Kurzsichtigkeit (Myopie)

Zusammenfassung

  • Definition:Form der Fehlsichtigkeit, bei der weit entfernte Objekte unscharf wahrgenommen werden.
  • Häufigkeit:Sehr häufiger Sehfehler.
  • Symptome:Die Sehschärfe in der Ferne ist beeinträchtigt. Es können Kopfschmerzen oder Schwindel vorliegen.
  • Befunde:Als klinischer Befund liegt eine Visusminderung vor.
  • Diagnostik:Ophthalmologische Refraktionsprüfung, Messung der Bulbuslänge, ggf. Spaltlampenuntersuchung und Funduskopie.
  • Therapie:Zur Korrektur der Myopie können eine Brille, Kontaktlinsen oder Laser angewendet werden.

Allgemeine Informationen

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-4

Definition

  • Form der Fehlsichtigkeit, bei der weit entfernte Objekte unscharf wahrgenommen werden.
    • Wird der Blick auf Gegenstände in der Ferne gerichtet, befindet sich die Bildlage bei nicht akkommodiertem Auge vor der Netzhaut.
  • In der ophthalmologischen Messung zeigen sich negative Dioptrienwerte.

Häufigkeit

  • Folgende Zahlen stammen aus einer europäischen Metaanalyse von 2015.5
  • Eine Myopie betrifft in etwa jeden 3. Menschen.5 
  • Männer und Frauen sind gleichhäufig betroffen.
  • Die altersstandardisierte Prävalenz in Europa liegt bei 31 %.
  • Punktschätzungen ergaben für Jugendliche von 15–19 Jahren eine Prävalenz von 27 %.
  • Bei jüngeren Personen zwischen 25–29 Jahren ist Myopie am häufigsten (47 %). 
  • Die Prävalenz nimmt bis zu einem Alter von 55–59 Jahren um fast die Hälfte ab (28 %)
  • Im höheren Alter steigt die Prävalenz aufgrund von Katarakt wieder an.

Ätiologie und Pathogenese

  • Eine kausale Ursache der Entwicklung von Brechungsfehlern des Auges ist nicht bekannt.
  • Bei der Myopie ist entweder der Augapfel zu lang (Achsenmyopie) oder die Brechkraft von Linse, Kammerwasser und Hornhaut ist im Verhältnis zum normal langen Augapfel zu groß (Brechungsmyopie).
  • Genetische und umweltbezogene Faktoren spielen eine Rolle.
  • Häufiges Arbeiten im Nahbereich – etwa beim Lesen – kann zur Entwicklung einer Myopie führen.

Prädisponierende Faktoren

  • Brechungsfehler treten familiär oft gehäuft auf.
  • Die Myopie (Kurzsichtigkeit) scheint mit der ethnischen Abstammung, dem Bildungsniveau, dem Alter, dem Geschlecht und dem sozioökonomischen Status in Zusammenhang zu stehen.
  • Bei Frühgeborenen besteht ein erhöhtes Risiko.
  • Genetische Erkrankungen (Ehlers-Danlos-Syndrom, Marfan-Syndrom, Stickler-Syndrom)

ICPC-2

  • F91 Refraktionsfehler

ICD-10

  • H52 Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler
    • H52.1 Myopie

Diagnostik

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-4

Diagnostische Kriterien

  • Die Sehschärfe in der Ferne ist vermindert.
  • Das Nahsehen ist in der Regel nicht beeinträchtigt.
  • Bei der Refraktionierung lässt sich die eingeschränkte Sehschärfe in der Ferne durch konkave (negative) Gläser oder Linsen korrigieren.
  • Dioptrie (dpt): Maß für die Brechkraft des Auges. Normwert für ein gesundes Auge bei großer Entfernung beträgt etwa 60–65 dpt. Bei Fehlsichtigkeiten weicht die Zahl von diesem Wert ab und wird mit einem Minus bei Kurzsichtigkeit angegeben (z. B. –1,0 dpt).

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Eingeschränkte Sehschärfe in der Ferne
  • Zusammenkneifen der Lider beim Blick in der Ferne
  • Evtl. unklare und häufige Kopfschmerzen oder Muskelschmerzen
  • Genetische Erkrankungen (Ehlers-Danlos-Syndrom, Marfan-Syndrom, Stickler-Syndrom) als mögliche Ursachen

Klinische Untersuchung

  • Bestimmung der Sehschärfe mithilfe einer Sehtafel
  • Bei schwerer Myopie können eine sichtbare Vergrößerung des Auges, ein großer Hornhautdurchmesser, eine erhöhte Tiefe der Vorderkammern und ein Pseudoexophthalmus vorliegen.
  • Durch das Ophthalmoskop ist eine Retraktion der Aderhaut vom Papillenrand in Form eines gräulich weißen Streifens am schläfenseitigen Rand der Sehnervpapille (Conus myopicus) zu erkennen.
  • Eine direkte Ophthalmoskopie kann sich aufgrund der erhöhten optischen Vergrößerung schwierig gestalten.

