funktionen erfüllen. Sie binden beispielsweise Wasser in den Gefäßen, sodass dieses nicht in das umliegende Gewebe ausschwemmt, sie unterstützen die Immunabwehr gegen Mikroorganismen oder sie werden benötigt, um das Blut flüssig zu halten, damit sich keine Blutgerinnsel in den Blutgefäßen bilden. Beim nephrotischen Syndrom durchwandern zu viele Eiweiße die Blut-Harn-Schranke in den Nieren und landen im Urin. Die Folge ist, dass sich Wasser im Körper einlagert, die Immunabwehr geschwächt wird oder das Blut in den Gefäßen leichter gerinnt. Die Leber versucht gegenzusteuern und produziert dabei Blutfette im Übermaß, die wiederum einen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen.

Nephritisches Syndrom

Beim nephritischen Syndrom beschädigt die Entzündung den Filter so, dass es zu Einblutungen in die verzweigten Kanalsysteme der Nephrone kommt (größere Blutmengen werden als Rotfärbung des Urins sichtbar, kleine Mengen sind im Urinschnelltest nachweisbar) und die gesamte Filterkapazität der Niere zurückgeht. Die Urinproduktion lässt nach. In der Folge häuft sich Flüssigkeit im Körper an. Dies äußert sich als Schwellungen der Gliedmaße und durch einen erhöhten Blutdruck, unter anderem, weil das Herz eine größere Blutmenge befördern muss.

Eine Glomerulonephritis kann Begleiterkrankung einer anderen Krankheit sein, die den ganzen Körper betrifft, zum Beispiel der Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes. In solchen Fällen bestehen neben dem nephrotischen bzw. dem nephritischen Syndrom weitere Symptome der Grunderkrankung.

Ursachen

Das entzündliche Geschehen im Rahmen einer Glomerulonephritis ist bisher nicht ganz aufgeklärt. Es handelt sich wahrscheinlich um Vorgänge, bei denen Immunzellen und lösliche Bestandteile des Immunsystems die Filtersysteme in der Niere angreifen oder in ihrer Funktion einschränken. Teilweise liegt der fehlgeleiteten Immunreaktion eine bakterielle oder virale Infektion zugrunde, z. B. bei der seltenen Post-Streptokokken-Glomerulonephritis oder der IgA-Nephritis, die insgesamt der häufigste Typ der Glomerulonephritis ist. Nicht die Erreger selbst aber schädigen die Niere, sondern die Immunreaktion des Körpers.

Oft werden die vielen Formen der Glomerulonephritis in sog. primäre und sekundäre Erkrankungen eingeteilt. Die primären gehen von einer Ursache in der Niere selbst aus, den sekundären Formen liegt eine Krankheit zugrunde, die auch andere Organe schädigt. Unter Letzteren sind in erster Linie rheumatische bzw. Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes zu nennen. Auch Krebserkrankungen (z. B. Magen-, Prostata- und Lymphknotenkrebs) können sekundär zu einer Glomerulonephritis führen. Unter den primären Formen der Glomerulonephritis kommt die IgA-Nephropathie bei Erwachsenen und die sogenannte Minimal-Change-Glomerulonephritis bei Kindern am häufigsten vor.  

Diagnostik

Bestimmte Symptome, die Ihnen auffallen und ärztlich abgeklärt werden sollten, können auf eine Glomerulonephritis hinweisen: Blut im Urin, stark reduzierte Urinmenge, plötzliche Gewichtszunahme mit Schwellungen in den Gliedmaßen oder im Gesicht, Bluthochdruck und Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Kopfschmerz, Appetitlosigkeit und Übelkeit.

Solche Zeichen geben Anlass zu einer Labordiagnostik, die Untersuchungen des Blutes und des Urins umfasst. Die Urindiagnostik mittels Teststreifen und Mikroskopie steht im Zentrum, weil so ein nephritisches und nephrotisches Syndrom nachgewiesen werden können. Im Blut lassen sich unter anderem die Funktion der Niere und Entzündungswerte prüfen sowie die Menge an Eiweiß und Fetten messen.

Bei Verdacht auf eine Glomerulonephritis kann auch eine Ultraschalluntersuchung der Nieren durchgeführt werden. Nur wenn sich der Verdacht durch die Blut- und Urindiagnostik weiter erhärtet und die Symptome stark ausgeprägt sind, erfolgt eine Nierenbiopsie. Dabei wird mit einer dünnen Kanüle unter Narkose ein kleines Gewebestück aus der Niere entnommen und unter dem Mikroskop untersucht. Die Biopsie ist der einzige Weg zu einer eindeutigen Klärung der Ursache, die erforderlich sein kann, um die richtige Therapie einzuleiten.

Therapie

Nicht in jedem Fall muss auf eine diagnostizierte Glomerulonephritis eine Therapie folgen. Ist Blut im Urin oder ein geringer Eiweißverlust über den Harn das einzige Symptom, können regelmäßige Kontrollen ausreichen.

Beschwerden wie Überwässerung, Bluthochdruck, erhöhte Blutfette oder der Verlust großer Mengen von Eiweiß über die Nieren können medikamentös behandelt werden. Auch eine salzarme Diät kann dazu beitragen, den Blutdruck zu senken.

In Abhängigkeit vom Typ und von der Schwere der Erkrankung können auch Medikamente notwendig werden, die die Wirkung des Immunsystems abschwächen. Diese sogenannten Immunsuppressiva werden von Nierenspezialist*innen verordnet.

Wenige Fälle von Glomerulonephritis verlaufen sehr schwer und können zum Nierenversagen führen. Es wird dann versucht, durch ein bestimmtes Filterverfahren des Blutes (Plasmapharese) in wiederholten Sitzungen die Bestandteile des Immunsystems aus dem Blut zu eliminieren, die den Schaden in der Niere verursachen. Kommt es zum Nierenversagen, stehen dauerhafte Dialyse und Nierentransplantation zur Verfügung.

Prognose

Die häufigsten Formen der Glomerulonephritis bei Erwachsenen und Kindern haben eine gute Prognose. Mit der richtigen Therapie kann das Nierenversagen abgewendet oder verzögert werden. Manche Ursachen lassen sich weniger gut therapieren. In jedem Fall sind regelmäßige Kontrollen und eine konsequente, gegebenfalls medikamentöse Blutdruckeinstellung erforderlich, um die Entwicklung eines schleichenden Nierenversagens und Komplikationen für das Herz-Kreislauf-System zu verzögern oder zu verhindern.

Weitere Informationen

Autor*innen

  • Markus Plank, MSc BSc, Medizin- und Wissenschaftsjournalist, Wien
  • Dorit Abiry, Doktorandin am Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Glomerulonephritis. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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