Diagnostik bei Ophthalmolog*in

  • Ophthalmologische Refraktionsprüfung
  • Evtl. Skiaskopie bei kleinen Kindern
  • Spaltlampenuntersuchung
  • Funduskopie
  • Perimetrie

Indikationen zur Überweisung

  • Eingeschränkte Sehschärfe in der Ferne
  • Kinder, die den Kopf zum Lesen sehr nah an den Text bewegen.

Therapie

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-4

Therapieziel

  • Korrektur der Kurzsichtigkeit

Kriterien für die Auswahl der Therapie

  • Initialer Brechungsfehler der Augen und Alter der Patient*innen (jüngeres Alter führt im Allgemeinen zu einem schnelleren Fortschreiten)
  • Status des binokularen Sehvermögens

Therapieoptionen

  • Brille
    • Kurzsichtige Kinder sollten tagsüber eine Brille tragen.
  • Kontaktlinsen
    • Kontaktlinsen werden nicht selten aus kosmetischen Gründen bevorzugt.
    • Personen mit Myopie stellen manchmal fest, dass sich das sichtbare Bild vergrößert, und dass sie mit Kontaktlinsen eine bessere Sehschärfe als mit einer Brille erreichen.
  • Pharmakologische Therapie
    • Atropin-Augentropfen können bei Kindern die Myopieprogression hemmen.
    • Bisher war jedoch nur eine klinische Studie bei Kindern kontrolliert, randomisiert und mit ausreichender statistischer Power versehen.6
      • Ein Jahr nach Therapieende blieb die Dosierung von 0,01 % am effektivsten.7
      • Diesen Effekten stehen potenzielle Nebenwirkungen wie Blendung durch Pupillenerweiterung und reduzierte Nahsehschärfe durch Akkommodationslähmung entgegen.
    • Atropin-Tropfen in der geringen Konzentration von 0,01 % werden in Deutschland derzeit von vielen Augenärzt*innen in Kliniken und Praxen
      eingesetzt (off label).
      • Kinder im Alter von 6–14 Jahren, bei denen die Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens eine halbe Dioptrie zunimmt, erhalten abends vor dem Zubettgehen jeweils einen Tropfen in jedes Auge.8

Operative Therapie

  • Bei Erwachsenen Möglichkeit der Lasertherapie oder eines refraktiven chirurgischen Eingriffs zur Verminderung oder vollständigen Korrektur der Myopie.
  • Laserbehandlung (LASIK, LASEK, PRK)9
    • Zur Korrektur einer Myopie, eines Astigmatismus und einer Hypermetropie gleichermaßen einsetzbar.
    • Am besten sind die Ergebnisse bei Personen mit mäßiger Myopie (–2 bis –4 dpt).
    • Aus einer Längsschnittstudie (III) geht hervor, dass bei 1 von 5 Patient*innen, die mit einer LASIK behandelt wurden, später ein erneuter Eingriff notwendig ist, und dass die erzielte Korrektur im Laufe der Zeit etwas nachlässt.10
  • Phake Intraokularlinsen (PIOL)
    • Zur Korrektur einer Myopie können Kunststofflinsen vor der Iris in die vordere Augenkammer oder hinter die Iris und vor die vordere Fläche der Linse des Auges implantiert werden.
    • Dieses Verfahren ist der Laserbehandlung im Hinblick auf die postoperative Erhaltung der durch die Korrektur erzielten vollständigen Sehstärke überlegen, jedoch mit einem etwas höheren Risiko einer vorzeitigen Katarakt verbunden.11
    • Der Behandlungsbereich reicht von –3,0 bis –23,0 dpt. PIOL können in der Altersgruppe zwischen 18 und 45 Jahren in Betracht gezogen werden. Bei höherem Alter erhöht sich das Risiko einer Katarakt.

Prävention

  • Das Myopierisiko wird durch Tageslichtexposition gesenkt und durch Tätigkeit bei kurzer Sehentfernung erhöht.
    • Naharbeit sollte dementsprechend so selten und so kurz wie möglich erfolgen.
  • Patient*innen mit Myopie sind anfälliger für krankhafte Augenveränderungen, die ohne Behandlungen zu irreparablen Schäden führen.
    • Daher sind regelmäßige ophthalmologische Vorsorgeuntersuchungen ratsam.
    • Kurzsichtige Patient*innen sollten die Vorsorge einmal jährlich ab dem 40. Lebensjahr wahrnehmen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-4

Verlauf

  • Eine Myopie kann sich bereits im Kleinkindalter entwickeln.
  • Vor der Pubertät kann sie insbesondere bei Mädchen in Form eines Akkommodationsspasmus auftreten.
  • Sie kann auch Teil der Entwicklung einer Katarakt sein (Kernkatarakt).

Komplikationen bei hochgradiger Myopie

  • Eine hochgradige Myopie begünstigt degenerative Glaskörper- und Netzhautveränderungen.
  • Veränderungen der Netzhaut/Aderhaut können zu Trübungen des Glaskörpers (Opazitäten) führen.
  • Eine Glaskörperabhebung kann in Form von Trübungen oder schwebenden Punkten im Gesichtsfeld wahrgenommen werden.
  • Spontan in der Netzhaut entstandene Risse sind am häufigsten im peripheren Bereich zu beobachten. Sie können zu einer Netzhautablösung führen.
  • Als mögliche Komplikation kann auch eine Konvergenzinsuffizienz, also ein latenter oder auch manifester Strabismus divergens, auftreten.
  • Außerdem ist eine Makuladegeneration möglich.

Prognose

  • Die Myopie kann dauerhaft bestehen bleiben, sich durch eine Therapie verbessern oder in manchen Fällen auch beseitigt werden.
  • Sie kann zu einem Strabismus führen, das Risiko der Entwicklung einer Amblyopie ist jedoch geringer als bei einer Hypermetropie.

Verlaufskontrolle

  • Die Prävalenzzahlen belegen, dass die Refraktion des Auges sich im Laufe des Lebens verändern kann.
    • Daher sollte das Sehvermögen regelmäßig untersucht und die Korrektur angepasst werden.
  • Operative Eingriffe sind eine noch relativ junge Methode zur Korrektur von Brechungsfehlern.
    • Bei Augen mit stabiler Refraktion lassen sich damit die besten Ergebnisse erzielen.
    • Es liegen bisher noch keine Erfahrungswerte im Hinblick auf die langfristigen Auswirkungen derartiger Eingriffe auf das menschliche Auge vor.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Eine Kurzsichtigkeit bis −3 dpt vervierfacht das Risiko einer Netzhautablösung.12
  • Beträgt die Myopie mehr als −3 dpt, so ist das Ablatiorisiko sogar verzehnfacht.
  • Betroffene sollten über Symptome einer Netzhautablösung aufgeklärt werden.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Kurzsichtigkeit.jpg
Kurzsichtigkeit
Auge, detaillierter Längsschnitt.jpg
Auge, Längsschnitt

Quellen

Literatur

  1. Lagrèze W, Schaeffel F. Myopieprophylaxe. Preventing myopia. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 575-80. www.aerzteblatt.de
  2. Jong M, Gifford K. Zusammenfassung aller klinischen IMI Leitlinien zur Behandlung von Kurzsichtigkeit. Stand 01/2023. myopiainstitute.org
  3. Stellungnahme des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Empfehlungen bei progredienter Myopie im Kindes- und Jugendalter. Stand Dezember 2018. www.dog.org
  4. Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft. Empfehlung zur Optischen Korrektur von Refraktionsfehlern: Brille. www.dog.org
  5. Williams KM, Verhoeven VJ, Cumberland P, et al. Prevalence of refractive error in Europe: the European Eye Epidemiology (E(3)) Consortium. Eur J Epidemiol. 2015 Apr;30(4):305-15. doi: 10.1007/s10654-015-0010-0. Epub 2015 Mar 18. PMID: 25784363; PMCID: PMC4385146. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Chua W-H, Balakrishnan V, Chan Y-H, et al. Atropine for the treatment of childhood myopia. Ophthalmology 2006; 113: 2285–91. www.aaojournal.org
  7. Chia A, Chua WH, Wen L, Fong A, Goon YY, Tan D. Atropine for the treatment of childhood myopia: changes after stopping atropine 0.01%, 0.1% and 0.5%. Am J Ophthalmol 2014; 157: 451–457.e1. www.ajo.com
  8. DOG September 2019. Pressemitteilung. Wirksame und verträgliche Therapie mit Tollkirsche. Atropin-Augentropfen bremsen Kurzsichtigkeit. www.dog.org
  9. Taravella M. LASIK myopia. Medscape, last updated Dec 2018. emedicine.medscape.com
  10. Alio JL, Muftuoglu O, Ortiz D, et al. Ten-year follow-up of laser in situ keratomileusis for myopia of up to -10 diopters. Am J Ophthalmol 2008; 145: 46-54. PubMed
  11. Barsam A, Allan BD. Excimer laser refractive surgery versus phakic intraocular lenses for the correction of moderate to high myopia. Cochrane Database Syst Rev. 2014 ;6:CD007679. DOI: 10.1002/14651858.CD007679.pub4. DOI
  12. Feltgen N, Walter P: Rhegmatogenous retinal detachment—an ophthalmologic emergency. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(1–2): 12–22. www.aerzteblatt.de

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit